Er hatte immer dazu gehören wollen. Schon, als er noch ein kleines Kind war und die anderen Kinder ihn ausgeschlossen und ausgelacht hatten, weil er anders war. Sie hatten Späße mit ihm getrieben, ihn mit furchtbaren Namen bedacht, als würde es sie nicht kümmern, wie sehr es ihn verletzte. Er erinnerte sich, wie oft er sich in den Schlaf geweint hatte und seine Mutter ihn zu trösten versucht hatte, ohne etwas ausrichten zu können. Er war ein Monster, er sah es jedes Mal, wenn er in den Spiegel schaute. Seine Füße waren zu groß, seine Hände zu unförmig, seine Augen so weiß, dass sie jedem Angst einflößten, der ihm ins Gesicht schaute. Aber am schlimmsten waren die Haare. Sie wuchsen überall, sein ganzes Gesicht, sein ganzer Körper war davon überwuchert. Er war kein Mensch. Er war ein Tier.
Er hatte immer dazu gehören wollen. Aber weil er wusste, dass er anders war und alle es sehen konnten, zog er sich zurück, versteckte sich vor der Welt. Jahrelang hatte er sich kaum zu zeigen gewagt, hatte für sich gelebt und war glücklich gewesen. Zumindest hatte er sich das eingeredet. Und dann war er ihr begegnet. Sie war das schönste Mädchen, das er jemals gesehen hatte. Auch sie war anders. Aber sie war kein Monster, ihre goldenen Augen machte sie zu einer einzigartigen Schönheit. Als er sie das erste Mal gesehen hatte, hatte er die Augen nicht von ihr abwenden können. Sie musste seinen Blick gespürt haben, denn sie schaute auf und ihm direkt in die Augen. Erschrocken wollte er den Blick abwenden, doch irgendwas in ihren Augen hielt ihn gefangen. Sie schenkte ihm ein Lächeln, bevor sie den Raum verließ. Und er wusste, dass er sich für immer daran erinnern würde. Er würde sich dieses Lächeln bewahren.
Er hatte immer dazu gehören wollen. Und durch sie lernte er das Gefühl kennen, nicht alleine zu sein. Denn sie kam wieder. Entgegen all seiner Erwartungen stand sie am nächsten Tag vor ihm, sie schaute ihm in die unnatürlichen Augen, ohne sich zu fürchten. Es war, als könnte sie durch seine äußere Fassade sehen, die Fassade eines Monsters, bis hinein in sein Innerstes, wo ein warmes Licht zu wachsen begann, dass den eisigen Klumpen in seiner Brust zu schmelzen begann. Sie kam jeden Tag. Sie unterhielten sich oder leisteten sich einfach schweigend Gesellschaft, sie waren auf eine Weise verbunden, die er nicht begreifen konnte, aber er konnte sie deutlich fühlen. Sie zuckte nicht zurück, wenn er sie berührte, wie alle anderen. Er konnte sie in seine Arme ziehen und festhalten, um sie davon abzuhalten, sich auf Männer zu stürzen, die ihn manchmal noch immer mit Namen bedachten, die ihn verletzten. Und in dieser Umarmung hatte es sich angefühlt, als würde er dazu gehören. Als würde er zu ihr gehören.
Er hatte immer dazu gehören wollen. Immer normal sein wollen. Ihre Stimme erklang in seinem Kopf. Warum willst du normal sein, wenn du etwas Besonderes bist? Er hatte ihr gesagt, dass es leicht für sie war. Sie war wunderschön, sie wurde nicht missachtet. Sie war anders, sie war bezaubernd. Er war ein Monster. In ihren Augen, ihren unergründlichen goldenen Augen, las er den Schmerz, den seine Worte ausgelöst hatten. Sein Herz zog sich zusammen, er sehnte sich danach, die Worte zurückzunehmen, und doch tat er es nicht. Weil es die Wahrheit war. Seine Wahrheit. Sie schwieg eine lange Zeit, dann sprach sie mit leiser Stimme, die dennoch mächtig durch den Raum hallte und ihn von allen Seiten zu bedrängen schien. Du willst, dass die Gesellschaft dich akzeptiert, aber wie soll sie es lernen, wenn nicht einmal du dich selbst akzeptierst? Du bist perfekt. Reicht es dir nicht, dass ich dich sehe, wie du wirklich bist? Und mit diesen Worten drehte sie sich um und verließ den Raum. Sie kam nicht wieder.
Er hatte immer dazu gehören wollen. Er dachte, es wäre für sie leicht. Doch er wurde eines Besseren belehrt. Auch sie hatte ihre Dämonen, die sie verfolgten und manchmal überwältigten. Ihr Körper war übersät von Wunden, die sie aus den Kämpfen gegen sich selbst davongetragen hatte – oder aus Kämpfen, die sie mit anderen geführt hatte. Er lernte schnell, dass ihre eigenen Verletzungen ihr nichts bedeuteten, dass sie sich nur darum sorgte, andere zu verletzen. Er hatte ein Schnauben nicht unterdrücken können, als er ihre Wunden versorgt hatte und es sie nicht minder hätte kümmern können.
Er hatte immer dazu gehören wollen. Es waren andere gekommen. Weitere, die ebenfalls anders waren. Er war fasziniert gewesen, hatte immer mehr Zeit mit ihnen verbracht, obwohl auch sie sich manchmal über ihn lustig machten. Dennoch blieb er bei ihnen, weil er nirgendwo sonst dazugehören konnte. Und er vergaß sie. Vergaß, wie sehr sie litt, wie sehr auch sie von Dämonen verfolgt wurde, wie sehr sie ihn brauchte und wie sehr er sie brauchte, weil er sich nur mit ihr ganz fühlte. Er folgte den anderen in ihrem Leichtsinn – für einen hohen Preis.
Er hatte immer dazu gehören wollen. Weil er geglaubt hatte, nirgendwohin zu gehören.
Er hatte immer dazu gehören wollen. Weil er sich verloren gefühlt hatte.
Er hatte immer dazu gehören wollen. Und dabei hatte er vergessen, dass er zu ihr gehörte. Und nun war er dabei, sie zu verlieren, weil er nicht da gewesen war, als sie ihn gebraucht hatte. Nun konnte er sie nur in den Armen halten, während sie dabei war, ihre letzten Atemzüge zu machen. „So darf es nicht enden!“ Seine Tränen tropften auf ihre Wangen, vermischten sich mit den salzigen Tropfen auf ihren Wangen. „Am Ende sterben immer die Monster, niemals die Guten.“
„Wir sind alle Monster.“ Die geflüsterten Worte verließen ihre Lippen mit ihrem letzten Atemzug.
Er hatte immer dazu gehören wollen. Und das hatte ihn alles gekostet.