Sie wusste nicht, wie sie sich entscheiden sollte.
Die Ärzte hatten ihr gesagt, dass sie ihr eigenes Leben riskierte, wenn sie sich verlegen ließ. Sie könnte sterben oder bleibende Schäden behalten. Und wie sollte sie dann für ihren Sohn da sein? Aber sollte sie nicht auch jetzt, in diesem Augenblick für ihn da sein? Jetzt, wo er fünfzig Kilometer entfernt ganz alleine im künstlichen Koma in einer anderen Klinik lag? Sicherlich würden die Ärzte alles dafür tun, dass er überlebte, aber eigentlich sollte sie bei ihm sein, seine Hand halten, mit ihm gemeinsam kämpfen. Doch stattdessen lag sie hier in dieser Klinik, selbst ans Bett gefesselt – ebenso wie ihr Mann.
Sie schloss die Augen. Ungewollt traten ihr wieder die Erinnerungen an den Unfall vor Augen, die sie einfach nicht abschütteln konnte. Wie sie im Stau gestanden hatte, alle ein bisschen genervt und frustriert. Wie sie im Rückspiegel plötzlich den LKW nahen gesehen hatte – viel zu schnell, viel zu mächtig. Wie hilflos sie sich in diesem Moment gefühlt hatte, weil es nichts gab, was sie tun konnte. Und dann kam das Knirschen des Autos, das schreckliche Geheul des Hundes, das Stöhnen ihrer Familie. Die Schmerzen.
Tränen traten ihr in die Augen, wenn sie an ihren Hund dachte. Den lieben, treuen Hund, der sie schon seit so vielen Jahren begleitet hatte. Man hatte ihr gesagt, dass er so schwer verletzt gewesen war, dass die Einsatzkräfte ihn noch vor Ort hatten erschießen müssen. Sie war froh, dass er nicht lange gelitten hatte, auch wenn sie gehofft hatte, dass ihm ein ruhigeres, friedlicheres Ende vergönnt gewesen wäre.
Ihre Gedanken kehrten zu ihrem Sohn zurück, der jetzt irgendwo dort draußen um sein Leben kämpfte. Und sie wollte so sehr bei ihm sein.
Wie sollte sie sich nur entscheiden?
Vielleicht gab es manchmal keine richtige Entscheidung.