Es ist nicht einfach, das Leben zu führen, das ich führe. Immer auf der Flucht, immer verfolgt. Nur, weil ich anders bin. Es ist schwer, niemals irgendwo bleiben zu können, immer wieder fort, immer weiter zu müssen in der Hoffnung, dass ich eines Tages irgendwo sicher sein werde, obwohl diese Hoffnung sinnlos erscheint, denn ich werde überall verfolgt.
Es gibt nur eine Sache, die mir mein Schicksal immer erleichtert hat: Dass ich nicht alleine war. Natürlich gab es niemanden wie mich, aber dennoch hatte ich immer Begleiter, immer Menschen, die mir halfen, die mir zur Seite standen und mir das Gefühl gaben, nicht alleine zu sein.
Er war immer bei mir. Ich wusste, dass er mich seit einer Ewigkeit liebte. Ich mochte das Gefühl, dass ich ihm etwas bedeutete, nicht deswegen, was ich bin, sondern wer ich bin. Und meine Gefühle für ihn sind ebenso stark wie seine, ich kenne seine Sehnsucht, mit der er sich nach mir verzehrt, nach meiner Berührung sehnt so wie ich mich nach der seinen verzehre. Ich kenne seine Liebe, dieses warme Gefühl in meinem Herzen, mit dem mich seine Anwesenheit erfüllt. Und doch kann ich meine Gefühle niemals zugeben.
Ich erinnere mich an die Nacht in der Hütte in der roten Wüste, in der wir eingeschlossen waren. Nachts ist die Wüste viel zu gefährlich, deshalb wussten wir, dass uns in dieser Nacht niemand dorthin folgen würde. Für diese eine Nacht waren wir sicher. Ich erinnere mich an die Küsse, die wir geteilt haben, an das Feuer der Leidenschaft in meinen Adern, an die verzehrende Glut, als ich meine Gefühle für ihn nicht länger unterdrücken konnte. Er war immer pflichtbewusst, mein Beschützer, der sich niemals von seinen eigenen Gefühlen überwältigen lassen hätte. Ich war diejenige, die den ersten Kuss tat. Und ich war diejenige, die das Ganze beendete. Denn so schwer es mir auch fiel, so gerne ich meinen eigenen Wünschen und dem Flehen in seinen Augen, er, der sich so viel mehr erhofft hatte, nachgegeben hätte, ich durfte es nicht. Und dann veränderte sich alles.
Wir wurden aufgespürt und ich musste verschwinden, wobei wir getrennt wurden. Es gab andere Leute, die mir halfen, die mich versteckten, doch ich sehnte mich immer nach ihm, fragte mich, was aus ihm geworden sein mochte, wo er nun sein mochte. Lange Zeit glaubte ich, er sei tot.
Ich hätte nie gedacht, dass ich ihn auf der anderen Seite wiedersehen würde. Als einer meiner Verfolger. Und doch ist es so. Er steht vor mir und schaut mich an, seine Augen sind hart, von der einstigen Zuneigung fehlt jede Spur.
„Warum?“, ist das einzige Wort, das ich herausbekomme. Wird er mich töten?
„Sie haben mir die Augen geöffnet, die Wahrheit offenbart“, erklärt er, doch es klingt mechanisch. Als wäre es ihm eingetrichtert worden. Vermutlich ist er manipuliert worden, nicht mehr er selbst. Er wird mich töten.
Und doch bleibe ich vor ihm stehen. Ich werde nicht einfach gehen. Wenn er mich töten soll, dann soll er es tun. Weil ich nun weiß, wie es ist, ohne ihn zu leben.
Ein kleines Flackern in seinen Augen sagt mir alles, was ich wissen muss. Er kämpft mit sich, weiß nicht mehr, was richtig und was falsch ist.
Sein Blick wird mit jedem Wort klarer, als er spricht: „Du warst für mich immer etwas Besonderes. Ich habe dich schon als Kind geliebt, als du dich zu mir gesetzt hast, als niemand sonst es wollte. Und als ich erfahren habe, dass du unsere Königin sein wirst, wollte ich dir dienen. Als dein Beschützer. Ich wollte dir so nahe sein, wie es ging, weil ich weiß, dass ich nicht mehr durfte. Doch dann hast du mich geküsst und mich trotzdem abgewiesen!“, wirft er mir vor.
Ich senke den Blick, weil er Recht hat. Ich habe ihn abgewiesen und ihm keinen Grund dafür genannt. Ich weiß, dass ich ihn verletzt habe und er es nicht versteht.
„Ich will dich in meinem Leben, an meiner Seite. Egal, wie falsch es ist“, bittet er.
„Du musst mich vergessen“, sage ich.
Ich will es nicht, aber mir bleibt keine Wahl.
Ich lasse ihn gehen, egal, wie sehr ich mich danach sehne, ihn festzuhalten.