Einträchtig saßen sie auf der Veranda in den Schaukelstühlen und schauten hinauf in den sternenklaren Nachthimmel. „Es ist erstaunlich. Hier sehe ich so viele Sterne, die ich in der Stadt niemals sehen konnte“, murmelte er gedankenverloren.
„Das Licht der Stadt blendet unsere Augen“, antwortete sie, „Es ist kein Wunder, dass unser Bild vom Himmel in der Stadt getrübt ist. All die Lichter, all der Glanz, all die Falschheit. Sie verbergen das wahre Wesen dieser Welt.“
„Hast du eigentlich auf alles so eine tiefgründige Antwort?“ Mit einem Schmunzeln wandte er seinen Blick vom Himmel ab und ihr zu.
Sie lachte. „Nein, aber ich gebe mir Mühe.“
Er lächelte. „Ich bin froh, dass du hier bist. Ohne dich ist es nicht dasselbe.“
„Weil sonst jemand Vernünftiges fehlt?“, scherzte sie und wandte ihm ihren Blick zu. In ihren Augen lag dieses lebenslustige Funkeln, das so fest zu ihr gehörte, dass er es sich nicht anders vorstellen konnte. Doch manchmal fragte er sich, ob sie dahinter nicht etwas anderes verbarg.
„Als wärst du nicht diejenige, die die verrücktesten Ideen hätte“, konterte er.
Sie lachte wieder. „Da hast du wohl Recht. Aber ich bin auch froh, hier zu sein. Es war eine gute Idee von James, dass wir alle uns in der Drehpause auf dieser abgelegenen Farm ausruhen können und uns wieder darauf besinnen können, was wirklich wichtig im Leben ist.“
„Was ist denn wirklich wichtig?“, wollte er wissen.
Nachdenklich runzelte sie die Stirn. „Das ist eine gute Frage, auf die ich keine Antwort habe“, meinte sie nach einer Weile.
Er riss die Augen auf. „Was? Eine Frage, auf die du keine Antwort hast?“
„Hey, ich bin nicht allwissend!“ Sie boxte ihm mit einem Grinsen gegen den Oberarm.
Er rieb sich den Arm. Warum musste sie immer gleich so fest zuschlagen? „Aber du hast doch sonst zu allem eine Meinung.“
„Das stimmt wohl. Ich kann dir auf diese Frage aber keine Antwort geben, weil ich manchmal kaum noch weiß, was real ist. So wie das hier. Versteh mich nicht falsch, dieser Augenblick ist großartig, ich fühle mich so ruhig und ausgeglichen wie schon lange nicht mehr und doch ist der Moment so ruhig und friedlich, dass ich ihn glatt für einen Traum halten könnte. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich in einer Plastikwelt lebe, in der jeder Masken trägt. Es ist aufregend, berühmte Leute zu treffen und mit ihnen zu arbeiten, aber es ist nicht das reale Leben. Ich glaube, dass Prominente nur Projektionen sind, geboren aus Wünschen und Ideen ihrer Fans und manchmal scheinen sie selbst nicht mehr zu wissen, wer sie eigentlich sind. Schauspieler leben für den Moment, sie leben für den Satz, die Geste, die Szene, die sie gerade spielen und mit der sie das Publikum begeistern wollen. Sie verlieren sich in so unterschiedlichen Rollen, dass ich mir manchmal kaum vorstellen kann, wie sie dabei noch sich selbst bewahren. Ich glaube, ich könnte so ein Leben nicht führen. Dieser Film ist eine Ausnahme, weil James ihn für mich geschrieben hat.“
Er schwieg, weil er nicht wusste, was er sagen sollte. Er kannte das Gefühl, das sie beschrieb, nicht mehr zu wissen, was real war und was nicht. Wer real war und wer sich als jemand ausgab, der er nicht war.
Er erinnerte sich an ihre erste Begegnung. Er hatte ziemlich üble Laune gehabt, da seine Filmpartnerin kurzfristig abgesprungen war und ihm jemand Neues vor die Nase gesetzt werden sollte, eine völlig unerfahrene Anfängerin, über die er nichts im Internet hatte finden können. Es hattet geschüttet wie aus Eimern, als er mit seinem Auto zum Set gefahren war. Sie war am Straßenrand entlang gegangen auf dem Weg von der Bushaltestelle zum Studio, das noch ein paar Kilometer entfernt lag. Obwohl er keine Lust auf Gesellschaft gehabt hatte, hatte er angehalten und sie eingeladen, mitzufahren, was sie erst hatte ablehnen wollen, bevor er sie überzeugen konnte, dass es das Beste wäre. Sie hatte sich ihm als Libby vorgestellt. Sie musste seine Stimmung bemerkt haben, denn schon kurz nach dem er wieder angefahren war, hatte sie ihn gefragt, ob er darüber reden wolle. Eigentlich hatte er nicht reden wollen, aber die Worte waren aus seinem Mund herausgepurzelt, bevor er sie hatte aufhalten können. Er regte sich furchtbar über seine neue Partnerin Elizabeth Spencer auf und sagte einige nicht besonders nette Dinge, die er bis heute bereute. Sie saß die ganze Zeit still daneben mit einem sanften Lächeln und hatte ihn reden lassen, manchmal hatte sie ihn gar bestätigt.
Am Studio hatte der Regisseur James sie erwartet. Er hatte sich erfreut gezeigt, dass sie beide sich bereits kennengelernt hätten und erst da war ihm langsam aufgegangen, dass Libby der Spitzname für Elizabeth war. Nachdem er den Schock überwunden hatte, hatte er sich tausend Mal bei ihr entschuldigt, aber sie hatte es mit einem Lächeln hingenommen. Dieses Lächeln schien zu ihr zugehören wie das Funkeln in ihren Augen. Immer wieder hatte er sich gefragt, ob es nicht eine Maske war, die sie trug.
Vielleicht war er wirklich nur von Menschen umgeben, die Masken trugen. Vielleicht lebte er wirklich nur in einer Plastikwelt. Aber war das wirklich etwas, das ihn von anderen Menschen unterschied?