Sein Gesicht brannte. Es brannte wie Feuer. Obwohl der Feuerstoß des Drachen längst verebbt war, der seine Haut verbrannt hatte. Er stöhnte, wälzte sich umher, wollte nur, dass diese unsäglichen Schmerzen aufhörten. Er wusste nicht, wo er war, was er hier tat. Alles war einfach nur Schmerz, seine ganze Welt bestand aus nichts anderem mehr.
Etwas Kühles legte sich auf die verbrannte Stelle seiner Haut. „Ihr solltet stillhalten, es wird gleich besser werden“, erklang eine ruhige Stimme. Er spürte, wie der Schmerz sich etwas abschwächte, als die Kühle in seine Haut zog. Er schlug die Augen auf und begegnete violetten Augen, in denen der Kummer einer ganzen Welt zu liegen schien. Er kannte diese Augen.
Es war viele Jahre her, dass er sie gesehen hatte. Damals hatten sie zu einem kleinen Kind gehört, einem Mädchen, das er mit einem Trupp seiner Soldaten aus der Gewalt von Sklavenhändlern befreit hatte. Sie sprach kein Wort und doch erkannte er rasch, dass sie etwas Besonderes war. Sie konnte Gedanken lesen. Ein Drachenkind. Eine Legende, die wahr geworden war. Kinder mit besonderen Fähigkeiten, die durch das Drachenblut zustande kam, das in ihren Adern floss. Er hatte damals entschieden, sie ins Kloster zu bringen. Ein sicherer Zufluchtsort für Kinder wie sie, wo sie ausgebildet wurden und lernten, ihre Kräfte zu kontrollieren, fernab von der Welt der Menschen, die sie zu benutzen versuchten.
Jahre später hatte er die Nachricht erhalten, dass das Kloster überfallen worden war. Alle hatten den Tod gefunden. Und doch stand sie nun hier vor ihm, nach all den Jahren.
„Ich habe Euch für tot gehalten“, brachte er unter Schmerzen hervor und blickte sie aufmerksam an.
Ein trauriges Lächeln umspielte ihre Lippen. „Vielleicht wäre das besser gewesen.“
Und er begriff. Sie war vom dunklen Herrscher des Nordens zu sich geholt worden. Er wusste nicht mehr sicher, wie viele Jahre vergangen waren, aber es waren einige und diese Jahre waren für sie sicher eine Ewigkeit gewesen. Denn der dunkle Herrscher war nicht für seine Gnade bekannt. Fehler verzieh er nicht. Die Narben in ihrem Gesicht sprachen eine deutliche Sprache.
„Ihr müsst nicht bei ihm bleiben. Ihr könnt mit mir kommen“, schlug er vor, obwohl er spürte, dass sie es nicht tun würde.
„Ich gehöre ihm. Ich bin an ihn gebunden und werde niemals frei sein.“ Sie wich seinem Blick aus. „Er hat mir befohlen, Euch zu ihm zu bringen.“
„Werdet Ihr es tun?“
„Ihr habt mir einmal das Leben gerettet. Und hiermit werde ich meine Schuld begleichen.“
„Was wird er Euch antun, wenn Ihr mit leeren Händen zurückkehrt?“
Sie antwortete nicht, was ihm mehr als genug Antwort war. Wie viele Jahre hatte sie in Gefangenschaft erdulden müssen, wie viele Jahre Folter, bevor sie gebrochen worden war? Bevor sie gelernt haben musste, sich anzupassen, um zu überleben? „Ihr müsst gehen, sobald Ihr könnt“, durchbrach sie seine Gedanken, „Ich werde versuchen, sie auf die falsche Fährte zu locken. Aber viel Zeit wird Euch nicht bleiben. Und Ihr wisst, was Euch erwartet, wenn Ihr nicht flieht.“ Sie brauchte es nicht auszusprechen. Folter und Tod. Denn das war ihr Leben.
Er konnte es nicht zulassen. Er konnte sie nicht einfach gehen lassen. Sie wirkte so zerbrechlich, wie sie vor ihm stand. Mit ihren lila schimmernden Augen, der blassen Haut und der kleinen Gestalt. „Bitte, kommt mit mir!“
Traurig schüttelte sie den Kopf. „Es ist gleichgültig, wohin ich gehe. Die Gedanken der Leute sind überall gleich. Es ist, als würde man einen Stein hochheben und die Würmer und das Getier darunter sehen, denn genauso ist es, wenn man die Gedanken hört.“
„Welches Getier habt Ihr in meinem Kopf gesehen?“
Sie wandte den Blick gen Boden und schwieg eine Weile, sodass er bereits glaubte, keine Antwort mehr zu erhalten, doch dann durchbrach sie doch noch die erwartungsvolle Stille. „Ihr habt damals Euer Leben riskiert, um das meine zu retten und auch jetzt seid Ihr hier, um Euch gegen die Ungerechtigkeit und den Krieg aufzulehnen. Eure Gedanken waren die Einzigen, die ich nie verstanden habe. Wieso wollt Ihr den dunklen König vernichten? Wieso stellt Ihr ihm Euch entgegen ohne Gold oder gar den Thron zu wollen? Und warum seid Ihr der Einzige, der so denkt?“
„Ich bin bloß der Erste, dem Ihr begegnet. Es gibt dort draußen mehr wie mich, die an eine bessere Welt voller Frieden und Gerechtigkeit für alle glauben und dafür kämpfen. Wenn Ihr mit mir mitkommt, dann könnt Ihr sie kennenlernen.“
Sie seufzte. „Ich wünschte, ich könnte es. Aber mein Platz ist hier. Ich gehöre in den Norden, an die Seite des dunklen Königs, denn nur dort kann ich sein, wer ich bin. In Eurer Welt würde man mich fürchten und verachten. Dort müsste ich mich verstecken, man würde mich ausgrenzen und misshandeln ohne dass ich jemals eine Chance haben würde, als ich selbst zu leben. Der dunkle König ist nicht gerecht und er will keinen Frieden, aber er wird ein Reich erschaffen, in dem ich frei sein kann.“
„Glaubt Ihr das wirklich? Glaubt Ihr wirklich, dass Ihr unter seiner Herrschaft einmal frei sein werdet?“
Sie schaute ihn lediglich mit einem unergründlichen Blick an, bevor sie sich abwandte und davon ging. Sie ließ seine Frage unbeantwortet und er sollte niemals erfahren, was aus ihr geworden war. Sie verschwand für alle Zeit aus dem Gedächtnis aller, bis nur noch er selbst sich an sie erinnerte.
Und selbst als sie den dunklen König vernichtet hatten, vergaß er sie nicht. Oft stand er des Nachts an seinem Fenster, schaute in die Sterne und fragte sich, ob sie ebenfalls in den Himmel blickte und manchmal vielleicht auch an ihn dachte. Ob sie wohl die Freiheit gefunden hatte, nach der sie gesucht hatte? Vielleicht war sie auch schon vor langer Zeit gestorben, ohne dass er es jemals erfahren würde, und doch wollte er daran glauben, dass sie ihr Glück gefunden hatte.
In solchen Nächten strich er oft über die Narben in seinem Gesicht, die hinter einem Zauberbann verborgen lagen, den sie um ihn gewebt hatte. Ein letztes Geschenk.
Eine letzte Erinnerung.