1671, andere Zeitrechnung
Eine düstere Stimmung herrscht in dieser Welt. Erdrückend, traurig, verzweifelt, mit einem Hauch von Wut. Für Lebende ein depressiver Ort. Doch dieses Reich ist nicht für die Lebenden bestimmt, es ist ein Ort für die Toten.
Die Toten, die in ihrem Leben keine Erlösung gefunden oder eine Sünde begangen haben. Diese Seelen existieren im Zwischenreich und haben die Aufgabe, Sterbende ins andere Reich, jenachdem ob Sünde oder Tugend überwiegt, in den Himmel oder die Hölle zu begleiten.
Oder eben in diese Welt, solange bis ihre Sünden verziehen oder ihre Seele erlöst ist und feststeht, welche Welt ihrer für richtig empfunden wird und ob sie endgültig ins Licht oder Dunkel gehen. Nicht für alle gibt es Erlösung. Einige existieren als Geister umherirrend auf der Erde. Die Wesen dieser Welt, dem Zwischenreich, sind sogenannte Todesgeister und Todesengel. Jedes dieser Wesen hat eine Aufgabe zu verrichten.
Mit einer schwarzen Feder schrieb Gamia, ein junges 20-jähriges Mädchen mit braunen schulterlangen Haar, grünen Augen und einem schwarzen Anzug, die Daten eines neugeborenen Kindes auf. "Amanda Klitzo, geboren am 21.6.1671 stirbt am 22.6.1671, Ursache: Herzstillstand..." Sie schrieb den Namen, Geburtstag, Todestag-; Ursache, Zeit, Ort wie die Sünden und Tugenden auf, wobei letztere Punkte bei diesen jungen Leben entfielen. Neben den Formalitäten klebte ein Bild, welches sich automatisch bei Veränderungen des Menschen änderte. Alles weitere wie Familie oder Geschichte interessierte den Tod nicht.
Plötzlich ging die schwarze Tür auf und eine quirlige Stimme war zu vernehmen. "Gamia! Du musst mir helfen, bitte bitte!" bat ein blondhaariges Mädchen, dessen langen Haare gewellt waren. Sie trug ein weißes Hemd mit Blumenmuster in lila, grün und gelb. Dazu eine blaue Jeans. Mit blauen Augen funkelte sie Gamia an und setzte sich ihr einfach gegenüber. Wenig begeistert sah Gamia sie an, besonders als ihre Kollegin ihr mehrere Todesakten, schwarze Hefter, auf den Tisch packte. "Wilma Wilson, meinst du das gerade ernst?" fragte Gamia barsch und wenn man beide betrachtete bemerkte man, wie unterschiedlich sie waren. Wilma war lebensfroh, verspielt und kindlich. Gamia hingegen war konzentriert und diszipliniert.
"Gamia Cheriko! Komm schon, deine Eltern sind so locker und dann kommst du!" entgegnete sie, aber an Gamias Miene änderte sich nichts. "Nimm du dir erstmal ein Beispiel an deinen Eltern! Wenn du doch auch nur so respektvoll und gewissenhaft dabei wärst." bemerkte Gamia und es herrschte Stille. Sowohl Gamia als auch Wilma hatten Eltern in dieser Welt. Beide wurden in dieser Welt geboren und sind Todesengel. Todesengel sind die Wesen, welche im Zwischenreich von Todesgeistern/Todesengel oder je einem davon, gezeugt worden sind. Sie sind dem Totenreich verschrieben. Der Unterschied zwischen ihnen und den Todesgeistern ist, dass Todesgeister verstorbene Sünder sind und diese Welt irgendwann verlassen.
"Bitte hilf mir, du bist doch schon fertig!" bettelte Wilma weiter und genervt stöhnte Gamia. "Eigentlich bin ich nicht dafür zuständig, deine Arbeit zu verrichten!" Gereizt nahm sie Wilma einige Papiere ab. "Danke dir! Die Gilde würde mich sonst ziemlich zur Sau machen." Verlgen machte Wilma ihre Aufgaben. "Das ist aber eine Ausnahme!" erinnerte Gamia ihre Kollegin und zu zweit bearbeiteten sie die Todesakten.
Beide kamen nach einiger Zeit zum Ende ihrer Arbeit und Gamia nahm ein letztes Dokument zur Hand, wollte anfangen aber stockte. "Wir haben ein Problem, Wilma!" Verdutzt starrte Wilma Gamia an. "Und das wegen deiner Faulheit! Komm mit!" Ohne eine Erklärung und völlig überrumpelt zückte Gamia eine kleine handliche silberne Sense, erzeugte einen Riss im Raum, welcher größer wurde und einem Portal ähnelte. Seitlich umrandeten zwei schwarze Flügel das Tor und Gamia murmelte einen Ort vor sich hin. Mit Wilma zusammen betraten sie das Portal und die schwarzen Flügel verschlossen das Tor wieder.
Die Mädchen landeten an einem Straßenrand. "Was ist denn überhaupt genau los?! Öffnest einfach ein Portal ohne mir zu sagen, was Sache ist!" entfuhr es Wilma ein wenig erzürnt und sah Gamia, die das Dokument nach wie vor in den Händen hatte, beleidigt an. "Hier wird gleich ein Mann sterben und wegen deiner Unachtsamkeit wusste kein Praktiker Bescheid! Die Obersten werden schimpfen! Also müssen wir das jetzt in die Hand nehmen!" Sauer hatte Gamia die Sense griffbereit und wartete nur auf den Moment. "Was meinst du, was alles passieren kann, wenn wir nicht da sind? Unsere Aufgabe ist es, eine Brücke zwischen den Verstorbenen zum nächsten Reich aufzubauen!!" Gamias Stimme wurde lauter und der Tonfall wütender. Sie versuchte ruhig zu bleiben. Stumm und mit gesenkten Kopf stand Wilma mit ihrer länglichen Holzsense, welche eine geschmiedete Blume am Sensenblatt nahe des Holzstabes zierte, neben Gamia, als ein schebbern zu vernehmen war. Eine aufgeschreckte Frau schrie, ein lautes Bremsen war zu hören und ein kläglich stöhnender alter Mann, der neben seinem Rad auf dem Boden lag, krächzte um Hilfe. Er war übersät von blutenden Wunden und gebrochenen Knochen.
Etwas entfernt war eine böse schwarze Stimmung zu vernehmen und ein grauenhaftes Grinsen blitzte auf.
Sofort rannte Gamia zum Unfallopfer, dessen Seele langsam aus dem noch kämpfenden Körper entwich und hielt ihre Sense zu dieser. Für den Sterbenden erschien ihre Gestalt wie ein gleißendes Licht. Unsichtbar für alle, bis auf ihn.
Genau in diesem Moment stürzte sich etwas dunkles zwischen der Sense und der Seele und stellte sich dominant vor Gamia. Eine schwarzrot spinnenähnliche und grinsende Materie, vier Köpfe größer als Gamia lachte hämisch. "Verdammt, genau das, was ich meinte! Ein Teufel!!" schrie Gamia und verteidigte sich vor den ersten Schlag des Teufels mit ihrer Sense. "Wilma, tu was!" brüllte sie Wilma an, welche angewurzelt dort stand und aus ihrer Trance erwachte. Sofort rannte sie zum Mann und versuchte, die Brücke aufrechtzuerhalten, während Gamia gegen den Teufel kämpfte. Immer wieder versuchte sie seinen direkten Schlägen auszuweichen oder ihn mit der Sense zu treffen. Diesmal erwischte er sie jedoch mit einen seiner spitzen Spinnenbeine, zerriss ihre Kleidung am rechten Oberarm und fügte ihr eine Schnittwunde zu. Durch den kurzen Schmerzmoment von Gamia, holte er mit den Bein aus und schlug ihre Beine weg, sodass sie stürzte und auf den Asphalt aufschlug. Das bemerkte Wilma und ließ sich ablenken, wodurch der Teufel sie hinterrücks schubste und zu Boden warf. Lüsternd beugte er sich über den alten Mann, während sich die Mädchen aufrappelten. "Nein!!" brüllte Gamia aus Leibeskräften und streckte ihre Hand aus. Diese Seele durfte nicht von einem Teufel einverleibt werden!
Ein ohrenbetäubendes wütendes Brüllen ließ beide hochschrecken und Wilma erkannte ihren Vater, der seine einfache etwas größere Sense zwischen den Teufel rammte und mit Füßen trat. Der Teufel ächzte gekrümmt. "Dieses alte gammelige Fleisch sagt mir sowieso nicht zu!!", Er lechzte und sabberte begierig, als er zu den Mädchen sah. "Ich fresse lieber ungefickte Jungfrauen!!" Begierig rachsüchtig wollte er auf beide losstürmen, doch Wilmas Vater hielt seine Sense hinter den Teufel. "Wage es nur noch einmal in die Nähe der Beiden!!" Er zog seine Sense zu sich und schnitt in die dunkle breiartige Materie des Teufels, welcher sich knurrend losriss, erhob und mit einem schrei durch ein dunkles Portal zurück in die Hölle flüchtete.
Herr Wilson stellte sich neben die Seele, baute eine Brücke auf und langsam erloschen die letzten Bewegungen des Herrn.
Der Mann erblickte ein helles Licht und eine, Herr Wilsons Stimme, welcher seine Formalitäten auflistete und dann seine Sünden und Tugenden. Schließlich öffnete sich ein helles Tor und der Mann erblickte alle geliebten Menschen und Tiere, die wie er in den Himmel kamen und dort auf ihn gewartet hatten. "Martha.." wisperte er und fühlte sich plötzlich ganz leicht und als sei alles möglich. Voller Freude nahmen sich beide in den Arm und freudig bellte ein kleiner Hund neben beiden. Das Tor schloss sich, die letzten Bewegungen verstummten und Herr Wilson ließ die Sense von dem toten Körper und lief zu den Mädchen.
"Danke Paps!" rief Wilma erleichtert und anerkennend nickte Gamia. "Vielen Dank, Herr Wilson." sagte sie leise, als Wilmas Vater, ein Mann mittleren Alters, braunen zur Seite gekämmten kurzen Haare, grünen Augen und ernsten Ausdruck, den Stab der Sense hörbar auf den Boden schlug.
"Das Danke könnt ihr euch sparen! Ohne meine Anwesenheit wäre diese unschuldige Seele einem verfluchten Teufel zum Opfer gefallen!! Wie konnte das passieren?! Ich erfuhr im richtigen Moment von der Gilde davon und konnte dementsprechend handeln, aber erklärt mir sofort wie es sein kann, dass ein Mensch, der sterben sollte, nicht bei den Praktikern noch bei den Obersten rechtzeitig bekannt gegeben war?! Selbst die Gilde erfuhr nur durch Gevatter Tod davon!!" Voller Wut brüllte er beide an und zog sie zur Rechenschaft. Gamias Augen weiteten sich, als sie das hörte und sie fühlte sich schrecklich, einen Fehler, beziehungsweise so einen Ärger zu bekommen. Dies war ihr noch nie passiert.
Wilmas Augen hingegen wurden glasig. "Gehen wir erstmal zurück in mein Büro!" wies Herr Wilson an und öffnete ein Flügelportal. Kurz darauf waren alle in Herr Wilsons Büro. Sie setzten sich und es wurde eine Antwort erwartet. "D-das ist meine Schuld, Vater.... Ich war spät dran mit den Formularen. Gamia hat mir geholfen und das bemerkt. Sie hat keine Schuld und muss meine Fehler nicht ausbügeln..." Ihre Stimme wurde leiser. "Du hast sie aber deine Fehler ausbügeln lassen! Ohne sie hättest du es nie bemerkt und wegen dir wurde sie verletzt! Wegen deiner Faulheit und Unordnung! Hast du überhaupt verstanden, was du bist und was deine Aufgabe ist?!" Wilma blieben die Worte im Hals stecken. "I-ich wollte das nicht... Gamia g-gegenüber auch nicht."
"Hättest du es nicht gewollt, hättest du ordentlich gearbeitet! Gamia, geh bitte. Dich trifft keine Schuld, du warst zum Glück da und wolltest noch das Schlimmste vermeiden. Ich rede alleine mit meiner Tochter weiter!" warf er mit harten Blick ein und Gamia nickte nur, bevor sie geknickt nachhause verschwand, nachdem sie noch die letzten Formulare bei den Obersten abgegeben hatte.
Daheim verschwand sie ins Badezimmer, versorgte ihre Wunde, indem sie die restliche schwarze Materie entfernte und die Schnittwunde verband. Frisch umgezogen setzte sich Gamia auf ihr Bett. Bald darauf hörte sie auch schon die Tür und wurde aus den Gedanken gerissen, als ihre Eltern heimkamen. "Gamia scheint auch schon daheim zu sein." vernahm sie die Stimme ihres Vaters und trat langsam aus ihrem Zimmer hervor. "Oh, hallo Gamia, Liebling!" begrüßte ihre Mutter, die zerzottelte braune schulterlange Haare, mit einer weißen Haarsträhne hatte. Sie trug ein weißes bauchfreies Tanktop, darüber eine graue Lederjacke und ein Halsband mit einem grimmigen Totenkopf befestigt. Ihre graue Jeans war knielang und die dunklen Stiefel hatten einen kleinen Absatz.
"Wie war es? Hast du auch schon mitbekommen, dass ein älterer Herr...-" "Fast seine Seele an einem Teufel verlor, weil zwei Theoretiker es vergeigt haben, die Formulare rechtzeitig abzuliefern?" Ihre Lippe zitterte und ihre Eltern starrten sie perplex an. "Das waren Wilma und ich!" Dann erzählte sie ihnen alles. "Und wir konnten es nicht einmal gut machen." Eine Träne rollte über ihre Wange. Sachte wischte ihre Mom diese weg und blickte ihre Tochter sanft an. Leicht hob sie ihr Kinn an und schaute in die grünen Augen ihrer Tochter oder auf ihren spitzen linken Zahn neben den Schneidezähnen. "Ach, Gamia. Mach dir keine Gedanken, du hast keine Schuld, sondern Wilma und wurdest nur in etwas hineingezogen. Du hast noch versucht, es zu bessern und musst dir keine Gedanken machen. Wilma hat eine angemessene Bestrafung bekommen." Zärtlich drückte sie ihre Tochter. "Ich fühle mich trotzdem doof, sowas passt nicht zu mir."
"Keiner ist perfekt, nicht einmal wir." ermutigte ihr Vater sie und Gamia musste ihm Recht geben. Ihr Vater hatte seine welligen Haare blau gefärbt und trug ein T-Shirt, mit einem Totenkopf drauf, darüber eine Jeansjacke.
"Es ist zumindest gut ausgegangen und seine Seele wurde nicht gestohlen." stimmte Gamia zu und löste die Umarmung. Sie schaute zu ihren Eltern. Sie waren locker und offen, während Gamia relativ ernst und verschlossen war. Manchmal fühlte sie sich falsch oder als würde irgendetwas nicht passen.