Viktorius folgte dem Sensenmann die Treppe zum Henkersraum entlang. "Hier hängt die Henkerssense." Er deutete auf die mittelgroße Sense an der Wand mit den gebogenen Holzstab und dem scharfen geschwungenen Sensenblatt. Fasziniert sah er sich diese an. Der Raum war spärlich. Viktorius wurde gebeten, eine Robe zu tragen, die seine Identität verhüllte und mit dem Sensenmann betraten sie den Raum, in dem die Zelle mit dem Insassen war. Er hörte dem Tod zu, wie er dem Insassen noch einmal seine Sünde aufzählte, bevor Viktorius mit ansah, wie er die Sense hob und den Totengeist enthauptete. Überraschenderweise berührte der Anblick Viktorius nicht und er sah, wie sich der Körper Minuten später in seine Einzelteile auflöste. Der Tod drehte sich zu Viktorius um. "Das Reden wird Josef nachher für Sie übernehmen. Ihre Identität wird auf jeden Fall gewahrt werden. Wie war es für Sie? Wollen Sie der Henker der Totenwelt werden?" hinterfragte er genau und Viktorius ließ sich kurz Zeit zum antworten. "Ich habe beim Anblick nichts gespürt. Ich bin mir sicher, ich kann dieser Tätigkeit nachkommen." versicherte er und hätte der Tod ein Gesicht, wäre es ein freudiges. Die Sense überließ der Tod Josef, welcher diese reinigte.
"Das ist sehr erfreulich. Ich werde Ihnen immer meinen Gehilfen schicken, wenn Sie alleine sind, um Sie über eine Hinrichtung zu informieren. Es wird alles diskret ablaufen und Sie müssen sich keine Sorgen um etwas machen." versicherte der Tod ausgelassen und sie drehten sich zu Josef um, der die Sense von Blut gesäubert hatte. Viktorius bekam die Sense in die Hand, inspizierte sie genauer und zog die Kapuze runter. Er war fasziniert davon. Gevatter Tod erklärte ihm weiteres wissenswertes. "Um die Überreste wird sich Josef kümmern." Er hörte zu, seiner Aufmerksamkeit galt aber mehr der Sense.
"Und diese Sense löscht eine Seele vollständig aus?" hinterfragte er erneut und der Sensenmann nickte. "Es ist sicher unvorstellbar, aber sie wird ausgelöscht, man existiert nicht mehr." Viktorius versuchte es sich vorzustellen, aber der Tod hatte Recht. Er hatte die Sense gut in der Hand und hielt sie etwas von seinem Körper weg.
"Damit kann man also Existenzen auslöschen...." murmelte er und in Josef wuchs Misstrauen. "Mehr wollte ich doch nie, als vollständig zu sterben."
Und bevor Josef und der Tod ihn aufhalten konnten, rammte er sich die Sense in den Hals.
Er fiel auf dem Boden, die Sense mit ihm. Josef und Gevatter Tod waren fassungslos! Viktorius hatte sie belogen, in der Hoffnung sich auszulöschen. Regungslos lag er auf dem Boden und beide erwarteten, dass sich seine Hülle auflöste, doch plötzlich schrie Viktorius sie wutverzerrt an.
"Warum bin ich nicht tot?!"
Er stand auf, doch während er dies tat, geschah etwas grausames mit seinem Körper. Sein ganzer Körper zuckte. Er wurde knochendürr, bestand aus Haut und Knochen. Er umfasste seinen Hals, welcher sich zusammen zog und ein Henkersseil erschien um diesen. Mit einem lauten Knochenknacken legte er den Kopf zur Seite. Die Schultern erhoben sich und die Kleidung verschwand. Grinsend schaute er in das Gesicht des Todes. "Warum bin ich noch hier?!" fragte er mit einem komischen Unterton, welcher nicht zu seinem Charakter passte. Gevatter Tod suchte selbst nach einer Erklärung dafür und hielt seine Sense bereit.
"Die Henkerssense löscht eine Existenz nur aus, wenn sie von der Hand eines anderen geführt wird, nicht von der eigenen. Hätten Sie Ihre eigene Sense genommen, wäre Ihnen Ihr Vorhaben geglückt." erklärte der Tod und brachte Viktorius in rage.
"Wie?!! Ich will doch nur sterben, warum darf ich das nicht?!" Er wurde markerschütternd laut und der Tod konnte seine Aura nicht mehr richtig spüren. Was war er? Was sollten sie mit ihm tun?
Viktorius wurde still und hielt inne. "Hört ihr das?" hauchte er, doch der Sensenmann versicherte, nichts vernehmen zu können, doch Viktorius hörte es genau und schien Freude zu empfinden. "Es gibt sie! Menschen wie ich! Ich höre sie, all die klagenden Gedanken!" Er sah zum Tod und Josef. "Ich habe meine Bestimmung gefunden." hauchte er, griff instinktiv nach seiner Sense und verschwand in schwarzen Nebelschwaden. Beide konnten nicht richtig reagieren und eigentlich war es unmöglich, sich aus dem Henkersraum zu teleportieren, wenn man nicht der Tod war. Der Sensenmann war außer sich, auch wenn er es nicht zeigte und würde Rücksprache mit dem Himmelsfürst halten müssen, was nun geschieht.
Mit hängenden Kopf starrte eine junge Frau mit braunen Haar von ihrem Bett auf den Holzboden. Sie war den Tränen nahe. "Warum kann ich nicht so sein, wie alle anderen? Alle sagen immer, ich bin zu laut, verhalte mich nicht meinem Alter entsprechend oder sei faul. So bekomme ich nie einen Gatten und Kinder! Stattdessen muss ich mich um meine laufbehinderte Mutter kümmern, die nicht einmal mehr aus dem Bett gehen kann!" Wut und Verzweiflung keimte in ihr auf. Dieses Leiden hörte Viktorius und er erschien hinter ihr. Er erkannte das Haus wieder und sprach zu ihr. "Du wirst immer anders bleiben. Sie werden dich nie akzeptieren. Das ist nur der Anfang, bevor du verstoßen wirst. Sie alle werden über dich reden." hauchte er und die Worte kamen einfach über seine Lippen. Er wollte ihr nicht helfen, er verstärkte ihre negativen Gedanken.
"Ich will meine Mutter nicht immer pflegen müssen... Manchmal kann ich ihr kein essen zubereiten, obwohl ich will, stattdessen liege ich nur im Bett. Was ist nur los mit mir?" Sie verzweifelte und wusste nicht, warum sie so war, wie sie war.
"Sie akzeptieren niemanden, der anders ist." hauchte Viktorius und die junge Dame stand auf, holte das Barbiermesser ihres Vaters aus dem Bad und setzte sich wieder. "Du musst sie nur hier ansetzen." wisperte er und das Messer führte sie zu ihrer Pulsader.
Tief schnitt sie sich, um die Pulsader zu durchtrennen, Blut floss zu Boden. Viktorius konnte nicht glauben, welcher Anblick sich ihm bot. Ein junges Mädchen beging Selbsttötung!
Er hatte nicht das Bedürfnis, ihre Seele zu geleiten und eine Euphorie stieg in ihn auf. "Es gibt sie, Menschen wie ich es gewesen war. Der Wunsch nach dem Tode! Ich bin keine Ausnahme!" Er fühlte sich nicht mehr alleine und sah, wie ihre Lebensenergie schwand, verspürte aber auch die nähernde Präsenz des Todes und des Himmels.
Der Himmel und Gevatter Tod waren wütend über den erneuten Selbstmord und brachten ihn sofort mit Viktorius in Verbindung. Der Sensenmann geleitete die Seele von Louise Reiler, bevor er sich vor dem Himmelsfürst erklären musste.
"Ich habe gespürt, dass etwas mit Viktorius von Edens Seele geschehen ist und nun beging eine weitere Person Suizid! Erklären Sie mir, was ist geschehen?" verlangte der Himmelsfürst erzürnt, obwohl er eine ausgeglichene Gestalt war. Daraufhin schilderte der Tod von dem Vorfall im Henkersraum. Wut auf Viktorius keimte im Himmel auf, welcher schon nicht gut auf ihn zu sprechen war. "Er ist nun eine Gestalt, die den Suizid bringt. Wir müssen es aufhalten! Das wird Ihre Aufgabe sein, diesem Wesen den Garaus zu machen und vollständig auszulöschen." Der Tod verneigte sich und nahm sich dieser Aufgabe an. Er entschuldigte sich bei dem Himmelsfürst und stellte ihn eine Frage.
"Was genau ist Viktorius von Eden nun?" Allerdings schien der Himmel nicht erpicht darauf zu sein, weiter über diese Seele zu reden. "Als was Sie ihn auch immer bezeichnen wollen... Dämonen, Wesen, Unglücksbringer..." "Suicide Hangman." unterbrach Gevatter Tod und der Himmelsfürst schien damit zufrieden. "Ja, Suicide Hangman." murmelte er und verabschiedete sich vom Tod. Herr Reiler kehrte heim und rief nach seiner Tochter, doch als diese nicht antwortete, wurde er wütend. "Wehe dir, du liegst nur wieder faul rum, Louise, wenn ich reinkomme!" brüllte er und stapfte zu ihrer Tür, als er diese aufriss blickte ihn jedoch nur der tote Körper seiner Tochter entgegen.
"Scheiße! Scheiße! Scheiße!" brüllte er und versuchte Ruhe zu bewahren. Er griff nach der Schnapsflasche und trank zwei Schlucke pur, bevor er wieder den Mut fand, in das Zimmer seiner Tochter zu sehen.
"Oh mein Himmelsfürst." keuchte er, als er die quälenden Rufe seiner Frau hörte. "Komme!" rief er laut, trank noch mehr von dem Schnaps und lief dann zu seiner Frau ins Zimmer, die halb auf dem Boden lag und vor Schmerz stöhnte. "Louise... Sie hat mich wieder vergessen." hauchte sie wütend und Herr Reiler half ihr wieder ins Bett. "Du hast getrunken." zischte sie und neigte den Kopf zur Seite. Sie konnte nicht mehr richtig laufen. Ihr Sohn war ausgezogen, nach dem er geheiratet hatte. Louise verblieb daheim und sollte sich deshalb um ihre Mutter kümmern, weil Herr Reiler kaum da war.
"Sie ist genauso wenig zu gebrauchen, wie ich." murmelte Frau Reiler. Ihr betrunkener Ehemann verheimlichte Louises Tod und packte stattdessen seine Ehefrau. "Nein, zum ficken bist du noch gut." lallte er und packte ihren Arsch. "Weiß, ich finde das eigentlich erregend, dass du dich nicht wehren kannst. Ich kann einfach deine Beine breit machen und dich immer ficken." hauchte er erregt, Frau Reiler roch den Alkohol, aber wurde abgelenkt von seinen Fingern in ihren warmen Inneren. "Ich könnte deinen wehrlosen Körper immer bumsen." wiederholte er betrunken und seine Frau entgegnete nur: "Ich liebe dich auch." Während er seine Finger immer weiter in ihre Scheide einführte, kam ihn der Gedanke, dass er sich jetzt ganz alleine um sie sorgen musste und stockte. Keine Frau, die für ihn kocht oder den Haushalt macht. Er wurde wütend auf Louise, dass sie ihn alleine gelassen hat und trunken vor Alkohol ergriff er das Kissen neben seiner Frau und drückte es ihr ins Gesicht, um sich von ihrer Last zu befreien. Sie versuchte sich mit den Armen zu wehren, erfolglos. Kaum lag sie regungslos auf dem Bett, nahm er die Flasche und leerte diese.
Die Tragödie im Hause Reiler machte schnell die Runde im Dorf, als diese ans Tageslicht kam. Frau Reilers und Louises Körper fingen bereits an, zu verwesen, bevor sie gefunden wurden. Herr Reiler hatte Tage normal weitergelebt, ging zur Arbeit und verlor sich im Alkohol. Erst als er deswegen nicht zur Arbeit kam, fand man ihn am ausnüchtern neben seiner toten Frau. Anfangs wurde er des doppelten Mordes beschuldigt, doch mussten sich die Beamten eingestehen, dass der Tod von Louise durch sie selbst herbeigeführt wurde. Dieser Fakt erschrak die Dorfbewohner mehr, als die Gräueltaten des Mannes.
Nach fast zwei Jahrzehnten war es der zweite Suizid im Dorf. Einige sprachen von Viktorius Fluch. Als Tiffany davon hörte, erschrak es sie ungemein und sie fühlte sich in die Zeit zurückversetzt, in der Viktorius sich das Leben nahm. Spurlos ging dies auch nicht an Richard vorbei und er fühlte mit seiner Mutter mit. Sie musste mit Berta darüber reden und zu dritt saßen sie am Tisch bei ihr. Man sah Tiffany an, dass sie der weitere Suizid mitnahm. "Er ist nicht der Einzige..." hauchte sie und trank den Tee. Die Menschen waren sich bewusst geworden, dass Menschen sich selbst das Leben nehmen konnten, doch das dies passierte, schockierte trotzdem alle. Tiffany kamen die Tränen bei der Erinnerung an Viktorius Tod und wurde liebevoll in den Arm genommen von ihren Sohn. Er sagte nicht viel, denn das Meiste war schon gesprochen worden. Die Umarmung half ihr schon viel. Auch Richard ließ es nicht kalt . Vor allen konnte er es nicht mit ansehen, Tiffany in diesem Zustand zu sehen. Sie war eine starke, liebe Mutter, die ihn fast alleine aufgezogen hat, schwanger war, als sein Vater starb und trotzdem nicht aufgegeben hat. Wenn er Alpträume hatte oder niedergemacht wurde, ließ sie ihn bei sich schlafen und tröstete ihn. Er war dankbar für seine Mutter.