Am nächsten Schultag wurde Heather noch von ihrem Bruder zur Schule gefahren. "Denk dran, ich kann dich heute nicht abholen!" erinnerte er seine Schwester an seine vorherigen Worte und Heather nickte. "Alles gut, ich laufe!" sagte sie schnell, nahm ihre Tasche und stieg aus dem Auto. Damian fuhr wieder vom Schulparkplatz und Musuko blickte dem Auto hinterher, bevor er Heather bemerkte. Heather lief auf ihm zu und grüßte ihn mit einem lächeln auf dem Gesicht.
"Hallo Musuko!"
Er blickte vom Boden zu ihr auf und wirkte dabei wieder abwesend. "Hey... Heather?" erwiderte er leise und kickte einen Stein zur Seite. "Möchten wir zusammen zur Klasse gehen? Ich kenne mich noch nicht so gut hier aus." fragte sie freundlich nach und lächelte entschuldigend. "Ja, aber lauf lieber etwas weiter hinter mir." bat er und Heather verwunderte dies. "Warum?" Musuko blickte sich kurz um und erblickte dabei die unterschiedlichsten Schüler. "Die Menschen hier können ziemlich gemein sein. Wenn sie uns zusammen sehen, würde es in den nächsten Tagen heißen, wir würden miteinander schlafen." erklärte er ihr trocken und Heather schluckte. "Also sowas gab es an meiner alten Schule nicht!" entfuhr es ihr ein wenig unverständlich und erblickte etwas Kaltes in Musukos Augen.
"Deine alte Schule war eine Scheinwelt." Bei diesen gefühlslosen Worten zuckte Heather zusammen, sie musste dabei allerdings an ihren Bruder denken, welcher ihr dies auch bereits auf seine Weise gesagt hatte. Davon ließ sich Heather aber nicht beirren. "Das macht mir nichts, sollen die doch reden! Ich darf doch wohl mit dem Zeit verbringen, den ich mag!" meinte sie selbstbewusst und verschränkte die Arme. Musuko überhörte die letzten worte, seufzte nur und lief ihr voraus. "Hoffentlich bereust du es nachher nicht." waren seine letzten Worte und er schlenderte auf den Schulhof zum Gebäude hin.
Unauffällig setzte Heather sich neben Musuko, welcher seinen Kopf wieder auf seine Arme abstützte und wartete, bis der Unterricht begann. Nach und nach betraten die Schüler den Raum und Heather bemerkte einen der Jungen, die gestern bei Musuko gestanden hatten. Im vorbeigehen boxte er gegen Musukos Oberarm.
"Guten Morgen!" rief er mit einem sadistischen Tonfall und Musuko zuckte leicht hoch, bevor er sich wieder mit dem Kopf auf den Tisch legte. Heather musterte den etwas stämmigeren Mitschüler mit den braunen, kurzen Haar, welche nicht aufwendig mit Haargel bearbeitet worden waren. Er trug eine dicke Sportjacke über seinen Motiv Pullover mit einem Baseball drauf. Seine Jeans war schwarz mit rot weißen Rändern an der Seite. Die Turnschuhe waren relativ klobig, hatten eine weiße Sohle, die schon nicht mehr sauber waren und besaßen eine schwarze Farbe. Er bemerkte Heathers finsteren Blick nicht, welche sich wieder umdrehte und sich ihren Schulsachen zuwidmete.
Der Lehrer betrat den Raum und begrüßte die Schüler im gehen mit einem: "Guten Morgen!" Er setzte sich auf den Schreibtisch und packte das Klassenbuch. Währenddessen erwiderten die Schüler: "Guten Morgen, Herr Tera!" Der Lehrer zog seine lila Jacke aus und wirkte in Eile, wodurch er einen gereizten Eindruck hinterließ. Herr Tera ging die Anwesenheitsliste durch und die Klasse antwortete mal mehr mal weniger lustlos. Bei Heather stoppte er, weil er sich noch daran gewöhnen musste, dass es eine neue Schülerin gab. Stramm zog er den Unterricht weiter und verlangte die Hausaufgaben zu sehen. Mit einem ernsten Blick schaute er bei den Schülern rüber und wurde wütend, wenn jemand seine Hausaufgaben nicht hatte. Bei Heather machte er eine Ausnahme und Musuko sah er erstaunt an. "Dass du die Hausaufgaben hast, wundert mich immer wieder. Und konzentrier dich jetzt mal mehr auf den Unterricht!" ermahnte er ihn streng und Musuko nickte nur lustlos. Schnell besprach er die Hausaufgaben und machte dann in seinem Unterrichtsstoff weiter. Nachdem Unterricht schickte er alle hinaus in die Pause. Draußen setzte sich Musuko wieder auf die Bank abseits und sah Heather schon vom weiten auf sich zulaufen. Sie gesellte sich zu ihm und lächelte. "Danke fürs begleiten." sagte sie ruhig und Musuko nickte.
"Keine Ursache, jetzt weiß du es." Er hielt sich wortkarg wie zuvor auch schon. "Sag doch mal was gegen die Leute, die dich schlecht behandeln." fing Heather dann an und Musuko blickte zur Seite, während er seine Hand an die Wange hielt.
"Was bringt das? Meine Mutter hat vor Jahren schon einmal mit den Lehrern geredet und es hat nichts gebracht. Es stört mich auch nicht, mir ist das egal. Sollen sie doch machen, wenn sie Spaß daran haben." entgegnete er und nachdenklich senkte Heather den Kopf.
"Die Welt ist nicht immer farbenfroh." meinte Musuko kühl und hatte eine negative Sichtweise auf die Welt, als Heather. "Aber sie kann bunt sein! Rede doch mit deinem Mitschüler, das hilft auch vie.", Musuko drehte sich abrupt um und Heather stockte überrascht. "Es ist nicht alles so einfach, wie du denkst! Dir fehlt die Erfahrung, du hast nicht das durchgemacht, was ich erlebt habe! Ich habe viele Menschen von ihrer dunklen Seite kennengelernt." Heather senkte bei seinen eindringlichen Worten den Kopf.
"Du klingst wie mein Bruder..." murmelte sie und wirkte traurig, woraufhin Musuko seufzte. "Trotzdem danke für die Hilfe." sagte er dann ruhiger und Heathers Laune munterte sich wieder auf. "Aber sag mal, warum ärgern die dich eigentlich?" fragte Heather ruhig nach, dabei strich sie eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
"Du fragst Dinge, obwohl wir uns erst seit gestern kennen." erwiderte er gleichgültig und Heather wurde dies unangenehm. "Entschuldige, du musst nicht darauf antworten." Peinlich berührt schaute sie zu den Steinen auf dem Boden. Aus ihrer Ungeschicktheit machte Musuko sich nichts und er setzte sich im Schneidersitz auf die Bank. Er spielte mit den Reißverschlüssen seiner Hose rum und als er zu reden anfing, horchte Heather auf und hörte ihm zu.
"Damals schon wurde ich von anderen gemieden, weil ich lieber für mich sein wollte und andere Interessen als die anderen Kinder hatte. Es fing schleichend an mit kleinen Sprüchen, aber richtig ausgeartet ist es, als wir verschiedene Berufe vorstellen sollten und ich die Tätigkeiten eines Bestatters näher erklärt habe. Es ist wie, wenn du in einer dritten Klasse Sexualkunde unterrichten möchtest. Sie nehmen es nicht ernst, ekeln sich, verstehen es nicht und machen dumme Witze darüber. Und daraufhin wurde ich als komisch betrachtet, denn ich hatte auch erwähnt, dass meine Mom Bestatterin ist und sie mir dabei geholfen hat." Er stützte seinen Kopf ab und Heather nickte verständlich. "Das kann ich von deinen Kameraden nicht verstehen." Für Heather war das Verhalten unverständlich.
"Mich nervt es auch mehr, dass sie sich respektlos gegenüber dem Tod verhalten. Ich denke eben anders über dieses Thema nach, weil ich damit großgeworden bin. Ich verstehe alle, die darüber nicht gerne reden oder es nicht verstehen, aber sie sollten alle Respekt haben." gab Musuko seine Meinung klar kund und Heather stimmte seiner Aussage mit einem tatkräftigen nicken zu. Beide standen auf, als es zum Ende der Pause klingelte.
Kaum betrat Musuko nach Heather den Klassenraum, blickte der Mitschüler mit der Sportkleidung zu Musuko und rief: "Hey Fuckkacktsu!" Musuko reagierte auf die absichtliche falsche Aussprache seines Namens nicht und setzte sich nur. Die zwei Kameraden an der Seite des Schülers lachten über diese Aktion. "Haha, klingt doch viel mehr nach Musuko, Karlo!" Heather fand dies nicht lustig und wurde innerlich wütend. Sie hatte einen starken Gerechtigkeitssinn und wollte nicht, dass jemanden Unrecht getan wird.
In der letzten Stunde wurde ein Test geschrieben, welchen Heather auch ausfüllte, jedoch wollte Frau Ricords diesen nicht bewerten. Mitten in der Stunde begann es zu regnen und dieser hörte auch nach Schulschluss nicht auf. Heather stellte sich mit Musuko unter dem überdachten Schuleingang und Heather seufzte. "Und gerade heute holt mein Bruder mich nicht ab." meinte sie schmunzelnd, während Musuko neben ihr schon einen kompakten Regenschirm öffnete und sich ein schwarzer Regenschirm mit Totenschädel offenbarte. "Musst du heute laufen?" hakte er still nach und Heather nickte, bevor er ihr seinen Regenschirm überreichte. "Nimm, kannst ihn ja morgen oder so wieder mitbringen." meinte er locker und Heather nahm diesen dankend entgegen. Sie war verblüfft über diese Gestik.
"Aber was ist mit dir? Du wirst doch auch nass!" entgegnete sie besorgt, doch Musuko zuckte nur die Schulter und kniete sich auf dem Boden, um einen Rucksack Regenschutz hervorzuholen. "Ich habe es nicht weit und der Regen stört mich nicht, ich bin dann ja daheim." entgegnete er gelassen und stand wieder auf, den Rucksack auf dem Rücken. Er lief mit Heather die Treppenstufen hinunter und sie versuchte mit ihm unter dem Regenschirm zu laufen, was nicht klappte. Musuko seufzte darüber und ging ein Stück zur Seite, woraufhin Heather nur sich mit dem Regenschirm schützte und Musuko im Regen laufen lief. Sie verabschiedeten sich wieder an der Ampel, wie am Vortag auch und jeder ging seinen Heimweg entlang. Daheim stellte Heather den Regenschirm in einen Nebenraum, wo die Schuhe standen und die Jacken der Geschwister hingen. Heather war alleine und machte es sich in trockener Kleidung gemütlich auf dem Sofa und wagte sich an die Hausaufgaben heran.
Später packte Heather ihre Schulsachen zusammen und suchte nach den Zutaten im Kühlschrank und in der Vorratskammer. Sie hatte alles gefunden und stellte die Pfanne auf den Herd, als zu dem Zeitpunkt ihr Bruder wieder kam. "Hallo Heather!" grüßte er beim reinkommen und lief in den Nebenraum. "Wem gehört denn der Regenschirm?" hörte sie ihn rufen und kam auf ihn zu. "Ein Klassenkamerad hat ihn mir gegeben." erklärte sie und Damian nickte. Er trug einen schlichten dunkelblauen Pullover. "Wie war es beim Arzt?" hakte Heather neugierig nach und Damian lächelte, als er ihr antwortete: "Alles in Ordnung."
Er strich über ihre Haare und lief in die Küche. "Wie schön, du wolltest gerade mit dem Essen anfangen." lobte er und Heather nickte, bevor sie sich wieder dem Herd zuwandte. Damian zog sich um und setzte sich an den Küchentisch. "Hast du weiter nach einem Farrad gesucht?" erkundigte er sich, aber Heather beneinte, bevor sie ihren Laptop holte und nebenbei schaute. Sie war anspruchslos und fand schnell eines, das ihr zusagte. "Morgen gehen wir uns das anschauen." erklärte Damian und Heather nickte, als er mit einer Bitte hervortrat. "Du hast am 11.ten Geburtstag, suchst du dir bitte was aus, was du gerne hättest?" fragte Damian sie lächelnd und Heather war am überlegen. "Mir fällt schon was ein!" lachte sie und berichtete freudig vom Schultag.
Musuko hatte es sich in seiner Jogginghose und schwarzem Pullover gemütlich gemacht und setzte sich an seinen Schreibtisch, der neben dem Fernseher stand. Er arbeitete an einer schwarz-weiss Zeichnung, die einen Totenkopf mit Karten abbildete. Nebenbei lauschte er der Musik von Dark Techno, EBM oder Metal, während er darauf wartete, dass seine Mom heimkehrte.
Shadia war dabei, eine Verstorbene zu schminken und tat dies mit viel Hingabe. Sie vernahm ein Klopfen und daraufhin öffnete Justina die Tür zur Leichenhalle, welche sie leise wieder verschloss und gesittet zur Bestatterin lief. "Guten Tag." grüßte Shadia ruhig und die Pastorin erwiderte diese höflich. Sie begutachtete Shadias Handwerk und den Körper der älteren Dame.
"Sie findet, dass du eine schöne Arbeit verrichtest." sprach Justina das Lob aus, während sie zum Geist der älteren Frau sah, welche ihren eigenen Körper musterte. Die Bestatterin fühlte sich geehrt, dies zu hören. "Danke."
Lächelnd setzte sie ihre Arbeit fort, dabei erzählte Justina von ihrem Beweggrund. "Es geht um den Abriss.... Wir haben uns dazu entschlossen, nächstes Wochenende einen Aktionstag zu veranstalten, mit Kaffee und Kuchen. In der Hoffnung, dass die Kirche nicht abgerissen und ein Neubau zugestimmt wird. Wenn du möchtest, darfst du auch daran teilnehmen." Justina lächelte der Bestatterin entgegen, welche zu überlegen schien. "Mal sehen, wie ich Zeit habe und ob mein Sohn Lust dazu hat." meinte sie gelassen, fand die Idee aber gut, was sie Frau Kreuzberg ebenfalls mitteilte. Justina nickte und war ihr trotzdem dankbar.
"Wie geht es deiner Tochter?" erkundigte Shadia sich höflich und hatte ihre Arbeit fast beendet. "Sie lernt für ihr Theologie-Studium. Und wie macht sich dein Sohn in der Schule?" hinterfragte Justina schmunzelnd und die Bestatterin erwiderte nur: "So wie immer. Er macht nur das Nötigste und mag die Schule nicht." Sie seufzte leicht und Justina nickte, bevor sich beide Frauen voneinander verabschiedeten und Shadia sich weiter um die Verstorbene kümmerte und diese fertig für die kommende Bestattung machte, bis sie zum Institut rüber lief, um sich um organisatorische Angelegenheiten zu kümmern. Dabei war sie nicht alleine und eine Kollegin mittleren Alters war bei ihr und hatte in ihrer Abwesenheit Trauergespräche wie auch Gespräche über die Organisation einer Trauerfeier und Bestattung geführt.