Sie war keine halbe Stunde daheim, da ereilte sie ein Anruf. Es war Musuko, obwohl sie kurzzeitig gehofft hatte, es wäre ihr Bruder. "Hey..." murmelte Heather und Musuko kam schnell zum Punkt. "Bist du zuhause? Ich habe das Studio eben geschlossen und würde dich abholen kommen. Pack dir das Wichtigste ein. Essen und alles gibt es bei mir."
"Ja, ok. Danke."
Sie legte auf und holte eine große Sporttasche hervor. Sie packte sich Kleidung, Portmonee, Handy, Ladekabel und ein Shampoo ein. Ihr Blick fiel auf ein altes Stofftier, welches spontan mit in die Tasche kam.
Zwanzig Minuten später stand Musuko vor ihrer Tür und sie lud die Tasche in den Kofferraum seines kleinen Gefährts. Musukos Auto war schwarz und übersät von weißen Stickern die gruselige Gestalten zeigten oder Werbung für sein Studio machten. Heather setzte sich auf den Beifahrersitz und ließ sich von der leisen Industrial-Musik nicht stören.
"Mikel weiß auch schon Bescheid, dass du kommst. Er ist da ja tiefenentspannt. Das Wohnzimmer habe ich schon vorbereitet."
"Ok." flüsterte Heather und Musuko parkte neben seinem Studio. Er nahm die Tasche aus dem Kofferraum und trug sie mit einem Arm. Mit der anderen Hand öffnete er die Tür. "Nach dir." bat er und folgte ihr ins Wohnzimmer. Die Sofalandschaft war ausgestattet mit Kissen und Decken. Musuko und Heather waren alleine. "Es muss ziemlich wehtun, oder?" murmelte er und Heather schniefte. "Ja." Sie fiel Musuko um die Arme und ließ die Umarmung auf sich wirken. Sie war nicht alleine. Sie hatte Freunde, die für sie da waren und doch fehlte ihr das Wichtigste: ihr Bruder.
Heather setzte sich auf das Sofa. "Mikel hat seine vegane Linsensuppe gekocht. Wenn du möchtest, bediene dich." bot Musuko an, aber Heather lehnte ab. "Mir ist nicht nach essen."
"Dachte ich mir. Ich hol mir kurz eine Schüssel." Er verschwand in die Küche und kehrte mit einer großen Schüssel zurück. "Wenn du Essenswünsche hast, sag Bescheid, ansonsten geht Mikel nach seinem Essensplan. Du weiß ja, dass er vegan lebt." Heather nickte. "Ja, aber ich bin doch auch seit neun Jahren Vegetarierin." meinte sie und Musuko schmunzelte. "Glaub mir, eine Woche bei Mikel mitessen macht auch dich zum Veganer." Heather lächelte darüber und dass Musuko über alltägliches sprach, zeigte einen wohlwollenden Effekt bei ihr.
Mikel linste zu den Freunden, als er am Wohnzimmer vorbeilief. Er hob die Hand und sagte leise: "Hallo." Daraufhin verschwand er ins Badezimmer. "Es ist mir ein Rätsel, wie ihr zusammen kommen konntet. Er redet ja nicht viel." Heather sah zu Musuko. "Ja, er ist echt still und vorsichtig, aber eigentlich muss du nur das richtige Thema finden. Ich habe ihn als Kunde kennengelernt, um ihn ein Body Horror Tattoo zu stechen. Er hat mir alles mögliche dazu erzählt. Er kannte die Entstehungsgeschichte, Fakten über den Autor, Fakten zu den Storys und Episoden, die nicht mal ich wusste. Hat gar nicht mehr aufgehört zu reden die Session über." Er lehnte sich zurück und Heather sah, wie er sich ausstreckte.
"Ich würde gerne meinen Pyjama anziehen und Zähne putzen."
"Klar. Zahnbürste habe ich auch für dich." Sie nahm sich ihre Schlafsachen und ging ins Bad. Kurz darauf kam sie wieder und Musuko betrat das Badezimmer. Er war gekleidet in seinem Tanktop und Pyjamahose. Heather sah ihn fragend an. "Ich bleibe die Nacht über bei dir." Das überraschte Heather, aber sie dankte ihm für seine Fürsorge.
Heather deckte sich zu und Musuko legte die Decke nur über die Beine. "Das erinnert mich daran, wie Damian mich bei meiner ersten Trennung getröstet hat oder wie wir in einem Bett schliefen, als ich noch klein war." Ein tiefer Seufzer entfuhr ihr. "Mich hat die Nachricht geschockt. Es kam viel zu plötzlich." erklärte Musuko und Heather kniff die Augen zusammen. Sie verzog das Gesicht, um nicht erneut weinen zu müssen. "Für mich auch. Er war noch zu jung. Wir wollten doch noch ein Auto kaufen gehen." Sie mummelte sich in der Decke ein. Musuko sah zu ihr. "Komm her." bat er und hielt die Arme offen. Fragend sah Heather ihn an. "Und Mikel?"
"Ist schon in Ordnung." Heather robbte zu Musuko und legte den Kopf auf seine Brust. Er legte den Arm um sie. "Er wird mir auch fehlen. Er gehörte irgendwie immer zu dir." Musuko sah zur Wand hinauf. Heather fest im Arm. "Ich kann es noch nicht wahrhaben. Ich will zu der Zeit zurück, bevor wir das Auto kaufen wollten." Ihre Stimme wurde leise. "Es klingt dumm, aber der Himmelsfürst wird jetzt auf ihn aufpassen." versuchte Musuko sie aufzumuntern. Heather erstarrte und brachte dann eiskalt hervor: "Es gibt keinen Himmelsfürst."
"Ahahhahahahhaha! Da hat noch jemand seinen Glauben an dich verloren!" lachte der Höllenfürst und erboste den Himmelsfürst zutiefst. Er spürte den Verlust seines Anhängers.
Musuko sah mit geweiteten Augen zu Heather. "W-wie?"
"Ja! Ich habe gebetet und nichts ist geschehen!" fluchte Heather. "A-aber Heather... Er kann nichts tun wenn der Tod..." Er schluckte seinen Satz hinunter und musste Heathers Worte verdauen. "Der Glaube hilft mir nicht weiter." Sie vergrub ihr Gesicht in Musukos Brust. "Ich möchte zu Damian."
Heather schloss zwar die Lider, im Gegensatz zu Musuko schlief sie nicht ein. Sie blieb die Nacht über auf. Mit der Zeit hatte sie sich von Musuko weggedreht und sich mit dem Handy unter der Bettdecke gelegt. Sie las den Chat zwischen Damian und ihr immer wieder und wieder durch. Es waren die abgespielten Audios, die Musuko weckten und ihn im ersten Moment zusammen zucken liefen. Es war 5 Uhr.
"H-heather." murmelte er schlaftrunken und zog ihr die Decke weg. Daraufhin sah er, wie sie mit nassen Gesicht auf ihr Handy starrte. Er nahm ihr das Handy weg, woraufhin sie sich zu ihm umdrehte.
"Ich wollte nur noch einmal seine Stimme hören." hauchte sie. "Und innerlich hast du immer gehofft, dass dort gleich schreibt steht oder nicht?" mutmaßte Musuko und Heather nickte stumm.
"Heather, die erste Phase der Trauer ist grausam. Sie fühlt sich unendlich an und als würde es nie mehr besser werden. Und ich mache mir Sorgen, dass sie dich nicht ohne Narbe gehen lassen wird." Er atmete tief ein und aus. "Mikel hat eine Therapeutin wegen seiner Angststörung. Bei ihr sind letztens zwei Plätze frei geworden. Vielleicht, wenn du möchtest, hast du noch Glück, aber Therapieplätze sind bekanntlich schnell weg." schlug er vor. "Ich lande vermutlich nur auf der Warteliste. Da muss ich durch."
"Es war auch nur eine Idee." Heather zog die Decke wieder über ihren Körper, aber ließ diesmal ihr Gesicht zu Musuko gerichtet. "Aber es ist ein weiteres Mal vergangen, wo du hier geschlafen hast und die Figuren nicht lebendig geworden sind." merkte Musuko an, um vom Thema abzulenken. Heather schmunzelte und sah zu Musuko. Sie musterte seine ganzen Tattoos, die er besaß. Seine Arme waren voll mit Tätowierungen, die verschiedene Monster, Skelette oder andere Gothic Ästhetiken repräsentierten. Sie sah zu einem Tattoo auf dem Oberarm, das einen Sensenmann zeigte, der ein halbes Herz mit dem Buchstaben S bei sich trug. "Das ist das Tattoo, das deine Mom auch hat, oder?" fragte sie nach und Musuko erklärte es ihr. "Sie hat den Sensenmann, der entgegengesetzt steht und die andere Herzhälfte mit einem M trägt. Du weiß ja, als ich das Studio eröffnet habe, war sie meine erste Kundin und wollte so gerne ein Mutter-Sohn-Tattoo. Das hätte ich ihr nie abschlagen können." Er legte die Arme hinter dem Kopf und Heather versank im Gedanken. "Ich hätte auch gerne ein Tattoo." murmelte Heather und Musuko glaubte erst, sich verhört zu haben. "Du und ein Tattoo? Das war doch nie deins?" fragte er überrascht nach und Heather versicherte, dass sie es ernst meinte. "Irgendwas mit meinem Bruder als Motiv." gähnte sie und ihre Augen waren nur noch halb offen.
"Klar, bekommen wir hin. Sprechen wir in Ruhe einmal drüber, was es genau werden soll." Heather nuschelte etwas vor sich hin und schlief nach mehreren Stunden des wach seins ein. Musuko konnte nicht mehr schlafen, aber weil er Heather nicht unbehütet lassen wollte, nahm er sich seine Handheldkonsole und spielte ein Spiel über Charaktere, die in einer Organisation lebten. Es war bereits acht Uhr morgens und Musuko hörte Mikel durch die Wohnung tappen. Mikel linste ins Wohnzimmer und gab Musuko von hinten einen Kuss auf den Kopf. "Morgen. Frühstückt sie mit?" fragte er leise und legte die Hände auf Musukos Schultern. "Denke nicht." Er sah zu Heather, die nach ihren drei Stunden Schlaf wieder erwachte. Erholt fühlte sie sich keineswegs. Musuko nutzte die Gelegenheit.
"Frühstücks du mit?" fragte er, aber wie erwartet schüttelte sie den Kopf. "Geht nur." meinte sie leise.
"Du darfst dir aber immer was vom Kühlschrank nehmen. Scheu dich nicht." erinnerte Musuko sie und Heather dankte für das Angebot. "Danke, dass ich hier sein darf." flüsterte sie und Musuko lächelte aufmunternd.
"Natürlich. Ich helfe doch meiner besten Freundin in Not." Heather fühlte sich geborgen. Sie erfreute es, dass sie Freunde wie Musuko hatte.
In der Zwischenzeit war Gina in das Totenreich zurückgekehrt. Sie trug mehrere Akten bei sich, was dafür sprach, dass sie nach Damians Geleit weitergezogen war. Gina brachte die Akten in den dafür zuständigen Raum und setzte sich neben Gevatter Tod. Er saß still da und schrieb an seinen Akten. "Willkommen zurück." sagte er, ohne zu viel Freude darüber in seine Stimme einfließen zu lassen.
"Ich bin froh, wieder zurück zu sein. Das Seelengeleit und die danach waren nicht ohne." Entspannt lehnte sie sich zurück und freute sich gedanklich schon darauf, wieder bei ihrer Familie zu sein. Jener Gedanke wurde vom Tod unterbrochen.
"Gina? Ich muss mit dir über Damians Geleit sprechen." Aufmerksam richtete Gina ihren Blick zum Tod. "Es ist nicht an mir vorbeigegangen, dass du seine letzte lebende Verwandte aufgesucht hast." fing er zu erzählen an und Gina nickte. "Ja, seine kleine Schwester."
"Du hast dich ihr gezeigt und für ihre Worte kritisiert. Es hat sie verletzt und wäre der Geist ihres Bruders nicht dazwischen gegangen, wären dir wohl weitere unangebrachte Aussagen über die Lippen gekommen." Gina spürte einen strengen Blick auf sich ruhen. "Gina, wir sind der Tod! Wir behandeln Lebende und Tote mit Respekt! Es ist uns nicht gestattet, Verbliebende oder Verstorbene schlecht zu behandeln. Wenn wir uns ihnen zeigen, spenden wir Trost und pflanzen ihnen kein schlechtes Gewissen ein!"
Er hatte den Finger ermahnend gehoben und tippte auf den Schreibtisch. Gina senkte den Blick. "Verstanden." hauchte sie, was den Sensenmann nicht genügte. "Ich möchte dich erstmal als Theoretikerin hierbehalten, bis ich wieder der Meinung bin, dass ich dich zum Seelengeleit schicken kann." Die Strafe zeigte mehr die gewünschte Wirkung, als seine Worte. Gina hatte den Mund zum reden angesetzt, schloss ihn aber wieder. "Wenn du Seelen geleiten möchtest, kannst du dies mit dem weißen Tod tun. Sofern du nicht noch die Besitzer der Tiere verurteilst oder dich in das Auto derer setzt, die einen Igel überfahren haben." Diese kleinen Messerstiche bemerkte Gina und biss die Zähne zusammen. "Zusätzlich möchte ich, dass du dich in den Garten Eden begibst und Mutter Natur triffst. Sieh es als Lehrstunde zum Leben."
Gina sah zur Skeletthand des Todes, die auf dem Tisch lag. "Einverstanden." murmelte sie leise vor sich hin. "Mutter Natur ist bereits informiert." fügte der Tod hinzu und Gina erkundigte sich, wann sie da sein sollte.
"Morgen."
Ginas Rückkehr zu ihrer Familie wurde mit großer Freude zelebriert. Fritz konnte sich kaum zügeln, seine Geliebte wieder bei sich haben. Trotz allem ließ sich nicht verbergen, dass die Worte des Todes in Ginas Kopf kreisten. Fritz fiel dies besonders auf, als sie ihn im Bett nach mehreren Zärtlichkeiten den Beischlaf verweigerte. Er beugte seinen Oberkörper über sie. "Was beschäftigt dich?" hakte er nach und streichelte ihr Haar. "Ich habe Mist gebaut und darf vorerst nur als Theoretikerin arbeiten. Außerdem erwartet mich morgen ein Gespräch mit Mutter Natur." Sie wich dem blickkontakt aus und legte sich auf die Seite. Fritz gegenüber ging sie näher auf die Details ein, welcher sie mit simplen Worten ermutigen wollte.
"Das ist passiert und du hast daraus gelernt. Die Bestrafung ist auch in Ordnung wie ich finde. Wäre doch schlimmer gewesen, sie hätten mich dir wieder weggenommen." Gina versuchte leise zu lachen. "Das stimmt. Diesmal kann ich bei dir bleiben." Sie legte sich wieder auf den Rücken und ließ ihn auf seiner Brust schlafen.