Die Familie verabschiedete sich und Johannes wollte sich mit Jeremy gerade an ihrem Platz setzen, als Justin ein Todesportal öffnete und hastig durch dieses hindurch sprang.
"Vermutlich ein plötzlicher Todesfall." erklärte Jeremy und setzte sich mit seinem Sohn an ihrem rechtmäßigen Platz.
Der weißhaarige Sensenmann teleportierte sich in ein Zimmer und sah eine weinende Frau im Bett liegen. Blut tropfte auf die Decke und floss ihr Handgelenk hinunter. Die Rasierklinge lag auf dem Boden und Justin blickte einer knochendürren Gestalt entgegen.
"Es ist das Beste für dich und das Ungeborene. Er würde es nur genauso behandeln, wie er dich behandelt hat. Und wenn du mit dem Gewissen einer Abtreibung nicht leben kannst, ist dies die optimale Lösung. Dieses Kind würde dich nur ewig an ihn binden, alleine könntest du es jedoch nie versorgen." hauchte diese einvernehmend und die junge Frau, übersät von blauen Flecken an Oberarmen und Beinen, tätigte ihre letzten Atemzüge.
An ihrem Unterleib tauchten zwei helle Lichter, zwei kleine Engel auf und nahmen die kleine Seele entgegen, die im Körper der Frau heranwachsen sollte. Justin blickte die Engel an und führte dann seine Sense zum Körper der Frau, las ihre Todesdaten vor und während die dürre Gestalt verschwand, geleitete Justin die Seele in das Zwischenreich. Der Gestalt schaute Justin kaltherzig entgegen und schloss die Akte, nachdem die Seele aus dem Körper der Frau entwichen war. Er kehrte mit dieser zurück zum Sensenmann und verwahrte die Akte gut, während Gina sich um die Ankunft der Seelen kümmerte.
Johannes war mit seinem Vater in der Gilde am Akten bearbeiten und nebenbei meinte er: "Sensenmännern sind selbst den Todesengeln überlegen, oder?" Sein Vater nickte. "Nur in einigen Bereichen sind ihre Fähigkeiten ausgeprägter, aber sie sind uns trotzdem gleich gestellt, genauso wie Todesgeister und Todesengel nichts unterscheidet, außer eben der Unterschied ihrer Entstehung." Sein Sohn nickte bei der ruhigen Erklärung.
"Und du bist ein Todesgeist in diesem Reich, weil du zu Lebzeiten etwas verbrochen hast oder weil?" Seine Stimme wurde leiser und Jeremy legte die Feder zur Seite.
"Ich habe mich umgebracht. Damals war ich schwer krank und sah den einzigen Ausweg nur noch darin, mir die Kugel zu geben." erzählte Jeremy ruhig und blickte seinen Sohn seicht lächelnd an. "Vor langer Zeit war diese Welt für mich düster und ich habe lediglich meine Aufgabe gemacht, um nicht allzu lange hier zu bleiben, was mich allerdings für die Gilde qualifiziert hat. Ich tat es einfach und wurde erst mit der Zeit offener. Deine Mutter und du habt mich schließlich daran erinnert, dass der Tod nicht trostlos ist, wie er immer scheint und durchaus seine schönen Facetten hat." Ein stolzes zufriedenes Lächeln zeichnete sich auf Jeremys Gesicht ab und auch Johannes fing zu schmunzeln an. "Naja, sieh dir Gina an. Sie ist ein Sensenmann und total verrückt." scherzte Johannes, als er merkte, wie jemand mit einer Akte auf seinen Kopf tätschelte. "Danke, das kann ich nur zurück geben, Rotschopf." vernahm er Ginas Stimme, lachte beschämt und nahm die unbeschriebene Akte entgegen. Kurz darauf verschwand Gina auch schon die Treppe zur Gilde hinaus.
Gina kehrte zu ihrer Familie heim und teleportierte sich auf eine Scheune, als sie die Anwesenheit von Niklas, ihrer Tochter und dem weißen Tod bei der Weide spürte. Sie beobachtete, wie eine Gallowaykuh geschossen wurde und der weiße Tod die Seele der Kuh zu den vorausgegangenen Tieren geleitete. Gamia spürte die Anwesenheit ihrer Mutter, war allerdings mit der Schlachtung beschäftigt. Seit geraumer Zeit war Frank nicht mehr bei den Schlachtungen dabei gewesen. Mit Gamia an seiner Seite beobachtete Niklas, wie die Kuh in den Transporter kam und ergriff ihre Hand. Liebevoll blickte er sie an. "Manchmal frage ich mich, ob Schlachtung Mord ist." flüsterte er ihr zu und blickte gedankenverloren zum toten Rind. Gamia ließ diese Frage offen stehen, denn genau konnte sie seine Frage nicht beantworten. "Ich denke das kommt drauf an, welches Weltbild jeder vertritt."
Gina sprang die Scheune hinunter zum weißen Tod und beide Sensenmänner blickten sich lächelnd entgegen. "Wie geht es Mutter Natur?" fragte Gina behutsam und der weiße Tod kniete sich zum Gras und glitt mit der Hand durch die grüne Grasfläche. "Im Sommer ist ihre Kraft am stärksten. Es geht ihr gut, aber bald wird es Herbst und Mutter Natur schwächer." Dabei zupfte der weiße Tod einen vertrockneten Grashalm aus der Erde und musterte dieses. "Das ist der Zyklus von Mutter Natur, Im Sommer ist sie am stärksten. Im Herbst schwindet ihre Kraft. Im Winter ist sie am schwächsten und im Frühling erwacht sie zu neuer Stärke." erwähnte der weiße Sensenmann ruhig und stand wieder auf, dabei ließ dieser den Grashalm los. "Ich werde nun zu ihr zurückkehren und von deinen Besuch berichten. Sie wird sich sehr darüber freuen." Daraufhin öffnete der Tod der Tiere ein Portal zu Mutter Natur und kehrte zu ihr zurück. Gina kehrte ebenfalls zu ihrer Familie zurück und dachte an die Erschafferin dieser Welt. Sie hatten sich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen.
Gina sah Fritz im Garten bei den Enten und als er sie erblickte, stand er sofort auf und begrüßte sie mit einem Kuss. Er grinste freudig, als er ihre Erscheinung sah und sie setzte sich zu ihm ins Gras. Fritz legte den Arm um ihre Taille und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Mit der anderen Hand umfasste er sein Kartendeck. "Gamia ist bei Niklas." erwähnte er lächelnd und Gina nickte. "Ich habe sie schon gesehen." entgegnete sie und rückte näher an Fritz heran. "Manchmal denke ich an früher und wie die Zeit vergangen ist. Mittlerweile lebt sie schon mit Niklas zusammen." seufzte er, als Gina seine Hand umfasste, die er um ihre Taille gelegt hatte.
"Aber sie bleibt trotzdem deine Tochter. Du wirst immer ihr Vater bleiben." Stolz erfüllte Fritzs Herz bei diesen Worten.
Gamia gesellte sich, umgezogen in Alltagskleidung, zu ihren Eltern. "Niklas ist noch bei seinem Vater." erwähnte sie und musste ihrem Vater nur einen Blick zuwerfen, damit dieser verstand, dass er die Karten austeilen konnte für ein Spiel. "Mein Bruder kam heute vorbei und hat mich zu etwas eingeladen, was dir auch gefallen könnte, meine Todesgöttin.", erzählte Fritz mit einem freudigen Lächeln. "Er hat mich zu einem Totenfest auf der Erde eingeladen."
Gina wurde hellhörig und grinste frech. "Gerne! Wann darf es losgehen?" hakte sie aufgeregt nach und Fritz erwähnte: "Morgen."
Augenblicklich schwelgte Gina in Erinnerungen. "Ich war lange nicht mehr auf so einem Fest! Früher habe ich viel mit den Menschen die Todeszeremonien gefeiert." Ihre Augen funkelten und sie setzte sich im Schneidersitz hin. "Die Menschen sind faszinierend, genauso ihre Einstellung zum Tod. Bei einigen ein Tabuthema und woanders zelebriert man dieses Ereignis. Ich als Sensenmann bin immer wieder begeistert über die verschiedenen Traditionen und Bräuche über den Tod." Sie schwärmte und vergaß dabei, dass sie dran war mit Karten austeilen, lachte darüber, als sie darauf aufmerksam gemacht wurde.
Die Menschen waren am singen und tanzen, spielten auf Trommeln und anderen Instrumenten, um die Klänge der Musik zu erzeugen, die den Ohren der Menschen ein Genuss waren. Gina, Fritz, Gamia, Frederic und Ferdinand teleportierten sich unter die Menschen und blieben unsichtbar für diese. Sie lauschten den Klängen und Gina fühlte sich in der Atmosphäre sofort wohl. Sie fühlte die Trauer, aber auch die Festlichkeiten, die zeigten, dass der Tod nicht trostlos war. Wie bei den Menschen gab sie sich dem Rhythmus der Musik hin. Fritz beobachtete sie erst dabei, wie sie tanzte, bevor er sich langsam bewegte und an ihrer Seite tanzte. Frederic kam seinen Mann ebenfalls sehr nahe und schmiegte sich beim tanzen an ihn. Gamia gab sich in ihrer Bewegung genauso bescheiden wie ihr Vater, welcher Gina von hinten an die Taille fasste. Lächelnd blickte Gina ihre Tochter an. "Finde ich schön, dass du dabei bist. Früher wolltest du nie mit." erwähnte sie schmunzelnd und Gamia stimmte ihr beschämt zu.
Andere Seelengeleiter wussten ebenfalls von dem Fest und feierten mit den Menschen den Tod. Amelia war ebenfalls darunter und genoss das Fest in vollen Zügen. Um Mitternacht wurde das Leben des Toten gefeiert und die Totenfeier dauerte noch einige Stunden voller Freude an. Gamia war die Erste, die sich verabschiedete. Frederic lag glücklich in Ferdinands Armen und schloss ruhig die Augen, bevor sich beide wenige Zeit später auch verabschiedeten. Friz und Gina verblieben noch eine Weile. "Es war schön, wieder unter Menschen das Ende des Lebens und den Neubeginn der Unendlichkeit zu zelebrieren." erwähnte sie und blickte Fritz in die Augen. Sie vereinigten ihre Lippen zu einem Kuss und wieder einmal wurde Fritz bewusst, dass er ein Todeswesen an seiner Seite hatte, welches ihn liebte und er nicht mehr der gemobbte Seelengeleiter aus der Lehre war. Er war zufrieden.
Alma erwachte früh am Morgen und betrat die Schmiederabteilung. Sie wurde von Kollegen als Abteilungsleiterin begrüßt und dies zu hören war für sie immer noch ein wenig ungewohnt, aber sie grüßte freundlich zurück. Alma nahm sich die Sensenaufträge für den heutigen Tag und fing mit der ersten Sense für die neuen Seelengeleiter an. Dabei überlegte sie, was sie Amelia heute zeigen könnte, aber ihre Auszubildende erschien nicht rechtzeitig zum Arbeitsbeginn und selbst nach drei weiteren Stunden war Amelia nicht da. Mit der Zeit wurde Alma wütend auf ihren Lehrling, nahm sich vor, mit ihr darüber zu reden, wenn Amelia zur Arbeit erscheinen sollte, ließ sich aber nicht weiter ablenken und fertigte ihre Sense an.
Es wurde Mittag, als die Tür aufging und Alma erkannte, dass Amelia den Raum betreten hatte und ohne Worte in die Umkleide lief. Alma folgte ihr mit einem wenig gut gelaunten Gesichtsausdruck. Im Aufenthaltsraum wartete sie auf Amelia, verschränkte ihre Arme und als Amelia aus der Umkleide kam, zuckte diese zusammen, als sie ihre Lehrmeisterin erblickte.
Amelia wirkte durch ihren müden Blick erschöpft und ihre Haare waren ein wenig zerzaust, als hätte sie es eilig gehabt. Alma erhob streng ihre Stimme. "Dienstbeginn war vor vier Stunden." merkte sie an und Amelia wusste im ersten Moment ausnahmsweise mal nicht, was sie sagen sollte. Erst nach einiger Überlegung brachte sie ehrlich hervor: "Ich war gestern noch unterwegs." Alma überlegte ihre nächsten Worte gut.
"Es ist Ihre Entscheidung, was Sie nach Feierabend machen und dürfen das auch gerne tun, zur Arbeit haben Sie aber trotzdem pünktlich zu erscheinen. Dementsprechend bleiben Sie heute länger und heute arbeiten Sie nochmal an der Drechselbank." Zerknirscht blickte Amelia zur Seite und murmelte leise ein: "Als wären Sie nicht auch schonmal zu spät gekommen."
Jedoch hörte Alma diese Worte. "Ich bin auch mal zu spät gekommen, aber dann hat man den Schneid, sich dafür zu entschuldigen und seinen Fehler auszubessern. Sie haben sich auch nicht entschuldigt." entgegnete Alma und hörte selbst danach keine angemessene Entschuldigung. Beleidigt lief Amelia an Alma vorbei, diese kam sofort hinterher. "Amelia Flèros, bleib stehen!" befahl Alma und Amelia stoppte erst bei der Drechselbank.
"Ihr Verhalten ist unmöglich! Sie verspielen gerade viel und sollte sowas noch einmal vorkommen, werden Sie Ihre Lehrstelle verlieren!" sprach Alma harsch aus und konnte Amelia ein leises: "Sorry..." entlocken, bis Alma es bei der Verwarnung beließ und sich ihrer Arbeit zuwidmete.
Wenige Stunden später verließ Alma die Scythe Maker und verwies Amelia daraufhin, dass sie sich an die anderen Schmieder wenden möge und verabschiedete sich. Mit unerfreuter Laune lief sie zu ihrem Vater heim und klopfte an der Wohnungstür. Henrik öffnete die Tür schnell und bat seine Tochter hinein. Er trug eine kurze Hose, ein weißes Hemd, dessen Hemdkragen nach oben abstand und einen schwarzen Mantel über diesen. Da Henrik erst abends zur Gilde sollte, nahm Alma an, dass er sich gerade für diese ausziehen wollte. Beide setzten sich in das Wohnzimmer und Alma gab einen kleinen Seufzer von sich. "Du wirkst erschöpft. Viel los bei den Scythe Makern?" fragte Henrik nach und wartete, bis er eine Antwort bekam und Alma ihm von Amelia erzählte. "Mein Lehrling hat sich wieder was erlaubt und ich habe ihr gesagt, dass sie sich ihre Lehre verspielt und droht, rausgeschmissen zu werden. Trotzdem mache ich mir Gedanken." erzählte Alma und strich mit der Hand über ihre Haarsträhne. Ruhig hörte Henrik ihr zu. Gelassen antwortete er ihr. "Ganz einfach, dann ist das so. Wenn sie nicht möchte, wird sie sehen, was sie davon hat. Das ist manchmal so, dass einige Lehrlinge nicht lange bleiben. Man möchte natürlich das Beste für die Lehrlinge, wenn es aber nicht geht und diese nicht wollen, dann kannst du wenig machen. Ich habe auch meine Erfahrungen mit Lehrlingen gemacht." Seine Tochter blickte zu ihm. "Ich würde einfach nur gerne das Beste aus ihr rausholen und dass wir es doch hinbekommen."
Sie stützte ihren Kopf ab und Henrik beugte sich zu ihr rüber. "In der Gilde habe ich ein paar ausgebildet, die später vollwertige Gildenmitglieder werden sollten. Viele haben es geschafft, aber ich hatte auch ein, zwei dabei, die erst vielversprechend waren, mit der Zeit allerdings nicht mehr für die Gilde ausreichend waren. Es liegt nicht nur an den Lehrmeister, auch an den Auszubildenden." erzählte Henrik und wollte nicht, dass seine Tochter sich zu viele Gedanken darum machte. Sie fasste seine Worte auf.
"Ich frage mich auch, warum sie so ist. Amelia ist Dr. Bromerus Tochter und wir wissen, was ihrer Mutter zugestoßen ist. Natürlich habe ich sie darauf nicht angesprochen, aber kann gut möglich sein, dass sie damit noch zu kämpfen hat." vermutete Alma, wollte sich mit dieser These aber nicht zu weit aus dem Fenster lehnen.
"Ich hoffe, ihr bekommt das hin und wenn nicht, dann kannst du es nicht ändern. Und sie wird nicht die Einzige sein, wo Probleme auftreten. Denk daran, wie viele wegen Frau Klinke gekündigt haben." erinnerte Henrik, überschlug seine Beine und Alma gab ihn Recht. Schließlich dankte sie ihm fürs zuhören und verabschiedete sich in ihren Feierabend.
Mit dem Schlüssel betrat Amelia die Wohnung und wurde von ihrem Vater begrüßt. "Wie war die Arbeit?" fragte er behutsam nach und sah, dass sie gereizt wirkte. "Gut." meinte sie flüchtig, aber Elliot glaubte ihr nicht. "Wirklich? Du wirkst nicht gerade so. Seit du in der Lehre bist erzählst du auch nichts darüber, sondern sagst immer nur, dass sie gut war." merkte er ein wenig besorgt an, traf sie mit dieser Aussage aber auf eine Wand bei seiner Tochter. "Ja, es war nur stressig." kam es harsch von ihr zurück.
"Wenn etwas ist, rede bitte mit uns oder mit mir. Ich habe das Gefühl, es geht dir nicht gut." bat er ruhig an, aber Amelia nahm dies nicht entgegen. "Mir geht es gut, hör auf Probleme zu machen, wo keine sind." fuhr sie ihren Vater zickig an und Elliot wich zurück. "Ich versuche nur so gut es geht, für euch da zu sein. Es ist nicht leicht gewesen, sich um zwei kleine Kinder und die Arbeit zu kümmern, während man noch trauert." Zum Ende wurde seine Stimme leiser und Amelia weitete die Augen. "Mit Mutter wäre es viel besser und einfacher." murmelte Amelia und Elliot senkte verletzt den Kopf. "Ich wünschte auch, sie wäre noch hier." wisperte er und drehte den Kopf zur Seite.
Eine stille Minute verging und Amelia schloss die Zimmertür hinter sich. Elliot blickte auf ein Foto von sich und Ellie, als er in das Wohnzimmer lief und strich mit dem Finger über dieses. Amelias Worte hallten noch in seinem Kopf wieder und die Erinnerungen an seine Frau flimmerten vor seinem inneren Auge.