Auch am folgenden Tag begleitete Smeralda Henrik zur Gilde und diesmal fragte Florenz, ob sie Henriks Freundin ist. "E-es ist ein bisschen schwer zu beschreiben." antwortete er und Florenz beließ es dabei. "Wer war das?" erkundigte Smeralda sich, während sich beide setzten. "Florenz Gastrado, er hat mich und meinen Bruder damals aufgezogen, als unsere Eltern starben." erklärte er ruhig und Smeralda nickte. "Herbert ist nicht mehr, oder?" hakte sie im Gedanken nach und Henrik bejahte ihre Frage betrüb. "Ich erinnere mich, dass er das Foto von uns gemacht hat." merkte sie glücklich schmunzelnd an und auch Henrik wusste dies noch. Beide hatten ihre Beziehung damals nie großartig kundgegeben. Der besonders Vertraute war lediglich Herbert Groß gewesen.
Bevor sie gemeinsam zu Alma gingen und er die Schicht wechselte, gab er die letzten Akten beim Tod ab, welcher sich nach Alma erkundigte. "Noch ist sie bewusstlos, aber wir gehen sie jeden Tag besuchen." antwortete Henrik mit gesenkten Kopf und der Tod hoffte alles Gute. Gevatter Tod wandte sich an Gina, die ihn kühl und ruhig ansah. "Ich möchte mit dir reden." fing er an und interessiert musterte Gina ihn. Sie verschränkte die Arme und der Sensenmann holte eine schwarze Akte hervor, die Priorität zu besitzen schien. "Es geht um eine besondere Angelegenheit, Gina."
Sie nahm die Akte zur Hand, las sich das Dokument durch und verstand sofort. "Wenn du dich am folgenden Tag um diese Angelegenheit gekümmert hast, steht es dir frei, wieder zu deiner Familie zurück zu kehren." Gina Augen leuchteten auf bei diesen Worten und ein überglückliches Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. "Vielen Dank, Gevatter Tod. Ich werde diese Akte mit Sorgfalt behandeln." sagte sie gewissenhaft und packte die Akte zur Seite. Der Tod sah Gina beim schreiben der Akten zu und ging dieser Tätigkeit ebenfalls nach.
In einem ruhigen Moment fragte er sie allerdings erneute die Frage, die er ihr bereits zweimal gestellt hatte. "Bevor du diesen Raum verlässt, möchte ich ehrlich von dir wissen, warum du damals gegangen bist." Im ersten Moment war Gina perplex über diese Frage, bevor sie den Kopf senkte, eine Zeit nachdachte und dann antwortete: "Damals habe ich mich gefangen gefühlt. Du hattest kaum Zeit für mich, dabei fand ich unsere gemeinsamen Tänze immer so schön." Endlich kannte er Ginas Beweggründe und ging sachlich auf diese ein.
"Gina, ich bin der Tod und kann nicht immer Zeit haben. Wenn du wüsstest, wie es einst zuging, als die ersten Lebewesen starben, bevor der weiße Tod existierte und das Zwischenreich entstand, würdest du mich verstehen. Dass du dich deshalb unwohl gefühlt hast, tut mir leid, doch hättest du mit mir reden können." Er blieb ruhig, hatte aber einen gewissen strengen Unterton." Gina verstand seine Standpunkte und konnte sich die Arbeit des Todes vor der Existenz des Zwischenreiches gut vorstellen. Der Tod hatte keinen Moment Ruhe gehabt, deshalb kam ihm der weiße Sensenmann sehr gelegen, welcher sich nur um die verstorbenen Tiere kümmerte. Nachdem die ersten Menschen weder Himmel noch Hölle zugeordnet werden konnten, wurde dieser Ort geschaffen und den Seelen eine Aufgabe gegeben. Irgendwie lächelte Gina bei seinen worten.
"Ich bereue es nicht, immerhin konnte ich jemanden helfen. Deshalb würde ich es wieder tun." gestand sie ehrlich und der Tod fasste diese Aussage nicht sehr begeistert auf, behielt seine Gedanken aber für sich. "Wichtig ist, dass du nun wieder da bist und nie wieder einfach gehen wirst."
Almas Eltern waren zu Henrik heimgegangen und hatten sich am Abend wieder zusammen ins Bett gelegt. Es störte sie nicht, dass er den Arm um sie legte und Henrik fand es nach wie vor überraschend, dass sie anfangs sehr scheu gegenüber ihm war und nun von sich aus sogar wieder in einem Bett mit ihm schlafen konnte. Es bedeutete ihm aber auch viel und das wollte er nicht wieder kaputt machen.
In der Zwischenzeit lagen die kleinen Engel weiterhin auf Almas Körper. Die letzten Tage waren sie ihr kein Stück von der Seite gewichen. Auch die Ärzte waren fasziniert darüber gewesen.
Zittrig öffnete Alma langsam die Augen und sah ihre Umgebung noch etwas schummrig vor sich. Die kleinen Engel horchten auf und grinsten. "Alma ist wach! Alma ist wieder wach!" Fröhlich flogen sie zu ihr und langsam richtete Alma sich auf. Sie fasste sich am Kopf und schien zu überlegen, was passiert war und wo sie war. Schnell kam ihr dies aber wieder in den Sinn. Alma stupste die Engel zärtlich an und grinste. "Wart ihr die ganze Zeit hier?" Beide nickten und Alma umarmte die Engel leicht. "Danke, vielen lieben Dank!" kicherte Alma unbeschreiblich glücklich und die kleinen Engel lachten mit ihr. "Wir haben den Schmerz so gut wie möglich gelindert und die Wunde verheilen lassen, so weit wir konnte." erklärten sie lächelnd und Alma zog ihr Oberteil etwas hoch, um die Narbe unter ihrer rechten Brust zu begutachten. Sie war gut verheilt, würde aber genauso sichtbar bleiben, wie die Narben an ihrem Arm. "Danke! Ich kann es nicht oft genug sagen!" sagte sie glücklich und hatte ein Leuchten in den Augen. "An deinem Rücken ist auch eine, aber die ist genauso verheilt wie die vorne." erklärte einer der kleinen Engel. "Diese Narben machen mir nichts aus." Grinsend sah sie zu den Engeln und entblößte ihre zwei spitzen Zähne. "Deine Eltern waren auch jeden Tag hier, um nach dir zu sehen. Wir sagen ihnen sofort Bescheid." Schon flogen die Engel durch ein kleines helles Flügelportal.
Die kleinen Engel tauchten auf dem Bett auf und einer flog zu Smeralda und strich über ihre Wange, während der andere Engel Henrik vermehrt ins Gesicht stupste. Beide wurden wach und spürten deren Aura. "Alma ist wach!" riefen die Engel im Einklang und sofort standen beide auf und zogen sich schnell was über, bevor sie zu Alma gingen.
Die kleinen Engel waren gerade zu Alma zurück gekehrt, da traten ihre Eltern auch schon ins Zimmer. Sie waren in heller Aufregung und Smeralda drückte ihre Tochter unter Tränen an sich. "Ich bin so froh." schniefte sie und gab ihrer Tochter einen Stirnkuss. Henrik umarmte Alma ebenfalls und strich über ihren Rücken. Beiden war ein großer Stein vom Herzen gefallen und ihre Erleichterung war kaum zu beschreiben. "Wir waren jeden Tag hier." erzählte Smeralda und hielt Almas Hand. "Ich weiß, die Engel haben es mir erzählt." Alma grinste, als Dr. Commer anklopfte und den Raum betrat. Er erkundigte sich nach Almas Zustand. "Mir geht es gut, ich habe kaum Schmerzen." antwortete sie und Paul nickte mit seiner gewohnt kühlen Ausstrahlung. "Wir behalten Sie bis morgen noch hier, dann werden Sie entlassen." Alma und ihre Eltern nickten. Sie waren alle froh, dass sich Almas Zustand gebessert hatte und sie bald wieder heim durfte.
Am nächsten Tag holten ihre Eltern sie von den Heilern ab, nachdem Henrik Gildenschluss hatte. Er hatte die gute Nachricht bereits dem Tod und Cedric mitgeteilt. Zuhause ging Alma als erstes lange duschen und setzte sich dann auf das Paletten Sofa. "Bin ich froh, wieder hier zu sein und morgen meine Lehre weiter machen zu können." seufzte sie lächelnd und musterte ihre Eltern, die erleichtert nickten. "Das hat uns einen ziemlichen Schrecken eingejagt." gestand Smeralda und strich über Almas Haare, bevor sie ihr erzählten, was passiert ist, als sie bereits das Bewusstsein verloren hatte. Alma rührte das und zeigte sich sehr dankbar. Sie umarmte beide noch einmal und musterte sie zusammen. Alma zog eine Augenbraue hoch, als sie ihre Eltern auf dem Sofa sitzen sah, aber schaute dann entspannt, als sei nichts, nachdem sie ihrer Mutter angemerkt hatte, dass sie sich fragte, warum Alma beide so musterte. Alma legte sich schlafen und Henrik fragte Smeralda, ob er noch bleiben sollte. Smeralda war sich unschlüssig. "Wie du möchtest, aber ich danke dir sehr für deine Unterstützung die letzten Tage. Ich habe mich sehr wohl an deiner Seite gefühlt, danke. Komm gerne vorbei, wenn du möchtest und oh." Ihr fiel ein, dass sie noch seinen zweiten Wohnungsschlüssel hatte und wollte ihm diesen zurückgeben, doch er lehnte ab. "Behalte ihn oder gib ihm Alma, wenn du möchtest. Euch steht die Tür immer offen." Smeralda verwahrte den Schlüssel sicher und Henrik umfasste ihre Arme. "Ich werde dann heimgehen und auch ich fand es sehr schön mit dir." Er lächelte glücklich und auch Smeralda sah ihm schüchtern entgegen. Sie schloss die Tür hinter ihm, nachdem er durch diese gegangen war und beide sahen sich zum Schluss noch einmal lächelnd entgegen.
Am nächsten Morgen machte Alma sich wie gewohnt für die Arbeit fertig und betrat den Raum der Scythe Maker. Sie grüßte Sibylle, welche ihren Lehrling musterte. "Willkommen, Frau Corenzola. Sie haben sich gut erholt, wie ich sehe." erwiderte die Schmiedemeisterin und Alma nickte erfreut. "Der Arbeitsunfall hat hier einen ziemlichen Tumult veranstaltet. Zumindest sind Sie wieder da." Sibylle verschränkte die Arme und musterte Alma. Es fiel ihr auf, dass Alma trotz des Vorfalls ohne Hemmungen vor ihr stand, als wäre nichts gewesen. Alma hatte immer noch die Motivation wie zuvor und keine Angst, dass sowas wieder passieren könnte. Sibylle gab ihr die Aufgabe, sich erst um die organisatorischen Sachen zu kümmern und Alma lief durch die Sensenschmieden, übergab Sensen oder brachte Materialien zu ihren Kollegen.
Auf einmal wurde sie angesprochen. "Hallo?" ertönte eine ängstliche Stimme. Sie erkannte den Lehrling mit den tiefen Schnittverletzungen am Arm wieder, welcher unsicher vor ihm stand. "Ich s-soll mich bei I-ihnen für die Verletzung durch meinem L-Lehrmeister entschuldigen." stammelte er eingeschüchtert und Alma wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Sie war verdutzt und sprachlos. "Ähm, reden wir später darüber." entschuldigte sie sich beschämt und der Lehrling verschwand nickend. Ihr war die Situation komisch vorgekommen und die Begegnung ging ihr nicht durch den Kopf. Vor allem tat ihr der Lehrling auch leid, weil er von seinem Lehrmeister ziemlich runtergemacht zu werden schien. Alma ließ sich davon aber nicht zu sehr ablenken und war froh, endlich wieder ihre Lehre machen zu können.
Nach Feierabend besuchte sie ihren Vater wie gewohnt in der Gilde und nahm ein Glas Wein, welches sie sehr genoss. "Wie war es denn, wieder bei den Scythe Makern zu sein?" fragte Henrik nach und trank von seinem Weinglas. Er war erleichtert, dass Alma wieder wie gewohnt neben ihm saß. "Es war toll, wieder da zu sein, aber eine Sache beschäftigt mich." gestand sie und wischte eine Haarsträhne zur Seite. Aufmerksam hörte Henrik zu und sah zu ihr. "Der Lehrling des Lehrmeisters, welcher mich verletzt hat, stand heute vor mir und hat sich ängstlich für seinen Lehrmeister entschuldigt. Ich gehe mal davon aus, dass der Lehrmeister ihn geschickt hat, um nicht selber mit mir darüber zu sprechen." Was Alma Henrik erzählte, machte ihn sauer, aber er versuchte gefasst zu bleiben. "Wie bitte? Das kann nicht dein Ernst sein! Ich bin fassungslos darüber." Zustimmend nickte Alma und ihr Vater stellte sein Weinglas ab. "Am liebsten würde ich diesem Schmiedemeister seiner Berufung entziehen!" äußerte Henrik sich und Alma sah zu ihm. "Ich denke er behandelt seinen Lehrling auch nicht gut. Er wirkte sehr nervös und hatte viele Verletzungen. Ich habe mitbekommen, wie er öfters angeschrien wurde." Das gab Henrik ein weiteres Argument. "Kannst du Leuten einfach ihrer Berufung entziehen, wie den Sensenschmieder?" fragte Alma interessiert nach und Henrik nickte. "Wenn richtige Gründe vorliegen, natürlich. Immerhin ist das auch eine Aufgabe der Gilde, für Ordnung im Totenreich zu sorgen." Er nahm noch einen schluck, als Alma fort fuhr. "Es ist schon in Ordnung. Was passiert ist, kann man nicht mehr ändern. Mir geht es besser und ich möchte keinen Auffuhr veranstalten." Sie senkte den Kopf und war im Gedanken. Nachdem Henrik diese Wortegehört hatte, wurde er etwas aufbrausend und umfasste Almas Schultern. Er blickte sie an und Alma war überrascht.
"Bitte sag mir, dass du das nicht ernst meinst." Traurig senkte er den Kopf und Henrik ließ von ihr ab. "Doch." murmelte sie zerknirscht und das konnte Henrik nicht glauben! "Beim letzten Mal wolltest du schon nicht, dass die Person dafür bestraft wird. Diesmal wurdest du verletzt und warst bewusstlos! Du weiß sogar, dass der Lehrmeister noch mehr verbrochen hat, als nur das, trotzdem möchtest du keine Strafe für ihn? Was muss noch passieren, damit du sagst, dass die Person für ihre Taten gerade stehen musst? Denk an dich und sei nicht so ängstlich zu sagen, dass du eine Strafe möchtest, es ist dein Recht! Was wäre wenn jemand auf Smeralda losgeht? Würdest du dann nicht wollen, dass der Täter gerichtet wird?" Er war ungewollt lauter geworden und brachte mit dieser Frage seine Tochter zum weinen. Sofort drückte er sie und bekam einen Schrecken. "Tut mir leid, das wollte ich nicht." Er strich über ihre Haare und wischte ihre Tränen weg. Henrik fühlte sich wegen seinem Verhalten mies. Alma beruhigte sich allerdings schnell wieder. "Alles in Ordnung." sagte sie leicht lächelnd und versuchte glücklich auszusehen.
"Warum möchtest du das nicht? Die Personen können nicht mit dir machen, was sie wollen und du lässt sie immer davon kommen." Auf diese Frage fiel Alma keine Antwort ein und Henrik redete ruhiger mit ihr weiter. Alma wusste, dass ihr Vater Recht hatte, aber sie traute sich nicht auszusprechen, dass sie eine angemessene Bestrafung für den Lehrmeister wünschte. "Weiß du, als du bei den Heilern lagst, hatten deine Mutter und ich große Sorgen um dich. Und dich jetzt reden zu hören, dass es passiert ist und sich nicht ändern lässt, trifft mich und deine Mutter. Es stimmt, ändern kann man die Situation nicht, aber denk an den Lehrling. Auch dieser leidet und das wird sich nicht ändern. Jetzt ist die Möglichkeit dazu, dem Lehrling zu helfen und dem Sensenschmieder seiner Berufung zu entziehen. Was aus ihm wird, ist nicht von Relevanz." argumentierte Henrik und umfasste Almas Hand. Er musterte sie besorgt und Alma nahm ihren Mut zusammen. "Bestrafe ihn." sagte sie kühl und Henrik war froh, dass sie sich endlich darüber im Klaren geworden zu sein. "Ich werde morgen mit dem Lehrling und Sibylle über den Lehrmeister reden."