Mit Hilfe von Berta zog Tiffany Richard auf, welcher mit seinen sechs Jahren ein aktives Kind war. Berta kam zu Besuch und die Frauen setzten sich an den Küchentisch. Auf diesem standen Kekse. Tiffany rief Richard, welcher aus seinem Zimmer gespurtet kam. Seine Haare waren schwarz wie die von Viktorius, aber so glatt wie Tiffanys. Er mochte es, seine Haare länger zu tragen.
Die Kekse erfreuten ihn gerade am meisten und er griff direkt nach zwei. Beim zubeißen fielen die spitzeren Eckzähne auf. "Wie ist denn die Schule?" fragte Berta den Kleinen, der sie wie eine Oma saß. "Gut, manchmal langweilig. Meine Mitschüler singen immer so ein komisches Lied von einem Hängemann, wenn ich da bin." Kurz verschränkte er die Arme, aß dann aber weiter. Tiffany und Berta sahen sich an. "Ich habe ihm gesagt, er soll nicht drauf hören." sagte sie etwas leiser mit einem Seufzer hinterher. "Aber was ist ein Hängemann?" fragte Richard unwissend und Tiffany überlegte sich eine Ausrede, um ihren kleinen Sohn nicht von Grausamkeit erzählen zu müssen. "Das erkläre ich dir, wenn du älter bist. Das ist nämlich etwas, das haben die Kinder von ihren Eltern, was für Kinder nicht geeignet ist." Richard konnte ihr folgen und sie strich über seinen Kopf. Er nahm sich noch einen Keks und lief in sein Zimmer zurück.
"Wann möchtest du es ihm sagen?" flüsterte Berta und Tiffany seufzte. "Wenn er älter ist und ungefähr weiß, was es ist und es verstehen kann. Einmal hat er mich nach seinem Papa gefragt und ich sagte nur, dass er schon bei den Engeln ist. Er verdient eine Erklärung, warum die Dorfbewohner so sind, wie sie sind und was genau mit seinem Vater passiert ist." Ihre Finger schlangen sich um die Teetasse und sie versank in Gedanken. "Letztens wollte Richard etwas aus dem kleinen Laden kaufen und wurde unhöflich bedient. Ich habe schon Leute gehört, die sagten, mein Vater wäre enttäuscht von mir und seinem Enkel. Mit welchem Recht reden sie so über meinen Vater und schätzen ihn so ein?" Den Kopf am Handballen abgestützt seufzte sie und wurde dem Thema leid. "Wenn ich könnte, würde ich weg von hier. Wenn möglich fahre ich schon immer zur Stadt und kaufe dort ein." Tiffany nahm einen Keks. "Ohne dich hätte ich es sicher nicht geschafft, danke." Sie lächelte Berta an und Berta freute sich über die Worte. "Ich bin dankbar, deinen Spross gesund und munter aufwachsen zu sehen."
Mit niedergeschlagener Laune kehrte der 16-jährige Richard heim. Die schwarzen Haare waren schulterlang und er trug sie stirnfrei. Er hatte ein einfaches schwarzes Hemd und Hose an, dazu die edlen Sonntagsschuhe. Ein Seufzen entlockte seiner Kehle und er stieg aus seinen Schuhen. Tiffany hatte schon gespannt auf ihren Sohn gewartet, aber als sie sein Gesicht sah, entglitt ihr ihr zu voriges Lächeln.
"Er wollte mich nicht haben." murmelte er und ging an seiner Mutter vorbei, um sich zu setzen. Vor ihm standen Kekse, wovon er sich einen nahm. "Warum nicht?" fragte Tiffany, während sie sich setzte. "Er hat gesagt, ich würde die Kunden nur vertreiben und dass er mich nicht einstellen würde wegen meinem sündhaften Vater." Er senkte den Kopf und dies zu hören versetzte Tiffany ebenfalls in nachdenklicher Stimmung. "Das ist nach der Schule schon die fünfte Stelle, wo ich nach einer Lehre frage! Jeder sagt das Gleiche! Und langsam gehen mir die Ideen in diesem Kaff aus!" Niedergeschlagen saß er am Tische und brachte seine Mutter ins Grübeln.
"Aber was hat Vater gemacht, dass alle ihn als Sünder sehen? Du hast einmal gesagt, du erzählst es mir, wenn ich älter bin!" bat er zu wissen und Tiffany knabberte an ihren Nägeln. Sie wusste, dass er Recht hatte. "Für die anderen ist er ein Sünder, aber nicht für mich." sagte sie und erzählte ihrem Sohn die Geschichte. "Deinem Vater ging es mental sehr schlecht. Ich wollte ihm helfen, aber ich habe nicht das erreichen können, was ich wollte. Wir waren nicht verheiratet und auch nicht lange zusammen. Ich bin schwanger geworden und du weiß ja, wie die Menschen das finden. Ich habe mich nicht getraut, es ihm zu sagen und als ich es wollte..." Sie beherrschte sich, nicht zu weinen. "Da hat er sich an der Dorfkirche erhangen." hauchte sie und Richard weitete die Augen. "Er hat sich selber das Leben genommen?" hakte er ungläubig nach und Tiffany nickte. Richard hatte immer gedacht, sein Vater wäre ein Verbrecher und anschließend dafür hingerichtet worden.
"Deshalb hat dein Papa auch kein hübsches Grab, weil die Dorfbewohner ihn hassten. Darum sind sie so gemein zu uns. Ich konnte dir das als kleines Kind nicht sagen, es wäre zu viel gewesen. Damit wollte ich dich nicht verstören." erklärte sie und Richard stand auf, um seine Mutter in den Arm zu nehmen. "Du bist die tapferste Mutter, die ich kenne. Wenn ich irgendwann eine eigene Familie habe, dann werden sie die beste Oma haben." lobte er sie und beide schmunzelten. Tiffany sah auf seine spitzeren Eckzähne, die sie ihn nicht zurechtschleifen konnte, wie es bei ihr einst getan wurde.
"Haha ja, bitte sorg dafür, dass der Dronner-Stammbaum niemals ausstirbt!" lachte sie und Richard entgegnete: "Mache ich! Dafür muss ich aber erst meine wahre Liebe finden. Kein Mädchen wollte bis jetzt mit mir gehen." Er setzte sich wieder. "Du bist 16. Dein Vater war auch mein erster und ich war 26."meinte sie aufmunternd, aber Richard gefiel die Vorstellung nicht.
"Solange möchte ich nicht warten. Vielleicht finde ich in der Lehre eine hübsche Freundin. Aber dafür muss ich erst eine Lehre finden." murmelte er und lehnte sich zurück. Seine Mutter überlegte. "Frag doch im Rathaus nach. Dein Opa war lange Zeit Beamter und hatte ein hohes Ansehen. Vielleicht denken sie, im Gegensatz zum Dorf, dass sie dich wollen, weil du sein Enkel bist." fiel ihr spontan ein und Richard dachte darüber nach. Tiffany dachte daran, dass ihr schon einige vorwarfen, das Thompson enttäuscht wäre, so einen Enkelsohn zu haben und dass sich seine Tochter unehelich hat schwängern lassen. "Ein Versuch ist es wert." meinte Richard motiviert und Tiffany freute sich, dass sie ihm helfen konnte. Innerlich hoffte sie, dass er diesmal Glück hatte.
Für seine Vorstellung beim Rathaus richtete Richard sich richtig her und seine Mutter wünschte ihn nur das Beste. Um sich die Wartezeit zu verkürzen, kam Berta vorbei. Ihre Haare waren mittlerweile ergraut, aber sie war gesund wie früher. Für dieses Zeitalter war sie ungewöhnlich alt geworden. "Ich hoffe so sehr, dass Richard die Stelle bekommt." flehte sie und Berta konnte ihre Aufregung verstehen. "Er wird eine Stelle finden." versicherte sie und lenkte Tiffany von diesen Gedanken ab. "Meine Enkelkinder waren gestern da. Sie haben sich sehr über den Kuchen gefreut." erzählte sie und Tiffany erwähnte das Gespräch mit Richard vom Vorabend. Vor Jahren musste Berta ihren Mann zur Grabe tragen und sie hatte nur noch ihre Kinder und Enkelkinder. Es dauerte länger als gedacht, bis Richard wieder nachhause kam und sofort stand Tiffany auf, um ihn zu fragen.
"Und?"
Sie war gespannt auf die Antwort.
"Ich habe die Lehrstelle!" rief er freudig und seine Mutter fiel ihn um die Arme. Vom Hintergrund hörte man Berta Glückwünsche aussprechen. "Sie haben mich auch nach meinen Opa gefragt und mir Anekdoten erzählt. Die sind begeistert, wieder einen Dronner anlernen zu dürfen." Vor stolz funkelten Tiffanys Augen und sie konnte es kaum erwarten, wenn er anfing. Gemütlich setzten sie sich hin und anlässlich dessen holte Tiffany einen Wein hervor. Sie tranken nur sehr selten und bei besonderen Anlässen. Für sie war heute eben solch ein Anlass. Richard mochte diese seltenen Tage, an denen Wein getrunken wurde. "Ich erinnere mich noch daran, wie du mich nach der Bedeutung von Weihnachten als kleiner Junge gefragt hast und jetzt machst du deine Lehre, hach." glücklich seufzte sie. "Ich erinnere mich! Du hast erzählt, dass der Himmelsfürst am 24.12 einen Engel auf die Erde geschickt hat, der den Menschen half, bis Ungläubige ihn austrieben und der Engel verschwand." Munter sah er dabei zu, wie seine Mutter den Wein ausschenkte. Er wusste, dass sie nur ein Glas trinken würde und er den Rest der Flasche. Tiffany wurde von Alkohol sehr schnell müde. "War das nicht das Weihnachten, indem ich dir ein Plüschtier geschenkt habe?" merkte sie an und Richard nickte. "Ja, den habe ich sogar noch auf meinem Bücherregal stehen!" Das zu hören freute Tiffany und sie hoben das Weinglas.
Es kam, wie Richard es voraussagte. Er hatte schon zwei Gläser intus, seine Mutter nippte noch an den Ersten. "Dieses Lied damals, dass ein paar Kinder gesungen haben, war das auch über?" fragte er und brach ab. Tiffany nickte.
"Ein grausames Lied. Deshalb wollte ich nie, dass du es nach singst und habe dir nicht davon erzählt, worauf es anspielt. Nach dem Tod deines Vaters haben sie angefangen, das zu singen." Sie seufzte und leerte ihr Glas.
"Übertreib nicht, du muss morgen los." mahnte sie ihn und damit er nicht in Versuchung kam, sie kannte ihren Sohn und seinen Hang zum Wein, nahm sie ein zweites Glas und leerte die Flasche. Sie wusste, dass sie das bereuen wird, aber sie wollte auch nicht, dass ihr Sohn verkatert zu seinem ersten Lehrtag ging.
In der Lehre wurde Richard gut aufgenommen und er machte einen guten Job im Amt, sorgte für die Verwaltung, die Bürger, wenn sie umzogen und fühlte sich bei der Arbeit wohl. Er wurde unerlässlich für das Dorf.
Ohne eine Form von Emotion zu zeigen, welche er auch nicht besaß, führte Josef die Aufträge des Todes aus. Er sorgte dafür, dass das Zwischenreich im Gleichgewicht blieb und Seelengeleiter bestraft wurden, die gegen die Regeln verstießen.
Zwischen zwei Seelengeleitern gab es vor aller Öffentlichkeit einen Konflikt. "Denkst du ich habe Lust hier zu sein?! Ich wusste nicht, dass wir für die Scheiße auf Erden hierherkommen!" brüllte ein stämmiger Mann einen anderen an und irgendwas ließ die umstehenden Totengeister glauben, dass beide Kriminelle waren, die Lebtagen zusammen krumme Dinge gedreht haben. "Halt die Fresse!!" schrie das Gegenüber und vor Wut hob er die Sense und stach sie in den Körper des anderen. "Ich bin nur wegen dir an diesem Drecksort." zischte er und seine Augen weiteten sich, als sich der Körper auflöste und ein Engel erschien. Die Totengeister wurden lauter, als sie den Mord sahen und Viktorius kam gerade von einem Geist wieder, als er das Szenario mit ansah. Der Verbliebende wurde panisch und wollte flüchten, doch wurde aufgehalten. "Wohin des Weges?" fragte Viktorius und packte seine Schulter. "Weg da!" befahl der Mörder laut und stieß Viktorius zur Seite, welcher ihn nicht gehen lassen ließ.
"Du bist der Nächste!" rief der Mörder in seiner Wut und schwang seine Sense. Viktorius konnte diesen Schlag abwehren und hielt dem nächsten stand, bevor er den Angreifer zurück drängte.
"Es reicht!" vernahmen beide eine Stimme und sie sahen, dass Josef zu ihnen kam. Er hatte von dem Mord erfahren und schien Viktorius Einsatz zu loben. Er kettete den Mörder an und Viktorius, ihm zu folgen. Der Seelengeleiter wurde von der Gilde verurteilt, nachdem Viktorius und weitere Zeugen ausgesagt hatten. Bis auf Viktorius durften alle Zeugen gehen. Das Urteil lautete Henker und Josef brachte den Verurteilten in die Henkerszelle, während Viktorius zum Tod gerufen wurde.
"Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe. Das Angebot steht weiterhin." dankte der Tod und wies ihn erneut darauf hin, aber Viktorius lehnte ab. "Es war Zufall, mehr nicht. Ich habe nicht nachgedacht, einfach gemacht." entgegnete er und Gevatter Tod nickte. "Ich denke, Sie wären dafür geeignet, aber die Entscheidung liegt bei Ihnen." Darauf ging er nicht ein.
"Die Strafe lautete Henker?" hakte Viktorius nach und der Tod nickte. "Ich werde ihn richten. Dabei wird seine Seele ausgelöscht und er existiert nicht mehr." erklärte er und Viktorius wurde hellhörig. "Wie das."
"Meine Sense und die Henkerssense, die speziell für Hinrichtungen verwendet wird, sind die stärksten Sensen im Totenreich. Sie löschen die Seele vollständig aus. Die Sensen von euch Todesgeister sind nicht dazu in der Lage, Seelen zu vernichten." Von der Erzählung war Viktorius angetan. "Und gibt es keinen Henker, der dies macht?" fragte er und der Tod schüttelte den Schädel. "Haben Sie schonmal darüber nachgedacht, einen Gehilfen für den Henkersjob zu nehmen?" Langsam verstand der Sensenmann. "Seine Identität müsste geheim gehalten werden und er müsste dazu fähig sein. Außerdem müsste ich den Himmel fragen, ob er solch eine Seele nach der Erlösung noch will, die diese Tätigkeit ausführt." erklärte er und Viktorius nickte. "Ich würde dieses Angebot als Gehilfe sonst gerne annehmen und die Henkersarbeit verrichten. Ich verstehe den Lebenssinn von Menschen nicht, ich käme damit klar. Und der Himmel gibt sicher sein Einverständnis." Dieses Engagement freute den Tod und er entschuldigte sich, dass er Viktorius bitten musste, zu gehen, um Rücksprache halten zu können.
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Der Sensenmanngeist orderte Viktorius zum Sensenmann, wo ihn mitgeteilt wurde, dass der Himmelsfürst einverstanden sei. "Ich möchte Sie zur Hinrichtung mitnehmen und es Ihnen zeigen, bevor ich Ihnen alles erkläre. Die wichtigste Regel vorab, niemand darf wissen, dass Sie der Henker sind. Ich verlange strengste Geheimhaltung!" Seine Stimme wurde streng und Viktorius versprach es.