Mitten in der Nacht wurde Cedric durch ein Geräusch geweckt und stand auf, als er sah, dass Felicia nicht neben ihm lag. Er schlich in das Wohnzimmer und entdeckte Felicia auf dem Sofa sitzend mit angewinkelten Beinen. Auf dem Wohnzimmertisch stand ein Karton. Cedric bemerkte die offene Schranktür und ahnte, dass der Karton davon kommen musste.
"Felicia? Was machst du?" fragte er noch ein wenig verschlafen und Felicia zuckte zusammen, als sie ihn bemerkte. "Cedric... Ich." Sie sah zu ihm und senkte dann den Kopf. Ihr Gatte sah das Buch, welches neben ihr lag und nahm es zur Hand. "Das ist ein Buch über die Allgemeinmedizin für die Heiler." merkte er an und blätterte zu den markierten Seiten. Er schlug es wieder zu, als ihm die Bilder von Felicias Vivisektion entgegen blickten.
In dem Karton erblickte er weitere Bücher über die Medizin, bevorzugt Humanmedizin. Alle diese Bücher waren über 100 Jahre alt und auf den Stand der veralteten Medizin. Dies wurde Cedric bei einem Eintrag über Lobotomie bewusst. Aus einem der Bücher guckte ein Bild heraus und als Cedric es zur Hand nahm, erblickte er die 17-jährige Felicia mit Paul im Heilertrak. Beide trugen einen Arztkittel und Paul hatte ein stolzes väterliches Lächeln auf den Lippen, während Felicia am lachen war, als die Fotografie geschossen wurde. Sie sahen aus, wie das perfekte Vater-Tochter-Gespann.
"Das war kurz, bevor er sich veränderte." flüsterte Felicia und Cedric steckte das Bild zurück. "Weiß du, wie verletzend es ist, wenn du von der Person verletzt wirst, die du am meisten bewundert hast?" hauchte sie traurig und blickte zu Boden. Cedric setzte sich neben sie auf das Sofa und hielt sie schützend im Arm. "Ich wollte so gerne Heilerin werden, doch er hat mir diesen Traum genommen. Weiß du, nachdem ich meine Lehre beendet hatte, hatte ich durchaus mit dem Gedanken gespielt, Heilerin zu werden und es fiel mir nicht leicht, diesen Traum endgültig zu begraben. Jahrelang, von Kindesbeinen an, hatte ich davon geträumt und mir wurde immer gesagt, ich hätte das Talent dafür. Ich hatte mich so bemüht, wenn er mir was beibrachte... Es fühlt sich an, als hätte ich mein Talent weggeworfen und manchmal frage ich mich was gewesen wäre, wäre ich Heilerin geworden." Sie klang, als würde sie weinen wollen, doch sie konnte nicht. "Ich hasse ihn dafür... Ich bin froh, dass er weg ist." Ihre Wut gegenüber ihren Vater kam wieder hoch. "Wegen ihm habe ich die Heiler gemieden. Ich wusste, wie es ihn erfreut hätte, mich anzulernen, diesen Gefallen wollte ich ihm nicht tun. Ich wollte nicht in seiner Nähe sein und von anderen den Ruf als seine Tochter weghaben. Im Nachhinein widert es mich an, dass er mich als sein Ebenbild gesehen hat. Das bin ich nicht." zischte sie und Cedric hätte nicht damit gerechnet, dass Felicia in einigen Punkten noch unter ihren Vater zu leiden hatte, mit dem was er ihr angetan hatte. Er war der Ansicht, sie würde darüber stehen und ihn für all dies verachten.
"Und dann das Gespräch heute mit deinem Vater. Ich muss die ganze Zeit darüber nachdenken." gestand sie und Cedric griff nach ihren Händen. "Warum probierst du es nicht aus? Deine Erzeuger können dir nichts mehr anhaben, du bist frei. Wenn es dir missfällt, kannst du die Lehre abbrechen, dann hast du es zumindest versucht." meinte Cedric aufgeschlossen und Felicia war sich weiterhin unsicher, ihren langgehegten Traum zu folgen.
"Ich möchte auch nicht umziehen. Du weiß, dass Heiler in der Nähe des Heilertrak leben." erwähnte sie, als Cedric ergänzte: "Dafür findet sich eine Lösung. Vielleicht können wir mit dem Tod sprechen, dass wir dies nicht möchten." Darüber dachte Felicia nach. "Wenn wir nicht umziehen müssten, wäre es eine Überlegung wert." murmelte sie, als Cedric sie diskret fragte: "Was sagt dir dein Bauchgefühl?" Allerdings wusste Felicia darauf keine Antwort und sie einigten sich darauf, erstmal den Tod zu fragen, ob sie umziehen mussten oder ihre Wohnung behalten durften.
Das Ehepaar suchte am nächsten Tag das Gespräch mit dem Sensenmann. Felicia erzählte ihm von ihrer Situation und fragte dann, ob sie zwingend umziehen müsse.
"Nein, nicht unbedingt. Es ist vom Vorteil, in der Nähe zu wohnen, aber ihr seid Todeswesen. Wenn ihr nicht möchtet, kann ich euch deswegen nicht die Lehre verweigern, solltet ihr diesen Weg einschlagen." erklärte der Tod und Felicia dankte ihm für seine Antwort. Diese Antwort brachte Felicia nur mehr ins grübeln und daheim sprach sie mit Cedric.
"Und was gedenkst du zu tun?" fragte Cedric, als sie sich auf das Sofa setzten. "Ich würde gerne, aber ich möchte diesem Monster nicht noch ähnlicher sehen." gestand sie und Cedric wollte ihr diesen Gedanken nehmen.
"Du bist nicht wie dein Erzeuger und du trittst auch nicht in seine Fußstapfen. Es ist deine freie Entscheidung. Versuch dich an dieser Lehre und wenn du merkst, dass es dir psychisch zusetzt, brich sie ab. Nur so weiß du, was wäre. Es ist besser, als bis zum Ende zu bereuen, es nicht versucht zu haben." erklärte Cedric und mit seinen Argumenten hatte er nicht Unrecht.
"Okay, ich werde es zumindest versuchen und gucken, wohin mein Weg mich führt." Cedric freute sich für seine Frau und gab ihr einen Kuss auf die Lippen.
Bevor sie ihre Meinung ändern konnte, führte ihr Weg sie zu den Heilern. Zögerlich klopfte sie an der Tür zur Leitung der Heileranstalt und wurde hineingebeten.
Mit überkreuzten Beinen drehte sich Jayna zu Felicia um und war überrascht sie zu sehen. "Felicia? Guten Tag, was führt dich her?" hakte sie nach und Felicia schloss die Tür hinter sich.
"Ich..." Es fiel ihr schwer es auszusprechen. "Ich möchte meine Heilerlehre bei euch anfangen." sprach sie es dann aus und Jayna war anfangs ungläubig, als sie diese Worte vernahm. "Ja? Woher kommt dieser Wandel? Ich meine, natürlich freue ich mich, es überrascht mich nur. Aber natürlich, ich lerne dich gerne an. Setz dich zu mir und ich erkläre dir alles, was dich in der Lehre erwartet."
Daraufhin nahm sich Felicia einen Hocker und hörte Jayna gut zu.
Im Krankenhaus beugten sich Gina und die kleinen Engel über eine Frau, die den Tod im Leibe trug. Die kleinen Engel umsorgten die Seele des Ungeborenen.
"Warum ist der Tod so grausam und tötet ein Ungeborenes?!" vernahm Gina die Stimme der Frau und horchte auf. "Der Tod tötet nicht... Er nimmt sich nur der Seele der Lebenden an." murmelte sie, während sie zur jungen Frau blickte. Die kleinen Engel kehrten in den Himmel zurück und so verschwand auch Gina aus dem Krankenzimmer und wandte sich einem weiteren Seelengeleit zu.
Gina geleitete die Seele zweier Stierkämpfer, die bei einem traditionellen Fest ihr Leben ließen. Sie bemerkte den weißen Sensenmann, welcher monoton zu den Menschen sah, die daraufhin die Tiere mit Gewalt aufhalten wollten. In den Augen des weißen Todes spiegelte sich Hass wieder. Der weiße Sensenmann war Mutter Naturs Geschöpfen sehr verbunden.
Nach diesem Seelengeleit kehrte Gina zum Hof zurück. Gamia und Fritz saßen auf der Wohnzimmercouch und sahen sich einen Horrorfilm an. Es ging um einen Mann, der sich einen Parasiten einfing und seine Freundin mit diesen Parasiten schwängerte. Was wie ein Trash-Film klang, entpuppte sich als guter Body Horror Streifen. Gamia und Fritz waren zumindest sehr angetan.
"Denkst du, der Himmelsfürst würde sowas zulassen?" fragte Gamia und beide schmunzelten. Gina setzte sich zu ihnen und Fritz zog sie an sich. "Ich habe Gamia schon davon erzählt, wir wollen uns Wochenende mit Frederic und meinen Eltern treffen. Frederic bringt Ferdinand mit und du darfst natürlich auch kommen. Bist du dabei?" fragte Fritz und strich über ihren Arm, während er zu ihr sah. "Natürlich." antwortete Gina schmunzelnd und sah dabei zum Fernseher.
Samstagnachmittag fanden sie sich bei Cedric und Felicia zusammen. Zu siebt fanden sie sich ein. Cedric musste Felicia aus dem Arbeitszimmer holen, als der Besuch eintraf. Frederic merkte dies sofort an. "Warst du noch am Akten schreiben?" fragte er und fuhr durch sein langes Haar, welches er offen trug. Er hatte sich besondere Mühe bei seinem Outfit gegeben. Es war in schwarz gehalten. Das Oberteil zierte Nieten. Seine Arme wurden von Fischnetzärmeln bestückt. Er trug einen mittellangen rock im Gothik-Stil mit Schnallen und Nieten. Er trug Boots dazu und schwarze lange Socken. Felicia setzte sich und nahm dies als Anlass, von ihrer Lehre zu erzählen. "Tatsächlich nein. Ich war am lernen. Ich habe mich dazu entschlossen, meine Heilerlehre zu machen."
Die Familie freute sich, war aber auch überrascht. Sie kannten Felicias Geschichte und waren darum verwundert, weshalb sie sich doch noch dazu entschlossen hatte. Dies erklärte sie ihrer Familie ohne größere Umschweife. "Mutter packt das schon." schmunzelte Frederic und legte den Arm um Felicia, die sich geschmeichelt fühlte. "Ach, das dauert doch noch alles seine Zeit. Vielleicht merke ich auch, dass es doch nicht meins ist. Ich möchte es zumindest probieren." entgegnete sie leicht beschämt. Insgeheim stärkte ihre Familie ihr tun.
Die Familie erfreute sich bei einem Brettspiel. Dieses gewann Frederic schon fast mühelos. Er war auch der erste, der sich verabschiedete und mit Ferdinand heimkehrte. Fritzs Familie verabschiedete sich nach einem letzten Kartenspiel, welches Felicia ungewöhnlich schnell verlor. Sie wirkte nicht wirklich anwesend und nach dem Familientreffen setzte sie sich wieder an ihre Lehrbücher. Die Heilerlehre war keine leichte Lehre.
Gamia setzte sich an den Küchentisch, an welchen auch Niklas saß, welcher die Zeitung las. Die Schlagzeilen bestanden seit geraumer Zeit aus: Mehr Klimaflüchtlinge, fehlende Ressourcen, weiteres Tier ausgestorben!
Niklas blätterte diese nur noch durch, legte sie zur Seite und wandte sich an Gamia. "Wie wars?" fragte er und Gamia meinte ruhig: "Sehr schön. Meine Oma macht ihre Heilerlehre. Wenn du möchtest darfst du immer mitkommen. Wenn hier wieder ein Familientreffen stattfindet, bist du dabei, oder?" Sie wusste, dass Niklas nicht oft bei Familientreffen, die im Zwischenreich stattfanden, dabei war. "Natürlich." meinte er ruhig und lächelte in Gamias Richtung. Er stand auf und gab ihr einen Kuss, bevor er durch die Tür ging, um noch eine Kleinigkeit auf dem Hof zu erledigen. Gamia entschloss den Tag mit einem Buch entspannt ausklingen zu lassen.