Spät Abends kam Gamia heim und bemerkte in der Schnelle Niklas, wie auch er Feierabend machte. Er sah sie und winkte unauffällig, verschwand aber schnell ins Haus. \Sie war lange weg./ dachte er, erfand jedoch irgendwelche Erklärungen dazu, unternaderem, dass sie Überstunden machen musste oder nach Feierabend woanders war. Es stimmte ihn immer noch komisch, wie sie ihn direkt nach seiner Mutter gefragt hatte. Bevor er ins Bett ging nahm er sich ein Buch aus dem Regal, dessen Titel "Psychopompos- Seeelengeleiter" lautete und sich um den Tod beschäftigt.
Erneut besuchte Gamia am nächsten Tag Niklas. "Kann ich dir wieder bei etwas helfen?" fragte sie nach, aber Niklas schüttelte den Kopf. "Nein, danke. Ich komme alleine klar, sonst sage ich Papa Bescheid." wies er sie ab und unbegeistert lief Gamia wieder zurück zu ihrem Haus und entdeckte ihren Vater im Garten. Sie war ziemlich überrascht, als sie ihn am bauen mit Brettern und Akkuschrauber sah. "Hallööchen, Gamia! Kommst du von Niklas? Du bist ja schnell wieder da." merkte er an, linste zu ihr und Gamia seufzte, während sie sich ins Gras setzte. "Ich habe ihn gefragt, ob er Hilfe braucht, weil ich mehr raus finden wollte, aber er ist gestern schon meiner Frage um seine Mutter ausgewichen und hat mich eben komplett abgewiesen." erzählte sie und Fritz unterbrach seine Arbeit, um sich im Schneidersitz zu seiner Tochter zu setzen.
"Vielleicht fällt es ihm schwer, darüber zu reden. Du musst auch bedenken, dass ihr euch noch nicht solange kennt und er wirkte schüchtern. Kann auch gut sein, dass sie nicht mehr lebt. Erlöst, umgekommen, kann alles sein und ich denke nicht, dass Niklas eine Person ist, die eher fremden Menschen direkt sowas erzählt." erklärte er ruhig und das leuchtete Gamia ein. "Das kann ich verstehen, da hast du Recht. Ich kann ihn zu nichts zwingen, aber am liebsten würde ich ihn direkt auf die Thematik mit den Todesengel ansprechen. Niklas hat genauso wie wir gespürt, was wir sind, das weiß er!" Während der Aussage ballte sie die Hände zu Fäusten und wurde ein wenig sauer. Ihr Vater beruhigte sie. "Warte lieber ab, ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee wäre." meinte er mit einem kritischen Blick und strich über ihre Hand. Gamia senkte den Kopf und wirkte im Gedanken versunken, seufzte dann und blickte sanft zu Fritz. Sie musterte das Holzkonstrukt interessiert und fragte: "Sag mal, was baust du denn da?"
Fritz grinste perplex. "Deine Mutter hat vor kurzem gesagt, wenn ich in der Menschenwelt bleiben möchte, brauche ich eine ordentliche Tätigkeit. Jetzt baue ich erstmal einen Entenstall und suche mir nebenbei was. Wird anfangst kompliziert, aber kommt mit der Zeit." antwortete er glücklich und lehnte sich zurück. Seine Hände fuhren durch das kalte Gras, aber als Todeswesen merkten sie die Kälte nicht. "Ist es als Todesengel nicht schwerer, in der Menschenwelt nicht aufzufallen?" merkte Gamia fragend an und Fritz überlegte, wie er darauf antworten sollte, bis er grinste. "Es ist anstrengender, aber man trickst sich so durch. Egal ob bei Geburtstag, wenn man schon ein älterer Todesengel ist oder man kann auch jederzeit wieder verschwinden. Uns stehen viele Mittel zur Verfügung, um nicht aufzufallen." Es war typisch für Fritz, immer wieder irgendwelche Wege zu finden, um die Menschen um ihn herum, geschick zu betrügen.
Gina kam von der Totenwelt wieder, sah ihre Familie im Gras sitzen und gesellte sich zu den beiden. Ihr entfuhr ein seufzer und Fritz fragte besorgt nach. "Ach, ich denke nur ein wenig über etwas nach." urmelte sie, während Fritz zu ihr rüber rückte und den Kopf an ihre Schulter lehnte.
Frank gesellte sich zu seinem Sohn. "Soll ich dir gleich einmal zur Hand gehen?" erkundigte er sich und Niklas bejahte seine Frage. Er lief zu seinem Vater. "Dasselbe hat Gamia mich vorhin auch gefragt." erwähnte er und überrascht schaute Frank ihn an. "Und warum ist sie denn nicht hier? Sie hätte doch mithelfen können und ihr hättet euch besser kennengelernt. Immerhin wohnen sie noch nicht lange hier." meinte Frank verdutzt und bei dieser Aussage schaute Niklas schuldbewusst zur Seite. "Ist vielleicht besser so, wenn wir uns nicht besser kennenlernen." murmelte er mit gesenkten Blick und hielt sich seinen linken Arm. Seufzend umfasste Frank die Schulter von Niklas und wusste Bescheid, denn er kannte seinen Sohn sehr gut.
"Jetzt sag nicht, du möchtest keinen Kontakt mit ihr, weil du ein Halbtodesengel bist? Niklas, sie ist doch ein Todesengel und kann dir soviel erzählen, warum lehnst du sie ab? Sie weiß sicherlich genau, was du bist." Einen Moment dachte Niklas über diese einfühlsamen Worte nach. "Ich kann und mag Kontakte nicht gerne vertiefen. Lieber halte ich sie oberflächlich. Weiß du, wie schlimm es eigentlich ist, Menschen anzuschauen und zu wissen, wann diese sterben werden? Oder längst verstorbene Leute zu sehen? Für mich ist es mittlerweile etwas normal geworden, ich lebe damit, aber es ist nicht schön."
In Niklas Augen funkelte eine gewisse Traurigkeit und er ließ den Kopf hängen. Er war damit großgeworden, aber es belastete ihn. Frank zeigte Mitgefühl seinem Sohn gegenüber, umfasste Niklas Schulter und war betrüb über die Worte seines Sohnes. "Es tut mir leid, mir hätte klar sein müssen, dass Lebende sich von den Toten fernhalten sollten." meinte Frank mit einem schlechten Gewissen, aber Niklas unterbrach ihn. "Nein, es ist in Ordnung, dass ihr meine Eltern seid! Sonst wäre ich doch jetzt nicht hier." Ein kleines Lächeln schlich sich auf Franks Lippen. "Bei Gamia ist es aber nicht das Problem, bei ihr siehst du nichts. Egal was du denkst, lass es auf dich zukommen und weise sie nicht ab, wer weiß, was du dadurch alles verspielst." Er ließ von Niklas Schulter ab. Zu den Worten seines Vaters sagte Niklas nichts, ließ sie sich aber durch den Kopf gehen und musste sich eingestehen, dass alle seine Argumente hinfällig waren.
"Hallo Rin!" grüßte Frank und riess Niklas damit aus seinen Gedanken. Dieser drehte sich um und erblickte Rin mit einem großen schwarzen Hut, an dem ein Seidentuch angenäht war, welches ihr Gesicht verdunkelt. Dazu trug sie ein aufwendiges Kleid in Schwarz und hohe Schnürstiefel. Monoton grüßte sie zurück und wendete sich an Niklas. "Ich muss mit dir reden."
Verwundert nickte Niklas und lief mit Rin ein kleines Stück. "Worum gehts?" fragte er interessiert nach und konnte sich nicht vorstellen, was Rin wollte. Rin stoppte und schaute Niklas direkt an. "Es geht um die neuen Nachbarn." fing sie an und ihr Gesicht zeigte keine Regung. Niklas blickte Rin an, bevor sie hemmungslos sagte: "Hast du auch gemerkt, dass alle drei Todesengel sind?"
Erst antwortete Niklas nicht und dachte über die Frage nach, bevor er dann zugab, dass er es auch gespürt hat. "Für dich ist es nicht verkehrt, dass sie hierher gezogen sind. Sie können dir sicher Antworten auf deine Fragen geben. Mach dir darum auch keine Gedanken über dein Problem mit anderen Kontakt zu halten. Bei der Familie ergibt es keinen Sinn.", Niklas war überrascht darüber, dass Rin seine jetzigen Gedanken wusste. "Ich kann dich nachvollziehen. Menschen und Tiere meiden mich, anscheinend spüren sie, was in mir steckt. Mich stört das nicht, ich bin lieber alleine und kann menschlichen Beziehungen nichts abgewinnen. Du selber verschließt dich, obwohlt du nicht gemieden wirst wie ich." Ihr Blick war durchdringend und kalt. Rins Worte hatten etwas einflößendes und Niklas wurde sich immer mehr bewusst, dass er einen Fehler machte.
Rin lief zurück zu ihrem Haus und setzte sich draußen auf die Stufe hin. Nicht viele Leute liefen in der Gegend rum, aber Rin beobachtete diese Menschen genau. Ein Pärchen spazierte am Haus vorbei. "Hoffentlich habt ihr bald viel Spaß zu dritt." murmelte sie leise und bemerkte einen kleinen Jungen mit seinen Großeltern. "Pass auf, wenn du über die Straße läufst." Eine Weile saß sie noch im Schneidersitz auf der Treppenstufe, bis ihr Vater kam und grinste. "Deine Mutter hat auch gerne die Menschen beobachtet." erwähnte Norbert. Lächelnd setzte er sich zu ihr und strich über ihr Haar, was Rin dazu veranlasste, ihren Hut beiseite zu legen. Stolz zog er sie an sich und strich über ihre Haare.
Gemeinsam arbeiteten Niklas und Frank auf dem Hof weiter. Gedanklich war Niklas nicht da und hoffte Gamia bald wiederzusehen. Er hatte viel nachgedacht und sich dazu entschlossen, es auf sich zukommen zu lassen und sich ihr anzunähern.
Hartnäckig wie Gamia war, lief sie auch am nächsten Tag zu Niklas und als sie ihn fand, fragte sie erneut, ob sie helfen könnte. "Ja, gerne!" antwortete Niklas diesmal und war innerlich nervös. Gamia freute sich darüber. Zusammen fütterten sie die Tiere. "Dir gefällt es wohl sehr auf dem Hof." schmunzelte Niklas und Gamia nickte zustimmend. "Hoffentlich störe ich nicht, wenn ich immer mal vorbeikomme." Ihr Gegenüber schüttelte den Kopf. "Hilfe ist immer gut und ich freue mich, dass du dich dafür begeisterst." Er musterte Gamia für einen Augenblick, blickte aber wieder zu den Kühen. "Bevor du dich schmutzig machst, lass uns doch lieber hoch gehen und ich gebe dir Arbeitskleidung." Gesagt, getan und kurzerhand stand Gamia in Latzhose und Gummistiefel vor ihm. Fritz sah die beiden durch den Hof laufen und musste grinsen, als er seine Tochter in Arbeitshose sah und arbeitete dann an seinem Stall weiter.
Gemeinsam streuten sie die Hütten mit Stroh ein und streichelte nebenbei die Galloways und Schafe. Dabei versuchten sie ins Gespräch zu kommen. "Wann hast du denn Geburtstag?" erkundigte Gamia sich. "Am 22.11. Ich bin übrigens 21, bevor du fragst." antwortete Niklas, während er ein Schaf mit den letzten Blättern eines Baumes fütterte. Das brachte Gamia zum kichern. "Lustig, ich bin auch 21 und habe am 23.11 Geburtstag." "Das ist ja ein Zufall." lachte Niklas mit ihr und bemerkte aufziehende Wolken, als er zum Himmel hinauf sah. "Wie gut, dass wir noch eingestreut haben. Dann haben es die Tiere nachher gemütlich." merkte er an und lief mit Gamia zur Halle, um den Trecker in die Halle zu fahren, damit dieser wettergeschützt war. Es fing gerade an zu regnen, als sie in der Halle standen. Niklas räumte ein paar Gegenstände zur Seite. "Das ist jetzt doof, aber was solls." murmelte Niklas mit einer lockeren Haltung. "Mich stört der Regen nicht." meinte Gamia und wusste, sie könnte einfach durch ein Flügeltor gehen. "Mich auch nicht, aber ich wollte noch Bretter an die Hütte schrauben, daraus wird jetzt nichts. Dann räume ich hier drin eben noch weiter um."
Gamia drehte sich zu ihm und fasste sich den Mut, diesen Moment der Ruhe zu zweit, für sich zu nutzen. "Niklas?" Ernst sagte sie seinen Namen und Niklas zuckte zusammen. Die Nervösität versuchte er zu verstecken und sah sie perplex an. "Ja?" Ein bisschen hatte er Angst. "Ich möchte dir nicht zu nahe treten...", fing Gamia vorsichtig an. "Wir wissen, denke ich, beide Bescheid. Du bist ein Halbtodesengel."