Sarah blieb der Arbeit fern, um die Schocknachricht verarbeiten zu können. Heather erfuhr als erste und einzige davon und war zutiefst bestürzt. Sie saß mit Sarah auf deren Sofa. Auf dem Beistelltisch lagen ungeöffnete Zigaretten.
"Die muss ich noch wegschmeißen." merkte Sarah und knibbelte mit den Fingern nervös an ihrer Leggings. "Bald bin ich auch ein Glatzkopf, Heath." seufzte sie und sank tiefer in das Sofa.
"Ich habe immer nur mitbekommen, wie Menschen erkranken und nie daran gedacht, ebenfalls an Krebs zu erkranken. Heath, ich will nicht daran sterben, im Krankenhaus, angeschlossen an Maschinen. Das wäre doch ein Alptraum!" Sarah zitterte und fing zu weinen an. Heather fasste ihre beiden Oberarme.
"Sarah, du warst rechtzeitig beim Arzt und er konnte es früh genug feststellen. Die Chancen liegen gut. Ich glaube daran, dass du den Krebs in den Hintern trittst." Ihre Worte sollten aufmuntern, aber Sarah konnte kaum darüber schmunzeln.
"Es fühlt sich an, als würde ich mir meinen Körper mit einem Monster teilen. Ich will dieses Etwas einfach nur aus mir raus haben." Ihre Schluchzen wurde lauter. "Man, ich sag das echt ungerne, aber ich bin Johannes dankbar dafür, dass er mir diesen Rat gab. Sonst wäre ich nicht zum Arzt gegangen und dann wäre es wohl zu spät gewesen." Sie schniefte und nahm sich ein Taschentuch. "Wer übernimmt den Betrieb, wenn ich sterbe?" hauchte Sarah und Heather entgegnete: "Darüber solltest du jetzt nicht nachdenken! Und soweit wird das nicht kommen. Du wirst es überstehen. Ich unterstütze dich!" Heather schenkte Sarah ein aufmunterndes, hilfsbereites Lächeln. "Ich wünschte ich könnte das so optimistisch sehen wie du, aber es geht nicht." Beide senkten den Blick.
"Weiß du, Sarah, ich weiß ehrlich gesagt kaum, was ich sagen soll. Ich hatte nie Krebs oder andere körperliche Gebrechen. Ich weiß nicht ansatzweise, was du durchmachen musst." Mit ihrer Hand strich Sarah über Heathers Schulter. "Ich danke dir trotzdem für deine Unterstützung. Vielleicht möchtest du ja auch die Firma übernehmen?" Heather stockte und schüttelte den Kopf. "Nein, ich denke nicht. Ich bin nicht zum Chef sein geboren."
"Ich doch auch nicht." Sarah schmunzelte und Heather rollte leicht die Augen.
"Ich bleibe ehr die persönliche Sekretärin, als selber im Chefsessel zu sitzen." fuhr Heather fort. "Ich habe zur Genüge bei Damian mitbekommen, was das für eine Arbeit bedeutet. Von Mutter weiß ich, dass es bei meinem Erzeuger nicht anders war mit dem Stress." Sarah hörte Heather aufmerksam zu.
"Alles gut. Du musst das nicht tun. Es gibt genug andere Wege."
Die Diagnose war für Sarah ein Schlag in die Magengrube gewesen. An guten Tagen versuchte sie die Situation mit Scherzen aufzulockern, an den schlechten verblieb sie daheim und weinte viel. Heather bot Sarah ihre Unterstützung an und lernte alsbald die Abrechnungen. Eine Aufgabe, die Heather ungerne erledigte. Sarah war erfreut, dass sie die Sorge um den Betrieb loslassen konnte, um sich voll und ganz auf ihre Genesung zu konzentrieren. Die Behandlung verlangte ihr ihre Kräfte ab. Ihr Haar wurde dünner und die Arztbesuche nervten sie zunehmend. Sie konnte die kahlen Wände des Krankenhauses nicht mehr sehen. Umso erfreuter war sie, wenn Heather, andere Kollegen oder ihre Verwandten zu Besuch kamen. Obwohl die Ärzte ihr Heilung versicherten, setzte sie ein Testament auf und plante im Vorfeld ihre Beerdigung. Die Behandlung dauerte ihre Zeit, aber sie schlug an und ließ Sarah heilen. Während dieser Prozedur waren ihre Gedanken vermehrt zu Johannes rübergegangen. Ihr war bewusst, dass sie ohne seine Worte nicht so gute Chancen gehabt hätte.
Johannes betrat die Gilde, um seinen Dienst anzutreten. Ihm blickte bereits Henrik mit einem ernsten Gesichtsausdruck entgegen. Johannes begrüßte ihn. "Was gibt es, dass du so mies dreinschaust?" hakte er nach und Henrik verwies auf die große Tür. "Der Tod möchte dich dringend sprechen." Er lief zur großen Tür, klopfte und wurde hineingebeten. Der Sensenmann erwartete ihn bereits.
Er war alleine. Johannes verneigte sich leicht. "Ihr wolltet mich sprechen?" fragte er und der Tod nickte. Er holte eine schwarze Akte hervor, mit welcher er zu Johannes ging. Er überreichte ihn diese.
"Schlag sie auf." Langsam schlug Johannes diese auf und erahnte bereits, was ihn entgegen blicken könne. Er behielt Recht mit seiner Vermutung.
Es war Sarahs Akte, die er in den Händen hielt. Das Todesdatum und die Ursache waren mit einer roten Schrift durchgestrichen worden.
"Wir haben uns nicht in das Leben der Menschen einzumischen.", sprach der Tod eindringlich. "Ihr vorbestimmter Tod ist unantastbar."
"Ich verstehe euren Ärger, aber verändert sich dadurch nun ein Schicksal? Den Himmel kann dies nicht mehr erzürnen." entgegnete Johannes und starrte auf Sarahs Bild. "Und wie oft haben sich bereits Todeswesen in das Menschenleben eingemischt und es wurde toleriert. Ich selbst bin ein gutes Beispiel dafür." Johannes schloss die Akte.
"Darüber war der Himmelsfürst nie erfreut und ich setzte mich viel ein, um ihn zu beruhigen und das geänderte Schicksal anzuerkennen. Trotz allem kann man dem Tod kein Schnippchen schlagen. Sie wird sterben. Nicht so, wie vorhergesehen, aber ihre Zeit kommt." Johannes schluckte. "Wird es demnächst passieren?" murmelte er und der Tod fixierte ihn. "Du wirst ihren Tod nicht erneut zu verhindern wissen." mahnte dieser.
"Nein, nein, dies war nicht mein Vorhaben. Sag, konnte ich ihr Leben verlängern?" Er senkte den Kopf. "Ja, das hast du. Ihr zukünftiger Tod wird weniger grausam sein." Johannes fing sanft zu lächeln an, als er diese Worte vernahm. "Ich habe sie vor einem kränklichen Tod bewahrt und ihr ein paar weitere Jahre gegeben. Für mich fühlt es sich nicht falsch an und ich würde jederzeit wieder so entscheiden." Der Sensenmann vernahm diese Worte. "Vor Jahrzehnten gab es eine Seelengeleiterin, die ähnlich wie du, sich in das Schicksal eines Menschen einmischte. Während ich mit ihr sprach, sagte sie mir etwas ähnliches wie du. Eure Handlungen mögen für die Regeln dieser Welt falsch sein, aber in eurem Herzen sind sie richtig." Diese Worte beruhigten Johannes. Er verneigte sich. "Tut mir leid, dass ich für Umstände gesorgt habe." Gevatter Tod blickte ihn ohne Zorn entgegen. Sie verabschiedeten sich und er verließ den Raum.
Sarah gewöhnte sich an, das Grab von Johannes Mutter an ihren Geburts- und Todestag zu besuchen. Gelegentlich schaute sie rüber, wenn sie das Familiengrab besuchte. Immer hegte sie die Hoffnung, ihn zu treffen und sich zu bedanken. Dies tat sie solange, bis das Grab aufgelöst und sie vor einer leeren Erdfläche stand. Sie blickte auf dieses leere Grab.
"Vielleicht sehen wir uns wieder, wenn du meine Seele holst." schmunzelte die mittlerweile 52-jährige. Sie kehrte der ehemaligen Grabfläche den Rücken zu. Sie nahm einen langen Atemzug und strich sich eine gräuliche Haarsträhne hinters Ohr.
"Danke." Sarah verließ den Friedhof und bemerkte Johannes nicht, der sie unsichtbar beobachtet hatte. Er lächelte.
"Sie scheint wohl doch kein so schlechter Mensch zu sein."
Johannes kehrte zur Gilde zurück, um seiner Tätigkeit nachzugehen. Dabei kamen ihnen die Gehilfen des Todes entgegen. Gina grüßte Johannes freudig, welcher mit einer schnellen Handbewegung erwiderte. Gina betrat den Raum des Todes und setzte sich an den Tisch. Vor ihr lagen unbearbeitete Akten, denen sie sich hingab. Dabei bekam eine Akte besondere Aufmerksamkeit. Diese Akte nahm Gina n sich.
Die anderen Akten gab Gina an die Praktiker weiter. Mit ihrer einzelnen Akte kehrte sie zurück zu Fritz.
Dieser war in einem Kartenspiel mit Gamia und Niklas vertieft. Dabei lag Niklas deutlich zurück. Gina setzte sich neben Fritz an den Tisch und beobachtete die Spielzüge.
"Vielleicht lerne ich noch was vom Meister." schmunzelte Gina und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. Dies lenkte ihn ab und er spielte die falsche Karte aus. Daraufhin gewann Gamia das Spiel. "Gute Ablenkung. Danke Mom." scherzte Gamia und Gina kicherte leise. Fritz sammelte leicht beleidigt die Karten ein und steckte diese in seine Hosentasche.
"Beim nächsten Mal gewinne ich wieder. Selbst mit Ablenkung." Er blickte verstohlen zu Gina, die nur fies grinste. Gamia und Niklas verabschiedeten sich von den Beiden. Nachdenklich sah Gina ihnen hinterher.
"Niklas wirkt ein bisschen älter." merkte sie an und Fritz entgegnete nur: "Für einen Menschen wirkt er immer noch jung, aber ich weiß, was du meinst. Er wirkt wie in seinen 40-gern." Er lehnte sich zurück.
"Ich habe heute Nacht noch einen Auftrag. Wundere dich nicht, wenn ich nicht mehr neben dir liege." Sie beugte sich zu Fritz vor und lächelte ihn an. "Alles gut. Ich weiß doch wie beschäftigt mein Sensenmann ist. Vielleicht zieht es mich heute Abend auch zu ein, zwei Seelengeleit hin." Er kam ihrem Gesicht näher und hauchte ihr einen leichten Kuss auf die Lippen.
Gina schlief zwei Stunden, bevor sie aufstand und sich zurechtmachte. Sie ergriff ihre Sense und die Akte. Mit der Sense öffnete sie ein Portal und begab sich zum Zielort. Sie stand in einem Schlafzimmer und blickte zum großen Bett. Neben diesem stand ein Nachttisch mit einem Digitalwecker und zwei Fotos. Gina warf einen Blick in die Akte und auf den Körper, der schlafend im Bett lag. Die Sense berührte den Körper der Person und Gina sprach zu der Seele.
"Shadia Fukkatsu, geboren am 28.2.1651, gestorben am 3.3.1727." Shadias Herz hörte auf zu schlagen, in dem Moment, wo die Digital Uhr 3:33 Uhr anzeigte.
Shadia vernahm Ginas stimme und sie kam ihr bekannt vor. Es war ewig her, aber Shadia hatte ein Bild der Frau vor Augen, die sie einst auf dem Friedhof ansprach. "Hallo. Ich habe deine Ankunft bereits erwartet, geehrte Sensenfrau." sprach Shadia ruhig und bei ihren zarten Worten lächelte Gina. "Ich danke dir. Sowohl für deine Worte, als auch dein Tun zu Lebzeiten." erwiderte Gina und brachte Shadias Seele zum lächeln.
"Ich habe mein Leben der Versorgung der Toten gewidmet. Ich würde dieses Leben jederzeit wieder so wählen." Gina führte Shadias Seele in den Garten Eden und das erste was sie sah, war das alte Wohnzimmer ihrer Tante. Bei diesem Anblick war ihr bewusst, dass sie das sterbliche Leben, Musuko und alles irdische hinter sich gelassen hatte. Revue ließ sie dieses passieren.