Die Zwillinge waren die Ersten, die etwas zu dieser Situation sagten. Beide wussten nicht, wie sie ihren Gedanken Ausdruck verleihen sollten.
"Wir.... es.... Wir sind sprachlos über die Tatsache, dass dieses Wesen Suicide Hangman ein Mensch war, der mit uns verwandt ist. Nichtsdestotrotz werden wir weiter an deiner Seite stehen und gegen ihn kämpfen!" versicherte Henrik dem Tod, welcher doch überrascht war, dass die Familie hinter ihm stand.
"Ich danke euch." Josef und des Tods Gehilfen sagten kein Wort. Gina und Justin ließen sich diese Erzählung mehrmals durch den Kopf gehen. Jetzt kannten sie ihren Feind mehr und wussten um seine Geschichte. Josef berührte nichts von dem gesagten. Er war damals dabei gewesen und war nicht dazu in der Lage, mitfühlende Emotionen zu verspüren. Die Zwillinge versprachen dem Sensenmann, weiterhin ihre Hilfe anzubieten und Suicide Hangman zu vernichten.
Aus dem Raum des Todes raus kümmerte Henrik sich um die Seelengeleiter, die vor der großen Tür gewartet hatten. Sein Bruder half ihn dabei, obwohl beiden nicht danach war, dieser Tätigkeit nachzugehen. Als Ruhe einkehrte öffnete Henrik erstmal einen Wein und beide waren sich einig, dass sie diesen nun brauchten, genauso wie den Feierabend. Johannes löste ihn ab und beide verabschiedeten sich ungewöhnlich schnell von ihm. Die Brüder liefen gemeinsam zu Henriks Wohnung, um über das Geschehene zu reden und einen weiteren Wein zu verköstigen.
Gemütlich setzten sie sich hin, aber diese Gemütlichkeit wurde jäh unterbrochen von einem Türklopfen. Beide vernahmen einen Schlüssel und wussten daraufhin, dass es sich um Alma handelte. Diese hatte eben Feierabend gemacht und wollte mit ihrem Vater reden. Sie betrat das Wohnzimmer, sah die Brüder und den Wein und fragte direkt: "Gibt es einen Anlass?" Fragend beäugte sie das Szenario und fragte weiter: "Die Gilde war für längere Zeit verschlossen. Einer unserer Lehrlinge wollte Sensen segnen lassen und kam erfolglos zurück." Henrik nickte stumm und bat seine Tochter Platz zu nehmen.
"Okay? Liegt irgendwer bei den Heilern oder wurde.... getötet? Cedric? Dad? Die Stimmung ist komisch." merkte sie irritiert an und Henrik erzählte ihr daraufhin die Wahrheit über Suicide Hangman. Alma starrte ihn mit geweiteten Augen an und wollte ihm erst nicht glauben. "D-du willst mir also erzählen, dass dieses Wesen, das so viele Menschen in den Suizid getrieben hat, auch Yannis, mein Uropa ist?" Fassungslos nahm sie Henrik das Weinglas weg. "Das glaube ich jetzt nicht..." Sie musste noch einen Schluck nehmen, um es zu verarbeiten. Alma lehnte sich zurück.
"Oh man... Wobei er einen eigentlich leid tut, dafür, niemals Frieden finden zu dürfen...." murmelte sie und träumte, bis ihr Vater ein drittes Glas holte und sie somit aus den Gedanken riss. Beschämt stellte sie es wieder ab, aber Henrik winkte ab und meinte, dass das schon in Ordnung sei, weil sie seine Tochter sei.
Nach unbestimmter Zeit kehrte Cedric zu seiner Felicia heim, welche sich schon fragte, wo er blieb. Meistens wusste sie aber, dass er länger auf Arbeit brauchte oder bei seinem Zwilling war. Heute merkte sie ihm sofort an, dass etwas geschehen sei.
"Musstest du spontan einen Seelengeleiter hinrichten? So kenne ich dich nur nach einer Vollstreckung." fragte sie verständnisvoll, aber Cedric schüttelte den Kopf. Auch daraufhin erfuhr Felicia die Wahrheit.
Geschockt kehrte Gina heim und ihre Familie sah ihr dies an. Ungewöhnlich für Gina, denn kaum etwas konnte sie aus der Ruhe bringen. Fritz und Gamia unterbrachen ihr Kartenspiel im Wohnzimmer, um Gina ihre Aufmerksamkeit zu geben. Sie sah mitgenommen aus und Fritz nahm sie in den Arm.
"Was ist denn los?" fragte er einfühlsam und Gina stieß einen lauten Seufzer aus. "Ich muss euch etwas Wichtiges erzählen, was ich heute erfahren habe...." Die Wahrheit über Suicide Hangmans Existenz im Zusammenhang mit der Dronner Familie sprach sich in dieser schnell rum. Es dauerte seine Zeit, bis sie es akzeptiert hatten. Ihr Ziel, dieses Wesen zu vernichten, verstärkte sich dadurch nur mehr.
Um mit diesen Gedanken klarzukommen, ging Alma auf das Angebot von Jayna ein und besuchte ihre Therapiestunde. Durch das Gespräch mit Henrik waren in ihr schmerzhafte Erinnerungen an Yannis und Smeralda hochgekommen, die sie aufarbeiten wollte.
Alma teilte sich Dr. Makricia sehr offen mit und Jayna hörte ihr aufmerksam zu. Wie schon die letzten Male fühlte Alma sich ein Stück weit besser. Sie hatte schon viel miterlebt und musste sich eingestehen, dass diese Therapiestunde nicht verkehrt waren.
Schon während des Gespräches ging Alma ein Gedanke nicht aus dem Kopf, als sie mit Jayna sprach. Nach Ende der Therapiestunde fragte Alma die Ärztin: "Du hast mir einmal ausführlicher von dir erzählt und als wir uns privat getroffen haben, warst du verschlossen bei den selben Themen, wie das?" Da sie nun privat sprachen, dutzte sie Jayna, welche nervös nach einer Erklärung suchte. "Vermutlich war ich da besser drauf, beim ersten Mal... Manchmal hängt es davon ab, wie es mir geht...." murmelte sie und Alma verstand. Jayna fiel etwas ein und lenkte vom Thema ab. "Übrigens hast du mich doch mal nach einem weiteren Treffen gefragt, wenn ich mich recht erinnere. Ich würde dem gerne zusagen." Jayna lächelte Alma dabei an. Almas Augen funkelten vor Freude. "J-ja? Das freut mich. Schick einen Sensenmanngeist, wenn du Zeit hast." Jayna nickte und war ebenso froh, diesen Schritt gegangen zu sein.
Das Treffen ließ nicht lange auf sich warten und beide trafen sich in der Menschenwelt auf einem hohen Wolkenkratzer. Sie konnten dadurch über die Wolken sehen. Alma saß im Schneidersitz da und Jayna ließ die Beine über den Rand hängen.
"Ich habe ein Cousin, der würde sich hier runterstürzen." erwähnte Alma schmunzelnd und Jayna sah fasziniert hinunter. "Ich musste erst ein Seelengeleiter werden, um diese faszinierende Schönheit erblicken zu können." schwärmte Jayna und ließ ihre Hand durch die Luft gleiten. Sie seufzte und hatte einen stillen Moment. Alma bemerkte dies, sprach sie aber nicht darauf an. Dies zeigte ihr, dass auch Jayna ihre Narben trug. Bei Jaynas Geschichte verstand Alma dies komplett. Am liebsten hätten sie erwähnt, dass es ihr ähnlich ginge, immerhin sei sie eine Nachfahrin des Suicide Hangmans, aber sie wusste, dass das nur eine unnötige Narbe aufreißen würde, außerdem weiß Jayna nicht, dass Alma die Wahrheit um ihren Vater kannte. Jayna rieß sie aus den Gedanken.
"Ich habe lange nichts mehr aus der Menschenwelt gegessen. Ich hätte Lust auf Fritten, kommst du mit?" fragte Jayna und stand auf, mit der Sense in der Hand. Alma blickte zu ihr und ergriff ihre Sense. Beide sahen sich an und wussten, wie sie am besten zur Imbissbude gelangten. Kurzerhand sprangen sie den hohen Wolkenkratzer hinunter und sprangen durch die Lüfte. Unter ihren Füßen tauchten immer wieder schwarze Flügel auf. Ihnen kamen viele Vögel entgegen. "Grüß Mutter Natur von uns!" lachten beide, als sie an diesen vorbeikamen. Sie ließen sich fallen und landeten elegant auf dem Bürgersteig. Jayna zeigte auf einen Dönerladen und Alma folgte ihr. Sie kannte dies noch aus ihrer Zeit in der Schüle. Im Abschlussjahr waren viele ihrer Mitschüler zum Döner gegangen, um sich Pommes, Pizza, Lahmacun oder was anderes zu holen. Von der Speisekarte überwältigt bestellte Alma das nächstinteressanteste und bekam einen großen Döner Spezial im Brot. Jayna lachte mit ihrer Pommes in der Hand, als sie Alma überwältigt von dem großen Döner sah. Jayna fühlte sich wie, als wäre sie wieder eine Teenagerin, nur glücklich. Wie lange war es her, dass sie sich menschlich gefühlt hat, seit sie ein Todesgeist ist? Dieses Treffen lief entspannter ab als das Erste, was besonders Alma erfreute. Freudig verabschiedeten sie sich voneinander und lachten noch über Alma mit ihren Döner. Diese Ablenkung tat ihr gut, um die vergangenen Tage aus dem Kopf zu bekommen.
Niklas saß nackt vor Gamia im Bett, sein Glied war noch im erregten Zustand. Seine Freundin seufzte.
"Entschuldige, ich kann mich einfach nicht auf dich konzentrieren." murmelte sie und Niklas streifte nebenbei das Kondom ab. "Alles gut, es soll auch nicht gezwungen sein, sonst ist es nicht mehr schön. Ich habe auch irgendwie gemerkt, dass ich doch nicht so Lust habe." versicherte er und zog sich seine Boxershorts an. Gamia richtete sich mit einem lächeln auf. "Danke... Mir gehen nur ein paar Dinge wegen Suicide Hangman nicht aus dem Kopf. Meine Mutter wirkt auch ganz komisch.", murmelte sie und ergriff ein Kleidungsstück aus dem Kleiderstapel. "Ich bin der Meinung dieses Lied schonmal gehört zu haben. Und dieses Dorf... Ich hatte mal eine Kollegin namens Wilma, mit der ich trinken gegangen bin. Es war dieses Dorf..." erzählte sie und die Erinnerungen wurden klarer. Aufmerksam hörte Niklas ihr zu.
"Das hatten wir mal in der Schule. Die Hexenverfolgungen von Mynrane und Brütteln. In den jeweiligen Orten gibt es sogar Gedenksteine von den Opfern. Ist aber auch das Einzige, was ich davon behalten habe." teilte Niklas mit und brachte Gamia auf eine Idee.
"Danke! Das werde ich mir mal ansehen!" rief sie und stand umgezogen vom Bett auf. Niklas sah zu ihr. "A-also willst du jetzt danach gucken?" hakte er nach und seine Liebste nickte. "Das lässt mir keine Ruhe! Ich bin gleich wieder da!" Damit ergriff sie ihre Sense und teleportierte sich auf dem Friedhof des Dorfes Mynrane.
Gamia erblickte all die Seelen am helllichten Tag und suchte den Gedenkstein. Ihr Weg führte sie durch die vielen Gräber zur Nähe einer kleinen Grünfläche und dort fand sie den großen, rechteckig gemeißelten Stein neben einer weiteren großen Steintafel, die die Opfer der beiden Kriege aufzählten. Aufmerksam las Gamia die Inschrift. "In Gedenken an all jenen Menschen, denen Unrat zu teil wurde und die durch Unwissenheit ihr Leben lassen mussten. Hexenverfolgung 771-979." flüsterte sie und las die Namen. Sie fuhr diese mit den Finger entlang.
"Angela Elcuri 746-771, Pamela Korson 740-771....", Sie las weiter und fand, was sie suchte. "Tiffany Dronner..." Ihr Kopf neigte sich nach oben und sie spürte die Geister in der Nähe. Gamia richtete sich auf und drehte sich um. Ihr blickte eine Frau mit braunem, langen Haar entgegen in einem alten, rötlichen Kleid. "Sie sind Tiffany Dronner." merkte Gamia an und der Geist nickte. Ihre Hände waren vor dem Kleid gefaltet und sie hob leicht den Kopf. "Ja, das bin ich. Sag du zu mir, bitte. Ich bin doch schließlich.... deine Ururoma." Leicht schmunzelte sie, aber eine gewisse Traurigkeit schwebte mit. Gamia nickte nervös. Tiffany konnte genau wie Gamia, die Tatsache, dass sie eine Verwandte ist, selbst kaum glauben und versuchte deshalb zu scherzen. "Ich meinte zu Richard, er solle dafür sorgen, dass der Dronnerstammbaum nicht ausstirbt, aber das er mich so sehr bei Wort nimmt." Dies lockerte die Stimmung jedoch kaum und Gamia erzählte von ihrem anliegen.
"Ich bin hier, weil ich von Viktorius von Eden und den Hexenverfolgungen gehört habe." Tiffany nickte und seufzte, bevor sie Gamia um einen kleinen Spaziergang bat. "Ich bin gestorben, verbrannt auf dem Scheiterhaufen.... Ich wurde in den Himmel geleitet, nachdem ich mich für diesen entschied." fing sie zu erzählen an und Gamia stockte. "Entschieden?" fragte sie irritiert nach und Tiffany erklärte: "Ich glaube an Mutter Natur und hätte mich für den Garten Eden entscheiden können, doch der Himmelsfürst fragte mich, ob ich nicht zu meiner Familie in den Himmel möchte. Ich bejahte und hatte Hoffnungen, Viktorius zu treffen. Mir wurde aber erlaubt, ebenfalls Garten Eden besuchen zu dürfen." Gamia hätte Tiffany gerne weitererzählen lassen, doch sie war angetan vom Garten Eden.
"Der Garten Eden ist doch der vertriebene Himmel, wo die ersten zwei Seelen lebten, bevor sie sündhaft wurden und der Himmelsfürst ein neues Himmelsreich erschuf. Wir geleiten keine Seelen in den Garten Eden." meinte Gamia und Tiffany biss sich nervös auf die Unterlippe. "Das ist das, was man euch glauben lässt." Beide hielten an und Gamia weitete die Augen. "Wie?"
"Bitte erzähl dies niemanden..." Ihre Stimme wurde leiser. "Der Garten Eden ist der Himmel für die Venefica von Mutter Natur. Die ersten zwei Seelen haben nie dort existiert. Nach der Hexenverfolgung ist die Zahl der Venefica deutlich gesunken, aber es gibt sie noch und nur der Sensenmann persönlich geleitet die Seele einer Venefica in den Garten Eden." Gamia weitete die Augen und fragte sich innerlich, warum sie dieser Lüge aufgesessen war. Sollten dadurch die Venefica geschützt werden?
Tiffany kam zum eigentlichen Gesprächsthema zurück. "Im Himmel traf ich sie schließlich, meine Mutter, mein Vater, meine Schwester... Aber nicht Viktorius und dies erfüllte mich mit Trauer. Ich fragte den Himmelsfürst, wo er sei und er erzählte mir, dass er im Totenreich wandelte, doch als ich ihn besuchen wollte, erfuhr ich die grausame Wahrheit um seine Existenz. Würde er denn nie Frieden erlangen?" Sie klang verbittert, wie zu dem Zeitpunkt, als sie ihn erhängt auffand. Gamia wurde still und traute sich erst nicht, etwas zu sagen. Erst recht nicht wollte sie erwähnen, dass sie Viktorius vernichten wollten.
"Selbst Richard war eine lange Zeit nicht da. Doch ich war froh, dass ich ihn sehen konnte... mein Junge..." hauchte sie und wurde emotional. Gamia wünschte, sie könnte etwas dazu sagen. Ihre Ururoma kam ihr jedoch zuvor. "Bitte haltet ihn auf, weiter solch Grausamkeiten zu verüben. Er ist nicht mehr der Mensch, den ich mal kannte. Er hat seine Menschlichkeit eingebüßt." bat sie eindringlich und sah Gamia an. "Ja.... Wir werden ihn aufhalten." gab sie leise von sich, als Tiffany etwas sagte, dass ihre Aufmerksamkeit gewann.
"Bitte pass auf dich auf. Ich glaube er plant etwas mit dir, genauso sehr wie er etwas mit deinem Vater vorhatte." warnte sie und Gamia überlegte, was dies sein konnte. Ihren Vater wollte Suicide Hangman zum Selbstmord verführen, doch was sollte er von ihr wollen? Sie dankte Tiffany für die Warnung und beide beobachteten zwei Männer, wie sie ein altes Grab aushoben. Dem Holz nach zu urteilen musste dieser Sarg mehrere hundert Jahre alt sein und beide kamen näher.
Der Sarg war zerschunden, halb zerberst und die Männer öffneten den Sarg. Der Anblick brach Tiffany die Tränen in die Augen. Es war der skelettierte Körper von Viktorius, der in dem Sarg lag. "Nein... Sie haben ihn einfach in den Sarg geworfen.." schluchzte sie und sah auf den alten Strick. "Deshalb konnte er so schnell beerdigt werden.... Diese abtrünnigen Bewohner..." Sie wandte den Blick ab. Gamia hingegen schaute weiter zu Viktorius Skelett, dass in einer sarg untypischen Position da lag. Sie fragte sich, ob er gleich vor ihr auftauchen würde, um sich selbst zu begutachten. Dann würde sie ihm versuchen den Garaus zu machen, dachte Gamia, doch sie spürte nicht den Anflug einer Aura. Für heute war sie zufrieden und dankte Tiffany für die Begleitung. Tiffany hatte mittlerweile aufgehört zu weinen, doch die Trauer lag in ihrem Gesicht.
"Wenn du magst, darfst du mich im Himmel besuchen." bot Tiffany sanft an und Gamia dankte nur, bevor sie zurück zu Niklas kehrte.
Das Paar war gegenseitig für sich da. Niklas gab Gamia ein gutes Gefühl, dass sie sich nicht schlecht fühlen musst und Gamia hatte die Nachricht eigentlich gut aufgenommen. Nur in ruhigen Momenten dachte sie explizit darüber nach und dann war Niklas da, welcher ihr sagte, dass Suicide Hangman nichts mit ihrer tollen Persönlichkeit zu tun hätte. Sie gab ihm Recht und lächelte dann. Es erinnerte sie an die Zeiten, in denen Niklas sein Halbblut-Dasein nicht akzeptierte und war froh, dass er mit dieser in Einklang lebte.