Am nächsten Morgen wurde Henrik trotzdem als erster wach und blieb noch einen Moment liegen, bis Smeralda ebenfalls erwachte. Sie standen zusammen auf und Henrik fragte, ob Smeralda noch etwas Besonderes unternehmen wollen würde. Sie war wunschlos glücklich, da sie das Wichtigste bereits besaß und sie überlegte selbst, aber ihr fiel nichts ein. Dabei dachte sie über etwas nach. "Wobei... Ich würde gerne noch einmal mit Alma einen gemeinsamen Tag verbringen, so wie früher. Wenn sie Feierabend hat, werde ich sie besuchen, wenn es in Ordnung ist." erzählte sie ruhig und Henrik verstand ihren Wunsch.
"Natürlich. Alma wirkte auch mitgenommen und es würde ihr sicher gut tun." Sanft lächelnd sah er zu ihr. "Ich würde in der Zeit zu meinem Bruder gehen." erklärte er und hatte den Inneren Drang, mit jemanden über die aktuelle Situation zu reden. Smeralda nickte und kam Henrik näher. "Aber bis dahin lass uns noch ein wenig Zeit zusammen verbringen."
Smeralda verließ die Wohnung, um ihre Tochter nach ihren Feierabend zu besuchen. Kurz drauf lief auch Henrik aus der Wohnung und suchte die seines Bruders auf, in der Hoffnung, dass er ihn antreffen würde. Er hatte Glück und tatsächlich traf er auf Cedric, welcher vom Seelen geleiten gerade Heim gekommen war. Er bat seinen Bruder hinein. "Was führt dich her?" erkundigte Cedric sich, während er seine Schuhe einsortierte und den Mantel auszog. Er sah Henrik an, dass ihn etwas zu beschäftigen schien und die Zwillinge setzten sich erst einmal in der Stube zusammen hin.
Henrik setzte sich Cedric gegenüber auf das Sofa und senkte den Kopf. Cedric merkte, wenn Henrik etwas belastete, indem sein Bruder stiller wirkte oder den Kopf gesenkt ließ. Er bestätigte Cedrics Vermutung und redete nicht lange darum herum, was ihm durch den Kopf ging.
"Meine Partnerin wird demnächst erlöst." Cedric nickte, als er dies hörte, überschlug die Beine und lehnte sich zurück. "Sie war ein Opfer von Suicide Hangman, richtig?" erinnerte er sich und sein Bruder bejahte diese Aussage.
"Sie hat gestern früh vom Tod erfahren. Innerlich wusste ich, dass sie nie für immer bei mir bleiben würde. Wir genießen gerade die Zeit, so gut wir können, zusammen. Aktuell ist sie bei Alma und ich habe mir bis zu ihrer Erlösung freigenommen." berichtete er und faltete die Hände zusammen. "Deine Partnerin verschwindet nicht, sie geht lediglich von dieser Ebene und kommt, nehme ich bei ihr stark an, in den Himmel. Es wird euch sicher frei stehen, sie von Zeit zu Zeit besuchen gehen zu können." meinte Cedric ruhig und lächelte aufmunternd. Henrik dachte kurz darüber nach und nickte.
"Ich bin froh, dass wir diese Möglichkeit haben, als wenn ich sie nie wiedersehen könnte.", Ein Seufzer entfuhr ihm. "Menschen sterben irgendwann und sehen vielleicht ihre Liebsten wieder. Wenn wir diese Möglichkeit der Besuche nicht hätten, würden wir unsere Liebsten nie wieder sehen und das würde das unsterbliche Leben ziemlich plagend machen." Cedric dachte über Henriks Worte nach und stimmte ihm zu. Sie erlebten seid Jahrhunderten den Tod und die Erlösung von Menschen, wie auch Todeswesen, mit. Durch ihre Erfahrung und Berufung waren sie dem gegenüber abgehärtet. Trotzdem gab es einige wenige Todesfälle, unteranderem der ihrer Eltern, die beiden näher ging und auch in diesem Moment wurden sie sich wieder ihres langen Daseins bewusst. "Genieß die Zeit, schätze sie. Ich finde es toll, dass du dir frei genommen hast, um bei ihr sein zu können. Macht, was ihr oder sie immer nochmal machen wolltet." schlug Cedric vor und lehnte sich leicht nach vorne. Sein Bruder nickte und erwähnte, dass er genau dies bereits beherzigt hatte.
"Und wenn der Tag gekommen ist, fühl dich frei, jederzeit vorbei zu kommen." bot Cedric mitfühlend an und sein Bruder dankte ihn für das Angebot und seine Hilfe.
Smeralda und Alma waren in Almas Wohnung, welche viele selbst gebaute Möbel besaß. Anfangs redeten sie, bis Alma auf die Idee kam, ob ihre Mutter ihr nicht beim bauen eines Schrankes zur Hand gehen wollte. Alma zeigte ihre Mom, wie sie es sich vorstellte und erklärte, was zu tun war. Smeralda gab sich alle Mühe, brauchte aber öfters Hilfe und zusammen lachten sie über die kleinen Missgeschicke. "Ich bewundere dein Handwerk wirklich. Du machst deiner Berufung alle Ehre, ich bin stolz auf dich." schmunzelte Smeralda, als sie den Schrank zur Hälfte fertig hatten. Das Kompliment schmeichelte Alma. "Danke."
Glücklich blickte sie ihre Mutter an, bis sie eine Idee bekam. Kurzerhand holte sie eine Kamera hervor und fotografierte das Ergebnis. Kurz darauf hielt sie bereits ein Polaroid Bild in der Hand und nahm sich vor, dieses in Ehren zu halten. Ihre Mutter bekam ebenfalls eine Idee, nahm das Cuttermesser zur Hand und ritzte ein S in das Holzstück, welches später die Tür sein sollte. Daneben ritzte sie ein Herz und Alma wusste, wofür das stand.
"Das Möbelstück ist für mich jetzt schon das Schönste und Wertvollste, weil wir es zusammen gebaut haben." Für Alma hingen schon Erinnerungen an dieses Werk und es bekam einen sentimentalen Wert. Es verging Zeit, aber die nahmen sich beide, um das Möbelstück fertig zu bekommen. Es war Smeralda wichtig, dies zu beenden und umso erleichterter war sie, als sie dieses zusammen bewundern konnten. Mit Stolz schauten sie auf dieses und Alma drückte ihre Mutter an sich. "Haben wir toll hinbekommen." lobte sie sich und ihre Mutter, welche ihrer Tochter zustimmen musste.
Zum Abschied umarmten sich Mutter und Tochter. "Ich komme morgen nach der Arbeit vorbei, ok?" schlug Alma vor und Smeralda nickte. "Würde mich sehr freuen."
Kaum war die Tür ins Schloss gefallen, sah Alma zum Schrank, stellte ihn dort hin, wo sie ihn haben wollte, nahm einen Bilderrahmen und stellte das Bild von heute auf dem Schrank, welches sie lächelnd anschaute.
Smeralda kehrte zu Henrik zurück und berichtete von dem Schrankaufbau mit ihrer Tochter, bevor sie fragte, wie es bei Cedric gewesen war. Er hielt sich ein wenig zurück und meinte nur, dass es schön war. Sie dachte sich, dass er mit seinem Bruder über ihre Erlösung gesprochen hatte, aber sie sprach ihn nicht weiter darauf an. "Ach, Alma hat dabei ein Foto gemacht, das ich schön fand. Ich dachte, wir könnten auch noch eines machen." schlug sie vor und Henrik war von der Idee begeistert. "Ich hole die Kamera!" meinte er freudig und stand kurz darauf mit der Polaroidkamera vor ihr. Sie stellten die Kamera auf einen Schrank und sich selbst davor. Dabei schmiegte Smeralda sich an seinen Arm, welchen er dann um sie legte. Sie schossen noch ein zweites Bild, nur diesmal hob Henrik seine Geliebte auf den Arm und lehnte dabei an ihr erstes Pärchen Foto von vor mehreren Jahren an. Der kleine Sensenmanngeist in der Kamera drückte auf den Auslöser und daraufhin hielten sie auch dieses Bild in den Händen. "Ich würde morgen gerne noch welche mit Alma machen, ein paar Familienfotos." bat Smeralda, während sie auf die Aufnahmen schaute. Henrik legte den Arm um ihre Schulter, blickte ebenfalls auf die Fotos und nickte. "Das fände ich schön." Dabei streichelte er ihren Kopf und ließ ihre Haare durch seine Finger gleiten.
Alma kam morgens bei den Scythe Makern an und machte sich für die Arbeit fertig, indem sie ihre Schmiedeschürze umband. Sie lief in die Werkstatt und traf auf die Nachtschicht. Amelia war darunter und schliff eine Klinge zurecht. Beide grüßten sich mit einem Lächeln und einem kurzen Handwink, bevor Alma an ihrer Sense weiterarbeitete, die für die neuen Seelengeleiter war. Alma hatte von dem Massensuizid erfahren und dementsprechend kamen in Laufe der Zeit mehrere Sensenaufträge rein. Sie wusste, dass die nächsten Wochen viel von den Schmiedern abverlangt werden würde. Dementsprechend hatte sie die Scythe Maker schon eingewiesen, damit sie alles schaffen konnten und hatte unteranderem darum gebeten, Aufträge für eine Zweitsense entweder nicht entgegen zu nehmen oder ganz hinten anzustellen. Alma bekam zwei Sensen fertig und lief mit diesen zum Sensenmann. Der Tod hatte sie nicht auf die Erlösung ihrer Mutter angesprochen. Er wusste, dass sie es schon erfahren hatte.
Justin und der Tod blickten auf einige Akten. Die Akten beinhalteten die Todesdaten aller Kinder, die in der Sekte umgekommen waren.
"Denkst du, sie wussten, dass sie sich damit selber töten?" hinterfragte Justin, während er die Akten musterte. "Einige nicht, andere ja. Vermutlich waren sich aber alle nicht den Folgen oder der Bedeutung dessen klar. In diesem Alter ist man leicht zu beeinflussen, glaubt und hört noch viel auf das, was die Eltern sagen. Glauben diese an eine Religion und trichtern es den Kindern ein, glauben diese auch oft daran." erklärte der Tod gelassen und sortierte die Akten zusammen. "Kann man hier nicht eher von Mord reden?"
Justin guckte zum Tod und dann wieder auf die Akte eines kleinen Mädchens.
"Deshalb begutachten wir noch einmal die Akten. Mit dem Himmelsfürst habe ich entschieden, sie individuell zu behandeln und besonders die jüngeren Kinder in den Himmel zu geleiten. Andere, ältere Kinder waren sich dem bewusst und verweilen hier. Natürlich nicht in ihren jungen Hüllen, sondern als junge Erwachsene." erzählte Gevatter Tod und Justin nickte verständlich. Er wusste, dass die jüngeren Opfer von Suicide Hangman im Totenreich das Aussehen einer älteren Version von ihnen besaß. Auch ihre Reife nahm etwas zu.
Gevatter Tod blickte noch auf ein paar Akten von älteren Todesopfern. "Auch als Tod konnte ich an diesem Tag nicht alle geleiten. Einige wollten nicht geleitet werden und verweilen als Seelen an diesem Ort." Sie unterbrachen ihre Arbeit, als Alma mit den Sensen hereinkam und Justin segnete diese für den vollwertigen Gebrauch.
"Ihr werdet in nächster Zeit viel zu tun haben." merkte der Tod an und wandte sich an Alma, welche entgegnete: "Ja, aber wir sind gewappnet und bekommen das hin!"
Alma verwahrte die Sensen bei den Scythe Makern, zog ihre Schürze aus und lief erst zu ihrer Wohnung, bevor sie ihren Eltern einen Besuch abstattete. Sie zog sich ihren weißen Pullover an, eine schwarze Jeans und darüber einen schwarzen Mantel, der bis zu den Knien ging. Mit dem Wohnungsschlüssel öffnete sie die Tür, nachdem sie einmal kurz angeklopft hatte. Ihre Eltern saßen bereits im Wohnzimmer, die Kamera auf dem Tisch gestellt, daneben drei Weingläser. Sie entschlossen sich dazu, erstmal einen Wein zu verköstigen, bevor sie die Fotos schießen wollten. Während alle drei ihre Weingläser in der Hand hielten, grinste Alma und kurzerhand drückte sie auf den Auflöseknopf. Verwirrt blickten ihre Eltern in die Kamera und Alma lachte, als sie das fertige Bild sah, welches ihre Eltern mit einem irritierten Gesichtsausdruck zeigte, während Alma lachte. Dabei zeigten alle deutlich das Weinglas in ihrer Hand. Die Familie lachte, stießen zusammen an und entschlossen sich dann dazu, ein ordentliches Familienfoto zu machen. Dabei standen sie auf und positionierten die Kamera. Smeralda stand links von Alma, die in der Mitte ihrer Eltern stand. Sie legte den Arm um Alma und auch Henrik legte stolz die Hand auf die Schulter seiner Tochter. Der kleine Sensenmanngeist drückte den Auslöser und zustande kam ein hübsches Familienfoto, welches alle drei zusammen musterten und ihre Begeisterung durch ein stolzes Lächeln, wie auch funkeln in den Augen zeigten. Henrik besorgte sofort einen Bilderrahmen und stellte dieses in die Mitte der Kommode im Wohnzimmer auf. Still schauten sie zu den ganzen Familienfotos, die dort standen. Ihre Gedanken wurden unterbrochen, als sie ein helles Licht hinter sich erblickten und die Aura eines Engels spürten.
Die Familie drehte sich um und wusste, was dies bedeutete, als sie den Engel erblickten. Es fühlte sich nicht real an, dass der Zeitpunkt der Erlösung in diesem Moment war und die Augen der Drei wurden glasig. Sie gingen einen Schritt auf den Engel zu und Smeralda drehte sich zu ihnen um. Ihr fehlten die Worte, was sie sagen sollte und wortlos flossen zwei Tränen ihre Wange hinunter, die auch Alma zum weinen brachten. Henrik versuchte seine Emotionen zu kontrollieren, aber er schaffte es nicht lange und schließlich rollte auch eine Träne sein Gesicht hinunter.
Er ergriff Smeraldas Hände und blickte ihr in die Augen. "Ich bin so glücklich, dass ich dich.... trotz unseres Konfliktes damals, doch noch für eine Zeit bei mir an meiner Seite haben durfte. Für mich wirst du immer die einzige Frau bleiben." sprach er mit einer ruhigen, durch die Tränen, bröckelnde Stimme. Ihre Hände verflochteten sich ineinander, während sie sich einen letzten, langen Kuss gaben.
Sie lösten diesen und umarmten sich innigst. Schließlich wandte Smeralda sich an ihre Tochter. "Ich bin so stolz auf dich und dass ich dich meine Tochter nennen darf. Du bist zu einer talentierten, jungen Frau herangewachsen und genau die starke Tochter geworden, die ich mir immer gewünscht habe." hauchte sie und diese Worte zu hören brachte Alma nur mehr zum weinen.
"Danke, danke, dass du all die Jahre für mich da warst. Wir werden dich im Himmel besuchen kommen, versprochen." schluchzte Alma und lächelte hoffnungsvoll. Sie umarmte ihre Mutter ein letztes Mal und Smeralda lief zum Engel rüber. Bis zum Schluss schaute sie ihrer Familie entgegen und ihre Hülle fing an, sich in ihre drei Bestandteile aufzulösen, während der Engel ihre Seele in den Himmel führte.