Bis auf Josef weiteten alle Beteiligten die Augen und mussten das Gesprochene erst im Kopf verarbeiten und realisieren. Henrik hatte seinen Mund leicht geöffnet und wollte etwas sagen, aber er war sprachlos, ebenso die Anderen. Gevatter Tod wusste, dass er ihnen eine Erklärung geben musste und sprach weiter.
"Suicide Hangman war einst ein Mensch namens Viktorius von Eden, geboren am 26.9.714 in einem kleinen Dorf."
Die Kirchenglocken läuteten und nahe der Kirche stand ein Haus. Es war nicht überragend groß, aber auch nicht klein. Im Dorf fiel es trotzdem auf, da es hochwertiger aus sah, als die anderen Holzhäuser. Die Familie, die dort wohnte, war nicht arm, auch nicht reich, aber es ging ihr schon besser, wie den restlichen Dorfbewohnern.
"Viktorius von Eden, bist du endlich mal fertig?!" brüllte eine Frau im grauen, langen Kleid mit langen, gewellten braunem Haar. Sie war fein geschminkt und schien sich für einen Besuch schick gemacht zu haben. "Wehe dir, ich komme gleich hoch und du liegst im Bett mit der Behauptung, du hast keine Kraft!" schrie sie weiter hinauf und ein schwarzhaariger Mann mit Bart und Anzug kam zu der Frau gelaufen. "Liebling, die Gäste kommen noch nicht. Wenn er dann noch nicht unten ist, können wir ihn aus seinem Zimmer zerren." Damit drehte er sich wieder um und begutachtete das vagant eingerichtete Wohnzimmer, in welchem ein langer gedeckter Tisch stand. Schließlich öffnete sich die Zimmertür und ein 13-jähriger Junge mit schwarzen, mittellangen, welligen Haar kam in einem ebenso schwarzen Anzug die Treppe hinunter. Er lächelte nicht und stand mit hängendem Kopf vor seiner Mutter, die ihn kritisch musterte. "Also das muss schon ordentlich aussehen!" schimpfte sie, korrigierte seinen Mittelscheitel und richtete seinen Anzug, während seine Mutter ihn eintrichterte: "Und lass deine komischen, traurigen Sätze heute sein! Das will niemand hören, es ist und soll ein glücklicher Abend werden, der sich nicht nur um dich dreht. Also hör auf mit deinen das Leben ist so grausam, Aufmerksamkeit suggerieren zu wollen! Was sollen die Gäste sonst von uns denken? Also lächle gefälligst und-", Sie rückte seine Körperhaltung mahnend zurecht. "Lauf gerade und nimm den Kopf hoch!"
Mit den Fingern umfasste sie sein Kinn und neigte es nach oben. "Verstanden?" fragte sie harsch nach und Viktorius nickte. "Ja, Mutter." Sie wirkte zufrieden und ließ von ihm ab. "Du machst nachher den Empfang." bat sie und Viktorius nahm es einfach hin.
Die Gäste kamen alle beisammen zum Abendgericht und Viktorius gab sich Mühe, alle lächelnd und vornehm zu begrüßen, hatte aber durchgehend das Gefühl, dass sie ihn von oben herab ansahen. Viktorius fühlte sich seinen letzten Kräften beraubt, als er die Gäste begrüßt hatte und setzte sich an den Tisch, immer im Kopf, sich an alle Regeln zu halten. Er blieb stumm und hörte nur zu, doch die vielen Gespräche überforderten ihn schnell und hörten sich nur noch wie eine Art Rauschen in seinem Kopf an.
Er stocherte in seinem Essen rum und wurde leise von seiner Mutter ermahnt. "Das Essen war teuer! Iss, die Leute gucken schon und möchtest du noch dünner werden? Du bist schon blass genug." Sie widmete sich wieder dem Trubel zu und obwohl Viktorius kaum einen Bissen hinunter bekam, quälte er sich durch das Fleisch.
Der Besuch ging zu ende und Viktorius war emotional erschöpft. Seine Eltern räumten den Tisch ab. "Du kannst auch was machen." mahnte seine Mutter, aber Viktorius regte sich nicht und kurzerhand packte sie ihn mit zwei Fingern an die Wange.
"Nicht schlafen! Wenn du keine Lust hast, darfst du morgen das ganze Geschirr abwaschen!" keifte sie und widerwillig stand Viktorius auf und wischte den Tisch sauber. "Das Geschirr kannst du auch gleich machen!" rief sein Vater und lustlos trottete er in die Küche. "Hast du jetzt eigentlich jemanden, den du zu deinem Geburtstag einladen kannst oder hast du schon wieder alle Kinder mit deiner Art verschreckt?" hakten seine Eltern nach und Viktorius zuckte zusammen. Schon als Kind wollte keiner mit ihm spielen und man hielt ihn für langweilig oder gruselig. "N-nein... Ich möchte nicht feiern." gab er leise kund und fuhr sich den Zorn seiner Eltern ein. "Wie bitte?! Wir werden deinen Geburtstag zelebrieren und wenn wir nur zu dritt sind. Jetzt hör auf, dich auszuschließen!" ermahnten sie und Viktorius nahm es hin und war zu kraftlos, mit ihnen zu diskutieren. Sie tätigten noch den Abwasch zusammen und Viktorius ließ die Sprüche über sich ergehen, dass er einfach schneller und ordentlicher machen solle.
Die soziale Interaktion hatte Viktorius viel Kraft gekostet und erschöpft fiel er ins Bett. Er mochte es nicht, wenn seine Eltern diese Festlichkeiten veranstalteten und er selbstverständlich daran teilnehmen musste. Viktorius fiel in einem tiefen Schlaf, aus welchem er nie wieder aufwachen wollte.
Am nächsten Morgen wurde er langsam wach, als er seinen Namen wiederholt vernahm und anschließend ein Klopfen gegen seine Tür. "Viktorius, Frühstück!" vernahm er eine weibliche Stimme, aber er wollte am liebsten im Bett bleiben und weiterschlafen. Schließlich wurde die Tür geöffnet und er blickte seiner Mama entgegen. "Will nicht, keine Kraft..." murmelte er und zog damit den Zorn auf sich. "Jetzt sag nicht wegen gestern! Das erzählst du jedes Mal, wenn wir Besuch hatten! So kaputt kannst du nicht sein und jetzt komm!" befahl sie keifend, aber ihr Sohn hörte nicht auf ihre Worte. Mit geballten Fäusten lief sie auf das Bett zu, kniete sich hin und zeigte mit dem Finger mahnend auf ihn. "Ich lass dich jetzt noch eine halbe Stunde schlafen, aber wehe dir, dann steigst du nicht aus dem Bett, dann wirst du eine Woche den Abwasch erledigen, verstanden, Freundchen?!" Ihr Tonfall war direkt und Viktorius nickte nur, bevor sie wieder ging und sich zu ihrem Mann begab.
Dieser wartete schon am Holztisch.
"Clarence, dein Sohn will mal wieder nicht aufstehen! Die typische Laier wie immer! Ich schaue in einer halben Stunde nochmal, sonst blüht ihm was!" erzählte sie aufgebracht und ihr Gatte nickte. "Setz dich erstmal, Klarissa. Lassen wir uns unseren Morgen nicht von dieser Schlafmütze verderben. Wenn er nachher aus dem Bett kommt, soll er alleine essen und sich alles selbst holen." meinte Clarence ruhig und schnitt sich eine Scheibe vom Brot ab. Seine Gemahlin tat es ihm gleich und während des Frühstücks ließen sie sich über ihren Sohn aus.
"Wie kann man so lustlos sein? Das Leben besteht nicht nur aus im Bett liegen! Wie soll das nur werden, wenn er mal arbeiten soll? Nicht mal die Schule meistert er richtig!" regte sich Klarissa auf und Clarence fügte hinzu: "Ein Wunder, dass er einigermaßen regelmäßig hin geht." Er schmunzelte und nahm sich von der Wurst. "Wir müssen härter mit ihm umgehen, er braucht das!" war Klarissa überzeugt und Clarence war derselben Meinung. "Wir prügeln die Faulheit schon aus ihm raus." versicherte er und biss vom Brot ab.
Sie hatten beide nicht mitbekommen, dass Viktorius aus seinem Zimmer gekommen war und einen Teil des Gespräches mitbekommen hatte. Er hielt inne und bewegte sich wieder zurück, hoffte, dass sie es nicht hörten und verschwand wieder auf sein Zimmer. Viktorius legte sich in sein Bett und verblieb dort kraftlos. "Ich bin zu nichts im Stande." hauchte er und holte ein kleines Messer aus seinem Nachtschrank hervor, welches er vorsorglich vor seinen Eltern versteckte. Er krempelte seinen linken Ärmel hoch und zu erblicken waren mehrere Schnittnarben an seinem Oberarm. Viktorius setzte die Klinge an und ließ die scharfe Klinge durch die Haut schneiden. Blut floss aus der Wunde und Viktorius nahm sich ein Tuch, um die Blutung zu lindern. Seine Eltern sollten nichts von seiner Selbstverletzung erfahren.
Plötzlich vernahm er seine Mutter die Treppe hinauf kommen und schnell versteckte er alles. Er tat, als würde er schlafen und barsch öffnete Klarissa die Tür. "Wenn du jetzt nicht aufstehst, setzt es was!" rief sie in sein Zimmer und ihr Sohn nahm seine Kraft zusammen, um aufzustehen und hoffte, dass sie seine Wunde nicht bemerken würde. "Geht doch." meinte sie schnippisch und Viktorius folgte ihr still.
Viktorius wurde zu einem Jugendlichen und seine Mutter verlangte, dass er zur Küche käme. Stumm folgte er ihren Anweisungen und bekam einen Zettel und Geldbeutel in die Hand gedrückt. "Du darfst für heute Abend einkaufen gehen. Dann kommst du wenigstens auch mal aus deinem Zimmer raus! Du verhältst dich ja wie ein Monster, dass man verstecken muss!" befahl Klarissa und ging wieder auf sein Verhalten ein. Viktorius nickte und zog sich eine schwarze Stoffjacke an. Seine Mutter drückte ihn noch einen Flechtkorb in die Hand und wies mit einer Handbewegung an, dass er zur Türe verschwinden solle. Mit dem Korb im Arm begab sich der 15-jährige in das Dorf. Mit hängendem Kopf lief er umher und musterte das Dorf. Er ging selten raus und obwohl er seit Kindesbeinen an in diesem lebte, kannte er es kaum.
Die Kirchenglocken ertönten und Viktorius neigte seinen Kopf hoch zur Kirche und musterte diese solange, bis das Klingen der Glocken verstummt war.
Er wandte sich wieder seiner Aufgabe zu und wollte als erstes den Schlachter ansteuern. Ihm beschlich das Gefühl, dass die anderen Dorfbewohner ihn komisch und verachtend ansahen, war sich aber auch nicht sicher, ob er sich das nicht vielleicht doch nur einbildete.
Er betrat den Schlachter und grüßte leise. Der Metzger war ein bärtiger Mann und entgegnete direkt: "Das geht doch wohl lauter! Du bist doch ein Mann!" Viktorius zuckte zusammen und fühlte sich wegen dem Metzger schlecht. Er schluckte und las von seinem Zettel vor. Sein Gegenüber hob nur eine Augenbraue, überreichte ihm stumm das Fleisch und bat um das Geld, welches Viktorius ihm zögerlich gab. Leise verabschiedete er sich von dem Mann und ging aus dem Geschäft. Die Worte des Mannes hallten in Viktorius Kopf wieder.
"Du bist kein richtiger Mann. Du bist nichts weiter als eines dieser Schweine beim Fleischer." dachte Viktorius und lief weiter zum Bäcker. Dort stand ein junges Mädchen mit großer Brille und grüßte Viktorius freundlich. Er sah zur Seite. "I-ich soll ein Brot abholen... Von Eden... Hat mein Vater heute abgegeben." Das Mädchen, anscheinend die Bäckerstochter, versuchte zu verstehen, was er damit meinte, bis sie darauf kam. "Clarence von Eden! Das Weißbrot!" kam sie schließlich darauf und holte es. Viktorius dankte leise und merkte, wie ihn das Besorgen der Lebensmittel viel Kraft kostete. Er lief durch das Dorf und erschrak, als er aus einem Holzhaus Schreie einer älteren Frau vernahm und zwei weitere laute Stimmen, die eines Mannes und eines Mädchens, dazu kamen. Unsicher entfernte Viktorius sich und wollte sich nicht vorstellen, was in diesem Haus vor sich ging.
Bevor er heimkehrte kontrollierte er vermehrt, ob er alles besorgt hatte, um nicht erneut von seiner Mutter ärger zu bekommen. Er hoffte, er hatte nicht zu lange gebraucht und war froh, wenn alles erledigt war. Für Viktorius reichte dieses Maß an Menschenkontakt. Die Einkäufe gab er seiner Mutter und Klarissa kontrollierte alles. "Du hast mal alles richtig gemacht, gut. Geh nach oben und beschäftige dich mit irgendwas, was du magst." sagte sie ruhig und sortierte die Einkäufe ein, während Viktorius nach oben verschwand und in sein Bett fiel. Er war zwar erschöpft, aber auch froh, dass seine Mutter ihn nicht ausgeschimpft hatte und lächelte kurz, bevor ihm wieder der Metzger einfiel. Er empfand sich selbst als peinlich und dass die Menschen ihn nicht mochten. "Ich passe nicht in diese Welt." hauchte er und legte sich auf die rechte Seite, den Arm ausgestreckt. Er musterte die Narben seines selbstverletzenden Verhaltens und hatte das starke Bedürfnis, wieder die Klinge anzusetzen, um sich zu zeigen, wie wertlos er war und es verdient hatte.
Viktorius verweilte in seinem Bett, bis sein Vater heim kam und von seiner Frau über den Einkauf erfuhr. "Endlich hat er mal was richtig gemacht. Vielleicht wird doch nochmal was aus ihm." lobte er spottend und begutachtete wie Klarissa den Tisch deckte. "Lass ihn das sonst auch machen. Er muss sich sowieso bald mal Arbeit suchen. Wenn er denkt, er kann sein ganzes Leben faul im Bett verbringen, hat er sich geschnitten!" meinte Clarence streng und wusste, dass Klarissa ihm Recht gab.
Die Familie setzte sich zum Abendmahl zusammen und Klarissa eröffnete das Gebet. Viktorius tat lediglich so, als würde er beten, einen Gedanken hatte er nicht. Nach dem Gebet fuhr Klarissa fort. "Heute konnte man im Schreihaus wieder hören, wie sich alle angegangen sind." lästerte Klarissa und Viktorius hörte nebenbei zu. "Schreihaus?" fragte er unwissend nach und seine Mutter erklärte: "Wir haben im Dorf ein Haus, wovon man immer Schreie hört." Ihr Sohn nickte nur. "Warum wird da so viel geschrien?" hakte er weiter nach und eine genaue Antwort konnte seine Mutter ihm nicht geben, darum mutmaßte sie. "Vermutlich Misshandlung. Manche sagen, die Bewohner dort leben mit einer entstellten Hexe zusammen." Viktorius schluckte und mochte sich das nicht vorstellen. Er erinnerte sich aber an heute Nachmittag. "I-ich bin heute an diesem Haus vorbeigelaufen...." murmelte er und seine Eltern wurden hellhörig. "Und was hast du gehört?" wollte Klarissa wissen, aber Viktorius konnte keine genaue Antwort geben. "Ich bin einfach weiter gegangen." entgegnete er leise und Klarissa stockte. "Und da hörst du nicht hin? Ich wäre extra hingegangen um ihnen zuzuhören, weshalb sie sich so anschreien. Vielleicht irgendwelche Rituale oder Flüche?" entgegnete seine Mutter und scherzte gemein. Viktorius mochte es nicht, wenn seine Eltern über das Dorf redeten. Er fand an diesen Lästereien nichts interessant und verstand nicht, warum seine Mutter es für wichtig hielt.
Am Sonntag kleidete sich die Familie schick ein für den Kirchenbesuch. Klarissa richtete den Anzug ihres Sohnes und warnte ermahnend: "Wehe dir, dass wir danach wieder mit dir diskutieren müssen, dass der Pastor Unwahrheiten spricht!" Viktorius nickte einfach nur stumm. Die Familie von Eden begab sich zur Kirche und Viktorius musterte das Gebäude und hörte den Klängen zu. Er verband nichts mit der Kirche und würde lieber daheim bleiben.
Die Drei setzten sich zusammen hin und falteten die Hände zum Gebet, als der Pastor sprach. Gedanklich stellte Viktorius die Worte in Frage.
"Wenn der Himmelsfürst so allmächtig und gutherzig ist, warum lässt er das Böse zu und vernichtet es nicht? Wann tut er mir was Gutes?" dachte Viktorius und fühlte, dass er nicht in die Kirche reinpasste. "Vermutlich hat der Himmelsfürst Spaß an den schlechten Geschehnissen und lässt mich zu seiner Belustigung leiden." Bei diesen Gedanken senkte er den Kopf und biss die Zähne zusammen.
"Ich möchte nicht leben, nur weil der Himmelsfürst es so entschieden hat." Er sah ihn nicht, aber bedenklich musterte der Prophetenengel an der Seite des Pastors den Jungen. Er spürte dessen Unglauben und wusste von seinen Gedanken. Nach dem Kirchenbesuch sprachen seine Eltern mit dem Pastor und Viktorius stand abseits und wartete. Seine Eltern kamen nach kurzer Zeit wieder auf ihn zu und er erinnerte sich daran, nicht in Frage zu stellen, was gesagt wurde, es für sich zu behalten und zu funktionieren, wie seine Eltern es wollten, um Streit zu vermeiden. "Wir müssen gleich nochmal mit dir über etwas Wichtiges reden." warnte Klarissa vor und Viktorius zuckte zusammen. Er konnte sich schlecht vorstellen, worum es gehen könnte und hatte Gedanken, dass er wieder für seine Art und Weise niedergemacht werden würde.
Die Familie setzte sich zusammen und Clarence fing zu sprechen an. Die Hände waren vor seinem Körper zusammengefaltet. "Es wird Zeit, dass du dir Arbeit in diesem Dorf suchst. Du wirst nicht den Rest deines Lebens faul daheim verbringen! Ich habe mir damals auch sofort was gesucht. Und wenn du wieder sagst, du hättest keine Kraft dafür, versohle ich dir dermaßen den Hintern, dass du endlich Mal aus deiner Faulheit rauskommst!" Er wurde lauter zum Ende und schlug die Faust auf den Tisch, dass Viktorius zusammen zuckte. "J-ja..." stammelte er nur und dieser Gedanke versetzte ihn in Panik. "Und wenn ich wirklich nichts finde?" fragte er zittrig nach und seine Mutter warf mit ein: "Dann nehme ich dich wohl oder übel unter meine Fittiche und zeige dir alles, was eine stolze Hausfrau macht. Irgendwas müssen wir ja mit dir anstellen." Diese Vorstellung war ihm fast schon lieber, aber wenn er unter Mutters strenger Führung arbeiten sollte, missfiel ihm auch das. Die Stimmung spannte sich an, denn Clarence redete sich in rage und wurde strenger seinem Sohn gegenüber.
"Jetzt hör auf, so ängstlich und leise zu reden! Stell dich gerade hin, rede laut und selbstbewusst! Du bist ein Mann! Wie willst du dich sonst in der Gesellschaft beweisen?! Ich habe doch keine verweichliche Tochter mit meiner Gattin zusammen bekommen!" Clarence stand auf und schlug die Handflächen auf den Tisch. Viktorius war sprachlos und Tränen stiegen ihn in die Augen, die er seinem Vater nicht zeigen wollte. Klarissa sah dem Geschehen einfach nur zu, stand aber auf der Seite ihres Mannes. Clarence erwartete eine gewisse Reaktion von seinem Sohn. Als diese nicht kam verlangte er es laut von seinem Sohn. "Steh auf!" befahl er und zittrig tat Viktorius, was ihm gesagt wurde. Clarence packte seinen Sohn und korrigierte seine Haltung. "So läufst du ab sofort! Ich will dich nie wieder gebückt laufen sehen!" Viktorius nickte einfach nur, um zu sprechen hatte er keine Kraft. "Es geht alles, du musst nur wollen!" Er gab seinem Sohn einen Klaps auf den Rücken und setzte sich wieder.
"Ich hoffe, das war verständlich. Geh in dein Zimmer oder sonst wo hin." winkte Clarence ab und Viktorius war froh, dass es vorbei war und lief in sein Zimmer, mit geraden Schritten vor den Augen seines Erzeugers.
In seinem Zimmer schloss er die Tür und sackte zu Boden. All die angesammelten Tränen flossen über seine Wangen und er kroch in sein Bett. Er dachte an all die Worte seiner Eltern. "Ich bin anders. Ich passe nicht in die Gesellschaft. Ich funktioniere nicht, wie sie es verlangen!" schluchzte er und holte tief Luft. Er warf die Decke über sich. "Ich kann nicht so, wie sie es verlangen... Ich habe keine Kraft dazu... Warum bin ich so? Warum lässt der Himmelsfürst sowas zu?" Er krallte sich an die Decke, hielt sie vor seinem Mund und schrie laut. Der Schrei wurde von der Decke gedämpft. "Was ist los mit mir?! Was habe ich? Bin ich krank? Aber mein Körper ist doch okay, ich kann nicht krank sein! Mit mir stimmt was nicht! Warum verstehen sie es nicht und warum kann mir keiner helfen?!" Er verzweifelte an sich selber und holte vermehrt Luft. Während die Tränen über seine Augen flossen japste er nach Luft, drehte sich umher und blieb auf den rücken liegen, beide Arme ausgebreitet. Eine Zeit verging, bevor er nach der klinge in seiner Schublade griff und in rage mehrere tiefe Schnitte an seinem rechten Arm ansetzte. Beide Arme zierten mehrere Schnitte, die er mit langärmeligen Kleidungsstücken vor seinen Eltern versteckte.
Er musterte das Blut und die Klinge gedankenverloren, bis er sich vor seinem Bett hinkniete, die Klinge mit beiden Händen umfasste und zu beten anfing. Jedoch betete er nicht den Himmelsfürst an.
"Lieber Gevatter Tod, bitte erlöse mich von der Qual des Lebens. Bitte lass mich sterben, hol mich zu dir. Egal wie, aber ich will tot sein, bitte." Er flehte den Sensenmann regelrecht an, bettelte um den Tod und wollte, dass sein Leben endet. Innerlich hoffte er, dass seine Eltern nichts davon mitbekommen hatten und legte sich in sein Bett unter die Decke. Dabei schloss er die Augen und wünschte sich, niemals mehr aufzuwachen.
"Ob es anderen auch so ergeht, wie mir?" dachte er beim einschlafen.