Gina wachte wenige Stunden später wieder auf und zu ihrer Überraschung stand Fritz mit ihr auf. Er folgte ihr ins Bad und konnte kaum die Finger von ihr lassen. Sie trocknete sich ab, nachdem sie mit duschen fertig war und fragte Fritz: "Du bist so motiviert. Hast du etwas geplant?" Fritz streifte sich seine Hose über.
"Ich dachte mir, ich begleite dich heute bei deinem Seelengeleit." Gina stockte und blickte zu ihm, wie er sich sein schwarzes Oberteil anzog.
"Woher kommt denn dieser Sinneswandel?" Sie hob eine Augenbraue. Fritz griff nach seinem Mantel.
"Naja, angenommen die Welt geht unter. Es gibt noch Milliarden Menschen auf der Erde und laut deinen Erzählungen werden immer mehr Seelengeleiter erlöst. Ihr könnt jede Hilfe benötigen, die ihr bekommen könnt, oder?" Er streifte seinen Mantel glatt. Gina drehte sich zu ihm um. Auf ihren Lippen zeichnete sich ein Lächeln ab.
"Ich bewundere es, wie du immer zur Stelle bist, wenn das Totenreich Hilfe benötigt, obwohl du es so verachtest." Stolz grinste Fritz. "Wenn ich dafür Zeit mit meiner Liebten verbringen kann, immer wieder gerne." Beide näherten sich zu einem Kuss.
Fritz wartete bis Gina sich ihre Haare geföhnt hatte und bereit war, in die Totenwelt zu gehen.
In der Gilde trafen sie auf Henrik, der Fritz überrascht an sah.
"Du hier?" Fritz nickte. "Ich brauchte Abwechslung." entgegnete er und Henrik reichte ihnen einen kleinen Aktenstapel. "Vielleicht sehen wir uns jetzt öfters." freute sich Henrik und verabschiedete beide.
Fritzs erstes Seelengeleit führte ihn nach Brütteln in ein Familienhaus einer Straße. Der Garten war nur sporadisch gepflegt und mit Gartenzwergen dekoriert worden. Er betrat das Haus und teleportierte sich in das Schlafzimmer. Er schlug die Akte auf und griff nach seiner Sense. Die Sense berührte den Brustkorb der älteren Frau und ließ ihre Seele auf der Brücke wandeln.
"Caroline Steppender, geboren am 25.7.1651. Gestorben am 29.8.1717. Todesursache Untergewicht." Seine Augen ruhten auf ihren knochigen Körper. Sie war nur noch ein Skelett, über das man Menschenhaut gespannt hat. Fritz kam zu ihren Tugenden und Sünden. Ihre Sünden überwogen dabei und ihr Geleit führte sie in die Hölle. Das Letzte, was Fritz vernahm war ihre garstige Stimme, die "Fick dich!" keifte. Fritz schlug die Akte zu und begab sich zum Seelengeleit eines kleinen, schwerkranken Kindes. Dessen Seele brachte er in den Garten Eden, wo diese herzlichst von den Großeltern empfangen wurde.
Stunden später kehrte Fritz zur Gilde zurück und überreichte Herr Serptes die Akten. "Kam Gina schon vorbei?" fragte er ihn und Samuel nickte.
"Sie ist gerade beim Tod, aber jetzt können sie den Raum nicht betreten. Soweit mir mitgeteilt wurde, finden heute mehrere Erlösungen statt, die der Tod vollzieht. Sofern die Personen nicht um ein paar Tage bitten, um sich zu verabschieden, ist heute der letzte Tag der betreffenden Todeswesen." Fritz nickte und entschied sich dazu, auf die Erde zurückzukehren. Auf Gina musste er nicht mehr lange warten und sie zog ihre Stiefel im Flur aus.
"Samuel hat mir erzählt, du hast nach mir gefragt gehabt. Nach meinem Seelengeleit durfte ich Todesgeister erlösen. Eine Aufgabe, die der Sensenmann mir aufgetragen hat. Seit der Himmel gefallen ist obliegt uns diese Aufgabe." Sie umarmte ihren Gatten und legte sich mit ihm auf die Sofa-Landschaft.
"Einer der Erlösten wollte nicht aufhören, mir unter die Nase zu reiben, wie recht er hatte. Er kam in die Hölle, wie ein weiterer Todesgeist auch. Der Name Lovic sagt dir noch was?" Fritz nickte. "Er hat Mutter angegriffen und verwundet. Gut zu wissen."
"Morgen und übermorgen stehen weitere Erlösungen an, aber die übernimmt Gevatter Tod persönlich. Vielleicht können wir morgen gemeinsam eine Seele geleiten." Sie grinste und gab Fritz einen Wangenkuss. Den darauffolgenden Tag geleiteten Fritz und Gina die Seelen von Menschen, die bei einen Unfall verstarben. Fritz hielt beide Akten in der Hand.
"Eigentlich benötigst du meine Hilfe bei diesen Seelengeleit nicht, oder?" Gina musterte Fritz ermahnend.
"Hey! Ich genieße es, gemeinsam mit dir Seelen zu geleiten!" Ein leichtes Lächeln schlich sich auf Fritzs Lippen.
"Stimmt auch wieder."
Zurück in der Totenwelt vernahmen sie die Stimme ihrer Tochter auf den Fluren.
"Dad? Du hier? Seit wann?" Unter ihrem Arm waren Todesakten geklemmt. Fritz wirkte leicht beschämt. "Seit kurzem."
"Das ist so ungewohnt, dich hier zu sehen." Gamias Augen funkelten und sie lachte leise.
"Na dann, ich darf weiter." Schnell gab sie ihren beiden Elternteilen einen Kuss auf die Wange. Fritz blickte seiner Tochter hinterher, die durch ein Portal verschwand und folgte dann seiner Frau durch die Flure. Vor der Gilde sahen sie Cedric, der gerade aus dieser kam und bei Fritzs Erscheinung nicht an sich halten konnte. Er beschleunigte seinen Gang.
"Fritz, mein Junge! Henrik hat mir schon erzählt, dass er dich hier gesehen hat. Ich freu mich!" Cedric umfasste Fritzs Schultern und drückte ihn an sich. Erneut wirkte Fritz beschämt.
"Das verbreitet sich ja schnell. Sicher wissen Mutti und Frederic auch schon davon, oder?" Cedric nickte bejahend. "Sowas besonderes ist das nicht." murmelte Fritz und blickte zur Seite. Sein Vater ließ eine Hand auf Fritzs Schulter ruhen. Cedric erinnerte sich an den Konflikt mit seinem Sohn, den er vor Jahren hatte.
"S-stimmt auch wieder. Ich bin nur glücklich, dich zu sehen." Sanft lächelte Fritz. "Danke, ich freu mich auch. Grüß Mutti von mir." Cedric nickte und ließ von Fritz ab.
"Mache ich."
Cedric wartete vor der Heiler-Abteilung auf seine Frau, die gestresst auf ihm zugelaufen kam. Hastig kam sie auf ihm zu und gab ihm einen schnellen Kuss.
"Was ist los?" fragte er und hielt sie an den Armen fest, damit sie nicht weitergehen konnte.
"Zwei Kräfte sind ausgefallen. Dr. Bromerus wurde erlöst und sein Sohn hat sich freistellen lassen." Ihr Gatte nickte.
"Verstehe, aber seit wann wirft dich derartiges aus der Bahn?" Felicia hielt inne. Sie dachte über Cedrics Worte nach. "Stimmt auch wieder. Lass uns heimgehen." Auf ihren Heimweg kamen sie an den Scythe Makern vorbei.
Alma folgte Amelia in den Aufenthaltsraum der Schmiedeabteilung, wo Amelia sich mit verschränkten Armen ihrer Pause widmete. Alma setzte sich ihr gegenüber. "Lass mich bitte alleine." bat Amelia mit einem erzürnten Unterton, aber ihre Chefin ging nicht auf diese Bitte ein.
"Du bist den ganzen Tag schon schlecht drauf. Was ist los?"
"Das sollte für dich nicht von Interesse sein!" zischte Amelia und blinkte Alma erzürnt an. Alma ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
"Amelia, du bist nicht besonders gut darin, deine Emotionen für dich zu behalten."
"Warum sollte ich sie auch unterdrücken?" Alma hob beide Augenbrauen.
"Da ist was dran, aber dadurch kann man schnell erahnen, dass dir was auf der Seele lastet. Wir sind alleine und ich bin die Leiterin. Bei einigen Dingen wäre es gut, wenn ich davon wüsste, damit ich dich eventuell freistellen kann." Amelia ließ sich Almas Worte durch den Kopf gehen und lehnte sich dabei auf dem Stuhl zurück. Dann erzählte sie Alma davon.
"Mein Vater wurde gestern Abend erlöst." Almas Augen weiteten sich. "Und dann kommst du trotzdem zur Arbeit? Amelia, bitte geh heim und nimm dir die Tage frei, um zu trauern." Amelia stand auf und biss sich auf die Unterlippe. Ihre Augen wurden glasig und waren den Tränen nahe. "Dankeschön." flüsterte sie und wandte den Blick ab, um ihre Tränen zu verdecken.
Amelia klopfte an der Tür ihres Bruders, der ihr in einem Hemd und Jeans öffnete. Ihr Gesichtsausdruck, welches erfüllt von Trauer war, sprach Bände. Jackson seufzte beim Anblick seiner Schwester, als er ihre Schmutzflecken auf der Hand bemerkte.
"Warst du noch arbeiten?" fragte er vorwurfsvoll und Amelia nickte. "Bis eben ja." Er schüttelte den Kopf.
"Komm rein." Mit der Hand bot er an, einzutreten. "Danke." Mit gesenkten Kopf lief sie in seine Wohnung und er schloss die Tür hinter sich. Jackson schob seine Hände in die Jeanstaschen. "Mach es dir bequem, Lia."
Amelia rollte mit den Augen.
"Ich habe dir doch gesagt, ich mag diesen Spitznamen nicht. Ach egal." Sie setzte sich und Jackson holte zwei Bierdosen unterm Schreibtisch hervor.
"Prost." Jackson hielt die Dose in Amelias Richtung und stieß mit ihr an. Amelia genehmigte sich einen großen Schluck.
"Hast du noch mehr?" hakte sie nach und daraufhin holte Jackson den Rest des Sixer-Packs hervor."Bedien dich. Hab ich vorhin aus der Menschenwelt hergebracht. Hielt ich für nicht so verkehrt." Er genoss sein Bier genüsslich, während Amelia ihres schon zur Hälfte geleert hatte. "Na komm, wollen wir nochmal auf Dad anstoßen." merkte Jackson an und Amelia kam mit der Bierdose näher an ihren kleinen Bruder heran. Ihre Dosen berührten sich.
"Auf Dad!" Die Geschwister verbrachten den Tag zusammen und Amelia schlug mit dem Alkoholkonsum über die Strenge.
Betrunken lag sie auf Jacksons Sofa, der ihr eine Fleecedecke brachte. Er räumte die sechs leeren Dosen weg, wovon vier von Amelia geleert worden waren. Bevor er sich ins Bett legte warf er einen letzten Blick auf seine Schwester.
"Kleine Schnapsdrossel."
Shadia klopfte an der Tür des Versorgungsraumes und erblickte ihre Arbeitnehmerin, die zur neuen Führung ernannt wurde.
"Shadia, was führt dich her?" fragte sie und wusch nebenbei den Körper der verstorbenen, mageren Frau, die bereits zu verwesen angefangen hatte.
"Ganz ohne geht irgendwie auch nicht. Seit Kindesbeinen habe ich meine Berührungspunkte mit diesen Beruf. Jetzt einfach aufzuhören fühlt sich komisch an." Sie senkte den Kopf und begab sich zum Versorgungstisch. Ihre Kollegin berichtete ihr von der Frau auf dem Tisch. "Sie lag bereits drei Tage tot in ihrem Bett, bis ihre Töchter sie fanden."
Shadia neigte den Kopf schief und hob eine Augenbraue. Obwohl das Gesicht eingefallen war, erkannte Shadia den Menschen vor sich. "Heißt die Dame bürgerlich Caroline Steppender?" Ihre Arbeitnehmerin nickte. "Ja, soweit ich weiß."
"Danke dir. Es hat doch immer seine Vorteile, mal reinzugucken." Shadia sah der neuen Führungsposition eine Weile über die Schulter, bis sie sich verabschiedete. Sie sah bei ihren anderen Arbeitnehmern rein und blickte in ihr Büro, welches sie die Tage ausräumen wollte. Ein Schritt, der ihr noch schwerfiel und den sie hinauszögerte. Die neue Führung störte sich nicht daran und gab Shadia ihre Zeit. Trotzdem wusste Shadia, dass es demnächst vonstatten gehen müsse. Bis dahin tat sie sich keinen Zwang an, weiterhin die Beerdigungen zu organisieren.
Shadia nahm ihr Handy zur Hand und versuchte ihren Schwiegersohn und dann ihren Sohn zu erreichen. Keiner der Beiden meldete sich. Shadia nahm den Terminplaner zur Hand und blickte auf die Uhr. Es war 12:45 und in einer Viertelstunde erwartete sie ihren nächsten Termin.
Musuko saß an seinem Tablet und die Klingel seiner Tür ließ ihn aufhorchen. Er vernahm die Stimme seiner Klientin.
"Ich habe gesagt, wir fahren um halb los, aber nein, das hast du wieder nicht auf die Reihe gekriegt, Dad!" Musuko linste zum Eingangsbereich und stand auf.
"Guten Tag!" grüßte er ausgelassen und vor ihm stand ein 20-jähriges Mädchen von 1,70m und einer kräftigeren Statur. Hinter ihr stand ein Mann in Musukos Alter, der ca 1,80m groß war und eine ebenso kräftige Statur besaß. Diesen Mann erkannte Musuko wieder und seinem Gegenüber erging es ähnlich.
"Musuko?"
"Karlo?"
Das Mädchen blickte zu Karlo.
"Ihr kennt euch? Echt jetzt?" Ihr Vater nickte. "Wir waren in derselben Klasse." Die Details ließ er aus.
"Na darum soll es heute nicht gehen! Wir hatten geschrieben, Patty, wegen dem Maskengesicht?" Sie nickte und folgte Musuko
"Darf mein Vater zum zugucken bleiben? Er ist mein Fahrer." Musuko sah zu Karlo und zuckte mit den Schultern. "Klar, warum nicht?" Karlo setzte sich und musterte das Studio. Ihm war die Situation unangenehmer als Musuko.
"Du bist also Tätowierer geworden? Hast ja in der Schule schon immer gezeichnet." murmelte Karlo und Musuko nickte.
"Bis die Lehrer es mir verboten haben. Aber ja, wenn ich nicht gerade gepennt habe, hab ich das gerne gemacht. Ohne Übung wird man nicht besser." Musuko wartete darauf, dass der Scanner hochfuhr. In der Zwischenzeit schloss er die Tür ab.
"Hast du noch Kontakt zu jemanden aus der Schule?" hakte Karlo nach.
"Nur zu Heather."
"Ach das Mädchen, das in der 10.ten auf unsere Schule gewechselt ist?"
"Jo." Musuko fokussierte sich auf seine Arbeit.
"Ich hab noch zu paar von den Jungs Kontakt." Musuko nickte nur und wandte sich an Patty. Auf das Gesagte ging Musuko nicht weiter ein und die kurze Session verlief in Stille. Karlo verabschiedete sich wortkarg mit seiner Tochter nach der Session und Musuko war innerlich froh, als beide weg waren. Während des Aufräumens klopfte es an der Tür. Dieses hörte nicht auf und war energisch. Musuko spurtete zur Tür. "Schlag mir doch gleich die Tür ein!" fluchte er und rollte mit den Augen, als er seine zwei Schwägerinnen sah. Er machte ihnen auf.
"Danke! Ist Mikel bei dir? Wir müssen ihn sprechen!" fragte Patricia aufgewühlt.
"Bitte." flehte Caitlyn und man sah Musukos Gesicht an, dass er unerfreut über ihren Besuch war.
"Er ist noch bis 16 Uhr arbeiten. Was möchtet ihr denn? Ich richte es aus." Er verschränkte die Arme dabei.
"Ok, danke. Wir haben seine aktuelle Nummer nämlich nicht und können ihn auch nicht anderweitig erreichen. Was anderes fiel uns nicht ein. Es geht um Mutter. Sie ist verstorben." Musuko hob eine Augenbraue, als er Patricias Worte hörte.
"Richte ich aus, aber ihr kennt ihn. Er wird der Beerdigung nicht beiwohnen." Beide Frauen nickte.
"Ist gut, wir wollten es nur gesagt haben." murmelte Caitlyn und wirkte mürrisch.
Die Schwestern verabschiedeten sich von Musuko. Musuko schloss den Laden wieder ab und räumte in Ruhe auf. Er teilte Mikel die Nachricht mit. Wie zu erwarten ließ ihn diese kalt. Er wohnte weder der Beerdigung bei, noch sah er etwas vom geringen Erbe. Es war, als hätte Caroline nie einen Sohn gehabt.