Die Beerdigung war für Niklas ein weiterer schwerer Tag, der ihm zeigte, dass sein Vater nicht mehr war. Er hatte die letzten Tage dank Hilfe seiner Freundin verkraften können. Dass er Franks Tod die ganze Zeit vorhersehen konnte, war für ihn ein Fluch gewesen.
In der Kirche fanden sich Niklas, Gamia und ihre Eltern wieder, wie auch einige Freunde von Frank, die er durch das Leben als Landwirt gefunden hatte. Sie saßen alle in der Kirche und blickten auf die Urne. Draußen vor der Kirche stand der Bestattungswagen von Shadia, welche sich ihre formelle Kleidung angezogen hatte. Musuko stand neben ihr, welchen sie dazu zwingen musste, Hemd und Jackett zu tragen. Frau Kreuzberg war die Rednerin und ihre Tochter stand ein wenig Abseits, um von ihr zu lernen. Irgendwann würde sie diese Reden halten. Ganz vorne saß Franks Familie und die Pastorin tauschte einen interessierten Blick mit Gina aus, die in einem schwarzen Anzug neben Fritz saß. "Jetzt wohne ich als Sensenmann einer Beerdigung bei." flüsterte Gina ihrer Tochter zu, welche seufzte und Niklas Hand hielt. Gamia hatte ihre Haare zu einem aufwendigen Zopf mit Spangen frisiert und überschlug die Beine, geziert von einem schwarzen Rock und einer Feinstrumpfhose.
Die Pastorin begrüßte die Teilnehmenden herzlich und in diesem Moment zeigte sich der Geist von Frank und Eliane. Frau Kreuzberg war sich dessen bewusst, aber mittlerweile geübt darin, die Geister zu ignorieren. Gina und Fritz blickten seelenruhig zu dem Pärchen, während Gamia versuchte, dass Niklas nicht viel davon mitbekam.
Sie wusste nicht, wie er reagieren würde. Mit gesenkten Kopf sah er auf den Boden. Die Pastorin erzählte von Franks Leben.
"Von klein auf an hatte Frank sich der Landwirtschaft verschrieben und fehlte auch mal einige Schultage, wenn Erntezeit war. Trotzdem schaffte er es, nicht sitzen zu bleiben und absolvierte nach der Schule die landwirtschaftliche Lehre." Ein leises Schmunzeln ging durch die Kirche.
In der Zeit, während Frau Kreuzberg die Rede abhielt, ergriff Frank Elianes Hände und sie fingen an, in der Kirche zu tanzen. "Du hast kein Taktgefühl." stellte Eliane nach wenigen Schritten schmunzelnd fest, doch das hielt Frank nicht davon ab, weiter durch die Kirche zu tanzen. Ungeschickt bewegten sie sich durch den Gang und Eliane stieß leicht gegen eine Bank. Die Besucher vernahmen nur ein Knacken der Bank. Das Paar lachte und fuhren ihren tollpatschigen Tanz in der Kirche fort.
"Wer hätte gedacht, dass ich mal so klein bin und in eine Urne passe?" scherzte Frank und war bei bester Laune. Der Blick beider fiel auf Niklas. "Da sitzt unser Sprössling." seufzte Eliane und sah ihm die Trauer an. "Wir sollten zu ihm." meinte sie und verlangsamte ihre Bewegung mit Frank. "Nach der Beerdigung. Es würde die Veranstaltung stören." erwiderte er und schmiegte sich an seine Geliebte.
Draußen läuteten die Kirchenglocken und Engel blickten von der Kirche auf die Menschen runter. Die Familie, wie auch die Bekannten folgten der Pastorin und Bestatterin zum nahegelegenen Friedhof, um die Urne beizusetzen. Als die letzte Schaufel Erde die Urne bedeckte, wehte ein Wind durch den Friedhof, welchen alle Beteiligten wahrnahmen.
Frank und Eliane beobachteten die Beisetzung vom weiten und ließen dabei den Blick über all die Geister auf dem Friedhof schweifen. Die Angehörigen verweilten an Franks Grab und Niklas realisierte endgültig, dass sein Vater nicht mehr lebte. Tränen rangen seine Wange runter und Gamia drückte ihn an sich. Ihre Hände strichen über seinen Rücken und der Latzhose. Franks Bekannte unterhielten sich über sein Leben und ließen Niklas mit Gamia alleine. Gina hingegen ließ Fritz einen Moment alleine und lief zu Shadia und der Pastorin. Die drei Frauen blickten sich an und Gina ahnte, dass beide wussten, was ihnen gegenüberstand. Obwohl sie ihre Aura verdeckte, erkannten sie es und Gina war fasziniert, zu was Menschen fähig sein konnten.
Gina lächelte und sprach dann. "Ich danke euch für eure Aufgaben, die ihr verrichtet. Was ihr tut ist vom großen Wert." Shadia war stolz auf dieses Lob, auch wenn es sie gleichzeitig beschämte. Sie dankte Gina für das Kompliment. "Selbstverständlich. Wissen sie, als jemand der beim sterben nur assistiert, weiß ich ihre Tätigkeit sehr zu schätzen." Sprachlos nickte Shadia und die Pastorin dankte erneut im Namen beider. Gina lief zurück zu Fritz, während Musuko sich seiner Mutter näherte. "War das der Tod?" fragte er leise und hemmungslos und Shadia fasste sich seufzend, leicht lachend, an den Kopf.
Fritz hatte sich seine Karten zur Hand genommen und blickte zum frischen Grab. "Es war immer cool, dir auf dem Hof zu helfen und danach ein Bier mit dir zu trinken." sprach er und kniete sich hin. "Ja, das fand ich auch." entgegnete Frank und setzte sich auf sein eigenes Grab. Von außen sah dies für die Menschen komisch aus und Fritz stand schnell wieder auf, als er es selber realisierte. Seine Tochter stand mit Niklas bei Shadia und wechselten ein paar letzte Worte. Sie verabschiedeten sich und die Truppe fuhr gemeinsam zu Niklas Hof, welchen er nun vollständig geerbt hatte.
Sie hatten zwei Partybänke aufgebaut und der Grill wurde angemacht. Gina entledigte sich als erster ihrer formellen Kleidung, zog die Jacke aus und knöpfte ihr Hemd leicht auf. Unbemerkt linste Fritz auf ihren Ausschnitt.
Fleisch, zum Teil eigens von den Galloways, wurde auf den Grill gelegt und die Biere geöffnet. Gemeinsam stießen sie an. "Auf Frank!"
Ab diesem Moment ging es Niklas besser. Zu elft saßen sie auf dem Hof und die Stimmung war überraschend ausgelassen.
Niklas aß zwar nichts, aber er trank ein Bier mit den Gästen mit, die mitunter mit ihm über Frank redeten.
"Wie er das alles unter einem Hut bekommen hat, der Hof, Haushalt und dann noch alleinerziehend, sagenhaft. Also das muss man ihm wirklich hoch anrechnen!" erzählte einer der Männer und klopfte auf die Bank. Niklas schmunzelte stolz. Still saß Gamia neben ihm.
"Und das ist deine Angebetete?" rief ein korpulenter Bauer, der schon zwei Bier hatte und Niklas nickte. "J-ja. Ich habe sie vor circa über 20 Jahren kennengelernt, als sie mit ihren Eltern hierhergezogen ist." erzählte er und sein Gegenüber linste zu Gamia. "Schmuckes Mädl hast du da gefunden." Niklas zog instinktiv Gamia fest zu sich, legte den Arm um sie und strich über ihren Oberarm. "Ey, sie bleibt meine, ja?" Peinlich berührt lief Gamia rot an. Ihre Eltern beobachteten das Szenario und waren gerührt.
"Unsere Tochter. Sie ist glücklich mit ihm, das ist wichtig." schwärmte Gina, als Fritz von der Seite meinte: "Wenn nicht, dann hätte ich ihn mir schon lange gekrallt, khehe." Fritz Beschützerinstinkt kam in ihn durch. Kurz darauf stießen beide nur für sich mit ihrem Bier an. Bei der guten Stimmung vergaßen die Beteiligten fast den traurigen Grund für ihr zusammen sein.
Allerdings war Frank immer ein positiver, lebensfroher Mensch gewesen und hätte sich diesen abschied gewünscht. Und wenn er könnte, hätte er sicher ein paar Bier mitgetrunken.
Niklas und Gamias Familie waren die Letzten, die sitzen blieben. Sie halfen ihn beim aufräumen und trugen die zwei Partybänke in die große Halle. Niklas war für einen Moment alleine und vernahm plötzlich ein: "Hallo Sohnemann!"
Er zuckte zusammen und drehte sich um. Er erblickte Frank in seinen 30ern und seine Mutter, so wie er sie in Erinnerung hatte. Niklas war sprachlos und wusste nicht, was er sagen sollte. Deshalb brachte er das Erstbeste heraus, was ihn in den Sinn kam. "Paps, du siehst so jung aus."
Auf einmal prusteten alle los vor lachen. "Tja, das muss dieses ewige Leben sein, von dem alle reden." lachte Frank und das Eis war gebrochen. "Weiß du, an dem Abend, wo ich starb, ahnte ich meinen Tod bereits. Es war ein komisches, nicht zu beschreibendes Gefühl, welches ich hatte. Vermutlich eine Vorahnung." erzählte Frank und fragte dann: "Na, wer hat meine Seele geleitet?"
"Gina. Gamia stand mir bei, während..." murmelte er und seine Stimme versagte. "Wart ihr schon die ganze Zeit hier?" fragte Niklas und sein Vater nickte. "So in etwa. Während ihr hier alle gesessen habt, sind wir durch den Hof und die Feldmarkt gelaufen. Wir waren auch in der Kirche und auf dem Friedhof, aber wir wollten den ruhigen Moment mit dir abwarten." erklärte Frank lächelnd und kurz darauf fanden sich alle drei zu einer Umarmung zusammen. "Ich bin nur froh, euch noch einmal sehen zu dürfen." hauchte Niklas und zu wissen, dass sein Vater gut auf der anderen Seite angekommen war, erfüllte ihn mit Glück und Erleichterung. "Kümmere dich gut um den Hof." bat Frank in seinem ruhigen, fürsorglichen Tonfall und Niklas nickte eifrig. "Werde ich! Ich werde ihn noch viele Jahrzehnte weiterführen." versprach Niklas und Eliane warf mit ein: "Vielleicht ja auch irgendwann mit deinen eigenen Kindern."
Aber daraufhin schüttelte Niklas nur den Kopf. "Kinder sind uns leider versagt. Wir hätten gerne zwei Kinder gehabt, aber es darf nicht sein. Tut mir leid, dass du nie miterleben darfst, wenn wir heiraten sollten oder du mit Enkelkindern Traktor fährst." seufzte Niklas und senkte den Blick. "Na, und? Es gibt viel schlimmeres! Deine Mutter und ich waren auch nicht verheiratet und wenn ihr keine Kinder haben könnt, dann ist das nun mal so. Außerdem; selbst wenn ihr euch noch einmal das Ja-Wort geben solltet, wir werden trotzdem da sein. Vielleicht nicht mehr aus Fleisch und Blut, aber als Seelen." Franks optimistische Art ließ Niklas Sorgen vergessen und neuen Mut schöpfen. "Ich hoffe doch, du hast vorhin ein Bier für mich mitgetrunken." meinte Frank scherzend und Niklas entgegnete munter: "Natürlich doch!"
Gina und Gamia hörten das Gespräch und hielten sich verdeckt, um diesen Moment nicht zu stören. "Wir werden wieder zurück in den Himmel kehren. Deine Großeltern sind ebenfalls dort und unser persönlicher Himmel ist dieser Hof hier." erzählte Frank und der Abschied war vorerst gekommen. Eliane drückte ihren Sohn an sich und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Frank umarmte ihn stolz und strich über seine rechte Schulter. "Wir werden uns wiedersehen."
Erst nachdem seine Eltern in den Himmel übergetreten waren kamen Gamia und Gina um die Ecke. Er fiel regelrecht in Gamias Arme und sie spürte, dass eine Last von ihm gefallen war. Er war glücklich, diesen Tag geschafft zu haben und fragte sich, was die nächste Zeit mit sich bringen würde.