"Ihr wisst, dass es zwei Arten von Todeswesen gibt. Einmal die Todesgeister, welche als Sünder in dieser Welt ihre Strafe begleichen und die Todesengel, welche in dieser Welt geboren worden sind. Cedrics Eltern waren Todesgeister und die Obersten in der Gilde. Sie waren ein Ehepaar und lebten diese Liebe auch im Totenreich aus. Eine lange Zeit verging, bis seine Mutter gestand, dass kleine Engel bei ihr gewesen wären. Cedric war der erste Todesengel, der in dieser Welt geboren wurde und kurz darauf erblickte auch Henrik, sein Zwillingsbruder, das Licht der Totenwelt." Langsam verstand die Familie immer mehr, was vor sich ging und mit ruhiger Stimme fuhr sie fort.
"Obwohl beide eineiige Zwillinge waren, haben sie sich nicht verstanden und fast nur miteinander gestritten. Cedric war komplett introvertiert und Henrik extrovertiert. Das hat oft zu Streit geführt, weil sich beide gegenseitig nicht verstanden haben."
Die Familie verstand immer mehr, warum Cedric so reagiert hat. "Die Zwillinge waren 14, als im Totenreich etwas geschah, was der Situation von jetzt sehr ähnelt. Euch ist die größte Tragödie des Zwischenreich bekannt, oder? Der Kampf um die Seelen 1409." Bestätigend nickte Fritzs Familie und senkte den Kopf. In der Lehre wurde es immer intensiv erklärt. "Ein mächtiger Teufel wollte sich mehrere Seelen einverleiben und die Todeswesen kämpften gemeinsam gegen diesen. Darunter waren auch Cedrics Eltern und sie beide wurden von dem Teufel getötet."
Fritz weitete die Augen und hatte ein starkes Mitgefühl für seinen Vater. Mit traurigen Blick erzählte Felicia weiter. "Das war ein harter Schlag für alle. Die Totenwelt hatte ihre obersten Gildenführer verloren und die Zwillinge waren fortan Waisenkinder. Der Tod nahm sich der Situation an und stellte die Gilde neu auf. Da ihre Eltern sehr gut mit dem Tod befreundet waren, kümmerte dieser sich um das Schicksal beider und ein neues Mitglied der Gilde sorgte sich um die Zwillinge. Der Verlust saß tief und schmerzte, besonders Cedric hatte damit zu kämpfen. Er sträubte sich sehr gegen seinen Ziehvater und war psychisch am Ende. Der Einzige, der ihm Halt hätte geben können war Henrik, doch dieser verarbeitete den Tod komplett anders. Schließlich eskalierte die Situation, als Henrik meinte, Cedric müsse der Tatsache endlich ins Auge blicken. Beide verstanden die Trauer des jeweils anderen nicht und fingen an, sich ganz schlimm zu prügeln, nachdem Henrik ihn eine Ohrfeige verpasste. Die Prügelei war so schlimm, dass erst ihr Ziehvater kommen musste, um sie zu trennen. Daraufhin brach das Verhältnis endgültig zusammen." Felicia faltete die Hände zusammen und beendete die Erzählung. Die Familie konnte Cedrics Reaktion mittlerweile nachempfinden und fühlte innerlich mit ihm, auch wenn es alle noch ziemlich überraschte. "Danke, dass du es uns erzählt hast." dankte Fritz und war erleichtert, dass seine Frage, die ihn so beschäftigt hatte, beantwortet worden war. "Wo ist Vater eigentlich hingegangen?" Fritzs Mutter überlegte und hatte einen Verdacht. "Lass mich das machen."
In der Zwischenzeit klopfte es an Henriks Wohnungstür, welcher diese nach kurzer Zeit öffnete und einen Moment überrascht zu seinem Besucher sah. "Hallo Cedric! Was führt dich denn zu mir? Komm rein!" Er lächelte und schloss hinter Cedric die Tür. Cedric verschränkte die Arme und lehnte sich an die Wand. Mit gesenkten Kopf und kaltem Tonfall sagte er: "Du hast Fritz davon erzählt."
Fragend sah Henrik seinen Bruder an, verstand dann aber was er meinte. Henrik ballte die Hände zu Fäusten. "Was stört dich denn daran so sehr?" Er schaute Cedric direkt an und war etwas erzürnt. "Ich gehöre genauso zur Familie und du kannst mich nicht verleugnen. Irgendwann kommt sowieso immer alles raus!" Cedric sah Henrik verhasst an. "Ich möchte mit dir nichts mehr zu tun haben, halt dich von mir fern! Für mich gehörst du nicht mehr zur Familie. Für mich bist du ein Niemand!" Er sprach diese Worte eiskalt vor Henrik aus, welcher einen Schritt zurück wich. Henrik sah zur Seite, bevor er ruhig meinte: "Es ist mir egal, wie du mich siehst, aber für mich bist und bleibst du mein Zwillingsbruder. Wir haben eine schwere Zeit durchgemacht und das gleiche Schicksal erlitten und es tut mir doch auch leid!" Zum Ende wurde Henrik etwas lauter, aber seine Worte waren Cedric egal. "Entschuldige dich so oft du willst, ich verzeihe dir nicht! Das macht das von damals nicht ungeschehen!" Genauso wie Cedric wurde auch Henrik langsam ungemütlich und unüberlegt rief er: "Zu weinen und sich auf vergangene Dinge zu beruhen bringt unsere Eltern auch nicht zurück!!"
Er biss die Zähne zusammen und Cedric musste sich beherrschen. "Wie bitte?! Hast du dir je selber zugehört oder über deine Aktionen nachgedacht? Dann würdest du merken, wie viele Personen du mit deinem taktlosen emphatielosem Verhalten verletzt!" Cedric trat wütend an Henrik heran, welcher zurück zur Wand wich und sah seinen Bruder mit einem selbstbewussten kühlen Blick an. Plötzlich klopfte es an der Tür und Cedric ließ von seinem Bruder ab, welcher die Tür öffnete. Es war Felicia.
"Guten Abend, ich wollte nach Cedric sehen." Sie linste in die Wohnung rein und winkte dann. "Entschuldigung." Damit trat sie vorsichtig rein und ergriff Cedrics Hand. "Wir wollten nicht stören." Sanft lächelte sie und Henrik erwiderte dieses. "Es ist schon okay." Er senkte den Blick und winkte leicht zum Abschied, bevor er die Tür ins Schloss fallen ließ.
Felicia umfasste weiterhin Cedrics Hand, bevor sie ihn direkt anblickte und seinen noch leicht erzürnten, aber traurigen Blick sah. Er seufzte tief und schien sich zu beruhigen. Daraufhin drückte er seine Frau. "Danke, für alles eben. Ich hätte nicht gewusst, wie ich weiter gemacht hätte." Mitfühlend erwiderte sie seine Umarmung und Cedric beruhigte sich. "Alles gut, ich habe es ihnen erzählt und sie sind dir nicht böse, dass du es verschwiegen hast. Komm, lass uns heim." Felicia lächelte und ihre Worte erleichterten Cedric sehr. "Da bin ich aber froh." Hand in Hand liefen sie durch ein Flügelportal heim und setzten sich. Cedric erzählte Felicia sachlich von dem, was er mit Henrik besprochen hatte und sie hörte ihm sehr gut zu. "Wie ich schon sagte, ihr seid unterschiedlich und habt es anders verarbeitet. Dein Bruder wird auch getrauert haben, aber auf seine Weise. Was er getan hat, dich zu schlagen, weil du anders getrauert hast, ging wirklich nicht. aber versuch ihm vielleicht zuzuhören. Bei sündhaften Todeswesen hörst du dir auch die andere Seite an, warum nicht auch bei Henrik? Vielleicht verstehst du dann besser, was in ihm vor ging." Auch wenn Cedric die Worte seiner Frau sehr schätzte und ihr zustimmte, er konnte es nicht.
Fritzs Familie war wieder auf der Erde und sprachen über Felicias Erzählung. "Ich wusste, dass es geborene Todeswesen gibt, aber ich hätte nicht gedacht, dass Opa der erste Todesengel im Zwischenreich ist." meinte Gamia noch etwas überrascht, auch wenn sie im Gedanken bedrückt über Cedrics Vergangenheit dachte. Fritz bestätigte ihre Aussage mit einem Nicken und fragend sah Gamia zu ihrer Mutter. "Warum bekommen einige Todeswesen Kinder und wiederum andere nicht? Das ist eine Sache, die in der Lehre nicht beigebracht wird." hinterfragte Gamia interessiert und war ratlos. Diesmal wusste Gina allerdings keine Antwort. "Es sollen wohl nur sehr wenige Seelengeleiter wissen. Ich denke, dass Cedrics Eltern es gewusst haben könnten, aber diese leben nicht mehr. Dass Todesengel unter sich Kinder haben können, erscheint mir sinnig, aber beim Rest bin auch ich ratlos, Gamia." Gina senkte den Kopf und seufzte. "Ist schon okay." meinte Gamia sanft lächelnd. Sie zog sich einen schwarzen alten Pullover an und lief zu Niklas rüber. Er freute sich, als er sie sah und lächelte, aber wirkte etwas gereizt. Vorsichtig fragte sie ihn und wütend seufzte er: "Der Keilriemen ist abgerissen und jetzt muss ich morgen einen neuen holen! Was für ein Mist!" Gamia merkte, dass Niklas für seine Verhältnisse schlecht gelaunt war und bemerkte eine Nebelschwade an seiner Seite, die er auch wahrzunehmen schien. Diese erfreute sich wohl lediglich an seinen negativen Gefühlen. Gamia senkte den Kopf und lächelte ruhig. "Das ist natürlich doof, aber wird wieder. Sonst machen wir eben etwas anderes." Ihr Freund schüttelte den Kopf. "Ich gehe jetzt rein und mache nichts mehr." Damit wandte er sich vom Trecker ab und lief wütend mit gesenkten Kopf zum Haus. Dabei folgte Gamia ihm, als er meinte: "Lass gut sein, ich möchte alleine sein." Er lief weiter und zog sich um. Seine Freundin ging ebenfalls wieder heim und war betrüb darüber. "Du bist ja schnell wieder daheim, alles okay?" hakte ihre Mutter nach und musste ihre Tochter nur ansehen, schon wusste sie, dass es das nicht war. "Niklas war mies drauf und wollte alleine sein." Gina drückte sie kurz. "Dann lass ihn. Einige brauchen dann Zeit für sich, aber er hat dich trotzdem noch lieb." Ihre Tochter nickte bei diesen Worten und sah dies genauso. Dann grinste ihre Mutter. "Außerdem kommst du gerade Recht. Dein Vater und ich wollten gerade eine Runde Karten spielen." Zu Dritt setzten sie sich ins Wohnzimmer und spielten Karten, dabei verlor Gina wieder.
Niklas hatte sich gerade umgezogen und traf auf seinen Vater in der Küche, welcher spät zu Abend aß. Er setzte sich dazu, sagte nichts, aber Frank ahnte sofort, dass etwas nicht stimmte. "Ist etwas passiert? Ich merke, dass du sauer bist." Frank kannte seinen Sohn in-und auswendig. Nach einem kurzen Moment erzählte Niklas dann, dass der Keilriemen kaputt gegangen sei. "Wirklich? So ein Mist!" fluchte Frank und legte die Gabel zur Seite. "Das erinnert mich aber an eine Geschichte von damals. Das letzte Mal, dass der Keilriemen abgerissen ist, ist knapp über 21 Jahre her. Das weiß ich noch genau, weil deine Mutter zu dem Zeitpunkt schwanger mit dir war und von der Arbeit kam. Ich wollte gerade die Weide mähen und da ist er abgerissen." Er schmunzelte amüsiert über diese Anekdote und nahm noch einen Bissen Käsespätzle, bevor er den Teller in den Geschirrspüler tat. Bei dieser Erzählung fing Niklas an, ein bisschen zu lächeln.
Am nächsten Tag besorgte Niklas den neuen Keilriemen, aber hatte anfangs Probleme diesen einzubauen und regte sich darüber auf, bevor sein Vater ihm dabei half. Niklas hatte eine Pechsträhne und selbst simple Dinge, wie das Füttern der Tiere, wollt nicht so recht gelingen. Das machte ihn wütend aber auch etwas deprimiert. Norbert bat ihm bei den Schafen zu helfen, aber beide schafften dies nur mit Mühen. "Tut mir leid, heute ist nicht mein Tag." entschuldigte er sich niedergeschlagen, aber Norbert dankte ihm trotzdem. "Kein Problem, Niklas." Er verabschiedete sich von Norbert, welcher den Rest noch selber erledigte und dann ins Haus ging. Dabei linste er in Rins altes Zimmer und wischte einmal durch. Norbert hatte ihr Zimmer genauso unverändert gelassen und räumte lediglich ein paar Bücher über Okkultismus und weiteres zur Seite, um entlang zu wischen und war immer wieder selber erstaunt, wie viel sie über dieses düstere Thema besaß. Rin war allerdings ein Halbdämon gewesen, weshalb es ihn weniger wunderte und zu ihren Geburtstag hatte er ihr oft Gothic Kleider oder Deko zu diesem Thema geschenkt. Beim wieder einräumen ins Regal fiel Norbert eines der Bücher beinahe hinunter, konnte es aber noch auffangen und musterte den Einband von diesem Buch genauer.
Henrik hatte das zweite Exemplar des Regelbuches vor sich liegen und begutachtete einen Großteil der Todeswesen, die in den Gildenraum eintraten. Aus Gründen wie den folgenden war der Gildenraum wie ein Politiksaal aufgebaut. Damit in Notfällen viele Seelengeleiter darüber informiert werden konnten. Nicht alle konnten kommen, da die Seelen weiterhin geleitet werden mussten. Einige wie Cedric und Felicia kamen nicht, da sie davon wussten.
Alle Mitglieder der Gilde waren anwesend und Herbert saß neben Henrik. Die Gildentür schloss sich und alle drei Gildenmitglieder erhoben sich. Henrik rückte seine Brille zurecht, hielt das Regelbuch in der Hand, bevor er laut zu sprechen begann. "Mein Name ist Henrik Dronner und ich bin der oberste Gildenführer. Wir haben Sie alle heute hierher gebeten, um über einen Notfall zu sprechen. Ihnen ist alle der große Seelenkampf um 1409 bekannt. Gerade herrscht ein ähnlicher Zustand und ich möchte Sie bitten, aufzupassen. Es ist bereits eingetroffen, dass eine gute Seele von einem Teufel verschlungen wurde. Dies darf unter keinen Umständen geschehen! Melden Sie Auffälligkeiten bitte umgehend und achten Sie auf sich und besonders auf die Seelen!!"
Damit beendete Henrik seine Erzählung und langsam traten die Todeswesen aus der Gilde. Henrik sagte den beiden anderen Mitgliedern, dass er die restliche Nacht übernehmen würde. Kurz nachdem beide gegangen waren, öffnete Henrik eine Weinflasche. Herbert war bei ihm und musterte Henrik ausführlich. "Soll ich dir auch etwas einschenken, Herbert? Heute habe ich einen spanischen Rotwein dabei." Sein Gegenüber überlegte kurz und nickte dann. "Danke, gerne würde ich ein Glas nehmen." Daraufhin schenkte Henrik ihn ein Glas ein. "Gibt es etwas, was es mittzuteilen gibt? Sonst trinkst du doch kaum Wein mit mir, nur zu Anlässen." merkte Henrik interessiert an und nahm einen genüsslichen Schluck. Mit seiner Vermutung lag er richtig. "Das stimmt, Henrik. Es gibt dafür einen ganz bestimmten Grund." Herbert sprach ruhig mit Henrik, welcher die Beine überschlug. "Ich habe mit dem Tod gesprochen. Ich werde demnächst erlöst."