Es war schon eine Weile vergangen, seit dem der weiße Tod den Sensenmann besucht hat. Er wurde bereits erwartet, als er die Tür zum Sensenmann betrat. Beide begrüßten sich und waren erfreut, den jeweils anderen zu sehen. Der weiße Tod zog die Kapuze runter und offenbarte das androgyne Gesicht mit kurzen, weißen Haaren. Auch Gina freute sich über die Ankunft und drückte den weißen Tod an sich. "Wie viele Jahre bereits vergangen sind. Ich habe einfach immer noch vor Augen, wie Mutter Natur deine Hülle geschaffen hat." seufzte er gedankenverloren und war stolz auf Gina.
"Wie ist es euch ergangen?" hinterfragte der weiße Tod den Sensenmann. "Um ehrlich zu sein, gab es die letzten Tage viel Auffuhr." Er berichtete von den Seelengeleitern, die sich ihrer Arbeit verweigerten. "Aber ihr kommt zurecht, oder?" hakte der weiße Tod nach und sein Gegenüber nickte. Daraufhin berichtete dieser von den aktuellen Geschehnissen. "Meine Aufgabe, Tiere zu geleiten mag weniger komplex sein, aber es gibt einige besorgniserregende Dinge.", Er seufzte und erzählte weiter. "Arten sterben aus, sei es durch Umweltveränderungen oder Menschen. Es ist furchtbar. Ich mache mir Sorgen um Mutter Natur. Sie braucht dringend eine Pause. Sie ist so sehr damit beschäftigt, Hüllen zu erschaffen, um der Überbevölkerung gerecht zu werden, dass sie sich dabei verliert." Er senkte den Kopf und dachte an seine Erschafferin. Gevatter Tod suchte nach einen Rat, den er dem Tod der Tiere mitgeben konnte. "Geh mit Mutter Natur in den Garten Eden. Es ist immerhin ihre Welt." schlug er vor und der weiße Tod nickte. "Ich werde es versuchen, danke." Beide verneigten sich leicht voreinander zur Verabschiedung und der weiße Tod kehrte zu Mutter Natur zurück.
Mutter Natur kniete vor der Hülle, um ins Detail bei den Füßen zu gehen. "Hier ein kleiner Leberfleck." hauchte sie und war zufrieden mit der Hülle, welche sie abholen ließ. Von hinten lief ihr Gehilfe auf sie zu und flüsterte: "Es wird Zeit für eine Pause." Mutter Natur zuckte zusammen.
"Nein, das geht nicht! Es gibt so viel zu tun!" rief sie, doch entgegen dieser Aussage setzte ihr Gehilfe den Rat in die Tat um.
Mit der Sense durchschnitt ihr Gehilfe die Dornenranken, die sich als zäh erwiesen. Mit seinen Händen entfernte er die Dornen an Mutter Naturs Füßen, die den Schmerz kaum mehr spürte. "Lass uns in den Garten Eden gehen." sagte ihr Gehilfe sanft und half Mutter Natur beim aufstehen. "Ich war ewig nicht mehr dort, obwohl ich diesen Ort erschaffen habe." murmelte Mutter Natur und humpelte durch das Portal zum Garten Eden.
Grün, sattes grün tat sich vor ihren Augen auf und sie erblickte die Seelen der verstorbenen Tiere, die Menschen die an sie glaubten und die Natur, die sie geschaffen hat. Sei es nun die Grünfläche, die Wälder, die Eislandschaft in der Ferne, das Meer oder die Wüste.
Ihre nackten Füße berührten das Gras, Vögel flogen vor ihr entlang, mit der Hand tauchte sie in das Wasser ab und erinnerte sich an all die Schönheiten. Sie lief auf einen Baum zu, berührte ihn mit der offenen Handfläche und umarmte ihn dann. Sie genoss das Gefühl, die Baumkruste zu spüren und zurück zu ihren Wurzeln zu finden, wenn auch nur für einen Moment.
Sie ließ die Klänge auf sich wirken und der weiße Tod lächelte zufrieden, als er Mutter Natur für einen Moment entspannt sah. Den Moment ließen beide auf sich wirken, bevor sie gemeinsam zurückkehrten.
Beim Betreten des Inneren der Turmuhr weitete Mutter Natur die Augen. Vor ihr stand ein Engel aus der Fraktion. "Mutter Natur, wo waren Sie?" hakte er explizit und streng nach. Sie senkte den Kopf. "Ich war kurz im Garten Eden." antwortete sie leise, als der Engel entgegnete: "Ihr Platz ist hier. Garten Eden kommt ohne Sie zurecht. Nicht so der Himmelsfürst, er braucht Sie! Es gibt zu viele Hüllen, die geschaffen werden müssen, als das Sie sich eine Auszeit erlauben dürften. Sie kennen die Abmachung, halten sie sich daran!" Mit diesen Worten verschwand er und ließ Mutter Natur mit hängenden Kopf zurück. Mit finsteren Blick sah der weiße Tod dem Engel hinterher.
"Du bist mehr wert! Du bist so viel stärker!" ermutigte dieser und blickte zu seiner Erschafferin, die anfing, Tränen zu vergießen. "Ich muss weitermachen." japste sie unter Tränen und setzte sich an die nächste Hülle.
"Der langanhaltende Regen hat zu einer Flutkatastrophe in den unteren Regionen geführt. Folgende Gebiete sind betroffen_" Der nasse Tod riss die Menschen mit sich.
Häuser waren von Wasser getränkt worden und nahmen den Menschen ihr gesamtes Hab und Gut. Überlebende flüchteten in spezielle Auffangstationen, Rettungskräfte bargen die Wasserleichen, tote Tiere, letzte Überlebende. Inmitten dieser Katastrophe: Himmel, Hölle und der Tod.
Die Seelengeleiter liefen über das Wasser oder tauchten zu den Verstorbenen hinab, um die Seele zu geleiten. Die äußeren Umstände zeigten keinen Effekt auf die übernatürlichen Wesen. Der weiße Tod geleitete die Tiere, die in der Flutkatastrophe ihr Leben ließen. Es waren viele Nagetiere, aber auch Haustiere, wie Katzen oder den angebundenen Hund, der aufgrund der Leine nicht fliehen konnte und qualvoll ertrank. Die Verletzungen an seinem Hals zeugten von einem intensiven Todeskampf. Der weiße Tod dachte an einige Venefica, die auf ähnlicher Weise zur Zeiten der Hexenverfolgung ihr Leben ließen. Mit der Sense löste er das Halsband.
"Damit du zumindest im Tode frei sein kannst."
Diese erneute Naturkatastrophe würde die Menschen prägen und es wurde tagelang darüber in den Medien berichtet.
"Seht ihr? All diese Dinge passieren nicht einfach so! Die Erdbeben, die Waldbrände und Dürren, jetzt die Flutkatastrophe! Mutter Natur ist am Ende! Wir müssen jetzt etwas unternehmen! Sonst werden wir alle unsere zukünftigen Kinder nicht mehr aufwachsen seh-", "Stopp, das reicht!" ermahnte der Lehrer Herr Tera. "Nein! Es reicht, dass wir diesen Planeten so misshandeln!"
"Vicky-Maria Suflows, es reicht! Es sollte ein Vortrag über ein beliebiges Thema werden und keine dystopische Angstmacherei! Es fehlten die fakten, war viel zu impulsiv vorgetragen und eigentlich haben sie diese Aufgabe als Bühnenfläche für ihre Propaganda genutzt! Fünf minus, setzen!" wies Herr Tera an und Vicky sah entsetzt zu ihm. Ihre langen roten Haare waren zu einem Zopf gebunden, bis auf zwei dicke Strähnen an jeder Seite. Ihre braunen Augen ruhten auf den Lehrer. Ihr Hals zierte eine Kette mit der Aufschrift: Mutter Natur lebt. Über ihr weißes T-Shirt trug sie ein braun kariertes Hemd, welches sie offen ließ. Ihre blaue Jeans war an einigen Stellen zerrissen und ihre weißen Sneakers genauso abgenutzt. Vicky riss ihr Plakat ab, nahm es mit zu ihrem Platz und setzte sich sichtlich bockig hin. "Beschwert euch aber nicht, wenn ihr die Folgen vom Klimawandel zu spüren bekommt." murrte sie und Herr Tera erwähnte die 17-jährige erneut. "Vicky! Du kannst gleich vor die Tür gehen!" Automatisch stand sie auf und lief aus dem Klassenraum vor den entsetzten Gesichtsausdruck ihres Lehrers. Ihre Handlungen zogen Konsequenzen nach sich.
Nach der Schule wurde Vicky-Maria von ihrem Vater in einem E-Auto abgeholt. Sie meinte, wenn man schon Auto fährt, dann solle sich ihr Vater doch bitte ein E-Auto zulegen. "Du weiß, ich wäre auch gelaufen." meinte sie beim einsteigen. Ihr Vater hatte genauso rote Haare wie sie. "Ach, wenn ich schonmal Urlaub vom Müll fahren habe." murmelte er und fragte dann: "Wie war der Vortrag?"
"Fünf minus."
"Oh, warum das?" hakte ihr Papa zerknirscht nach. "Weil die Menschen noch nicht bereit dazu sind, zu verstehen, was auf der Erde falschläuft!" Ihr Vater seufzte und wusste Bescheid. "Du weiß, dass dein Dad das nicht gut heißen wird." "Ist mir egal, wie Torben das findet. Das hält mich nicht auf."
"Er meint es nur gut. Einer von uns muss ja durchgreifen können." Seine stimme wurde leiser. "Jipp, wir wissen, dass du das nicht kannst, wobei als du mich von Mama weggeholt hast, da konntest du das!" entgegnete sie.
"Ja, aber da ging es um viel mehr. Ich war sieben Jahre so blind in dieser toxischen gewalttätigen Beziehung... Hätte ich nicht gesehen, wie sie dich als fünfjähriges Mädchen vor meinen Augen geschlagen hat, wäre ich wohl immer noch mit ihr zusammen." gestand er und schmunzelnd meinte Maria: "Torben ist eindeutig die bessere Mama."
Ihr Vater ist bisexuell und seit ihren zwölften Lebensjahr glücklich verheiratet mit einem Mann. Ihr Vater kam zurück zum Thema Schule und Projekt.
"Seitdem du mit 15 Jahren mit diesen Wikka-", "Venefica!" korrigierte Vicky und ihr Vater nickte. "Ja, sorry. Ich meine es ist nichts schlechtes, aber dein Aktivismus ist eher-."
"Die Menschen müssen das so vor den Kopf geknallt bekommen, um es endlich zu verstehen!" sagte Vicky impulsiv, wo ihr Vater entgegnete: "Nein, muss es nicht! Die Leute regen sich darüber auf und es ändert nichts. Ihr müsst es ihnen anders erklären, aber nicht so provokant. Damit erreicht ihr nur, dass euch keiner ernst nimmt. Wofür ihr euch einsetzt ist richtig und wichtig, aber nicht die Umsetzung." Seinen Kritikpunkten hörte sie zu und innerlich musste sie ihm Recht geben, auch wenn ihre Bockigkeit ihr im Weg stand. "Bitte pass auf. Wir wollen dich nicht ausm Gefängnis holen oder dass du Geldstrafen bekommst. Ruinier dir dadurch nicht irgendwas. Also Torben wird nicht für dich haften, du kennst ihn. Der lässt dich das alleine ausbaden, wenn du was verbockst." warnte er sie vor und seine väterliche Sorge zeigte sich. "Und geh diesen Freitag bitte zur Schule." flehte er, doch Vicky versprach ihm nichts. "Auf diesen Veranstaltungen treffe ich wenigstens noch andere Venefica. Wir Venefica sterben aus! Viele Menschen denken, wir seien diese Hexen im Wald mit Knochen und Zeichen, aber das sind wir nicht! Wir wollen doch nur das mitteilen, was Mutter Natur belastet! Und das ist eben, wie mit dieser Welt umgesprungen wird!" Sie wurde ein wenig lauter und dafür von ihren Vater ermahnt. "Entschuldige." innerlich wusste ihr Dad, dass er Vicky nicht aufhalten konnte und sie diese Veranstaltungen besuchen würde.
Daheim setzte Vicky sich direkt an ihren Laptop, bis sich ihr Vater zu Wort meldete. "Hilfst du mir bitte beim kochen? Ich möchte dir das zeigen, damit du weiß, wie das geht, wenn du mal alleine wohnst." erklärte er. Vicky schaltete den Laptop wieder aus und lief zu ihrem Vater, um mit ihm einen Wikingertopf mit Reis zuzubereiten. "Torben freut sich sicher, wenn ich ihm erzähle, dass du mir geholfen hast." schwärmte er und als das Gericht fertig war, nahm sich Vicky eine Schüssel voll und setzte sich an den Esstisch. "Ist gut geworden." gab sie begeistert zu.
Um 16:45 Uhr kehrte ihr zweiter Papa heim. Er arbeitete im Büro einer Werkstatt. Er war ein Mann von großer, schlanker Statur. Seine mittellangen schwarzen Haare band er sich immer zu einen Zopf zusammen. Mit seinen blaugrauen Augen musterte er seinen Gatten und Tochter, während er sich seinem schwarzem Hemd entledigte und zu einem gemütlichen T-Shirt griff. Torbens Arbeit war es zu verdanken, dass sie ein E-Auto besaßen, ebenso der Tatsache, dass Torben aus einem Haushalt mit mehr Wohlstand kommt, im Gegensatz zu seinem Partner. "Genieß du deinen Urlaub, Liam?" fragte Torben seinen Mann und zur Begrüßung gab es einen Kuss. "Er wäre noch besser, wenn du auch Urlaub hättest." seufzte Liam und blickte zu Torben. Er wirkte zwar wie ein strenger Geschäftsmann und gelegentlich war er das auch, aber im Herzen war er ein charmanter Softie. Er nahm sich von dem Essen.
"Haben Vicky und ich gemacht." sagte Liam nebenbei. "Schmeckt man. Ist echt lecker!" lobte Torben und hakte dann nach: "Wie war Vickys Präsentation?" Liam wollte erst nicht darauf antworten, doch Torben ahnte es schon. "Fünf minus." Unerfreut sah Torben zu ihm. "Wie das?" Daraufhin erklärte er Torben das, was Vicky ihm erzählte und Torben unterbrach sein Essen, um mit Vicky zu sprechen.
Er klopfte an ihrer Zimmertür und Vicky bat ihn hinein. Er lehnte sich an den Türrahmen. "Ich habe das von deiner fünf minus erfahren. Vicky, dein Abitur steht auf dem Spiel! Auch, dass du Freitags öfters fehlt geht zu diesen Zeiten nicht! Dir entgeht wichtiger Lernstoff!", ermahnte er sie und Vicky neigte den Kopf. "Und jetzt sag bitte nicht, dass dir das nichts mehr bringt, wenn die Welt sowieso zerstört wird, wenn wir nichts machen. Deinen Aktivismus kannst du auch anders kundtun. also, wehe dir du gehst Freitag zu dieser Demo, dann setzt es was." ermahnte er streng und Vicky nickte einfach nur, bevor er die Tür schloss und weiter essen ging. Sie wusste, dass er seine Worte in die Tat umsetzte. Schon einmal hatte er ihr zwei Wochen Hausarrest mit einem Hausarbeitsplan aufgebrummt.
An ihrem Laptop schrieb sie mit weiteren Venefica, die sich für das Klima einsetzen. Es waren nicht viele, aber einige Venefica befanden sich darunter. Am Samstag wollte sie sich mit ein paar von ihnen treffen. Natürlich sollten ihre Eltern nichts davon wissen. Sie erwähnte ebenso, dass sie die Veranstaltung am Freitag nicht besuchen konnte.