Kaum saßen beide im Auto, zündete sich jeder der Zwillinge eine Zigarette an. Hannes öffnete beide Fenster beim fahren.
"Zuhause bau ich mir erstmal einen. Soll ich dir auch einen bauen oder bedienst dich wieder nur bei mir?" fragte Timothy und aschte aus dem Auto. "Ich hätte mal wieder Bock, Kopf zu rauchen."
"Dafür muss ich erst meine Bong wieder sauber machen. Ich bau dir einfach einen mit." Beide gaben sich ein High Five.
"Mensch, eigentlich wollte ich damit aufhören. Du weiß, der Sport. Manchmal wünschte ich, ich hätte dich nicht überzeugt, mit mir in die Großstadt zu ziehen. Dann hättest du damit vielleicht nie angefangen." Hannes stoppte an einer Ampel, während Timothy seine Schulter tätschelte.
"Muss dir nicht leid tun. Genau sowas hab ich gebraucht, um die Realität zu vergessen." Beide schnippten ihre Zigarettenstummel aus dem Auto.
"Können wir nochmal bei Musukos Studio vorbeifahren?" fragte Timothy grinsend und ließ die Autofenster nur noch einen kleinen Spalt offen. "Warum das? Der wird noch nicht wieder öffnen dürfen." Trotzdem erfüllte Hannes die Bitte seines Bruders. Er fuhr an dem Studio langsam vorbei und Timothy sah Musuko gerade die Wohnungstür abschließen.
"Halte an, bitte!" Hannes hielt an einen kleinen Parkplatz an, an den man unter der Woche begrenzt parken durfte.
"Bin gleich wieder da! Ich bin so selten hier vor Ort, da möchte ich alten Bekannten hallo sagen!" Er knallte die Tür zu und lief zum Studio rüber.
"Hallihallo!" Ausgelassen grüßte er und Musuko zuckte zusammen. Musuko drehte sich um und sah zu Timothy. Dieser grinste schelmisch.
"Hey, lange nicht gesehen. Wohnst du nicht in Habu?" Musuko umfasste den schwarzen Jutebeutel am Tragegriff.
"Ja, aber ich war in der Gegend und dachte ich schau vorbei. Wie ist es dir so ergangen?" Timothy legte den Kopf schief.
"Gut, aber ich wüsste nicht, was dich das angeht." Musukos Blick wurde zornig.
"Ach, jetzt hab dich nicht so. Es war doch eine tolle Zeit. Ich war einer deiner ersten Kunden, als du geöffnet hast. Außerdem dachte ich immer, die erste Liebe vergisst man nicht." Musuko funkelte Timothy finster an.
"Lass mich in ruhe. Ich habe jetzt einen Ehemann. Du hingegen wechselst bestimmt immer noch jede Woche das Bett!" Timothy lächelte weiter. "Ach komm, es war eine aufregende Zeit. Dein erster Zug an der Zigarette vergesse ich nie. Dein Hustenanfall danach, haha. Trotzdem hast du dich danach mit mir ins Delirium gekifft und ich habe dir die Seele aus dem Leib gefickt." In Musuko brodelte die Wut.
"Das war die beschissenste Zeit meines Lebens! Ich war so neben der Spur und bereue das so sehr, was ich getan habe. Alles wegen einer manipulativen Person wie dir. Bin ich froh, dass ich dich auf der Party dabei erwischt habe, wie du mit dem Pärchen rumgemacht hast. Diese vier Monate möchte ich am liebsten vergessen.", Er verstärkte seinen Händedruck um die Tasche. "Wenn ich Mutter und meine beste Freundin nicht gehabt hätte, die mir weisgemacht haben, was ich mir da verbaue, weiß ich nicht wozu du mich noch gebracht hättest. Ich möchte dich nie wieder sehen. Lass mich in Frieden." Timothy stemmte die Hände an die Hüfte.
"Tja, dummerweise ziehe ich zurück nach Brütteln. Und auf ein neues Tattoo hätte ich schon wieder Lust. Mich mal wieder richtig schön stechen lassen."
"Du hast Hausverbot!" kam es aus Musukos Mund wie aus der Pistole geschossen und Timothy zog beleidigt eine Schnutte.
"Na gut, dann fick doch lieber deinen Ehemann." Beleidigt lief er zurück zum Auto und stieg ein. Er verschränkte die Arme.
"Lief wohl nicht gut, was?" hakte Hannes nach. "Er hat gesagt ich sei manipulativ! Dabei kann ich Menschen einfach nur gut lesen! Sag mir, als mein Zwilling muss du es wissen, bin ich echt so manipulativ?" Er umfasste Hannes rechtes Handgelenk.
"Äh nein? Mir ist nie was aufgefallen." Zufrieden lächelte Timothy. "Sag ich doch! Dieser Spinner!"
Mit einem vollen Rucksack kehrte Musuko zur Wohnung zurück, stellte diesen kurz im Flur ab und vernahm, wie Mikel aus dem Badezimmer kam.
"Hey." Musukos Stimme klang leiser wie sonst und der Kuss den Mikel ihn gab, erwiderte er nur halbherzig.
"Was ist denn mit dir los? Du verbreitest keine guten Schwingungen." Mikel sah Musuko fragend an. Musuko nahm den Rucksack und lief zur Küche, gefolgt von Mikel. "Ich habe meinen Ex wieder getroffen." Musuko sah in Mikels Gesicht.
"Den Kiffer?" Musuko nickte. "Er hat mir stolz verkündet, wieder nach Brütteln zurück zu ziehen. Er soll mich einfach in Frieden lassen. Ein Hausverbot habe ich schon ausgesprochen." Nebenbei räumte er den Rucksack aus. "Fuck, hab den Räuchertofu vergessen." Zerknirscht blickte er auf die Lebensmittel.
"Ist nicht schlimm.", besänftigte Mikel ihn. "Der Kerl ist der Grund für deine Bindungsängste, oder?" Mikel strich sich über den silbernen Ehering.
"Würde ich so nicht sagen. Ich war schon immer ein Einzelgänger. Vermutlich hat mich auch die Beziehung meiner Eltern unterbewusst beeinflusst. Wenn du mit acht Jahren zusätzlich mit ansehen musst, wie deine Mutter deinen Erzeuger samt Affäre wutentbrannt aus dem Haus jagt, das lässt dich nicht kalt. Dazu kam die Tatsache, dass ich in der Schule keine wirklichen Freunde hatte, bis auf Heather später. Ich habe zwar immer gesagt, ich brauche keine Freunde, aber innerlich wollte ich immer jemanden an meiner Seite haben, der mich akzeptiert wie ich bin." Gedankenverloren räumte er die Lebensmittel ein. Dabei stellte er fast die passierten Tomaten in den Froster.
"Ich habe mich damals auf die falsche Person eingelassen. Ich hätte nie gedacht, dass mir das mal passiert, aber sein Charme damals hat mich so eingenommen. Wir konnten uns super unterhalten. Er war damals einer meiner ersten Kunden und Stammkunden. Und ehe ich es mich versah, hatte er mich in seine Welt gezogen." Er schloss den Rucksack und starrte gedankenverloren auf den Tisch. Mikel strich über Musukos Schultern.
"Du hast es von ihm weggeschafft. Er hat und kann dir nicht mehr dein Leben ruinieren. Und wenn er es versucht, würde ich es ihm schon zeigen. Wie sieht der Typ überhaupt aus?" Musuko lächelte über Mikels Worte.
"Du kennst ihn sicher nicht, aber er heißt Timothy Krachten."
Mikel starrte Musuko ungläubig an.
"Hat der nicht noch einen Zwillingsbruder, der ihm gar nicht ähnelt?" Er umfasste Musukos Hände. "Äh ja? Woher weißt du das denn?"
"Weil der Typ mich auch mal auf einer der wenigen Partys auf die ich je war, angesprochen hat. Nachdem er erfuhr, dass ich asexuell bin, ist er beleidigt abgedampft, aber an den Namen und dieses verschmitzte Grinsen erinnere ich mich." Musuko blieb der Mund offen stehen.
"Der Kerl baggert auch echt alles an. Wenigstens hast du dich nicht auf ihn eingelassen." Musuko gab Mikel einen seichten Kuss.
Shadia las die Todesanzeige von Tomas Frau Tage später in der Zeitung und nahm dies zum Anlass, ihn anzurufen. Beim zweiten Klingeln meldete er sich.
"Guten Tag, Shadia."
"Hallo Tomas. Ich habe eben die Todesanzeige gelesen und wollte dir mein Beileid aussprechen. Wir können über sie reden, wenn du magst." Ihre sanfte Art zu reden ließ Tomas lächeln. Daraufhin erzählte er, woran Claudia verstorben war. "Ich versuche nicht zu viel darüber nachzudenken, dass sie noch leben könnte, hätte sie sich ihre Arme nicht aufgekratzt. Ihre Zeit war abgelaufen, so grausam dies auch klingen möge." Ruhig hörte Shadia ihm zu. "Ja, irgendwann erwischt es uns alle."
"Shadia, wir sprechen später nochmal. Mein Sohn kommt mich gleich besuchen. Er möchte tatsächlich den Beruf erlernen." Tomas klang voller Vorfreude. "Dann bis später mal. Welcher deiner Söhne denn?"
"Der Jüngste."
"Ok, schönen Tag dir." Sie legte auf und in ihr kamen Erinnerungen an die Zeit hoch, in der ihr Sohn mit den Sohn von Krachten ausgegangen war.
"Wie du kommst diesen Sonntag auch nicht zum frühstücken?" Shadia hielt das Handy fest am Ohr und in ihrer Stimme lag Enttäuschung.
"Jaaa, Timmy hat schon Karten im Vorverkauf erworben. Das kann ich doch nicht ablehnen." Ihre Mundwinkel verzogen sich nach unten.
"Ich verstehe das ja, dass man viel Zeit mit einem neuen Partner verbringen möchte, aber du hast mir die letzten zwei Wochen schon abgesagt und gemeint, dieses Wochenende kommst du. Ich wollte extra Fleischsalat selber machen."
"Ja, sorry, aber da wusste ich nicht, dass Timmy dieses Wochenende auch schon was geplant hat." Shadia senkte den Kopf und setzte sich an den Küchentisch.
"Ich hatte Heather eingeladen." murmelte sie.
"Oh, das ist dann dumm gelaufen. Frühstück ihr doch trotzdem zusammen." Musuko sprach seine Sätze leichtfältig aus.
"Du bevorzugst es also wirklich lieber am Sonntag verkatert im Bett zu liegen, als mit deiner Mutter und besten Freundin zu frühstücken?" Ihre Worte waren einschneidend wie ein Schwert.
"Ach Mutti, wir frühstücken so oft zusammen, wenn es jetzt mal nicht klappt, ist das so." Musuko konnte nicht sehen, wie Shadia alle Gesichtszüge entglitten. "Ist das so? Du versetzt mich seit drei Wochen! Heather hatte sich auch gefreut, dich mal wiederzusehen."
"Ach Heather. Wir haben jetzt auch schon seit drei Tagen nicht mehr geschrieben. Ich muss auch noch einigen wegen einem Termin zurückschreiben." Er gähnte ins Handy und Shadia knallte fast die Hand auf den Tisch.
"Und hast du vorgestern nicht gesagt, du möchtest dieses Wochenende Auftragszeichnungen nachgehen?" hakte sie nach.
"Ja, aber das hat Zeit. Bekomme ich hin." Shadia ballte die Hände zu Fäusten.
"Musuko Fukkatsu! Du hörst mir jetzt mal zu und nimmst das mal nicht auf die leichte Schulter! Du sollst dein Leben leben, Zeit mit Timmy verbringen, aber verdammt noch mal! Du bist jetzt selbstständig und hast dir so den Arsch aufgerissen, deinen Traumjob nachzugehen! Dein Studio hast du jetzt fast ein Jahr, aber wenn du jetzt anfängst, deine Kunden lustlos abzuarbeiten, kannst du gleich schließen. Und du hast sicher noch nicht daran gedacht, dass Heather dir aktuell nicht schreibt, weil sie keinen Bock auf den Musuko hat, der du gerade bist, oder? Ich mochte den Musuko lieber, der am Wochenende still vor sich hingezeichnet hat und nicht der, der sich volllaufen lässt. Irgendwann kommt der Moment, wo du damit gegen die Wand fährst. Ich sag dir ehrlich, ich wünschte du hättest diesen Timmy nie kennengelernt."
Die Wut zeichnete sich in ihr Gesicht ab und sie musste ihren Sohn lange nicht mehr so einprägend zurechtstutzen. Sie wartete auf eine Antwort, aber sie hörte nur das Geräusch, wie Musuko auflegte. Ihre Augen weiteten sich und sie rief in direkt zurück. Dreimal klingelte sie, aber er lehnte jedes mal ab. Beim vierten Mal nahm er ab und Shadia brüllte ihn durch das Handy an.
"Du legst nicht noch einmal mitten in einem Gespräch auf, kapiert?!!"
"Und du gehst meinen Freund nicht an." entgegnete Musuko patzig und Shadia blieb fast der Mund offen stehen.
"Sag mal, wie sprichst du mit mir? So kenne ich dich gar nicht! Ich fahr gleich zu dir und dann reden wir persönlich darüber!"
"Ne ich bin nicht da. Bin bei Timmy." redete sich Musuko raus.
"Dann richte ihn gleich aus, dass, dass." Ihr blieben die Worte im Halse stecken, bis sie mit erstickter Stimme und Tränen sprach: "Dass ich meinen Sohn wiederhaben möchte." Sie legte auf und ihre aufgelöste Stimme hallte in Musukos Ohren nach.
Mitten in der Nacht wurde Shadia von einen Anruf wach, der von Musuko kam. Sie wollte es klingeln lassen, aber die Sorge packte sie und sie hob ab. Sie konnte Musuko betrunken weinen hören. Er stand im freien, im Hintergrund vernahm sie Musik aus einer Disco.
"Mom? Bitte hol mich ab! Timothy, er, er geht mir fremd!" Er japste laut und Shadia war sofort aufgesprungen.
"Klar, bin gleich da. Wo bist du?"
Ende Oktober
In einem länglichen dunkelblauen Auto fuhren Tomas und sein Sohn Timothy zur Krachten Bäckerei. Sie hielten auf den Parkplatz des Büros an und liefen zur Eingangstür.
"Na dann wollen wir mal deine Cousine besuchen und die Kuchen bestellen." Er klingelte und wurde hineingelassen. An Sarahs Tür hielt er an. Diese war zu und ein Schild hing an der Tür mit der Aufschrift: Beschäftigt, bitte nicht stören.
"Oh, dann gehen wir zuerst die Kuchen bestellen." Timothy, der in einen schlichten, weißen Sweatshirt und einer schwarzen Jeans gekleidet war, folgte seinem Vater. Beide betraten Heathers Büro.
"Guten Tag Tomas! Heute in Begleitung?" Sie sah zu Timothy und biss unbemerkt die Zähne zusammen. Er gab sich unscheinbar und grüßte lächelnd.
"Das ist mein Sohn Timothy. Er lernt seit kurzem bei mir. Ihr werdet euch noch öfters begegnen." Freudig erzählte Tomas von Timothy. Heather nickte das Gesagte nur ab.
"Heute möchte ich ihm zeigen, wo wir immer unseren Kuchen für die Trauerfeiern bestellen." Timothy stand neben seinem Vater.
"Erzähl." bat Heather und Tomas listete den Kuchen auf. Es war nicht viel, da Veranstaltungen weiterhin nur beschränkt stattfinden durften.
"Danke dir. Siehst du, Timo, so viel ist das nicht." Sein Sohn nickte. "Beim nächsten Mal kann ich dich dann alleine losschicken, ok?" Tomas sah zu Timothy.
"Ja klar." Tomas strich über Timothys Schulter.
"Und ich geh jetzt noch kurz deiner Cousine hallo sagen." Er verließ das Büro und Heather war mit Timothy alleine.
"Du redest nicht viel, oder?" Er setzte ein charmantes Lächeln auf. Heather fixierte ihn mit einen durchdringenden Blick. "Nicht mit Leuten, die meinen besten Freund verarschen."
Timothy hob fragend die rechte Augenbraue und überspielte, dass Heathers Konter ihn getroffen hatte.
"Eventuell verwechselst du mich. Ich kenne dich nicht." Provokant zog Heather ihre rosafarbenen Strickjacke und den darunter liegenden Pullover hoch, damit Timothy ihr Fineline-Tattoo sah. Wie von ihr gewünscht zog es Timothys Aufmerksamkeit zu sich.
"Oh du besitzt ein Tattoo. Ich habe auch welche. Wo hast du dir deine stechen lassen? Ich suche aktuell nach einen neuen Tätowierer." Er gab sich aufgeschlossen und Heather sah ihren Moment gekommen.
"Bei Musuko Fukkatsu." Timothy erstarrte und seinem Gesicht entglitt das Lächeln. Langsam realisierte er, warum Heather sich ihm gegenüber reserviert verhielt.
"Du bist Musukos allerbeste Freundin, von der er immer geredet hat!" Deutlich nickte Heather.
"Und ich sag dir, ich bin dir nicht dankbar für das, was du mit ihm gemacht hast." Heather hätte noch weiter auf Timothy eingesprochen, wäre Tomas nicht wiedergekommen und hätte gesagt, dass sie wieder gehen. "Schüß!" Heather wartete bis sie die Eingangstür vernahm, die ins Schloss fiel. Sie holte ihr Handy hervor und ging auf Musukos Kontakt. Sein Profilbild zierte ihn und Mikel an ihren 1-jährigen Hochzeitstag. Sie schrieb ihn einen Text, in welchen sie von dem Gespräch erzählte und schloss die Erzählung mit den Worten, wie schön sie es fand, wie Musuko von ihr vor anderen redete, ab.
Kaum hatte sie ihr Handy abgelegt, ertönte Sarahs Stimme.
"Also Frau Willers! Während der Arbeitszeit am Handy. Ich glaube da muss ich aber schnell eine Kündigung verfassen!" Heather zuckte zusammen bei Sarahs plötzlicher Erscheinung. Mit einer Kaffeetasse stand sie an der Tür. Heather hob nur eine Augenbraue.
"Diese Woche stehen zwei Bewerbungsgesprächen an. Möchtest du die vielleicht führen?" Sarah verschluckte sich an ihren Kaffee und hustete.
"Nee! Das kannst schön du machen." Heather schmunzelte.
"Tja, wird wohl nichts mit kündigen." Sarah stellte sich eine weitere Kaffeetasse an. "Und? Hat Timmy dich angebaggert?"
"Hätte er wohl getan, aber er hat schnell gecheckt, dass ich Musukos beste Freundin bin." Zufrieden lächelte Sarah.
"Sehr gut. Selbst wenn er es trotzdem versucht hätte, gib ihm keine Chance. Er ist ein Arsch." Sie fügte ihrem Kaffee Milch hinzu.
"Nette Worte gegenüber deinem Cousin."
"Deshalb darf ich das auch sagen. Wir sind verwandt. Dieses Kerlchen sieht so zerbrechlich aus, aber in Wirklichkeit ist er gemein. Sein Zwilling ist nicht so."
"Ach herje, den gibt es zweimal?" Heather hielt sich die Hand vor dem Mund, nachdem sie ihre Worte realisierte.
"Ja, aber wenn man es nicht wüsste, würde man denken, es sind nur Brüder. Hannes, also sein Bruder, ist viel liebevoller. Sieht zwar aus wie ein Mucki-Gorilla, aber das täuscht. Leider ist er uneinsichtig wenn es um Timmy geht. Timmy ist sein Heiliger und das weiß Timmy auch." Sie lehnte sich an den Schrank, auf dem die Kaffeemaschine stand und trank genüsslich. Heather rollte mit den Augen.
"Sowas ist das also."
"Ich würde bisschen vorsichtig sein, wie du dich mit ihm auseinandersetzt. Wenn du was Falsches tust oder sagst, kann es sein, dass er Hannes holt. Einmal ist Tantchen richtig ausgerastet, als sie erfuhr, dass sich Hannes geprügelt hat, weil jemand Timmy beleidigt hat." Sarah warf einen Blick auf ihr Handy.
"Ich geh schmöken. Kommst du mit?" Heather folgte Sarah hinaus und während Sarah rauchte, linste Heather auf ihr Handy.
"Wie geht es eigentlich deinem Kumpel? Er hat noch dicht, oder?" Heather nickte.
"Aktuell arbeitet er bei seiner Mutter im Bestattungsinstitut. Noch hat er die Nachricht nicht gelesen. Sicher arbeitet er."
In Arbeitskleidung trat Musuko seine Tätigkeit an. Zu seiner Verwunderung erwartete Shadia ihn bereits im Versorgungsraum.
"Guten Morgen, Mom. Was machst du hier?" Seiner Aufmerksamkeit galt Shadia, nicht dem Körper der vor ihr lag.
"Hallo Musuko. Ich wollte ihr persönlich die letzte Ehre erweisen." Erst jetzt sah Musuko zum Körper, trat näher heran und erkannte auf dem zweiten Blick, wem dieser ausgemergelte Körper gehörte.
"Ist das Juliette?"
Shadia vernahm einen Hauch der Verwunderung in der Stimme ihres Sohnes. Er kannte sie von früher und ihr Tod regte ihn zum nachdenken an. Währenddessen musterte er ihren Körper. Dieser war dünn geworden und dadurch wirkte sie älter. Sorgenfalten zeichneten ihr Gesicht und an den Handgelenken erkannte er, woran sie gestorben war.
"Wir hatten lange keinen Kontakt mehr. Irgendwann hat sie sich abgekapselt. Sie vertraute mir mal grob an, dass sie eine Existenzkrise hätte. Ich konnte ihr nur raten, zuzuhören und sich professionelle Hilfe zu suchen. Mich hat immer ein komisches Gefühl beschlichen, wenn ich an sie dachte und ich mochte kaum glauben, dass sie freiwillig zur Erde zurückkehren würde. Möge sie eine Antwort auf ihre Fragen gefunden haben."
Juliette lag in ihrem Bett, gekleidet in dem schönsten weißen Kleid, welches sie besaß. Blut befleckte die Reinheit ihres Kleides und sie wartete nur noch auf den Tod. Eine leise Träne rollte ihr Gesicht hinunter. Der Sensenmann persönlich erschien vor Juliette. Er war in Begleitung von Mutter Natur. Beim ansetzen der Sense sprach der Tod mit Mutter Natur.
"Sie ist eine Wiedergeburt." Mutter Natur nickte.
"Ein Seelengeleiter nahm einen Menschen vor seinem Todeszeitpunkt das Leben. Ich erinnere mich an die Wut des Himmelsfürsten und seinen damaligen Befehl, umgehend eine neue Hülle zu erschaffen. Er musste die Schicksale der Beteiligten ändern." Sie sah zur Sense und ihre Hände wurden zu Knochen. Mit diesen berührte sie die Sense und konnte die Brücke metaphorisch betreten. Sie musterte das helle Licht der Seele. Im Gegensatz zu anderen Seelengeleiter war Juliettes Seele nicht ihre körperliche Erscheinung, sondern ein Energieball, an welchen ein anderer Energieball verwachsen war. Mit beiden Händen umfasste sie je eines davon, zog sie auseinander und trennte sie voneinander. Der Energieball, der verwachsen war, nahm Mutter Natur an sich, den anderen überließ sie den Tod.
Der Sensenmann zog seine Sense von Juliettes Körper und blickte zur Akte, in welcher sich ein schwarzes Kreuz neben dem Bild zeigte.
"Ich habe das frühere Leben von dem jetzigen getrennt. Sie leben fortan unabhängig voneinander im Garten Eden. Ich empfand dies als richtig, schließlich lebte sie trotz allem ihr eigenes Leben. " Gevatter Tod blickte in ihr Gesicht während sie redete und wäre er kein Skelett, würden sich Sorgenfalten auf seiner Stirn bilden. Mutter Naturs Augen wurden durch Augenringe gezeichnet und ihr Hautton wirkte blass. Der Tod fragte sich, ob ihr Zustand sich mit der Ankunft der anderen Reiter und Plagen verschlechtern wird.
Shadia und Musuko schaffen für Juliette einen ehrwürdigen Abschluss. Die Kirche wäre voller Menschen gewesen, hätten die aktuellen Auflagen dies nicht unterbunden. Ihr Grab wurde von vielen Menschen besucht, die dort Blumen niederlegten. Shadia, Musuko und Heather besuchten ihr Grab an einem Sonntag. Sie hatten Juliette neben ihrer Mutter beigesetzt. Heather las die Inschrift des Grabsteines immer und immer wieder.
"Ich weiß noch wie wir am Aktionstag der Kirche zusammen saßen und ich ihr sagte, sie wird eine tolle Pastorin." Musuko legte den Arm um Heathers Schulter. "Das war sie auch." Er zog sie zu sich und ihre Köpfe berührten sich. Heather vernahm seinen Körpergeruch und einen leichten Hauch des Parfüms, welches er am Tag seiner Hochzeit trug.
Zu dritt kehrten sie zurück zum nahegelegenen Haus von Shadia, wo Mikel bereits auf sie im Wohnzimmer wartete. Musuko gab ihm einen Wangenkuss und setzte sich zu ihm.
"Ihr seid ja schnell wieder da."
"Wollten dich nicht zu lange alleine lassen." Musuko schmunzelte und gab Mikel einen weiteren Wangenkuss.