Der weiße Tod war über diese starken und mutigen Worte seiner Erschafferin überrascht, wie auch stolz. Endlich hatte sie etwas gesagt und ließ nicht mehr alles mit sich machen. Der Himmelsfürst versuchte sein ruhiges Antlitz zu wahren, was ihn zwar gelang, aber seine Missgunst darüber schimmerte trotzdem durch.
"Verstehe, so soll es sein. Es hat mich gefreut, mit dir zusammen gearbeitet zu haben. Wir haben wirklich wunderbares geschaffen." bedankte er sich, doch Mutter Natur korrigierte ihn.
"Was ich geschaffen habe. Die Welt, die Hüllen, die Tiere und Pflanzen, alles habe ich geschaffen. Von dir kamen nur die Menschenseelen." Der Himmelsfürst verstummte und der weiße Sensenmann konnte diese Worte kaum glauben. Endlich sprach sie das aus, was er sich all die Jahre dachte.
Mutter Natur wollte die Konversation bereits verlassen, als der Himmelsfürst sie besorgt fragte: "Was wird aus der Welt, die geschaffen wurde? Die Menschen?" Zu seiner Verwunderung nahm Mutter Natur dies gelassen. "Es wird Zeit, dass sich die Erde erholt und die Natur sich das zurückholt, was ihr gehört."
Mutter Natur kehrte zurück in die Turmuhr, die immer wieder kurz vor der vollen Stunde stoppte. "Ich bin stolz auf dich, Mutter Natur." lobte der weiße Tod und verneigte sich leicht. Mutter Natur dankte und sehr zu seiner Verwunderung fing Mutter Natur damit an, Hüllen zu erschaffen. "Was tut ihr da? Die Vereinbarung besteht nicht mehr. Ihr müsst keine Hüllen mehr erstellen." wies er sie auf ihr Tun hin, doch Mutter Natur entgegnete: "Die letzten aufgetragenen Hüllen möchte ich noch fertig stellen." Ihr Gehilfe nickte nur und ließ Mutter Natur alleine die letzten Hüllen erstellen.
Nach wenigen Tagen hatte Mutter Natur schließlich die letzte Hülle erstellt und eigenhändig auf Erden gebracht. In dem Moment, indem die letzte Hülle erschaffen wurde, ertönte der Klang der Glockenuhr. Sie schlug Mitternacht und das war das letzte, was sie schlug. Sie schlug nie mehr wieder.
Es brodelte und brach heraus.
Der gigantische Vulkanausbruch hielt alle Menschen in Atem. Viele Menschen worden vom lodernden Tod verschlungen und für die Ewigkeit vom Vulkan festgehalten. Die Nebelschwaden wurden einst mit den schwarzen Wolken und Gina eilte zum Ort des Geschehens, um die Seelengeleiter zu unterstützen. Die umliegende Umgebung wurde zerstört und Gina spürte mehr, als nur die Wut von Mutter Natur. "Was ist mit der Erde geschehen?" fragte sie sich, während sie hunderte Seelen geleitete. Vereinzelt sah sie Schutzengel, doch der Tod und das Böse waren in der Überzahl. Mit einem monotonen Gesichtsausdruck geleitete der weiße Tod all die Seelen der Tiere, die durch den Vulkanausbruch ihr Leben ließen. Der weiße Sensenmann hatte mit diesem Ausbruch gerechnet. Früher oder später ist die Grenze erreicht.
Bei seiner Rückkehr traf er Mutter Natur im Glockenturm. Dieser war von Dornen umrankt, die Zeit stand still. Das Gemäuer wurde spröde und war dem Zerfall nahe. Mutter Natur blickte lächelnd zu ihrem Gehilfen und dann zum Inneren der Uhr.
"Ich wollte mich noch einmal bei dir bedanken, dass du all die Jahre mit mir ausgehalten hast, in denen ich das Problem nicht verstehen wollte. Du hattest die ganze Zeit über Recht. Es lief was nicht richtig und ich wollte es nicht wahrhaben. Ich habe es mir sogar schöngeredet. Ich danke dir." Mutter Natur kam zu ihren Gehilfen und umarmte diesen. Lächelnd erwiderte der weiße Tod diese Umarmung.
"Manchmal dauert es länger, bis man etwas versteht. Ich bin nur froh, dass du für dich eingestanden bist. Du bist viel mehr wert." flüsterte dieser während der Umarmung. Kaum war die Umarmung gelöst, bemerkte der Gehilfe, dass der Innenraum bröckelte.
"Gehen wir hinaus." sagte Mutter Natur und verließen die Turmuhr. Von diesem Moment an, zerfiel die Uhr und die Dornenranken holten sich alles zurück. An diesem Ort, ähnlich einem Gefängnis, würden keine hüllen mehr entstehen. Der weiße Tod blickte zu seiner Erschafferin. "Jetzt, wo keine Menschen mehr kreiert werden, was passiert mit der Welt?"
Mutter Natur war die Zeit über am lächeln. Sie war glücklich, diesen Kreislauf durchbrochen zu haben. "Wie ich schon dem Himmel sagte, werde ich mir die Erde zurückholen. Und um dies zu verwirklichen, werde ich mir die Hilfe von jemanden holen, der mit meinem Tun seit Jahrhunderten Hand in Hand geht." Sie öffnete ein Tor und bat ihren Gehilfen, ihr zu folgen.
Die große Tür verschloss sich, als sich Mutter Naturs Besuch ankündigte. Lächelnd betraten Mutter Natur und der weiße Tod den Raum.
"Schönen Tag, Gevatter Tod und seine Gehilfen." grüßte Mutter Natur und der Sensenmann legte die Feder auf den Tisch. Er konnte diesen Anblick anfangs nicht wahrhaben, immerhin kannte er Mutter Natur und ihre Beschäftigung. Beide begrüßten sich mit einer herzlichen Umarmung.
"Herzlich Willkommen."
Beide blickten sich an wie zwei alte Freunde, die sich lange Zeit nicht gesehen haben. "Ich freu mich, dich hier willkommen zu heißen. Es ist ewig her. Das letzte Mal war bei Viktorius Verhandlung, doch da konnten wir uns nicht sprechen." erwähnte Gevatter Tod und sein Gegenüber nickte. Kurz darauf begrüßten auch Gina und Justin die Besucher. Josef verneigte sich leicht.
"Du siehst glücklich aus. So habe ich dich lange nicht mehr gesehen. gibt es einen Anlass?" erkundigte sich der Sensenmann und beide standen sich weiterhin gegenüber. Der weiße Tod ließ beide sprechen und gesellte sich zu Gina und Justin.
"Ja, den gibt es und er geht mit einer Bitte einher.", erklärte Mutter Natur und wurde ruhiger. "Der Himmelsfürst und ich hatten eine Auseinandersetzung, die dazu führte, dass ich fortan keine Menschen mehr erschaffen werde." erzählte Mutter Natur ernst und nachdem der erste Schock verkraftet war, teilte sie ihnen das ganze Geschehnis mit, welches sich zugetragen hatte.
Der stille Moment nach ihrer Erzählung zeigte die Sprachlosigkeit aller. Mutter Natur fuhr weiter fort. "Ich möchte dich darum bitten, mir dabei zu helfen. Ich kann lediglich Leben erschaffen, doch um den Kreislauf zu vervollständigen, benötige ich deine Hilfe." Ihre Stimme war sanftmütig und Gevatter Tod ergriff ihre Hände.
"Ich werde dir dabei helfen, diesen Prozess zu gehen." Sie dankte ihm aufrichtig, bis Gina das Wort ergriff und eine Frage stellte.
"Entschuldigt, wie darf ich mir dies vorstellen? Wird die Welt in den nächsten Tagen untergehen?" fragte sie und hegte eine gewisse Sorge. Mutter Natur kam auf sie zu, faltete die Hände zusammen und klärte sie über das Vorhaben auf.
"Nicht direkt. Es wird noch mehrere Jahrzehnte, wenn nicht sogar Jahrhunderte dauern, bis dies vollständig geschieht. Ich habe viele Hüllen erschaffen. So schnell wird der Mensch nicht aussterben. Es geschieht langsam und die Menschen bewegen sich direkt darauf zu." Während sie all dies erwähnte, blieb sie gelassen. Die Gehilfen des Todes hörten gut zu.
"Alles wird mit der Zeit geschehen. Gevatter Tod wird wissen, was er tut." Mutter Natur und der Sensenmann standen dicht beieinander und Justin begutachtete das Leben und den Tod. "Wie lange kennt ihr euch schon? Ihr seid sehr vertraut miteinander." fragte er aus Interesse und entlockte Mutter Natur ein schmunzeln.
"Um diese Frage zu beantworten, müssen wir in die Zeit zurückkehren, bevor die Erde und all die Lebewesen existierten."
Nichts.
Das unvorstellbare Nichts erstreckte sich über das, was mal das Universum, die Erde werden sollte. Dieses Nichts war unbeschreiblich. In diesem Nichts gab es etwas, was die Leere füllte. Ein gleißendes Licht, das von Mutter Natur. Ohne eine feste Form zu besitzen streifte sie durch das Nichts. Sie wurde angetrieben von den Wunsch, aus dem nichts was erschaffen zu wollen.
Mutter Natur blickte auf den kleinen Samen, aus der langsam eine Blume entstand. Stolz pflanzte sie diese und von der Schönheit angetan, erschuf sie weitere Blumen in ihrer unterschiedlichsten Vielzahl. Mutter Natur erfreute sich über den Anblick. Nach einer gewissen Zeit bemerkte sie jedoch, dass eine ihrer Blumen ihre Schönheit verlor. Sie fragte sich, woran dies lag und spürte etwas anderes. Dieser Aura folgte sie und merkte bald, dass sich diese immer weiter von ihr zu entfernen versuchte. Mutter Natur wollte die Aura aufhalten und erreichte diese schließlich.
Vor ihr war eine Aura mit bräunlichen Licht, welche scheu vor Mutter Natur wirkte. Mutter Natur hingegen war die Ruhe selbst. "Ihr wart bei meinen Kreationen, richtig?" fragte sie sanft und verspürte eine Art Reue von ihren Gegenüber. "Verzeiht mir. Ich habe das nicht gewollt. Ich war von der Schönheit angetan, doch als ich näherkam, habe ich diese zerstört."
Mutter Natur hingegen war in keiner Weise böse. Stattdessen bat sie die Gestalt, ihr zu den Blumen zu folgen. Unsicher folgte die Aura ihr und als sie bei den Blumen ankamen, traute sich diese nicht, dem Beet näherzukommen.
"Bitte tritt näher." bat Mutter Natur, doch als die Aura dieser bitte nachkam, verwelkte das gesamte Beet.
"Verzeiht! Ich habe die ganzen Mühen zunichte gemacht." rief diese, doch weiterhin blieb Mutter Natur ruhig.
"Nein, das stimmt nicht. Schau, aus den verwelkten Blumen kann noch etwas anderes entstehen." Daraufhin blickte die Gestalt zu den kleinen Tierchen, die sich im Beet anfingen zu versammeln. "Das wäre nicht entstanden, wenn die Blumen nicht verwelkt wären." erklärte Mutter Natur und ihr gegenüber war noch ein wenig ungläubig. "Ich erschaffe Leben, das stimmt. Durch dein Tun wird dieses zwar beendet, aber genau daraus entsteht wieder Leben. Wir könnten gemeinsam etwas erschaffen!"
Ihr Optimismus gab der Gestalt Hoffnung. "Ja, lass uns zusammen etwas wundervolles kreieren." Mutter Natur kam ihm näher, doch er wich zurück, bis sie ihm bewies, dass er ihr nichts anhaben konnte. "Ich bin das Leben und du bist der Tod."
Fortan erschuf Mutter Natur Pflanzen und Tiere. Der Tod nahm den Geschöpfen nach geraumer Zeit das Leben. Anfangs fühlte er sich schlecht deswegen, doch Mutter Natur zeigte ihm immer wieder, wie wertvoll seine Arbeit war. Mutter Natur begutachtete mehrere Maden. "Die gäbe es ohne dich nicht. Außerdem kann nichts für die Ewigkeit sein. Ich erachte ein Ende als eine wichtige Ergänzung zum Anfang." Ihr Licht schien immer hell und sie war immer positiv gestimmt.
"Das sind nicht einfach nur Hüllen von Geschöpfen, du hast ihnen etwas gegeben, das sie ausmacht, richtig?" merkte der Tod an und Mutter Natur war erfreut, dass er es gemerkt hat. "Ja, ich gab ihnen eine sogenannte Seele. Sie ist das Triebwerk des Körpers." erzählte sie ruhig und der Tod verstand. "Ich kann die Seele spüren. Jede Seele ist unterschiedlich. Ich kann spüren, wann sich die Seele von der Hülle trennt und kümmere mich dann um diese." berichtete der Tod und seine Gefährtin war angetan von dem, was er erzählte. "Ich habe das Gefühl, wir werden zusammen viel erreichen. Wir ergänzen uns." Mit jedes ihrer Worte verlor der Tod seine Scheu, ihren Geschöpfen das Leben zu nehmen. Er sah seine Fähigkeiten alsbald als positiv an.
Mutter Natur war stolz auf die Kreation, die sie geschaffen hatte und als eines ihrer größten Werke betitelte. Sie zeigte dieser dem Tod. "Ich habe mir eine Hülle gegeben." sprach sie und ihr Gefährte erblickte sie, wie sie in ihrer weiblichen Hülle vor ihm stand. Sie war komplett nackt. "Ich habe sie ebenfalls aus Erde, Asche und Staub geschaffen. Ich nenne sie Mutter, Leben schaffend. Denkst du nicht, das könnte eine Hülle für eine weitere Spezies sein, die in einer Gesellschaft lebt?" fragte sie ihn und der Tod war sprachlos über ihre Erscheinung in einem positiven Sinn.
"Sie ist... wundervoll. Gibt es zu dieser Hülle ein Gegenstück?" Er konnte nicht von ihrer Erscheinung ablassen. "Ja, den Vater, Leben gebend." Daraufhin präsentierte sich Mutter Natur in einer männlichen Hülle. "Beide Hüllen vereint sollen neues Leben entstehen lassen." erzählte sie von ihrem Plan und der Tod merkte, dass sie viel Energie in diese Geschöpfe fließen ließ. Sie präsentierte sich wieder in ihrer weiblichen Hülle. "Ich würde auch gerne eine Hülle besitzen." gestand der Tod, welcher bis dato über keine gefestigte Form verfügte. Mutter Natur sah ihn nachdenklich an und bekam eine Idee. "Diese Hüllen wurden mithilfe eines Grundgerüst geschaffen, welches nach ihrem Ende zum Vorschein kommt." Kurz darauf begutachtete der Tod seine Skeletthände und Mutter Natur präsentierte ihn seine komplette Form: ein Skelett.
"Gefällt sie dir?" fragte Mutter Natur ruhig und der Tod nickte. "Sie ist passend. Ich fühle mich wohl und danke dir."
Diese Worte erfüllten Mutter Natur mit Stolz. Sie ergriff seine beiden Skeletthände mit ihren und rhythmisch bewegten sie sich und lernten die Bewegungen ihrer Hüllen zu verstehen
Die Gehilfen des Todes verstanden, dass Mutter Natur und der Sensenmann ein tiefes Band besaßen. In Gina kam eine Frage auf. "Können fortan Todesengel auch keine Kinder mehr bekommen?" erkundigte sie sich und Mutter Natur beantwortete ihr diese Frage.
"Ja, es wird fortan keine neugeborenen Todesengel geben. Außerdem möchte ich euch bitten, diese Informationen geheim zu halten. Es wird noch der Tag kommen, an den die anderen davon erfahren werden." Ihre Bitte war eindringlich und des Todes Gehilfen schworen, es für sich zu behalten.