"Der Sarg der heute morgen vor dem örtlichen Krankenhaus aufgetaucht ist, ist laut Angaben der Ärzte auf mysteriöse Weise verschwunden. Die naheliegenden Bestatter haben bereits bestätigt, dass am heutigen Tage zu dem Zeitpunkt keine Abholung im Krankenhaus stattgefunden hat. Die Polizei ermittelt weiter."
"Und das war keiner von uns? Wäre lustig gewesen."
"Musuko! Wäre es nicht. Was hätte das für ein Bild fürs Institut abgegeben? Ehrlich gesagt, ja ich musste auch schmunzeln, aber wenn da jemand drin lag? Der arme Verstorbene." Ihre Stimme wurde leiser, als sie ins Telefon sprach, als könne sie jemand im Büro des Instituts hören, der es nicht hören soll.
"Na dann, ich habe noch Termine. Du sicher auch."
"Nö, hätte eigentlich ein vier Stunden Termin gehabt, aber abgesagt." Ein Schmunzeln war am Hörer zu vernehmen. "Und nun?"
"Ich habe noch Auftragszeichnungen in Arbeit. Da hänge ich mich ran."
"Viel Spaß. Hab dich lieb. Grüß mir meinen lieben Schwiegersohn." Musuko am Hörer lächelte. "Mache ich. Hab dich auch lieb." Beide legten auf und Shadia steckte den Hörer des Telefons in die Station. Es klopfte an ihrer Bürotür und ein Mann Anfang 40 trat herein.
"Frau Fukkatsu, guten Morgen! Wie geht es Ihnen?" Er setzte sich gegenüber von ihr hin.
"Guten Morgen. Ich kann nicht klagen. Was führt sie zu mir ins Büro?" Sie musterte ihren Angestellten. "Ich habe nachgedacht. Das Institut ist ein Familienunternehmen, aber es gibt keinen Nachfolger mehr. Ich möchte Sie nicht angreifen, aber die Zeiten wo Sie schwere Särge getragen haben ist vorbei. Wird es nicht Zeit einen Nachfolger zu ernennen?" In seiner Stimme lag etwas gemeines, listiges. Shadia erkannte dies sofort.
"Sie wollen sagen, ich bin zu alt dafür? Ja, in der Tat, aber noch bin ich nicht in Rente oder liege aufm Versorgungstisch. Ich habe bereits eine Nachfolge bestimmt und sie sind es nicht. Darf ich sie darum bitten mir nicht noch einmal so zu kommen und ihrer Arbeit nachzugehen?" Die Mundwinkel des Mannes verzogen sich nach unten.
"Ja, verzeiht." Er lief aus dem Büro und versuchte sich nichts anmerken zu lassen. In den Hosentaschen ballte er die Hände zu Fäusten.
Shadia blickte in den Terminplaner und verglich die Uhrzeit miteinander.
"Schon fünf nach zehn. Hoffentlich kommt sie noch die Familie.", Shadia las sich den Namen durch. "Steppender? Kenne ich den Namen nicht?" Kurz darauf ertönte die leise Türklingeln und eine Kollegin öffnete die Tür zu ihrem Büro. Shadia stand auf, um die Frau vor ihr zu grüßen, welche die Handberührung ablehnte.
"Shadia? Du führst den Schuppen immer noch?" Vor Shadia stand eine Frau von 1,65cm, dünner Statur und längliches graues Haar, welches einst schwarz gewesen war. Shadia erkannte die Frau vor ihr, verdeckte ihren Unmut allerdings.
"Caroline, lange ist es her." murmelte Shadia und sah wie Caroline sich setzte. "Du hast geheiratet. Sonst hießt du doch anders mit Nachnamen." Caroline nickte mit erhobenen Blick. Stolz legte sie ein Bein über das Andere und umfasste ihr Knie. "Genau und du hattest anscheinend kein Glück oder wie?" Sie lächelte fies. Shadia ermahnte sich innerlich ihre Professionalität beizubehalten und die fiesen Giftspritzen zu ignorieren. Stattdessen nickte sie nur.
"Es geht um meinen Mann. Mein geliebter Gatte ist kürzlich verstorben. Es war schrecklich! Morgens lag er tot neben mir. Weiß du wie traumatisierend das für mich war? Ich will nicht wissen wie lange ich neben einen Toten lag." Caroline betonte die ersten Sätze und setzte in ihrer gesamten Aussprache auf eine Überdramatisierung. Shadia nickte und gab sich mitfühlend. "Ich möchte die beste Beerdigung für ihn haben. Du weiß ja, nur das Beste für das Beste." Shadia kniff die Fußzehen ein. "Gerne. Wobei jeder Beste anders definiert. Und je hochwertiger desto teurer wird es."
"Denkst du ich habe kein Geld?" Caroline legte den Kopf schief. "Nein, aber wir wollen doch nicht, dass du dich verschuldest." Shadia ahnte, dass dies ein nervenzerrendes Gespräch werden würde. "Mein Mann hat immer hart gearbeitet, um mich und unsere drei Kinder zu ernähren."
"Womit der wohl noch sein Geld gemacht hat." dachte Shadia.
"Aber was sage ich da? Du hattest es ja noch schwerer! Alleinerziehend und dann diese Totenhalle."
"Bestattungsunternehmen." korrigierte Shadia scharf und missbilligte respektlose Aussagen. "Ist doch egal. Hab dich nicht so. Auf jeden Fall habe ich mir die Beerdigung wie folgt vorgestellt." Caroline redete und redete. Shadia kam kaum mit beim notieren aller wichtigen Informationen und bremste sie einigermaßen.
"Wenn du dies ebenfalls möchtest sind wir bald bei 4000 Euro."
"Freu dich doch. Ist guter Verdienst für dich." Shadia atmete tief ein und aus.
"Warum habe ich das Gefühl, dass ich wegen ihr wieder den Anwalt einschalten darf?" dachte Shadia zähneknirschend.
"Wie viele Gäste planst du denn ein?" Caroline überlegte.
"Die ganze Sippschaft meines Mannes. Sind so 20 Leute. Meine aber das sind nur so acht oder so. Ach meine zwei Töchter die auch noch."
"Und dein Sohn?" Augenblicklich erstarrte Caroline und ihr Blick verfinsterte sich.
"Mein Mann hätte nicht gewollt, dass er kommt. Er wäre eh nicht erschienen. Hat sich bei Familienfesten schon immer versteckt mit, das sei zu viel für ihn, zu laut."
Sie versuchte ihr falsches Lächeln wiederzubekommen. "Vielleicht möchtest du ja kommen? Jetzt wo unsere Söhne miteinander vermählt sind." Shadia stoppte zu schreiben.
"Nein, danke."
Bis zum Schluss zog sich eine angespannte Energie durch das Gespräch und Shadia war froh, als Caroline endlich ging. Sie lehnte sich seufzend zurück.
"Ich kann verstehen, dass Mikel diese Frau verachtet." Ihre Kollegin klopfte erneut. "Herein!"
"Frau Fukkatsu, ich geh Mittagspause machen und zum Bäcker. Soll ich was mitbringen?" Shadia überlegte. "Laugenstange. Danke. Geld bekommst wieder."
Shadia nahm ihr Handy nachdem die Kollegin gegangen war und rief Musuko an. Dieser nahm ab, während im Hintergrund Death Metal lief und Shadia verstand kein Wort.
"Typisch. In seinen Audios läuft auch immer was im Hintergrund." murmelte sie und Musuko schaltete die Musik aus. Nebenbei zeichnete er.
"Rate mal, wer heute bei mir im Institut war."
"Tot oder lebendig?" entgegnete Musuko.
"Lebendig." Musuko überlegte. "Keine Ahnung."
"Mikels Mutter. Sein Vater ist gestorben." Ruhig sprach sie diese Worte aus.
"Ohh. Ich werde es ihm ausrichten. Ich glaube es wird ihm egal sein. Die Beiden konnten nicht gut miteinander."
"Seine Mutter hätte ihn auch nicht bei der Beerdigung dabei haben wollen. Du hättest hören müssen, was sie gesagt hat." Shadia erzählte grob von dem Gespräch und Musuko war beinahe sprachlos. "Wow uff ok. Passt zu seinen Erzählungen. Na gut, ich hab noch was zu tun. Bis dann."
"Und ich bekomme meine Laugenstange geliefert. Bis dann."
Mikel kam gegen 15 Uhr zuhause an und sah Musuko auf der Couch am zeichnen. "Du bist gar nicht unten."
"Absage." Musuko blickte zu Mikel, welcher zu ihm kam und ihn einen Begrüßungskuss gab.
"Ärgerlich. Hat die Person es denn begründet?" Mikel setzte sich zu Musuko. "Krank halt. Ich habe ja die Anzahlung." Er legte Tablet und Zeichenstift zur Seite. "Mutter hat vorhin angerufen." Mikel zog eine Augenbraue hoch.
"Ok? Ist alles in Ordnung bei ihr?" Im Schneidersitz saß er auf dem Sofa und sah Musuko fragend an. Musuko holte noch einmal Luft, bevor er es Mikel erzählte und war innerlich nervös, wie sein Gatte darauf reagieren wird.
"Deine Erzeugerin war heute bei meiner Mutter zu einem Gespräch. Dein Erzeuger ist tot."
Musuko blickte in Mikels Gesicht, welches erst die Augen weitete und sich die Lippen dann zu einem Lächeln formten. Mit der rechten Hand zog er den Ärmel seines Pullovers am linken Arm hoch. Zum Vorschein kamen Narben ausgelöst durch heiße Zigarettenstummel.
"Endlich." Ein leises Lachen war zu hören. Musuko kannte Mikel nicht gehässig, schadenfroh oder emphatielos. In Anbetracht seiner familiären Situation verstand er seine Reaktion vollkommen. "Er war der Schlimmste von allen.", Er zitterte leicht. "Dieser Penner wollte immer einen Sohn und als nach zwei Töchtern endlich mal ein Sohn zustande kam hatte er die Erwartungshaltung eines richtigen Mannes an mich. Du kannst dir vorstellen, was ich durchmachen musste, als er bemerkte, dass ich nicht der starke Mann seiner Wunschvorstellung war. Immer wieder trichterte er mir ein, dass ich nicht zu weinen habe oder sensibel sein soll. Ich sei doch nicht wie meine Schwestern ein Mädchen. Er verlangte von mir, mich in einen Verein anzumelden, Kraftsport zu betreiben. Wenn mich jemand niedermachte sagte er, das sei unverständlich. Ich sei doch ein ganzer Kerl und solle denen eine reinhauen. Am schlimmsten war es, nachdem er rausfand, dass ich auf Männer stehe."
Mikel lag auf seinem Bett und hörte lautes Gepolter die Treppe hinauf kommen und eine Männerstimme, die seinen Namen brüllte.
"Mikel!!" Die Zimmertür wurde aufgerissen und ein großgewachsener Mann von schlanker Statur mit Muskeln stand wutentbrannt vor Mikel Er wurde regelrecht aus dem Bett gezerrt und grob an den Schultern angefasst.
"Mikel!! Was musste ich über dich hören?! Du bist eine verschissene Schwuchtel?!" Mikel weichte den Blicken aus, während sein Vater den Griff verstärkte. "Äußere dich dazu!!"
"J-ja..."
"Lauter!!"
"Ja!" Mikel schloss die Augen und sein Vater stieß ihn auf das Bett zurück.
"Caroline!!" brüllte er und seine Frau kam ohne Widerworte die Treppe hinauf. Er wandte sich an Caroline.
"Bist du mir fremdgegangen?" Sie schüttelte den Kopf.
"Wie kann es denn sein, dass dieses Balg auf Männerärsche steht?! Ich habe doch keinen schwulen Sohn! Ich weiß nicht, was bei dir kaputt ist, aber wie ist es möglich, dass alle unsere Plagen Schwuchteln sind?!" Mit der Hand packte er ihr Kinn.
"Ich weiß es nicht, aber schmeißen wir ihn raus. So etwas müssen wir nicht im Haus haben." Er ließ von ihr ab und wandte sich wieder Mikel zu. "Jetzt ergibt alles einen Sinn. Warum du immer so ein Sensibelchen warst und nicht auf Sport standest. Weil du eine arschgefickte Pussy bist!" Ein lautes Klatschen war zu hören und Mikels Wange färbte sich rot.
"Wehe du flennst jetzt!" Caroline griff nach den rechten Arm ihres Gattens. "Wir werfen ihn raus, das reicht."
"Halt die Fresse, Fotze!" Er stieß seine Frau von sich und lief aus dem Raum, um kurz darauf mit einem langen schwarzen Kleid wiederzukommen. Dieses warf er Mikel entgegen.
"Hier! Darauf stehst du doch! Am besten schneide ich dir noch den Schwanz ab, dann bist du auch untenrum eine Muschi." Mikel hatte alle Mühe, nicht zu weinen und legte das Kleid auf den Bettrand.
"Das ist mein Hochzeitskleid." bemerkte Caroline und wollte es an sich nehmen, aber ihr Mann funkte dazwischen. "Misch dich nicht ein!" Er zerrte an dem Kleid, dabei zerriss es am Ausschnitt.
Musuko schloss Mikel in seine Arme. "Für mich bist du der Stärkste von allen."
"Danke." Er löste die Umarmung und ließ sich von Musuko über die Schultern streichen. "Eine Sache wundert mich nur. Wie kommt es, dass deine Schwestern noch Kontakt zu deinen Erzeugern haben?"
"Meine Erzeugerin ist kein guter Mensch, aber ich denke sie wurde viel von diesen Wichser manipuliert. Sie war 21 und er 28 als sie Caitlyn bekamen. Er hatte Geld, Auto, Wohnung, Job, sie nicht. Er hat sie abhängig von sich gemacht und schon früh zu meinen Schwestern gesagt, er würde sie beschützen, er sei doch ihr großer, starker Papa. Später hat er sie als Töchter wieder einigermaßen akzeptiert, aber ich wusste damals warum und ich weiß nicht, ob sie je davon erfuhren oder sollten." Er senkte den Kopf und sah ernst drein.
"Warum?" Mikel scheute sich es zu sagen.
"Es ist krank." Er hielt sich die Hand vor dem Mund, als würde ihm schlecht werden.
"Er hat sich an ihren Erzählungen, wie sie andere Frauen beglücken, einen runtergeholt. Ich weiß noch, wie Mutter nicht da war und Patricia zu besuch war mit einer Freundin und man sie im Haus hörte, wie sie es taten. Aber ich hörte nur, wie sich dieses Drecksschwein darauf befriedigte. Er berichtete mir immer von dem, was sie ihn sagen mussten, weil das doch Gedanken seien, an denen sich ein echter Mann dran aufgeilt. Geschick brachte er sie dazu, davon zu erzählen, indem er tat, als würde er es nicht verstehen, wie sie es machen und er sie unter Druck setzte. Am Ende wurde es immer mir erzählt." Mikel scheute den Augenkontakt und Musuko schlug die Hand vor dem Mund.
"Ach du scheiße." Musuko nahm Mikel wortlos in seine Arme. Jetzt kamen Mikel die ersten Tränen.
"Er war grausam. Ich bin froh, dass ich nicht mehr fürchten muss, ihn zu begegnen." Mit seinen Ärmel wischte er die Tränen weg. "Hast du je daran gedacht, es ihnen zu erzählen?" Mikel schüttelte den Kopf.
"Es würde nichts ändern. Ich habe außerdem jeden Kontakt abgebrochen. Für mich macht es all die Jahre nicht ungeschehen. Niemals." Mikel stand auf und lief ins Bad. Er wusch sein Gesicht und kam in gemütlichen Klamotten zurück.
"Ich mach dann essen." Sanftmütig lächelte er und lief in die Küche. Musuko folgte ihm samt Tablet und zeichnete gemütlich im Duft des Essens weiter.