Am 26.3 betrat Heather pünktlich das Studio. Frisch geduscht und mit einem Lächeln kam sie in sein Studio.
"Hallo Musuko!" rief sie und sah, wie er sich über seinen Zeichentablet beugte. Heather bezweifelte, dass die Position gesund war. Seine mittellange Haare hatte er sich zu einem Zopf zusammengebunden und die restlichen Strähnen mit Spangen fixiert. Er saß im T-Shirt da und einer schwarzen dreiviertel Hose. Er unterbrach sein Tun und stand auf, um Heather zur Begrüßung zu umarmen.
"Na? Du hättest schon um dreizehn Uhr kommen können. Kunde hat krankheitsbedingt abgesagt." meinte er, als Heather entgegnete: "Pass schon. Ich war sowieso noch beschäftigt mit Haushalt." Er holte ihr einen Stuhl und sie setzte sich neben ihm. "Hier habe ich übrigens das Tattoomotiv." sagte er und präsentierte ihr das Motiv. Nach wie vor war Heather begeistert.
"Wir müssen erst noch ein paar Vorbereitungen treffen. Wenn du mir das bitte ausfüllen mögest?" Er reichte ihr ein Klemmbrett mit einer Einverständniserklärung, die Heather gewissenhaft ausfüllte. Nebenbei sah sie sich im Studio um. Ein feiner kleiner Raum. An der Wand hingen Bilder mit Wanna-Dos und bereits gestochenen Motiven. Auf dem Schreibtisch stand eine Lampe, die die Form einer Wirbelsäule besaß. Schließlich waren alle Vorbereitungen abgeschlossen und Heather lag auf der Liege. Musuko sah zu ihr, während er seine Handschuhe anzog. "Bist du nervös?" fragte er mit einem Lächeln und Heather nickte.
"Ja. Ich habe Angst, dass es wehtut." Sie streckte ihren Unterarm.
"Das hängt von der Körperstelle und dem eigenen Schmerzempfinden ab. Ich hatte hier schon Kunden, die sind eingeschlafen und andere, die echt an ihre Grenzen gegangen sind. Mikel hatte auch angst, wegen seiner Hochsensibilität. Der hat später kaum was mitbekommen, als wir über die Body Horror Serie sprachen." Er holte die Nadel und Heather sah bewusst nicht hin. Musuko setzte die Nadel an und Heather kniff die Augen zusammen. "Jetzt gibt es kein zurück mehr." schmunzelte Musuko und fuhr über die Linien der Schablone. Heather atmete tief ein und aus und langsam gewöhnte sie sich an das Gefühl.
"Ich hätte nie gedacht, dass ich mal meine beste Freundin stechen würde." scherzte Musuko und Heather lachte leise.
"Ich auch nicht." murmelte sie und beobachtete Musuko bei seinem Handwerk.
"Ich dachte immer, dass deine Haut auf ewig nackt und jungfräulich bleibt. Du wirktest nie wie der Typ für Tattoos. Dich zu tätowieren ist wirklich ein kleiner Erfolg für mich." Er lächelte gerissen.
"Ich muss gestehen, langsam wird es erträglich." Heather lächelte zu Musuko rüber, der fokussiert war auf seine Arbeit.
"Das freut mich. Ich mag es, wenn meine Kunden sich wohl fühlen." Eine ruhige Weile verging, bevor Musuko wieder ein Gespräch aufbaute. "Sorry, musste mich konzentrieren."
"Alles gut."
"Ich bin gespannt, wann du mir wieder schreibst, du möchtest das Nächste haben. Es bleibt selten bei einem." sagte er lächelnd und ohne Widerworte zu leisten meinte Heather nur: "Wie wäre es mit einem Freundschaftstattoo?"
Musuko hob eine Augenbraue.
"Und das Motiv ist dann ein Gerippe mit Einhorn oder was?" scherzte er und machte sich an den Schriftzug. "Ich finde die Idee gut." schmunzelte Heather und Musuko erzählte: "Das einzige Partnertattoo, das ich habe ist das mit meiner Mum. Mikel möchte ja auch eines mit mir machen. Warum wollen alle eine Art Verbundenheit mit mir haben?" seufzte er und Heather entgegnete: "Weil du ein toller Mensch bist, ernsthaft. Ich bin echt froh, dass du mich die Zeit aufgenommen hast. Ich glaube alleine wäre ich komplett untergegangen. Danke dafür." Musuko errötete und setzte die letzte Linie. Er nahm ein Papierküchentuch und fuhr über das Tattoo.
"Fertig. Wie findest du es?" Heather blickte zum Finelinetattoo und ihre Augen glitzerten vor Freude.
"Es ist wunderschön. Danke." Ihr kamen fast die Tränen und Musuko freute sich, dass Heather gerührt war. Er legte eine Folie auf das Tattoo und gab Heather Tipps zur Pflege. Er räumte den Arbeitsplatz auf und Heather setzte sich auf dem Stuhl. Nach getaner Arbeit setzte sich Musuko neben Heather und holte sein Handy hervor.
"Mikel hat mich letztens fotografiert." erwähnte er und zeigte Heather ein Foto von sich, wie er auf der Couch mit dem Tablet in der Hand eingeschlafen ist.
"Ich saß damals noch abends an deinem Tattoo, weil ich das unbedingt fertig haben wollte für dich." erzählte er lächelnd und Heather fühlte sich geschmeichelt.
"So, wie war das mit dem Freundschaftstattoo?" Er lachte und nahm sich den Zeichenstift zur Hand.
"Gerippe mit Einhorn hattest du gesagt." erinnerte Heather und eine Viertelstunde später hatte er einen kleinen Sensenmann skizziert, der auf einem Einhorn ritt. Beide mussten über das Motiv lachen.
"Mikel möchte sich auch noch eines mit mir stechen lassen. Das Motiv habe ich auch schon fertig aber hmm." Er seufzte am Ende seines Satzes und Heather fragte nach, was sei.
"Ich bin mir nicht sicher. Das ist dann für immer. Natürlich kann man es weglassen machen oder covern bei Bedarf, aber ich habe angst, mich ewig an jemanden zu binden. Mikel würde auch so gerne heiraten, aber ich schiebe das Thema seit zwei Jahren immer zur Seite." Er suchte das Motiv heraus und zeigte es Heather. Es war ein Kopf und Oberkörper, wovon der Oberkörper in der Mitte geteilt war. Zusammengefügt ergab das Motiv einen Oberkörper mit zwei Köpfen. "Es sollte ein Hochzeitsgeschenk werden. Mikel kennt das Motiv nicht. Dadurch, dass ich allerdings das Thema aufschiebe, verstaubt es ungeachtet auf dem Zeichentablet." erzählte Musuko mit einer leichten Wehleidigkeit in seiner Stimme. Heather musterte die Zeichnung. "Makabere Romantik." murmelte sie zähneknirschend und Musuko lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
"Und warum hast du Angst, dich ewig zu binden? Ihr wohnt zumindest schon mal zusammen." erinnerte Heather ihn. "Ja, aber ausziehen geht schneller über dem Tisch als eine Scheidung. Der Mietvertrag läuft auch nur über meinen Namen. Ich möchte kein Risiko eingehen." Er verschränkte die arme vor der Brust. Heather hörte sich seine Ängste an.
"Denkst du, er würde dich verlassen? Vertraust du ihm?" Musuko biss sich auf die Lippe. "Ich vertraue ihm voll und ganz. Ich könnte ihn die PIN für mein Bankkonto geben und er würde keinen Cent abheben. Ich könnte ihn in eine Männerbar lassen und er würde ohne einen einzigen Flirt wiederkommen. Er hat Verlustängste und eine Trennung seinerseits würde er wohl nie machen." gestand er und Heather hakte weiter nach.
"Würdest du ihn denn verlassen?"
"Nein! Er ist sowas wie mein siamesischer Zwilling!" Heather lachte leise bei seinen impulsiven Worten. "Wenn du mich fragst, solltest du dir einen Ruck geben und ihn heiraten. Nachher stirbt ihr zusammen im hohen Alter und bereut es, nie geheiratet zu haben. Du klingst für mich, als würdest du es eigentlich wollen, aber dir fehlt der nötige Arschtritt." Musuko fühlte sich von Heather ertappt und wich ihren Blicken aus. "Ich trete dir in den Hintern wenn du es nicht tust." mahnte Heather und Musuko verbarg sein unangenehmes empfinden eher schlecht als recht.
"Deinen Optimismus-." "Möchte ich haben, ja ja! Darf ich Trauzeugin sein?" Beide lachten und Musuko fiel auf, dass er sich nicht daran erinnern konnte, wann er Heather richtig lachen gesehen hat. "Nur, wenn du tiefstes schwarz trägst!"
"Hm, meinetwegen." genehmigte Heather murrend. "Ach komm, du siehst als Gothic-Lady sicher attraktiv aus. Gib dich dem düsteren hin." meinte Musuko mit betörender Stimme, aber Heather schüttelte den Kopf. "Ich bleibe ein rosa Einhorn."
"Unverständlich."
Die Freunde sprachen über alles mögliche, bevorzugt die Hochzeit, damit Musuko die Scheu vor der Vorstellung verlor.
"Mal was anderes. Weiß du, was aus Karlo geworden ist?" hakte Heather nach und Musuko sah nachdenklich zur Wand. "Also wäre er gestorben, hätte ich es von meiner Mutter erfahren. Der letzte Stand war ja, dass er mit 19 in seiner Lehre seine Freundin geschwängert hat. Was danach war, keine Ahnung. Es interessiert mich auch nicht großartig. Ich habe ein tolles Leben und bin glücklich. Ich meine, ich bin selbstständig, habe einen Freund, eine eigene Wohnung, eine einhornliebende beste Freundin, was will ich mehr?" meinte Musuko schulterzuckend und Heather kicherte, als er sie erwähnte.
Zum Abschied umarmten sich beide. "Bis zum nächsten Tattoo." scherzte Musuko und Heather schmunzelte nur.
Musuko staubsaugte und feudelte über den Boden, bevor er hinauf zu seiner Wohnung lief.
Beim betreten des Flures vernahm er seinen Partner aus dem Schlafzimmer hyperventilierten und eilte sofort zu ihm. Er schloss nicht einmal die Tür. Mikel saß im Schneidersitz auf dem Bett. Tränen aus Angst quollen über sein Gesicht. Er wippte vor und zurück und atmete laut ein und aus. Musuko sagt nichts, stieg aufs Bett, drückte Mikel das Sensenmannplüschtier in die Arme und umklammerte ihn dann von hinten. Mikel umfasste das Kuscheltier und drückte es fest an sich. Seine Atmung beruhigte sich und er blieb still sitzen. "Was ist passiert?" fragte Musuko in einem ruhigen Ton nach und Mikel schniefte.
"I-ich musste heute nur Kasse machen in der Buchhandlung. Ich konnte gar nicht weg und eigentlich wissen meine Kollegen, dass ich nicht nur Kasse machen kann!" Er senkte den Kopf. "Und dann hatte ich Kunden, die unhöflich waren. Einer wollte sich nicht von einen Grufti bedienen lassen und einer hat mich verurteilt, als ich etwas nicht wusste. Der meinte, dann soll ich da nicht arbeiten, wenn ich nichts könnte. Davon war ich noch so aufgewühlt, dass ich daraufhin Wechselgeld falsch rausgegeben habe."
Musuko umfasste Mikels Schultern und strich über seine Arme.
"Ich bin froh, dass ich morgen frei habe." murmelte Mikel. "Du bist doch sowieso nur für 25 Stunden die Woche da." meinte Musuko. "Zum Glück. Ich kann nicht mehr arbeiten, es geht leider nicht. Manchmal fühle ich mich selber schlecht deswegen." In Mikel wuchsen Zweifel an sich selbst heran. "Ist alles gut. Musst du doch auch nicht. Das haben wir doch geklärt. Ich bezahle die Miete, Gas und Strom und du machst dafür den Haushalt, gehst die Einkäufe bezahlen. Uns geht es gut." versicherte Musuko und umarmte Mikel wieder von hinten. "A-aber was ist, wenn wir uns trennen? Ich kann von dem Geld nicht alleine leben." Musuko merkte, dass sich die nächsten Ängste in Mikel schürten. "Nein, das wird nicht passieren, das kann ich dir versichern." Er lächelte aufmunternd. "Wirklich? Ich bin doch total kompliziert mit meinen Bedürfnissen. Hochsensibel, angstgestört, kann nicht Vollzeit arbeiten." Eine leise Träne rollte sein Gesicht runter. "Sag das nicht so. Ich habe damit kein Problem und komme damit klar. Anfangs war es ungewohnt, weil wir uns noch nicht genug kannten, aber mittlerweile weiß ich, wie du tickst." Musuko lachte aufmunternd und legte den Kopf auf Mikels Schulter.
"Danke. Ich fühle mich auch ganz wohl bei dir." entgegnete Mikel lächelnd und neigte den Kopf zu Musuko, um ihm einen seichten Kuss zu geben. Musuko zog Mikel nach hinten.
"Ich schließ noch kurz die Tür." meinte Musuko schmunzelnd und kehrte dann zu Mikel zurück, der das Kuscheltier weiterhin umfasste. Er legte sich zu ihm ins Bett und Mikel kuschelte sich an ihm.
"Und wie war es für Heather ihr erstes Tattoo zu bekommen?" fragte Mikel nach und Musuko erzählte ihm von ihrem Erlebnis. "Ich möchte auch nochmal ein Neues haben." sagte Mikel und Musuko dachte kurz an das Partnertattoo, welches er gezeichnet hatte. Er öffnete den Mund zum reden, aber schloss ihn wieder, bis er an Heathers Worte dachte. "Warte kurz." bat er und holte sein Zeichentablet. "Ich habe da was gezeichnet, das könnte dir gefallen." Er suchte das Motiv heraus und präsentierte es Mikel. "Wie wäre es mit einem Partnertattoo?" fragte Musuko leise, aber Mikel verstand ihn trotzdem. Mikel nahm das Tablet und sah sich das Motiv an.
"Es ist makaber und romantisch. Ich liebe es! Ein Body Horror Partnertattoo!" Er grinste freudig und Musuko fühlte sich erleichtert, ihn gefragt zu haben.
"Lass uns das machen." Musuko nahm das Tablet wieder an sich. "Ein passenderes Motiv gibt es nicht." lobte Mikel. Musuko legte das Tablet zur Seite und schmiegte sich an Mikel.
"Ich wollte das schon lange vorschlagen, aber irgendwie." gestand er murmelnd, aber Mikel meinte nur: "Ich bin froh, dass wir das machen." Glücklich und zufrieden lagen beide aneinandergeschmiegt im Bett.