Währenddessen hatte Henrik seinen Dienst beendet und wartete bei den Sensenschmieden. Seine Tochter hatte demnächst Feierabend und die Zeit wartete er bei ihr. Alma war damit beschäftigt, die Papiere durchzugehen und neben ihr lag ein kleiner Stapel Dokumente. Henrik musterte diese. "Das sind die Formulare derer, die ihre Erstsense noch nicht abgegeben haben. Wenn die Gruppe wirklich mit ihren Erstsensen kämpft, wenn sich alle eine Zweite haben machen lassen, können wir den Täterkreis gut eindämmen." meinte sie ruhig und lächelte ihren Vater an, welcher verständlich nickte. Es klopfte an der großen Tür und Alma stand auf. Vor ihr stand Jayna mit hängenden Kopf, welche eine zierliche Sense in der Hand hielt. Sie vermied den Blickkontakt mit der Auszubildenden. "Ich habe gehört, man kann seine Erstsense abgeben." meinte sie leise und Alma nickte. "Wenn Sie eine Zweitsense haben, dann ja." erklärte sie und Jayna schaute zur Seite. "Die habe ich nicht, aber ich möchte meine Sense trotzdem abgeben. Ich will und brauche sie nicht." sagte Jayna traurig und Alma war darüber irritiert. "N-nein, das geht nicht. Todeswesen brauchen eine Sense." erklärte Alma ungläubig und Jayna sah man die Traurigkeit richtig an. "Ich will das nicht mehr.... Ich will diese Sense nicht und ich will dieses Leben nicht!" entfuhr es Jayna erzürnt und eine gewisse Trauer legte sich auf ihren Tonfall. Alma war ein wenig überfordert, aber erkannte, dass es diesem Mädchen psychisch wohl sehr schlecht gehen musste. Etwas für sie tun, konnte Alma allerdings nicht und bald darauf sah sie schon einen großen schwarzhaarigen Mann, der auf Jayna zulief. "Komm mit, Jayna." sagte Jerome einfühlsam, nahm Jayna in den Arm und er grüßte Alma kurz, bevor er mit Jayna heim lief. Alma musste dies noch etwas verarbeiten und redete mit Henrik darüber, der den Vorfall nur halb mitbekommen hatte. Jerome und seine Tochter waren heimgekehrt und Jayna setzte sich auf ihr Bett. "Wolltest du deine Sense abgeben?" hinterfragte Jerome ruhig und Jayna nickte mit hängenden Kopf. "Ich will dieses Leben hier nicht... Kann mich die Gruppe nicht einfach umbringen?" seufzte Jayna niedergeschlagen und Jerome legte den Arm um sie. "Sag sowas nicht. Ich verstehe dich, aber es würde mich und deine Mutter sehr traurig machen. Weiß du, wie sehr es mir das Herz gebrochen hat, erst deine Mutter zu verlieren und dich wenige Monate später tot im Bett liegen zu finden, voller Blut?" Jayna weitete die Augen, wenn sie an ihren Selbstmord dachte. "Es tut mir so leid..." hauchte sie getroffen und Tränen stiegen in ihr hoch, als Jerome sie umarmte. "Es ist in Ordnung, ich bin dir nicht böse. Du sahst in diesem Augenblick keine andere Lösung." sprach er ihr leise zu und strich über das zerzauste Haar seiner Tochter, um sie zu trösten.
"Damals waren deine Mutter und ich sehr glücklich, als wir erfuhren, dass wir Eltern werden. Anfangs hatte ich Angst um Yui, als es ihr nach dem Essen und morgens schlecht ging, weshalb ich vermutete, ihre Bulimie sei wieder da. Ich habe sie gefragt, ob es einen Grund dafür gebe, aber sie versicherte mir, dass sie nicht das Bedürfnis hatte, ihr Essen wieder zu erbrechen. Wir suchten einen Arzt auf und erfuhren, dass sie mit dir schwanger war." Über diese schöne Erinnerung lächelte Jerome und auch über Jaynas Lippen huschte sich ein schmunzeln, während ihr Vater sie weiterhin im Arm hielt und erleichtert war, dass Jayna wieder ein wenig glücklicher war.
Es war am frühen Morgen des 24.8 und Henrik hatte Nachtdienst in der Gilde gehabt und viele Seelengeleiter, die in der Nacht Seelen in die andere Welt geführt hatten, gaben ihre Akten in der Gilde ab. Schließlich betrat Cedric die Gilde mit einem gefassten Ausdruck und überreichte Henrik mehrere Akten. Henrik nahm diese entgegen und die Brüder nickten sich still zu. Sie wussten, was nun geschah und die Gilde wurde für weitere Besucher geschlossen. Ohne Mimik im Gesicht verschwand Cedric durch die Tür zum Raum des Henkers.
Vom schwarzen Gewand umhüllt und die Henkerssense in der Hand, betrat er den dunklen Raum mit dem Kerker. Josef erwartete ihn bereits und angekettet saß Ahrend auf dem Boden. Sein Urteil hatte Josef bereits gesprochen und leicht hob Ahrend den Kopf. Er lächelte müde, aber die Traurigkeit und das viele nachdenken in der Einsamkeit die letzten Tage, hatten ihm zu schaffen gemacht. "Jetzt ist es wohl soweit..." murmelte er schwach und ließ den Kopf hängen. "Machen Sie schon ihre Arbeit, Herr Henker, ich bin bereit dazu. Ich habe schon alles verloren, was ich nicht mehr wieder erlangen kann." Dr. Plutna klang bedauerlich und in den letzten Tagen war ihm sein Vergehen wohl bewusst geworden. Er bereute es und dachte an Cedrics Worte. Es erfreut ihn, dass seine geliebte Frau bei deren Kindern sein konnte, aber er wollte mit ihnen eine Familie sein.
Der Henker öffnete die Gittertür und musterte Ahrend, wie er bemitleidenswert dort saß und sich auf die Auslöschung seiner Seele bereits innerlich vorbereitet hatte. "Was passiert, wenn meine Seele ausgelöscht wird?" fragte er hauchend und da der Henker nicht redete, beantwortete Josef diese Frage mit seiner gefühlslosen Art. "Sie existieren in keinster Art , Form und Weise weiter. Andere Menschen werden sich an Sie erinnern. Sie selber haben jedoch kein Bewusstsein." Bei dieser Vorstellung schluckte Ahrend. Er wäre einfach Nichts. Das war für ihn und niemanden vorstellbar.
Ahrend blickte auf und der Henker erhob seine Sense. Die Augen des Heilers weiteten sich und die Henkerssense schellte zu ihm nieder, trennte seinen Kopf vom Rumpf ab und hatte diesen in einen glatten, starken Schnitt abgetrennt. Blut tropfte zu Boden und die Augen von Ahrend waren noch geweitet, bis der Körper sich langsam in seine drei Bestandteile auflöste. Cedric hängte Ahrends Sense an die Wand und hinterließ Josef den Rest. Beide verbeugten sich voreinander, bevor Cedric sich umzog und mit seiner ausdruckslosen Miene zur Gilde zurückkehrte, wo er Henrik und dem Sensenmann Bericht erstattete. Er verabschiedete sich und verließ die Gilde, während Henrik auf seine Ablösung wartete. Die Ablösung kam jedoch nicht und nach weiterem warten war diese immer noch nicht da. Henrik wusste, was dies bedeutete und senkte seufzend den Kopf. "Dann hast du es wohl geschafft. Ruhe in Frieden, Florenz."
In Gedenken an seinen früheren Ziehvater murmelte Henrik diese ruhigen Worte und klopfte beim Tod an. "Henrik, du bist sicherlich hier, um Justin nach Hilfe zu fragen, oder?" sprach der Tod ruhig, da er wusste, dass Florenz erlöst worden war. Der Gildenführer nickte und Justin stand ohne ein Wort zu sagen auf, um Henrik abzulösen. "Ich danke dir vielmals, Gevatter Tod." dankte Henrik und verneigte sich leicht, bevor er sich den Mut nahm und eine für ihn wichtige Frage stellte. "Kannst du mir sagen, in welche Welt Florenz gekommen ist?" bat er und ruhig musterte der Tod ihn, bis er antwortete: "Herr Gastrados Seele ist in den Himmel gekommen." Diese Tatsache erleichterte Henrik sehr, er verabschiedete sich vom Tod und Justin, bis er die Gilde schließlich verließ. Henrik lief durch die dunklen Flure, einige ehrfürchtige Todeswesen verneigten sich leicht, aber Henrik winkte mit der Hand ab, dass dies doch nicht nötig sei und er es nicht verstehen konnte, weil er auch nur ein einfacher Todesengel war. Cedric lief ebenfalls durch die Flure und hatte zwei Akten in der Hand, die Felicia ihm gegeben hatte, als er heim kam und ihr von der Hinrichtung berichtet hatte. Er wollte noch was tun, deshalb gab Felicia ihm die Akten. Plötzlich stockte er, als er Felicia erblickte und ein Lächeln huschte sich auf seine Lippen, welches sofort wieder verschwand, als er den Mann an ihrer Seite und ein junges Mädchen erblickte. Zusammen liefen sie zum Heilertrak und Cedric wollte seinen Augen nicht glauben. Von diesem Anblick war er noch überrascht, bevor er nachdenklich wurde und murrte: "Hm..."
Er wandte sich ab und lief den Gang weiter, als er seinen Zwillingsbruder sah. Begeistert grinste Henrik und winkte Cedric zu, welcher seufzend lächelte. Sie liefen aufeinander zu und schauten sich an. "Ich habe gerade Dienstschluss gemacht und anscheinend möchtest du noch Seelen geleiten." merkte Henrik gerissen an und sah die zwei Akten, wovon er sich schnell eine mit der linken Hand nahm. Wäre es nicht sein Bruder gewesen, hätte Cedric dies als unhöflich empfunden. Grinsend nahm Henrik seine Sense zur Hand, nachdem er die Akte aufgeschlagen hatte. "Wollen wir?" fragte er und Cedric nickte ruhig, bevor auch er seine Sense nahm und mit Cedric durch das Flügelportal trat.
Die Brüder fanden sich in einem großen Wohnblock wieder. Eine ältere, gebrechliche Dame war die Treppen hinunter gestürzt. Der Sturz verlief tödlich und Cedric hielt seine Sense an ihrem Körper. Leicht konnte eine brücke aufgebaut werden und die Seele der guten Dame war ganz friedlich und hatte verstanden, dass dies ihre letzte Reise sein würde. Entspannt ließ sie sich in den Himmel geleiten und Cedric schloss das Seelengeleit ab. Im Blockhaus wohnten viele Menschen und deshalb kamen auch hier die unterschiedlichsten Wesen zusammen.
Mehr Mühe beim Seelengeleit hatte Henrik, welcher die Seele einer garstigen Frau geleiten musste, die im mittleren Alter war und ihr Leben ziemlich hatte gehen lassen. "Da geht man einmal eine Seele geleiten und dann ist es eine Böse!" rief er angestrengt, da er die Brücke aufrechterhalten musste, sah dem allerdings positiv entgegen. Sein Bruder trat mitten ins Geschehen und sah die unaufgeräumte Wohnung. Einen Augenblick musterte er das Seelengeleit, um zu erfahren, ob Henrik Hilfe benötigte, doch anscheinend hatte der Gildenführer die Situation gut unter Kontrolle. "Verschwindet!!" keifte die kräftigere Frau in einem bösen Tonfall, von denen sich die Zwillinge nicht einschüchtern ließen. "Ihre Zeit ist hier und jetzt gekommen!!" rief Henrik entschlossen und mit einem großen Selbstbewusstsein stellte er sich der Frau entgegen und ließ sich von ihren bösen Blick, der Macht ausstrahlen sollte, nicht unterkriegen. Er wusste, dass Menschen, die laut und wütend wurden, um Macht zu demonstrieren, nicht normal diskutieren und sich ihre Fehler nicht eingestehen konnten. Um andere einzuschüchtern, ließen sie ihre Lautstärke und Körperhaltung spielen, damit ihr Gegenüber klein beigab. Davon hatte Henrik sich noch nie entmutigen lassen und baute eine neue Brücke mit der Sense auf. Er sprach ihre Todesdaten aus und langsam tat sich ein Portal in eine andere Welt auf. "Für Ihre Sünden kommen Sie in die Hölle!" sprach Henrik gewissenhaft aus und Cedric merkte, dass Henrik genau dieselbe Autorität besaß, wie in der Gilde, wenn er ein Urteil verkündete.
Die Seele der Frau brüllte furchteinflößend. "Nein!! Leck mich am Arsch!!" Die Hölle tat sich hinter ihr auf und Wolfsklauen griffen nach der Seele, um sie in die Hölle zu zerren. Henrik legte die Sense auf die Schulter und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. "Puh, das war mal was." schmunzelte er und die Zwillinge kehrten ins Totenreich zurück und entschlossen sich dazu, noch eine Weile in Henriks Wohnung zu verbringen. Die Akten legte Henrik auf den Tisch und würde sie morgens mit zur Gilde nehmen, dabei fiel ihn etwas ein. Gemütlich setzten sie sich ins Wohnzimmer und Henrik setzte eine ruhigere Miene auf. "Ich wollte dir noch etwas Wichtiges erzählen." fing er gelassen an und Cedric linste zu ihm. "Ja? Was denn?" hinterfragte Cedric interessiert und Henrik erzählte: "Florenz wurde heute erlöst und ist in den Himmel gekommen."
Verständlich nickte Cedric und lächelte matt. "Dann hat er es endlich geschafft." Zum anstoßen holte Henrik einen spanischen herben Wein hervor, als eine Zimmertür sich öffnete und Alma in ihrer Jogginghose und Cardigan ins Wohnzimmer trottete. "Als hättest du den Wein gerochen." schmunzelte Henrik und hatte sein Glas in der Hand, als Alma sich mit dem Ellbogen auf die Sofalehne stützte, ihm frech das Weinglas entriss und zwei Schlucke von trank. "Eventuell." grinste sie frech und Henrik war zu überrascht, um die Situation zu realisieren. Cedric schmunzelte über die Art seiner Nichte, bevor er sie grüßte und an sich drückte. In der Zwischenzeit hatte sich Henrik ein drittes Glas geholt. "In der Hoffnung, dass mir dieses nicht auch wieder weggenommen wird!" neckte er seine Tochter mit seiner gespielten Eingeschnappheit, als Cedric ihm die Weinflasche wegnahm und sein Glas auffüllte. "Du trinkst sowieso zu viel davon." zog er seinen Bruder auf und sah zu Alma, bevor beide in schallendes Gelächter verfielen. Henrik schmollte, aber lachte dann mit den Beiden mit. Er verstand Spaß sehr gut und tat oft nur beleidigt, bevor er ebenfalls darüber lachte. Egal ob die Scherze über ihn oder auf seine Kosten waren, es störte, weder verletzte es ihn, egal wie fies sie waren. Und wenn es jemand doch übertrieb, dann sprach er die Person darauf an und erklärte dies sachlich, danach war aber sofort wieder vergeben und vergessen.
Alma setzte sich mit ihrem Glas neben Henrik und die Drei stießen alle zusammen auf Florenzs Erlösung an.