Tomas klingelte mehrmals an der Wohnung seiner Söhne, die sie seit einem Jahr in Brütteln bezogen. Die Tür wurde ihm mit einem genervten: "Einmal klingeln hätte auch gereicht." geöffnet. Vor ihm stand Timothy in kurzer Hose. Er sah nicht aus, als wäre er auf Besuch vorbereitet gewesen.
"Was bist du denn so aufgebracht?" Tomas lief an Timothy vorbei in die Wohnung. Sein Sohn schloss die Tür hinter sich. Tomas stellte sich vor Timothy.
"Mir sind Dinge über dich zu Ohren gekommen und es waren keine schönen Dinge!" Tomas war in Aufregung und Timothy ergriff seine Oberarme. "Setzen wir uns erstmal und reden ruhig darüber. Ich bin mir sicher ich werde dir alles erklären können." Er führte seinen Vater zum Wohnzimmer, ein weißer Raum mit großer, schwarzer Couch in L-Form.
"Aber sag mal, seid wann hörst du auf solche Gerüchte und wer erzählt sowas?" Sein Blick verschränkte sich und sein Lächeln wirkte dadurch erzwungen.
"Das geht dich nichts an, aber mir wurde berichtet, du würdest kiffen! Drogen nehmen!" Timothy ließ die Oberarme seines Vaters los. Er sagte nichts dazu. "Stimmt das?! Wo hast du diesen Scheiß her?!"
Timothy biss die Zähne zusammen.
"Ja, verdammt! Ich kiffe na und?" Seine Stimme war laut. Fassungslos sah Tomas ihn an.
"Ich habe euch immer gesagt, nimmt keine Drogen! Kifft Hannes auch?" Timothy druckste ein wenig herum, bevor er eine Antwort gab.
"Hat er mal, aber seit über einem Jahr nicht mehr, wegen dem Gym. Der will auch mit rauchen aufhören." Tomas schlug die Hand vor den Kopf und Timothys Versuch vom Thema abzulenken misslang
"Ich glaub das nicht! Wie kommt man auf so eine scheisse?! Entweder du hörst auf damit oder ich schmeiß dich aus der Lehre! Ich habe doch keinen Kiffer als Sohn! Wie lange nimmst du dieses Zeug schon und wie oft?" Er sah Timothy eindringlich an. Sein Sohn murmelte seine Antworten vor sich her.
"Seit sieben Jahren, alle paar Tage." Tomas blieb fast der Mund offen stehen. "Du hörst auf der Stelle auf damit! Verstanden?" Timothy nickte.
"Dann schieß ich mich halt mit Alkohol aus dem Leben."
"Timothy Krachten! Solche Kacke ist nicht die Lösung deiner Probleme. Such dir einen Therapeuten. Rede mit mir, wenn dich was beschäftigt." Timothy blickte an Tomas vorbei.
"Du hast keine Ahnung. Ich habe schonmal einen Therapeuten gesucht, aber denkst du, ich habe was gefunden? Deshalb habe ich mir anders geholfen. Von klein auf an musste ich die Drecksehe von dir und Mutter mit ansehen. Ich habe mir beigebracht die Stimmung in der Familie lesen zu können und mich dementsprechend angepasst, bis ich irgendwann gecheckt habe, was ich tun muss, damit es nach meiner Pfeife läuft.", Er gestikulierte mit den Händen.
"Und ihr dachtet sicher alle nur, ich sei empathisch." Tomas blieben die Worte im Hals stecken.
"Ja, ja da hast du nicht unrecht." gestand er und Timothy lächelte kurz.
"Und was wurden dir noch für Dinge erzählt?" Ein kurzer Moment der Stille trat ein und Tomas wusste nicht, was er als nächstes sagen sollte.
"Ich habe von deinen Bettgeschichten erfahren, dass du fremdgegangen bist. Hast du dabei je an deine Mitmenschen gedacht? Was sowas mit denen machen kann?" Das Gesicht von Timothy wurde finster.
"Was geht dich mein Beziehungs und Sexualleben an? Ich bin halt nicht der Typ für eine feste Beziehung, na und? Ich möchte mir das Leben nicht durch eine beschissene Ehe ruinieren lassen." Sein Vater schluckte.
"Denkst du je an deine Mitmenschen?" Timothy entgegnete nur uneinsichtig: "Denken meine Mitmenschen denn an mich?" Daraufhin schüttelte Tomas mit den Kopf.
"Es gibt genug die an dich denken und nicht jeder ist ein Unmensch. Ändere dein Weltbild, dann siehst du das mal. Und ja, dein Beziehungsleben geht mich nichts an, aber irgendwann fliegst du damit auf die Schnauze. Wichtiger ist mir, dass du mit dem Kiffen aufhörst, sonst muss du dich auf Arbeit nicht blicken lassen." Er stand auf. "Wir sehen uns, hoffentlich." Er verließ die Wohnung und ließ Timothy auf der Couch sitzen. Mit der Faust schlug er gegen die Couchlehne.
"Fuck!!"
Die drauffolgenden Tage sah Tomas seinen Sohn auf der Arbeit, aber dieser sprach nur das Nötigste mit ihm. Seine Wut und Unruhe ließ Timothy daheim aus, was meistens Hannes zu hören bekam. Dieser gab, zu Timothys Leidwesen, Tomas recht und nahm Timothys Bausachen an sich, damit dieser nicht in Versuchung kam. Zwar hatte Timothy selbst darauf bestanden, dass Hannes seine Sachen nahm, aber dass Hannes Tomas recht gab, hatte zu Streit zwischen den Zwillingen geführt. Dieser Streit war erst beendet, nachdem Hannes sich entschuldigte.
Tomas war Samstagnachmittag bei Shadia zuhause. Sie hatte Schokomuffins gebacken und für jeden einen Kaffee aufgebrüht. Beide saßen auf der Couch im Wohnzimmer. Tomas bediente sich an den Muffins, wobei ihm fast ein Stück auf den Boden fiel. Ungeschickt konnte er es noch auffangen. Shadia schmunzelte. Mit einem Taschentuch wischte er sich die Krümel vom Mund.
"Ich habe meinen Jüngsten diese Woche kaum wiedererkannt, das bereitet mir Sorgen. Vermutlich muss er erst ohne diese Drogen klarkommen, aber ich hatte nicht gedacht, wie arschig er sein kann." Er nahm einen weiteren Muffin.
"Ich mochte ihn damals schon nicht, wo Musuko ihn mir vorgestellt hat. Er war nett und alles, aber ich habe gespürt, dass er nicht ganz richtig ist. Ich war froh, dass sich das schnell wieder erledigt hatte." Sie nahm sich ebenfalls einen Muffin.
"Bei Mikel war das vollkommen anders. Ich habe dieses liebenswürdige Kerlchen direkt ins Herz geschlossen. Er ist wie ein zweiter Sohn für mich." schwärmte Shadia und biss genüsslich in den Muffin.
"Hättest du eigentlich gerne mehr Kinder gehabt?" Shadia verschluckte sich fast und hustete.
"Nein, bloß nicht. Vor allem nicht mit Petri. Nach Musukos Geburt haben wir einmal darüber gesprochen und selbst Petri wollte keine mehr. Der war aber einfach überfordert mit Musuko. Eine Zeit lang wusste er nicht mal, wie man ein Baby richtig hält und hat es nach mehreren Erklärungen trotzdem nicht verstanden. Man ganz davon ab, dass er mir Musuko eh immer in den Arm drückte, wenn es ums Windeln wechseln ging. Er hat sich Musuko nicht mal nähern wollen, wenn er als Kleinkind krank war. Das hab immer alles ich oder Musukos Großeltern gemacht." Sie klopfte die Hände ab. "Irgendwann war es so weit, dass Musuko nicht mal Zeit mit seinem Papa verbringen wollte. Petris Vater-Sohn-Zeit bestand aus der Spielekonsole und das fand mein Kleiner immer langweilig. Ich weiß noch, wie ich Petri aus dem Haus warf und wir darüber sprachen, wann er seinen Sohn sehen dürfte. Musuko hat fast geweint bei der Vorstellung, alleine mit Petri Zeit zu verbringen. Wie wir wissen kam es nie zu einem Treffen." Sie lächelte und schaute zu Tomas.
"Wie hat Musuko eigentlich auf Petris Tod reagiert? Er war immerhin erst acht." fragte Tomas nach und sein Blick war mitfühlend. "Ich habe es ihn schonend beigebracht und seine erste Reaktion war tatsächlich Freude darüber, dass er nie mehr zu Petri am Wochenende müsse. Daraufhin machte ich ihm bewusst, was dies bedeutete, aber selbst danach konnte Musuko nicht viel mit der Info anfangen." Sie verflochtete die Hände miteinander.
"An Petris Beerdigung fanden wir uns zur Urnenbeisetzung ein und auch nur sporadisch, weil er Musukos Erzeuger ist. Da waren ungefähr zehn Leute aus seiner Familie und als meine Tante mit dem Pastor die Urne niederließ, hörte ich Musuko nur noch fragen, wie Papa denn da reinpassen würde, der war doch immer so dick." Tomas schlug die Hand vor dem Mund.
"Ich glaube ein zwei haben böse geguckt und Tante Amy erzählte später, sie hätte sich sehr zusammenreißen müssen, nicht zu lachen. Wir verließen die Beisetzung und ich klärte Musuko über das Thema Einäscherung auf." Shadia schmunzelte und Tomas lachte leise über die Anekdote. Nebenbei griff Tomas nach dem dritten Muffin.
"Die schmecken dir, richtig?" merkte Shadia erfreut an und Tomas nickte, während sein Mund voll war. Er schluckte. "Sehr. Außerdem sollte nichts verschwendet werden." Shadia kicherte.
"Und selbst wenn, morgen kommt mein Sohn und Schwiegersohn zum Frühstück vorbei. Deshalb habe ich extra ein veganes Rezept genommen."
"Schmeckt man gar nicht raus, das es vegan ist. Erinnert mich an die vegetarische Phase meiner Tochter." Shadia hörte Tomas zu.
"Mein Schwiegersohn lebt seit er 23 ist vegan. Es ist wirklich interessant und für mich und Musuko ist es normal geworden. Manchmal esse ich noch tierische Produkte, aber tatsächlich achte ich mittlerweile ebenfalls darauf, nach Alternativen zu gucken." Offen erzählte sie darüber und Tomas staunte nicht schlecht.
"Du wirst immer interessanter."
Sein Kompliment schmeichelte Shadia.
"Danke dir." Ein leichter Rotschimmer legte sich auf ihre Wangen.
"Nicht dass du vorher nicht auch schon interessant warst." Mit einer Handbewegung winkte Shadia ab.
"Ach du." Ein Grinsen zierte ihr Gesicht. Tomas lehnte sich mit den Rücken an die Couch und sah zur Decke hinauf. "Nur leider war ich nicht interessant genug." Ein tiefer Seufzer durchfuhr seiner Kehle. Fragend musterte Shadia Tomas.
"Ich dachte immer, ich sei nicht mehr wie eine Freundschaft für dich. Du hättest die Chance gehabt." Bei ihren ruhigen Worten hielt Tomas inne.
"Verdammt! Wäre ich damals nicht zu ängstlich gewesen und hätte dich einfach zum Abschied geküsst!" Sein Ärger war ihm anzusehen. "Ich hatte noch überlegt zurückzugehen, aber ich war zu feige." Shadia kam ein Stück zu ihm und strich über seinen Arm.
"Ich habe damals dich und Petri gedatet. Eine Sache, die im nachhinein nicht richtig war. Ich habe euch beiden Hoffnungen gemacht und mich euch warm gehalten. Hätte ich mal von Anfang an auf meine Tante gehört und mich für dich entschieden." Ihre Wangen erröteten leicht und Tomas schmeichelten ihre Worte. "Ich muss gestehen, dass ich dich ein, zweimal angerufen habe, in der Hoffnung, es zu versuchen. Leider erzähltest du mir immer direkt zu Anfang, dass du geheiratet hast oder Claudia schwanger sei. In dem Moment fand ich mich damit ab." Sie senkte den Blick und Tomas sah zu ihr. Er wusste nicht, was er erwidern sollte und sagte das Erste, was ihm in den Sinn kam.
"Ich hätte dich auch noch genommen, egal wie viele Kinder du von Petri gehabt hättest." Seine Worte brachten Shadia zum schmunzeln. "Danke. Ich bin froh, dass es nur bei Musuko geblieben ist."
"Und dass deine Gene stärker waren." ergänzte Tomas und Shadia fing darüber an zu lachen. "Das ist wohl wahr. Da war besonders Onkel froh drüber. Der hat Petri sowieso bei jeder Gelegenheit einen Spruch gedrückt. Wobei ich manchmal züge von Petri an ihm bemerkt habe. Anfangs in der Grundschule ließ er die Hausaufgaben auch schweifen. Nach einem Gespräch hat es sich dann gebessert."
"Bei Musuko kam wenigstens eine Besserung. Die blieb bei Petri ja vollkommen aus." Beide lachten über die Aussage von Tomas.
Der Lachanfall klang ab und Shadia meinte: "Aber wir wollen jetzt nicht zu negativ über vergangenes reden."
Um 18 Uhr begab sich Tomas zur Toilette und Shadia begleitete ihn danach zur Haustür. Er stand vor und sie an der Tür.
"Das ist ja wie damals." merkte er schmunzelnd an. "Stimmt." Shadia sah in Tomas Augen, welcher anfing nervös zu lächeln.
"Würdest du dem von damals nochmal eine Chance geben?" Leicht zitterte er, während sich Shadia an den Türrahmen lehnte. "Aber bitte nicht mit demselben Ende." Tomas kam näher und umfasste ihre Oberarme. Ihre Blicke trafen sich. Ihre Münder lächelten sich entgegen. Anstatt sie nur zu umarmen, legte er seine Lippen auf ihre.
Sie schlossen ihre Augen. Tomas löste den Kuss und seine Seelenspiegel funkelten. In seinen Gesicht stand die Verblüffung geschrieben.
"Das hätte ich schon vor über 35 Jahren tun sollen." Er grinste und Shadia lächelte sanftmütig. "Möchtest du nicht doch noch etwas bleiben?" Tomas blickte auf seine Armbanduhr.
"Der Tag ist noch jung und ich habe Zeit. Ich kann noch bleiben." Er folgte Shadia zurück ins Haus.