Sie hörte auf Torbens Warnung und mied die Demo am Freitag. Dafür machte sie sich am Samstag auf den Weg in die nächstgelegene größere Stadt. Ihre Eltern wussten nur, dass sie unterwegs geht. Meistens war es zu irgendwelchen Treffen in Parks, um diesen zu säubern oder an Ständen, die versuchten aufzuklären. Ihren Eltern gefiel der extreme Aktivismus nicht. Sie wollten nicht, dass Vicky auffällig wird und warnten sie vor Dingen, wie dem festkleben auf der Straße.
Mit ihrem Jute-Rucksack begab sie sich zum Treffpunkt und freute sich, all die Leute aus dem Internet im echten Leben zu treffen. Es war eine Gruppe bestehend aus 10 Leuten. Von einigen wusste sie, dass sie ebenfalls Venefica waren. Alle erzählten etwas von ihrem Privatleben und Vicky berichtete von ihrem Vortrag. "Ernsthaft? Ist der dumm? Der soll sich damit befassen. Du hättest eine eins plus verdient gehabt!" meinte einer der männlichen Aktivisten in der Gruppe. Mit einer Handbewegung zweier Leute wurde angedeutet, loszuziehen und sie begaben sich auf die Straße. Die ersten Autos hupten bereits, doch die Gruppe machte einfach weiter, verhinderten die Weiterfahrt.
"Verpiss euch!"
"Ich muss zu einem Treffen!"
Diese Sätze waren der Gruppe gänzlich egal. Sie hielten die unterschiedlichsten Schilder in der Luft.
Wenn wir nichts tun stirbt Mutter Natur
Würdigt das Geschenk der Erde!
Stoppt die Zerstörung unseres Planeten!
Sie setzten sich auf die Straße. "Kleb dich fest." meinte Vickys Sitznachbarin und Vicky musterte den Kleber.
"Einige haben schon ihre Hand verloren." "Kleb dich bloß nirgendwo fest!" waren die Sätze ihrer Väter, die ihr in den sinn kamen. Kopfschüttelnd gab sie den Kleber weiter.
Die Polizei rückte vor, doch die Aktivisten wehrten sich. Vor ihnen standen ein LKW und Autos. Besonders der LKW hupte unaufhörlich. "Drecksaktivisten." fluchte der Fahrer und verlor endgültig die Beherrschung, indem er die Handbremse löste und auf das Gaspedal trat. Direkt in die Gruppe der Aktivisten!
Vicky bemerkte den LKW-Fahrer rechtzeitig und stand auf. Ihre Mitaktivisten hatten mit dem Widerstand des Klebers zu kämpfen. Vicky stolperte zur Seite und wurde von jemanden aufgefangen, während sie hinter sich nur die Schreie der Menschen hörte. Zitternd wollte sie hinsehen, doch die Person versperrte ihr die Sicht. "Sieh nicht hin!" Sie blickte zu der Person, die sie aufgefangen hatte.
Strahlend weißes kurzes Haar sah ihr entgegen und ein sanftes Lächeln. Vicky konnte nicht sagen, was es war, aber etwas war besonders an dieser Gestalt.
Der LKW hatte vier Aktivisten in den Tod gezogen. Aufgehalten wurde er, als er mit einem größeren Wagen kollidierte und einen Unfall auf der Straße verursachte. Der Zustand des Menschen im Auto war unklar. Polizei und Rettungskräfte waren mit der Situation beschäftigt. Gaffer filmten die Situation mit ihren Handys.
"Endlich hat mal jemand das getan, was wir schon alle mal machen wollten! Drecksaktivisten!" rief ein Pöbel lautstark und mit drei weiteren Menschen wurde grausam angestimmt: "Drecksaktivisten! Drecksaktivisten! Hipp hipp hurra LKW-Fahrer! Unser Held!" Drei Polizisten zerrten diese umgehend von dem Unfallort und wiesen sie auf ihr Verhalten hin. Viele Passanten waren entsetzt von der Tat des Fahrers, wie auch dem Pöbel. Vicky vernahm eine Frau kotzen, die die Unfallopfer sah und Vicky wollte nur heim zu ihren Vätern. Ein Polizist kam auf sie zu und nahm sie zur Seite, um mit ihr zu sprechen. In dem Moment verschwand die mysteriöse Passantin.
Frederic geleitete einer der Seelen. An seiner Seite waren ein weiterer, ihm unbekannter, Seelengeleiter. "Dabei setzen sie sich für was Gutes ein." murmelte er, als Gina vor ihm erschien. Zwei der Todesopfer waren Venefica gewesen. In diesem Fall geleitete der Tod die Seelen in den Garten Eden.
Mutter Natur spürte den Verlust und der weiße Tod betrat den Raum. "Zwei Venefica wurden zu Tode gefahren. Es geschah bei einer Art Demonstration." erklärte dieser und Mutter Natur senkte den Kopf und ließ die Arme runterhängen. Sie stoppte die Arbeit an der deformierten Hülle. Wut und Trauer keimte in ihr auf. "Diese Menschen..." hauchte sie und der weißte Tod näherte sich Mutter Natur zu einer Umarmung. Trauernd lag Mutter Natur in den Armen ihres Gehilfen. "Es gibt auch gute Neuigkeiten. Eine Venefica hat überlebt. Ich habe sie gesehen." flüsterte der weiße Tod und für einen Moment schimmerte Hoffnung in Mutter Natur auf.
"Ich hätte sterben können." waren Vickys Gedanken, die schrecklichen Geräusche hallten weiterhin in ihrem Kopf wieder. Ihr Vater hatte ihr den aktuellsten Newsartikel geschickt und panisch geschrieben, wo sie sei und angerufen. Ein Anruf, den sie zu seiner Erleichterung direkt annahm, auch wenn er sie vor lauter Tränen erst nicht verstand. Liam war entsetzt, als er Vickys Worte hörte. Auf einer Seite traurig, weil sie ihn angelogen hat, aber die Sorge überwog. "Ich hole dich ab! Wo bist du?" Daraufhin nannte Vicky ihn den Standort. "I-ich komm zum Bahnhof. Hier sind noch alle beschäftigt." "Alles klar!" Vicky entfernte sich vom Ort des Geschehens und lief zum Bahnhof. Sie musste fast eine halbe Stunde warten, bis ihr Dad auf den nahegelegenen Parkplatz anhielt. Mit hängenden Kopf stieg sie ein. Sie rechnete mit allem, die ihr Vater ihr sagen würde, doch die ersten zehn Minuten war es überraschend still während der Fahrt. Liam holte tief Luft und wusste selber nicht, was er sagen sollte. "Reden wir Zuhause mit Torben darüber." meinte er dann nur und Vicky versank weiter in ihrem Sitz. Am liebsten hätte sie geweint, aber sie verkniff es sich.
Daheim angekommen hatte Torben drei Tee gekocht. Liam und seine Tochter begaben sich zur Küche und setzten sich. Torben sagte nichts und überließ anfangs Liam das Reden. "Zuallererst finden wir es nicht schön, dass du uns angelogen hast. Aber das ist jetzt das geringere Übel. Was ist genau passiert? Ich habe Angst bekommen, als ich den Artikel gelesen habe." Er dachte an eine Art väterliche Intuition. "I-ich habe diese Leute im Internet kennengelernt. Einige von ihnen waren ebenfalls Venefica..." murmelte sie und blickte ständig auf das Teeetikett. "Sie haben sich festgeklebt. Ich nicht... Ich musste irgendwie an deine Worte denken und habe es rechtzeitig gemerkt, als der LKW losgefahren ist. Sonst hätte es mich vermutlich au-", Daran wollte keiner von ihnen denken.
"Das ist mit einer der Gründe, warum wir nicht möchten, dass du diesen Treffen beiwohnst." seufzte Torben und nippte an seinem Tee. Vicky faltete die Hände zusammen. "Ich denke, ich werde diese Veranstaltungen auch vorerst meiden.", gestand Vicky. "Ich will weiter Klimaschutz machen, aber so nicht. Ich habe sie schreien gehört." Ihre Stimme versagte und die ersten Tränen rollten über ihre Wange. "D-da war eine Passantin, die mich aufgefangen hat. sie hat gesagt, ich soll nicht hinsehen." hauchte sie und Torben reichte ihr ein Taschentuch. "Besser so." Vicky wischte sich den Schnodder und das Nass weg. "Sollen wir dich für nächste Woche krankschreiben lassen?" fragte Torben und diese Frage überraschte Vicky. "Ja, bitte." murmelte sie dann und trank vom Tee. "Gut, dass ich nächste Woche noch Urlaub habe." meinte Liam erleichtert und hätte Vicky ungerne alleine gelassen. Vicky nahm den Tee zur Hand und sah zu ihren Papa. "H-hat deine Psychologin noch einen Platz frei?" murmelte sie fragend. "Leider nein, aber ich kann dir Nummern von anderen geben." antwortete er und nahm sich vor, den Zettel später zu suchen. "Die von damals war ja nur auf Kinder spezialisiert." erinnerte sich Vicky. "Genau, da warst du ja, nachdem das mit deiner Mutter war." Mittlerweile war ihr Tee ausgetrunken. "Ich zieh mich um. Vielleicht gucke ich einen Film, um mich abzulenken." meinte Vicky gedankenverloren und Liam hatte die Idee, sich zu dritt einen Film anzusehen. Er wollte nicht, dass sich Vicky in ihr Zimmer sperrte.
"Welchen denn? Ist nicht auch die neue Staffel der Mini-Serie Body Horror draußen?" fragte Vicky, doch ihre Väter waren dagegen, sich in solcher Verfassung eine Horrorserie anzugucken. "Wie wärs mit dieser Kinderserie, wo die Ente eine Prothese trägt?" scherzte Liam und seine Tochter musste tatsächlich schmunzeln. "Ich war sieben, als die rauskam." kicherte sie. Am ende wurde es eine Serie über Frauen, die eine Fußballmannschaft gründen wollten und sich dabei ein paar Problemen stellen müssen.
Zu dritt hatten sie sich auf der großen Couch ausgebreitet und genossen die Zeit zusammen.
Die darauffolgende Woche verbrachte Vicky daheim. Torben hatte sie vorerst bis Mittwoch entschuldigt. Diese Tage war Vicky nicht untätig. Sie klingelte bei Psychologen durch. Bei zwei stand sie aktuell auf der Warteliste. Sie mied den Chat, über den sie mit den Anderen geschrieben hatte. Sie wollte nicht daran denken, dass Verstorbene in den Chat waren. Auch die Nachrichten mied sie und wollte sich nicht damit konfrontieren. Sie unterhielt sich mit ihrem Vater und begleitete ihn am Wochenanfang zum Einkaufen. Des weiteren versuchte sie ihre Gefühle in Texten und der Musik zu verarbeiten.
Liam vernahm die Geräusche aus ihrem Zimmer und klopfte an. Er wollte sie eigentlich nicht dabei stören. Vicky pausierte ihr Geigenspiel und ihr Vater betrat das Zimmer. "Du spielst wieder Geige?" fragte er, denn er hatte sie lange nicht mehr musizieren hören.
"Nach Samstag ist mir irgendwie danach. Es lenkt mich ab und hilft mir, mich auszudrücken." murmelte sie, merkte aber auch, dass sie ein wenig aus der Übung war. Ihr Vater half ihr daraufhin und sie dankte ihm, als sie das stück endlich wieder wie früher spielen konnte.
Donnerstag besuchte Vicky wieder die Schule. Sie betrat den Klassenraum und setzte sich zu zwei Kameraden, mit denen sie gut auskam. "Habt ihr das vom Atomkraftwerk gehört?" fragte einer und irritiert sah Vicky zu ihm. "Weit weg im Osten ist es zu einem Unfall im Atomkraftwerk gekommen." fuhr er fort und Vicky zuckte zusammen. Sie hatte Atomkraftwerke schon immer gehasst, wie auch gefürchtet. Ihr einziger Gedanke lag dabei bei Mutter Natur.
Von hinten näherte sich der weiße Tod Mutter Natur, die ihr den Rücken zukehrte. Der weiße Tod war mit dem geleiten der Tiere beschäftigt, die den radioaktiven Unfall nicht überlebt hatten. "Mutter Natur?" wisperte dieser, als er ein Zucken von seiner Erschafferin vernahm. Er kam näher heran, um nach ihr zu sehen. Und dann sah er es!
Aus Mutter Naturs linker Brust wuchs ein abartiges Geschwulst!
Es pulsierte wie ihr Herz. Der weiße Tod starrte auf diese Anomalie und instinktiv ging die Existenz seiner Erschafferin vor. Er erhob die Sense und trennte das Geschwulst von Mutter Natur. Dabei tropfte kein einziger Tropfen Blut, doch Mutter Natur widerfuhren Schmerzen. Die abgetrennte Anomalie löste sich auf und der weiße Tod fing seine Erschafferin auf, als diese drohte zu stürzen.
"D-danke." brachte sie erschöpft hervor. "Diese Atomkraftwerke sind Gift für mich und die Natur." hauchte sie und der weiße Tod sah zu einer Hülle, an der Mutter Natur arbeitete. Es waren zwei zusammengewachsene Köpfe, die sich ab Nasenhöhe spalteten. Die zwei Köpfe besaßen je einen Mund und Nase und insgesamt drei Augen.
Zwei der Arme waren miteinander verwachsen. "Mutter Natur, ich gelobe ihre Schöpfungen, doch was ist das für ein Mensch?" schluckte der weiße Tod und Mutter Natur sah nicht das, was ihr Gehilfe sah, sondern zwei individuelle Menschen. "Sieht man das nicht? Das sind eineiige Zwillinge." hauchte sie und war den Tränen nahe.
Irgendwas sagte dem weißen Tod, dass es nach dem Vorfall mit dem Atomkraftwerk in den nächsten Monaten weitere deformierte Menschen Körper geben würde.