An jedem der nächsten Tage war ich nach der Schule in Harenstone. Meistens holten mich Sam und Penny nach dem Unterricht ab. Es war nicht so, dass ich es verlangt oder darum gebeten hatte, sie waren einfach da und nahmen mich mit. Beschweren tat ich mich darüber definitiv nicht. Durch die Nähe zu meinen übernatürlichen Freunden fühlte ich mich lebendig. Wenn ich mal zuhause war, dann nicht für lange. Mein Dad war schon ganz genervt davon, dass ich nur noch zum Schlafen heim kam. Selbst meine Hausaufgaben erledigte ich im Haus, ich kochte dort, ich lernte mit Penny für eine Klausur und ich ging in der nahen Umgebung joggen.
Während Penny und zu Anfang der Woche noch Sam mich mit dem Auto von der Schule abholten, war es abends Nighton, der mich mittels Teleport zurückbrachte. Es war fast ein kleines Ritual. Wir waren stets pünktlich, womit er bei meinem Vater ein paar Pluspunkte einheimste. Das wiederum verschaffte mir abends eine Stunde länger, da mein Dad das Zeitlimit auf zehn Uhr setzte.
Penny und ich standen uns bald schon genauso nah wie früher, auch mit Evelyn verstand ich mich ausgesprochen gut, wenn sie mal da war und nicht mit dem hunds-unfreundlichen Dämon namens Melvyn unter einer Decke steckte. Also wortwörtlich, meine ich. Mit Sam hingegen - ach, ich weiß gar nicht, wie ich das beschreiben soll. Montag bis Mittwoch gelang es mir ganz gut, so zu tun, als wäre nichts. Theoretisch war es ja auch genau so, immerhin stand gar nicht fest, dass er ein Fußfetischist war meine Socke geklaut hatte. Und selbst wenn, hatte er vielleicht gute Gründe dazu. Jedenfalls veruchte ich, mir Derartiges die Tage über einzureden. Auch Sam verhielt sich, als wäre nichts. Es war schon sehr komisch. Am Donnerstag allerdings hielt ich es nicht mehr aus, also sprach ich ihn drauf an. Es wurde ein sehr unangenehmes Gespräch und anstatt es zuzugeben, beteuerte Sam, dass er die Socke unter meinem Fenster gefunden hatte. Das jedoch ergab keinen Sinn für mich. Wie sollte meine Socke dort hinkommen? Auf jeden Fall glaubte ich ihm nicht, gab aber vorn herum vor, es zu tun. Vielleicht würde es mir gelingen, ihn auf frischer Tat zu ertappen. Auch wenn die Sockensache eigentlich nicht mein größtes Problem darstellte. Schließlich saßen mir noch die Dämonenangriffe im Nacken. Ob bei dieser Angelegenheit mit dem kleinen Kasten etwas bei rumgekommen war, erfuhr ich nicht. Generell merkte ich schnell, dass ich rausgehalten wurde, und zwar von allen. Aber mehr dazu später.
Nighton und ich redeten nicht besonders viel miteinander. Die meiste Zeit war er sowieso unterwegs, weil er irgendwo gebraucht wurde. Wie nützlich er mit einer widerspenstigen Sekeera in seinem Kopf sein konnte, war mir schleierhaft. Aber dass das nicht meine Angelegenheit war, spiegelte mir so ziemlich jeder in dieser Woche. Keiner wollte so richtig mit mir reden, vor allem nicht über Oberstadt, Selene oder die Pläne der Erzengel. Über die Wand wurde auch kein Wort verloren, jedenfalls nicht in meiner Gegenwart. Zu Anfang noch bereitete es mir ein mulmiges Gefühl, die Wand unter meinen Füßen zu wissen, doch im Laufe der Tage verschwand diese Angst, und auch Nighton schien sich diesbezüglich zu entspannen. Schließlich passierte rein gar nichts. Gut, selbst wenn, wäre immer noch Sam zur Stelle gewesen, auch wenn der laut Nighton eher das fünfte Rad am Wagen war und nicht viel draufhatte. Aber wohl noch genug, um an mir zu kleben wie ein Bär an Honig. Wobei ich hier anmerken muss, dass er so beleidigt war wegen meiner Anschuldigung, dass er in diesen Tagen kein Wort mit mir redete.
So verbrachte ich teilweise Zeit allein in dem Haus, aber das war okay. Immerhin hatte ich schon einige Dinge hier, wie Kleidung, Duschzeug, Bücher, sogar eine meiner Kakteen hatte es in Nightons Zimmer geschafft. Weil er nie in dem Zimmer war, hatte ich mir erlaubt, es ein wenig mit meinen Dingen zu bestücken. Ohnehin fand ich, dass ich als Hausherrin das Recht hatte, mir mein Schlafzimmer auszusuchen und es nach meinen Vorlieben zu dekorieren. Dass dieses Zimmer nun ausgerechnet das von Nighton war, tja, dafür konnte ich nichts. Schließlich hatte es den anderen Zimmern gegenüber einen gravierenden Vorteil, und der bestand aus einem Zugang zum eigenen Bad.
Die anderen beiden, die hier lebten, bekam ich selten zu Gesicht. Bis auf die dunkelhäutige quirlige Nivia, oder auch Niv, die echt wahnsinnig nett war. Sie war eine übermütige und laute Person, was gar nicht so zu dem Bild eines Engels passte. Sie genoss das Vertrauen der anderen und erzählte mir viel von sich. Ich erfuhr, dass sie in der Garde von Nedeya gedient hatte, bevor diese ‚verschwunden‘ war und nun wollte sie in den Außendienst, wie sie es nannte. Sie war etwas jünger als Nighton und hatte eine Vorliebe für Gras. Damit konnte man sie regelmäßig auf der Veranda hinter dem Haus antreffen. Mir hatte sie das auch schon angeboten, aber ich hatte abgelehnt. Sie bewunderte mich, obwohl ich nichts Großes geleistet hatte. Das sagte ich ihr auch, aber sie hatte nur mit einem vielsagenden Blick gemeint, dass es mir viele nicht vergessen hatten, dass ich Oberstadt vor drei Monaten von den Breschen befreit und Selene und ihre Schergen zurückgeschlagen hatte. Die hatte man zwar seitdem nicht mehr gesehen und keiner wusste, was die gefährliche Göttin nun wieder plante, aber ein bisschen Ruhe tat Oberstadt gut.
Nur gut, dass sie nicht wusste, was wirklich mit Nedeya passiert war. Wahrscheinlich würde sie mich dann nicht mehr so toll finden.
Der andere, Melvyn, war ein sehr unangenehmer Zeitgenosse. Er war ruppig, unfreundlich, kurz angebunden und dauer-sarkastisch mir gegenüber. Ich ignorierte ihn und fragte mich, wieso Nighton mit so jemandem zusammenarbeitete. Melvyn war immer mit am Start, wenn Nighton einen neuen Plan ansetzte, egal ob in Ober- oder Unterstadt oder hier auf der Erde. Aber in meinen Augen kam es drauf an, wie jemand tickte, und mit einem wie Melvyn hätte ich mich nie zusammentun können. So verstand ich auch nicht, wie Evelyn mit ihm in die Kiste steigen konnte. Aber naja. Wo die Liebe eben hinfällt.
Im Laufe dieser Woche musste ich feststellen, dass Nighton sich offenbar schon einen Namen als neuer Yindarin gemacht hatte. Hin und wieder schneiten fremde Engel oder Dämonen rein und wollten zu ihm. Wenn ich sie im Foyer oder sonst wo über ihn reden hörte, war es sein Name, der ehrfürchtig gewispert wurde. Ich wusste, dass er es nun war, der seine Seite wählen musste und er war es auch, der zum Ansprechpartner Nummer Eins für alle zu gelten schien. Da ich sehr aufmerksam war, bekam ich rasch den Eindruck, dass Nighton nicht jedem erzählt hatte, dass er nicht bei voller Kraft war. Nicht selten erwischte ich ihn in ruhigen Momenten dabei, wie er merkwürdig zuckte, das Gesicht verzog, kantige Bewegungen machte, mitten im Gehen die Richtung änderte oder Schmerzen zu empfinden schien. Sekeera schien ihm trotz meiner Worte nach wie vor die Hölle heiß zu machen. Ein Teil von mir gönnte es ihm immer noch ein wenig, doch der Rest empfand nur pure Sehnsucht nach Sekeeras Stimme. Sie auf dem Weg zum Teleportstern so klar und nah vernommen zu haben, hatte mir nicht gereicht. Ich wollte mehr. Mit Nighton redete ich natürlich nicht über meine Gedanken. Was hätte er schon tun sollen?
Hinzu kam, dass Nighton seine Kraft nicht einschätzen konnte. Mal mühte er sich ab und mal zerstörte er Gegenstände, indem er sie nur ansah. Einmal hatte er mich aus Melvyns Weg gezogen, als der die Treppe hinabgestürmt gekommen war. Von diesem unerwartet festen Griff trug ich einen blauen Fleck davon, der von da an meine Schulter in Form eines Handabdrucks zierte. Nighton sah das wohl als Bestätigung an, dass er mich noch mehr in Watte packen musste. Dass ich schon mein Leben lang zu blauen Flecken neigte, schien hier nicht zu zählen.
Wie weiter oben schon erwähnt, wurde ich also aus allem herausgehalten. Wenn es ein Problem gab, verschwanden plötzlich alle, was mich zu Anfang dieser Tage wahnsinnig gemacht hatte. Ich war sicher, dass sie mir absichtlich nicht Bescheid sagten. Ich wollte nämlich jedes Mal mitkommen, egal, was man mir sagte, und ich versuchte es stets aufs Neue. Aber Nighton erlaubte es nicht. Dieses pure Ausnutzen seiner neuen Position machte mich rasend. Früher hatte er mir nichts verbieten können, und nun tat er es andauernd, als wäre ich ein kleines Kind. Ich war mir sogar sicher, dass ich in seinen Augen immer noch der launische, unreife, rebellische Teenager war, wie er mich einmal genannt hatte. Und das war für mich fast das Schlimmste. So wollte ich nicht wahrgenommen werden!Außerdem war es ja wohl meine Entscheidung, ob ich mitgehen wollte, oder?
Darüber hatte ich mich mehrere Male mit Nighton gestritten. Genauer gesagt, ich hatte geschimpft und gezetert und er war widerwärtig ruhig geblieben. Wahrscheinlich hatte er auch noch Rückenwind von Sekeera. Nighton beharrte darauf, dass es zu gefährlich wäre und er mich nicht einem solchen Risiko aussetzen wolle. Himmel, ich sage euch, dieses Bevormunden ging mir so auf den Sack! Auch das von Nivia geklaute Argument mit Selene wollte nicht ziehen, nämlich, dass ihr Verschwinden mein Verdienst war. Da hatte er bloß aufgeseufzt und gemeint, er würde mich ja verstehen, aber mich nur der Fairness halber mitzunehmen würde mir in einem Kampf gegen Dämonen gar nichts bringen.
Meistens gingen mir dann die Argumente aus. Und was hätte ich schon tun sollen? Mich mitschleichen?
Am Samstagnachmittag derselben Woche lag ich bäuchlings auf Nightons Bett spielte an meinem Laptop Sims 3. Da öffnete Nighton die Tür. Er kam aber nicht rein, sondern blieb im Türrahmen stehen und schaute mich an, ehe er zum Sprechen ansetzte.
»Wir machen uns auf den Weg. Sam ist wie immer unten, wenn du was brauchst. Dass du nicht allein in den Keller gehen solltest, muss ich dir ja nicht sagen.« Ich grummelte nur. Wen kümmerte es schon, ob Leute in London von Dämonen zerfleischt wurden?
Nighton stieß sich vom Türrahmen ab und kam langsam auf mich. Ich heftete meinen Blick demonstrativ auf den Bildschirm und widmete mich wieder meinem polygamen Sim namens Rusty Pete und seinen vierzig Kindern.
Er setzte sich zu mir an die Bettkante. Damit war er mir so nah wie schon seit einer Woche nicht mehr. Diesen Umstand versuchte ich auszublenden. Seit einigen Tagen nämlich befiel mich das nervöse Kribbeln von früher, wenn er sich in meiner Komfortzone befand.
»Sei nicht sauer, Jen, bitte. Ach, darf ich dich jetzt wieder so nennen?«
Ich warf ihm über die Schulter einen tödlichen Blick zu und knurrte: »Vielleicht, wenn du aufhörst, mich wie eine Zwölfjährige zu behandeln.«
Nighton seufzte und antwortete dann mit einem leicht resignierten Unterton: »Das mache ich doch gar nicht.«
»Doch! Du verhältst dich wie ein bevormundender Übervater. Ich hasse das. Und komm mir gefälligst nicht so nah!«
Nighton beugte sich vornüber und lachte einmal auf. Dann erhob er sich. »Na gut. Der bevormundende Übervater geht jetzt Dämonen töten. Bis später, Jennifer.«
Er verschwand durch die noch offenstehende Zimmertür. Kurz danach hörte ich die Haustür zuschlagen. Innerlich aufseufzend legte ich den Kopf auf die Tastatur. Es wurde immer schwerer, am wütend-Sein festzuhalten.
»He! Menschenmädchen!«
Eine schroffe Stimme riss mich aus dem Nickerchen, für das ich mich auf einem der Sofas langgemacht hatte. Der Stimme folgte ein Körper und dann tauchte Melvyns wütendes Gesicht über mir auf. Ich blinzelte verwirrt gegen das helle Deckenlicht und schirmte meine Augen mit einer Hand ab. Hatte ich was verpasst?
»Los, steh auf!«
Ich setzte mich auf und gähnte. »Was ist denn los?«
Melvyn ließ ein ungeduldiges Knurren ertönen. Er war über und über mit Blut besprenkelt, aber es schien nicht seins zu sein. Dennoch kochte Sorge um meine Freunde in mir auf. Und wo steckte eigentlich Sam?
»Ist etwas passiert?«, wollte ich besorgt wissen und musterte den wartenden Dämon. Er sah aus, als hätte er einer Schlachtung beigewohnt.
Aggressiv stieß Melvyn hervor: »Allerdings, und zwar deinetwegen! Aber das kann dir schön der Yindarin erklären.«
Nun war ich völlig konfus. Ein Stein bildete sich in meinem Magen. Wie meinte er das? Was war nur los?
Melvyn fuhr sich mit einer blutverschmierten Hand durch das Haar, ehe er mit straffen Schritten um die Couch herum auf mich zu marschiert kam und ruckartig vor mir stehen blieb. Ich wich unwillkürlich in die Sofakissen zurück.
»Jetzt hör mal zu, Mensch, ich weiß ja nicht, was der Yindarin an dir findet, aber er hat es wohl für angebracht befunden, mich wegzuschicken, um dich zuhause abzusetzen. Also steh jetzt gefälligst auf, damit ich endlich wieder zurückkann! Bei Aona-«, er machte einen Schritt zurück und sein verächtlicher Blick streifte mich, »- er wäre viel besser dran ohne dich.«
In diesem Moment verlor ich meine Scheu vor Melvyn. Sowas musste ich mir echt nicht sagen lassen. Ich stieß Luft aus, rutschte vor zur Sofakante, stand auf, zog meinen Zopf fest und erwiderte ebenso verächtlich: »Gut, dass du das nicht zu entscheiden hast.«
Hoch erhobenen Hauptes drängte ich mich an dem Dämon vorbei und machte mir dabei nicht die Mühe, ihn nicht anzurempeln. Im Flur schlüpfte ich in meine Flip-Flops und hängte mir meine Tasche über die Schulter. Dabei klopfte mein Herz unablässig im Takt einer galoppierenden Herde Wildpferde. Melvyns Worte rasten durch meinen Kopf. Etwas war passiert und ich sollte dran Schuld sein? Es hatte doch wohl hoffentlich nicht mit Sam zu tun, der nicht da zu sein schien? Hatte er mich alleingelassen?
Melvyn hatte bereits die Haustür aufgerissen und wartete dort. Sein Gesichtsausdruck war eisig. Der war scheinbar echt sauer. Aber wohl mehr auf Nighton als auf mich, weil der ihn weggeschickt hatte.
Sobald die Haustür abgeschlossen war, stürmte Melvyn voran. Ich folgte ihm durch den leichten Nieselregen. Es war noch hell draußen, aber sicher schon nach acht Uhr. Auf dem Weg fragte ich ihn mehrfach nach Sam, doch er antwortete nicht. Das bestärkte mich in meiner Angst nur noch. War Sam etwa was passiert?
Wir kamen mitten im Hyde Park an. Hier wurde aus dem Nieselregen ein wahres Sommergewitter, das mich innerhalb weniger Sekunden durchnässte. Ohne ein weiteres Wort verschwand Melvyn ins Nichts. Er hatte sich wohl zurück zu den anderen teleportiert.
Ich zog mir die Kapuze meiner Jacke tief ins Gesicht und watete durch diverse Pfützen auf den Gehwegen in Richtung meines Zuhauses. Der Boden gab schlürfende Geräusche von sich und meine Schuhe wirbelten bei jedem Schritt Matsch auf, der auf meine nackten Unterschenkel spritzte.
Ich rannte über die Hauptstraße und wäre beinahe überfahren worden.
Ich wollte schon weiterrennen, da fiel mir aus irgendeinem Grund ein schwarzer Lieferwagen ohne Kennzeichen, dafür aber mit Streetfood-Aufdrucken ins Auge, der am Straßenrand parkte. Ich kann nicht genau erklären, wieso dieses Auto meine Aufmerksamkeit auf sich zog, aber ich blieb stehen. Vielleicht waren es die verdunkelten Scheiben oder dass es das Einzige war, das auf der Seite des Parks stand. Als wollte mir das Auto signalisieren, dass ich besser weitergehen sollte, flammten in dieser Sekunde grelle Scheinwerfer auf und blendeten mich. Eine Hand vor die Augen hebend wandte ich den Kopf ab und machte, dass ich fortkam. Im Gehen staute sich die Angst in mir. Nicht auffallen, Jennifer! Tu so, als wäre nichts!
So schnell ich konnte, überquerte ich die Straße und raste mit pochendem Herz den Bürgersteig entlang und zur Haustür, die ich mit zitternden Fingern aufschloss. Bevor ich das Haus betrat, warf ich einen letzten Blick über die Schulter. Der Lieferwagen war weg.
Merkwürdig. War ich paranoid? Bei den Attacken auf mich und dem vermeintlichen Auftauchen Dorzars in den letzten Tagen wäre das ja kein Wunder. Aber wieso hatte ich dann dieses mulmige Gefühl verspürt?
Egal. Alles, was mich jetzt interessierte, war eine Dusche und trockene Kleidung. Dennoch nahm ich mir fest vor, Nighton davon zu erzählen, sobald ich ihn zu Gesicht bekommen würde. Dieses Vorhaben ließ mich unverweigerlich an Sam denken. Das brachte mich zu der Gewissheit, dass ich auf mich gestellt war. Ohne Wächter. Nun konnte ich bloß noch drauf hoffen, dass keiner Sams offensichtliche Abwesenheit ausnutzen würde.
Tropfnass, wie ich war, ging ich die Treppen nach oben und schloss die Wohnungstür auf. Am besten wäre es, mir nichts anmerken zu lassen.
»Hallo? Dad? Tommy? Ist jemand da?«
Mit dem Fuß kickte ich die Tür zu und entledigte mich noch im Flur von der nassen Jacke. Mein Dad kam durch den Türbogen des Wohnzimmers ins Esszimmer und winkte mir von dort aus zu. Er war am Telefonieren und trank dabei eine Tasse Tee. Ich winkte zurück und stakste den Flur entlang ins Bad, wo ich mich frischmachte und in trockene Sachen schlüpfte.
Dann begab ich mich gähnend in mein Zimmer, wo ich mein Handy ans Ladekabel steckte und in mein Bett schlüpfte, um noch ein wenig zu lesen. Ich musste mich irgendwie von meinen Gedanken an Sam ablenken. Er ließ mir keine Ruhe.
Da surrte mein Handy los. Stirnrunzelnd ließ ich Krieg und Frieden sinken und schaute nach rechts. Ich hatte gerade eine SMS bekommen. Sofort sah ich nach. Vielleicht hatte ja Sam geschrieben?
+441794779028 schrieb am Samstag, 11. September 2010, 10.39pm:
Du darfst nicht in das Haus zurückkehren.
Mir wurde heiß und kalt, während ich die Nachricht anstarrte. Sie war von derselben unbekannten Nummer, die mich schon am Montag aus dem Konzept gebracht hatte. Nicht schon wieder! Und was sollte das mit dem Haus? Wusste die Person etwa mehr über Harenstone als alle anderen? Wollte sie mich etwa warnen? Vor der Wand?
Ich biss mir auf der Lippe herum. Zu gerne hätte ich gewusst, wer mir schrieb. Es klang anders als letztes Mal. Irgendwie warnend. Vielleicht war es also gar nicht Dorzar? Kurz spielte ich mit dem Gedanken, zurückzuschreiben, doch dann entschied ich mich dagegen. Stattdessen versuchte ich erst, Nighton zu erreichen und dann Sam, doch weder der eine noch der andere gingen ran. Schließlich gab ich es auf und legte mich hin. Schlafen konnte ich allerdings nicht. Dafür hatte ich zu viel Angst vor dem Unbekannten.