Die Liege unter meinem Rücken fühlte sich kalt und hart an, und das Gewicht meiner Glieder schien mit jedem Atemzug zuzunehmen. Die Wunde an meinem Hals pochte schmerzhaft, und ein unerträgliches Brennen hatte sich bis tief in meine Brust ausgebreitet, als hätte sich das Feuer, das Asmodeus im Thronsaal entfacht hatte, direkt in mir eingenistet. Mein Körper wurde abwechselnd von heißen und kalten Schüben geplagt, und nicht nur einmal wünschte ich mir, es wäre endlich vorbei.
Gabriels Gesicht schwebte über mir, seine Hände berührten immer wieder sachte meine Haut, während er die Wunde an meinem Hals mit verengten Augen inspizierte. Wir befanden uns in seinem kreisrunden Labor in einem der Türme des Schlosses, das so völlig anders als das in der Schweiz war. Es war altmodisch eingerichtet und vollgestopft mit allem möglichen Krempel, von medizinischen Geräten bis hin zu altertümlichen Büchern.
Ich versuchte, das Wummern in meinem Kopf zu ignorieren. Nighton, der dicht neben dem Tisch stand, hielt meine Hand, die vor Fieber schweißnass war. Sein Griff war stark und zugleich behutsam, doch ich konnte spüren, wie angespannt er war. Die ganze Zeit schon beobachtete er Gabriel. Dessen Gesichtsausdruck wechselte immer wieder zwischen Gereiztheit und Entnervung, als wäre meine Heilung ein weiteres lästiges Problem auf seiner unendlichen Liste.
Schließlich schien Nighton es nicht mehr auszuhalten und fragte: »Was ist los, Gabriel?« Er runzelte die Stirn. »Gibt es ein Problem?«
Gabriel sah Nighton für einen Moment an, bevor er leise, fast erschöpft, antwortete: »Mein Problem, Nighton, ist, dass die Vielzahl an Patienten, die ich in letzter Zeit aus eurer Truppe habe, mir kaum noch Raum für meine Pflichten als Erzengel lassen. Nimm doch nur den Besuch des Primals heute als Beispiel - wenn ich vorort gewesen wäre-«
»-dann hättest auch du nichts ausrichten können«, fiel Nighton ihm milde ins Wort. »Du nicht, Michael nicht, und Raphael sowieso nicht. Asmodeus ist, wie du sagst, ein Primal. Er kann nicht besiegt, sondern nur verbannt werden. Das weiß doch jeder.«
»Wie auch immer.« Gabriel zuckte mit den Schultern und ließ seine Hände wieder über der Wunde schweben. »Wenn ich gereizt wirke, dann deshalb. Und jetzt halt sie fest, sie zappelt zu viel.«
»Sie ist anwesend und kann dich hören«, stöhnte ich verhalten und verzog das Gesicht zu einer schmerzverzerrten Grimasse, als Gabriels kühle Finger die Wundränder in meiner Halsbeuge abtasteten. Gabriels goldene Augen kreuzten den Blick der meinen. »Wenn sie auch das tun würde, was ich ihr sage, müsste ich nicht den Yindarin bitten, mir zu helfen«, entgegnete er gnadenlos und nickte Nighton zu. Der ließ mich los und trat hinter mich. Im nächsten Moment ergriff er sanft mit beiden Händen meinen Kopf und drehte ihn nach links, damit Gabriel besser an die Stichverletzung drankam. Es gefiel mir gar nicht, so festgehalten zu werden.
Gabriel fuhr fort, diesmal mit etwas mehr Sanftheit. Er legte eine Hand auf meine Stirn, die sich vor Fieber heiß anfühlte, und ließ seine andere Hand erneut über die infizierte Stelle gleiten. Das Brennen an meiner Wunde ließ kurz nach, doch es hielt nur einen Moment, dann kehrte das pulsierende Pochen in voller Wucht zurück. Ich krümmte mich leicht, drückte den Oberkörper durch, und versuchte, den Schwindel zu ignorieren, der mich an den Rand der Ohnmacht brachte.
»Sie hat mehr abbekommen, als es den Anschein macht«, murmelte Gabriel leise, fast zu sich selbst, während er sanft über die Entzündung strich, seine Finger dabei nur knapp über meiner Haut.
»Was heißt das?«, hörte ich Nighton berunruhigt fragen. Sein Daumen strich dabei sachte über meinen Kieferbogen, als würde er sich und mich damit beruhigen wollen. Gabriel erklärte düster: »Dieser tiefe Stich wurde mehrfach dilettantisch und nur oberflächlich geheilt, und irgendwer hat es wieder aufgebohrt. Ich weiß nicht, wie du noch leben kannst, Jennifer. Dein Körper ist ein medizinisches Wunder. Die Sepsis hätte dich längst dahinraffen müssen. Deine Symptome sind weit fortgeschritten und du hast massenhaft Blut verloren. Ich verstehe das nicht.«
Ich auch nicht, hätte ich am liebsten geantwortet, aber ich hielt den Mund und heftete meinen Blick stattdessen auf eine Sammlung aus Kräutern, die zum Trocknen an der gegenüberliegenden Wand aufgehängt worden waren.
»Karten auf den Tisch, Gabiel, wie schlimm ist es?«, fragte Nighton. Die Besorgnis in seiner Stimme war unüberhörbar. Gabriel jedoch schnaubte auf.
»Ich konnte das völlig deformierte Gesicht des Dämons Melvyn herstellen. Das hier ist nichts dagegen, aber einen Menschen zu heilen, ist eine ganz andere Liga.« Er schnaufte. »Ehrlich gesagt, wäre es viel einfacher, wenn du sie selbst heilen könntest. Du regenerierst deutlich schneller als ich.«
Nightons Daumen stoppte. Dann erklärte er gepresst: »Ich wünschte, ich könnte es, aber Sekeera lässt mich nicht. Es hat noch nie funktioniert.«
Ich spürte die Blicke der beiden Männer auf mir lasten. Schließlich schlug Gabriel vor: »Versuche es bei ihr. Dein Yindarin war einst der ihre. Bei ihr könnte Sekeera eine Ausnahme machen.«
Nightons Hände verschwanden von meinem Hals, sodass ich den Kopf zurückdrehen und zu ihm hochsehen konnte. Im Zwielicht des Turmzimmers wirkten seine Augen dunkler als gewöhnlich. Er blickte zwischen mir und Gabriel hin und her, als würde er Zwiesprache mit Sekeera halten, bevor er angespannt nickte. »Gut, ich versuche es.«
Mit fiebrigem Blick suchte ich seine Augen und presste hervor, wobei mich jedes Wort Kraft kostete: »Du… du musst das nicht machen. Bring mich in ein Krankenhaus.«
Nightons Gesicht zuckte in einer Mischung aus Verärgerung und Sorge, als er Gabriels Platz einnahm und sich über mich beugte. »Mach dich nicht lächerlich, Jen«, sagte er in diesem Ton, den er benutzte, wenn er versuchte, seine Unsicherheit zu verbergen. »Wir haben keine Zeit. Gabriel sagt, du bist septisch. Bis ich dich in ein Krankenhaus gebracht habe...« Sein Blick wanderte zu Gabriel, als ob er dessen Bestätigung suchte.
Der Erzengel trat an die Stelle, an der Nighton eben noch gestanden hatte, und nickte kurz und knapp. »Du würdest verbluten.« Dann griff er nach einem kleinen Flakon von einem der Regale und wandte sich an Nighton. »Ich weiß, dass du die Grundlagen kennst, aber bei Menschen ist das anders. Ihr Gewebe ist schwach, du musst also bei der tiefsten Stelle beginnen. Es wird für euch beide schmerzhaft, und du wirst Sekeera lenken müssen.« Er forderte Nighton auf, die Hände auszustrecken, und goss ihm eine klare, brennend riechende Flüssigkeit über die Handflächen, mit der Aufforderung, sie zu verreiben.
Die Angst vor dem, was nun kommen würde, ließ Übelkeit in mir aufsteigen. Irgendwie wäre mir ein Krankenhaus doch lieber...
»Ich halte ihren Kopf.« Schon als Gabriel das sagte, zog ich instinktiv meinen Kopf weg, spürte aber schnell den festen Griff des Erzengels, der meinen Kopf zur Seite bog und fixierte. So sah ich nicht, was Nighton tat, aber das war vielleicht auch besser so. Ich wollte mich verkrampfen, doch mein Körper war zu schwach.
»Bereit?«, fragte Nighton mich zögerlich.
»Nein. Mach ... schnell«, stieß ich mit zusammengebissenen Zähnen hervor.
Dann begann er.
Seine Berührung fühlte sich erst kalt und dann brennend heiß an, wie ein glühender Draht, der sich langsam in die Wunde bohrte. Für einen Moment glaubte ich, es aushalten zu können, doch das scharfkantige Ziehen drang immer tiefer in mein Fleisch. Die Widerhaken. Zentimeter um Zentimeter rissen sie an mir, und das Gefühl verwandelte sich in einen pulsierenden Schmerz, der so unerträglich war, dass ich glaubte, mein Körper würde zerreißen.
Mein langgezogener Schrei hallte durch den Raum. Alles in mir wollte aufspringen und das Weite suchen, aber ich konnte mich nicht befreien – Gabriels Griff hielt mich, als würde er mich vor mir selbst schützen. Das Glühen wurde intensiver, ein Schmerz, der alles andere überschattete, und ich spürte, wie Tränen unkontrolliert über mein Gesicht liefen. Alles in mir betete um eine Ohnmacht, eine Erlösung, doch sie kam nicht.
Plötzlich durchzuckte mich ein prickelndes Kribbeln, ein Gefühl wie fließendes Wasser, das den Schmerz zu ertränken begann. Der brennende Stich ebbte langsam ab, und eine dumpfe Taubheit setzte ein, bis der Schmerz schließlich ganz verschwand. Nur das Zittern meiner Hände und meine pochenden Finger, die sich in die Matte unter mir gekrallt hatten, zeugten noch von der Hölle, die ich gerade durchlebt hatte.
Luft ausstoßend sackte ich in mir zusammen. Auf einmal fühlte ich mich erstaunlich ausgeruht, als hätte ich zehn Stunden durchgeschlafen. Es hatte funktioniert – tatsächlich! Erleichtert murmelte ich ein »Danke«, das mir wie ein leiser Seufzer über die Lippen glitt. Doch als keine Antwort kam, öffnete ich die Augen und hob vorsichtig den Kopf, den Gabriel nicht länger festhielt.
Nighton stand schwankend neben der Liege, eine Hand an seinen Hals gepresst. Blut quoll unter seinen Fingern hervor und rann in einem dichten Strom über seinen Brustkorb, färbte sein T-Shirt tiefrot. Mein Magen krampfte sich zusammen, und Panik begann, in mir hochzukriechen. Sofort sprang ich von der Liege. Dabei wurde mir schwarz vor Augen, aber ich schaffte es, mich zusammenzureißen und packte Nighton an den Armen.
»Nighton!«
Bevor ich vollends in Panik ausbrechen konnte, trat Gabriel ruhig neben uns und legte dem geschwächten Nighton eine Hand auf die Schulter, der sich vorbeugen und an mir abstützen musste, um nicht umzufallen. Völlig entspannt schob Gabriel mich aus dem Weg und drückte Nighton kurzerhand auf die Liege, auf der ich gerade noch gelegen hatte, als hätte Nighton sich nur einen kleinen Kratzer geholt.
»Keine Panik«, meinte der Erzengel an mich gewandt. Nighton stöhnte leise, während Gabriel ihn in eine liegende Position niederdrückte und so sanft wie gnadenlos seine Hände von der stark blutenden Stichwunde entfernte. Nightons Blut lief unaufhörlich weiter, seine Haut war aschfahl, und er schnappte nach Luft. Innerhalb von Sekunden breitete sich eine glühende Hitze breitete sich um ihn herum aus.
»Aber… wieso heilt er nicht?«, brachte ich keuchend hervor. Ich dachte an Sekeera. Was, wenn sie nicht half?
Gabriels konzentrierter Blick lag unverändert auf Nighton, während er in stoischer Ruhe erwiderte: »Er ist stark. So leicht bringt ihn das nicht um. Deine Verletzung war jedoch tiefgreifend, und Sekeera muss den Zustandsaustausch ausgleichen. Wir können nur abwarten.«
Abwarten? Das konnte doch nicht sein Ernst sein! Das sah eher so aus, als würde Sekeera ihm nicht helfen wollen! Es wäre ihr so ähnlich – stur und unerbittlich, auch wenn es ihn das Leben kostete.
Ich beugte mich hastig über Nighton, mein Herz hämmerte in meiner Brust, als ich sein blasses, schweißbedecktes Gesicht in meine Hände nahm.
»Sekeera, bitte! Wenn du ihm nicht hilfst, werde ich dir das nie verzeihen!« Meine Stimme brach, doch ich zwang mich, weiterzusprechen. »Wir… wir sind nicht mehr Eins, Keera! Akzeptiere das endlich – du gehörst zu ihm, nicht mehr zu mir. Du hast ihn doch genug gestraft inzwischen, oder?«
Stille. Keine Reaktion. Die Wunde an seinem Hals klaffte weiter, das Blut floss unaufhörlich, und meine Gedanken raste fieberhaft. Was konnte ich tun? Eine Kompresse drauftun? Die Blutung mit Feuer stoppen? Hysterisch um Hilfe rufen? Der verzweifelte Drang, irgendetwas zu tun, durchzuckte mich, doch bevor ich mich entschloss, spürte ich, wie Nighton sich unter meinen Händen bewegte.
Erschöpft öffnete er die Augen und stöhnte leise: »Mir… geht’s gut.«
Meine Augen weiteten sich, als ein sanfter, schwacher Schimmer über die Wunde flimmerte. Das Blut begann langsamer zu fließen, und Stück für Stück schloss sich die Stichwunde, als hätte Sekeera mich doch erhört. Farbe kehrte in Nightons Haut zurück, und das Rot in seinen Augen verblasste allmählich.
Mit einem leisen, erstickten Lachen sackte ich schließlich zusammen, mein Herzschlag beruhigte sich nur langsam. Mein Kopf war schwer vor Erleichterung, und ich legte kurz die Arme um ihn, ließ die Anspannung entweichen und das Zittern der Angst endlich nachlassen.
Da schaltete sich der Erzengel ein. »Hier. Trink das.« Er drückte mir eine flache Schale in die Hand, die eine dickflüssige, gelbliche Flüssigkeit enthielt. Misstrauisch musterte ich das Gebräu; der Duft war intensiv, irgendwie erdig und fremd. »Was ist das?«
Gabriel setzte seinen Zwicker ab und befestigte die Taschenuhr wieder in seinem Jackett, bevor er erklärte: »Eine Mischung aus Albenikraut, Schimmerwurzel und Kamille. Kein Gift.« Sein Blick ruhte auffordernd auf mir, als er mir zunickte, wie um mir jede Unsicherheit zu nehmen. Ich sah zu Nighton, der mir sanft zunickte. Langsam hob ich die Schale an die Lippen, die bittere Erwartung bereits in meinem Mund. Doch zu meiner Überraschung schmeckte es leicht, fast angenehm, und ein wohliger Wärmehauch breitete sich in meinem Körper aus.
»Wozu… wozu war das gut?«, fragte ich anschließend. Gabriel nahm mir die Schale aus den Händen, während er seine Sachen zusammenräumte. »Das entfernt die Reste der Schwefelpartikel aus Unterstadt, die sich zweifellos durch die Wunde in deinem Körper eingenistet haben. Sie waren wohl auch der Grund für die schnelle Entzündung, die nach der Verletzung aufgetreten ist.« Er sah kurz zu Nighton, sein Blick war voller Ernst. »Ich gehe nach meinen anderen Patienten sehen. Sorg du dafür, Yindarin, dass Jennifer sich nicht übernimmt. Ihr Menschenkörper hat einiges durchgemacht.«
Nighton nickte ihm respektvoll zu. »Danke«, murmelte er. Gabriel verließ das Zimmer lautlos.
Sobald er weg war, überkam mich eine tiefe Müdigkeit. Sie fühlte sich an wie ein schweres, angenehmes Ziehen, das ich nicht verhindern konnte. Ich rieb mir die Augen, während sich ein vertrauter Ausdruck von Sanftheit in Nightons Blick mischte. Ohne Worte öffnete er die Arme für mich, und ich kletterte auf die Liege zu ihm, schmiegte mich dicht an seine Brust und ließ mich in die wohlige Wärme fallen, die von ihm ausging, in das Gefühl absoluter Geborgenheit.
»Es tut mir leid, dass du dir Sorgen gemacht hast«, flüsterte ich, die Stirn an seine Brust gepresst. Sein Shirt duftete trotz des Blutgeruchs vertraut, geradezu beruhigend.
»Dir tut es leid?« Nightons Stimme klang rau und fest zugleich, während er seine Arme um mich legte und mich noch fester an sich zog. »Nein, mir tut es leid. Ich habe nicht aufgepasst… schon wieder nicht.«
Ich wollte weitersprechen, aber die Müdigkeit übermannte mich. Sein Herzschlag unter meiner Wange wiegte mich in einen sanften Schlaf. Irgendwann verlor sich mein Bewusstsein in wirren Träumen von Verließen, Steinen und… Pokémon?
Plötzlich schreckte ich hoch, als mir ein Wort in den Kopf schoss. »Kleinstein!«, rief ich halblaut und fuhr in die Höhe. Erstaunt rieb ich mir die Augen und sah zu Nighton auf, der mich mit hochgezogenen Brauen und leicht verwirrtem Blick musterte.
»Kleinstein?«, wiederholte er verständnislos.
Die Erkenntnis traf mich wie ein Blitz: Ich hatte doch eine neue Fähigkeit entdeckt! Der Stein – das Verlies – ich konnte teleportieren! Die Müdigkeit fiel von mir ab, und ein freudiges Grinsen breitete sich auf meinem Gesicht aus. Ich sprang ohne Erklärung auf und suchte im Raum nach irgendetwas – irgendetwas, das ich verschwinden lassen könnte. Nighton schaute mir zu, perplex und mit einem Hauch von Belustigung in den Augen.
»Was machst du da?«, fragte er schließlich nach einigen Augenblicken.
»Du wirst es nicht glauben, Nighton!« Die Worte sprudelten aus mir heraus wie ein reißender Fluss. »Im Verlies, ich… ich habe Dinge verschwinden lassen! Also, teleportiert! Ich wollte nur weg, irgendwie raus – ich dachte, ich muss sterben, und plötzlich – zack! – war der Stein weg! Und dann die Pritsche! Einfach… weg!« Begeistert und aufgedreht zugleich durchwühlte ich die Schubladen und griff nach einem kleinen Glasgefäß, das als Versuchskaninchen herhalten musste.
Auf meinem Rücken spürte ich Nightons entgeisterten Blick lasten. »Ich verstehe kein Wort. Was? Wie, zack, weg?« Er richtete sich in eine sitzende Position auf.
Mit dem Glasgefäß lief ich zu Nighton. Direkt vor ihm blieb ich stehen und konzentrierte mich so stark, dass meine Finger zitterten. Doch das Gefäß blieb unverändert in meinen Händen, kein Flimmern, kein Nichts. Mein Herzschlag beschleunigte sich, als sich Verzweiflung in meinen Eifer mischte. Ich drückte die Augen zusammen, spürte den Hauch von Enttäuschung in mir aufsteigen. Nichts. Kein Flüstern der Kraft, die mir im Verlies zur Seite gestanden hatte. Warum nicht? An meinen Händen klebte immer noch genug Blut, sowohl von mir als auch von Nighton, igitt übrigens, dass es hätte funktionieren müssen.
Verstört drehte ich das Glas hin und her. Nightons Blick wurde langsam zweifelnd, das merkte ich nur allzu deutlich.
»Jen«, begann er vorsichtig, doch ich wandte mich ab, das Glas nicht aus den Augen lassend. »Vielleicht… vielleicht funktioniert das nur, wenn mein Leben wirklich in Gefahr ist«, murmelte ich, eher zu mir selbst als zu Nighton. Dann hob ich den Blick an. Nighton beobachtete mich mit Skepsis, doch davon wollte ich nichts wissen. »Oh, jetzt sieh mich nicht so an«, stöhnte ich. »Es war wirklich genau so. Ich bin nicht verrückt. Was glaubst du, wie ich entkommen konnte?«
Er runzelte die Stirn und verlangte von mir, dass ich die Geschichte nochmal erzählte - diesmal aber ausführlicher. Das tat ich. Als ich endete, starrte er mich mit einer Mischung aus Staunen und ernstem Interesse an, und ich bemerkte, wie seine Augen mit einem Funkeln aufleuchteten.
»Du hast das alles tatsächlich getan? Das ist unglaublich. So, wie du es schilderst, klingt es tatsächlich so, als würde dich irgendetwas in lebensbedrohlichen Momenten schützten.« Er schüttelte fast unmerklich den Kopf, sein Ausdruck voller Anerkennung. »Das sollten wir den Erzengeln sagen. Vielleicht können sie mehr darüber herausfinden.«
Seine Worte brachten ein kleines Lächeln auf meine Lippen, aber es hielt nicht lange. Die Euphorie ließ nach, und die bitteren Gedanken krochen zurück. Ich ließ die Schultern sinken und schaute auf meine Hände, die das Glas immer noch festhielten.
»Ist ja auch egal. Asmodeus wird mich früher oder später doch finden. Was bringt es mir, diese Fähigkeiten zu haben, wenn ich sie nur in lebensbedrohlichen Situationen nutzen kann? Viel besser wäre es doch, wenn ich gar nicht andauernd in Lebensgefahr wäre. Aber jetzt...«
Nighton sah mich entschlossen an. Ohne ein weiteres Wort rutschte er von der Liege und legte beide Hände auf meine Schultern. Der feste, vertraute Druck seiner Berührung trieb mir die letzten trüben Gedanken aus dem Kopf.
»So darfst du nicht denken, Jen«, sagte er. Seine Stimme war leise, aber kraftvoll. »Freu dich darüber, was du herausgefunden hast. Das ist mehr als bemerkenswert. Es zeigt, dass noch viel mehr in dir steckt, als du bisher geahnt hast.« Sein Griff verstärkte sich leicht, als würde er mir Halt geben, mich tief verankern in dieser flüchtigen Sicherheit.
»Wegen Asmodeus überlegen wir uns etwas – gemeinsam.« Seine Worte klangen wie ein Versprechen. »Aber zuerst kehren wir nach Harenstone zurück. Dort ist es jetzt sicher. Und...« Ein kleines Lächeln spielte auf seinen Lippen. »Wir könnten beide eine ausgiebige Dusche gebrauchen.«
So ganz behagte es mir nicht, nach Harenstone zu gehen. Da gab es einige... unschöne Erinnerungen, die ich lieber verdrängen würde. Doch Nightons Worte, scheinbar beiläufig, trafen einen Nerv in mir. Die plötzliche Wärme, die meine Wangen hinaufstieg, verriet mir genau, was er meinte. Ich spürte, wie mir die Hitze bis in den Nacken kroch, und doch war da auch diese leichte, prickelnde Aufregung, die mich für einen Moment den ganzen Schmerz und die Furcht vergessen ließ. Ein winziges Lächeln huschte über mein Gesicht, und ich erwiderte seinen Blick.
»Na dann…«, murmelte ich. »Auf nach Harenstone.«