Ich wurde durch meine volle Blase geweckt. Schlaftrunken setzte ich mich auf und warf einen Blick auf meinen Wecker. Er zeigte kurz vor zwölf an. Lange hatte ich nicht geschlafen.
Ich stand auf und schlurfte ins Bad. Draußen regnete es immer noch. Das Geräusch der prasselnden Regentropfen an die Fensterscheiben war so beruhigend, dass ich beinahe im Gehen wieder weggedämmert wäre.
Ohne das Licht anzuschalten, betrat ich das stockdunkle Bad. Ein eigenartiger Geruch hing in der Luft, aber ich konnte nicht sagen, was es war. Es roch wie der Rauch einer Kerze, die man soeben gelöscht hatte. Höchst merkwürdig. Wir hatten keine Kerzen im Bad!
Aber ich befasste mich nicht länger damit, dazu war ich zu müde. Vielleicht spielten meine Sinne mir auch bloß einen Streich.
Ich wollte mir gerade die Hände waschen, da ging hinter mir die Badezimmertür mit einem schaurigen Quietschen auf. Ich erstarrte. Langsam wandte ich mich mit tropfenden Händen um. Nur war da nichts.
Furcht griff mit kalten Fingern nach mir und jagte mir einen Schauer nach dem anderen über den Körper. Ich hatte in der Vergangenheit keine guten Erfahrungen mit sich selbst öffnenden Türen gemacht.
Trotzdem zwang ich mich zur Ruhe und versuchte, logisch zu denken. Vielleicht hatte ich die Tür nicht ordentlich geschlossen und sie war durch einen Windzug aufgegangen. Ja. So musste es sein. Dass ich aber auch immer direkt Gespenster sah!
Mit dieser Erklärung schaffte ich es, mich zu beruhigen und konnte so das Bad verlassen und in mein Zimmer zurückkehren. Dort lief ich an meinem Spiegel vorbei und wollte in mein Bett steigen, doch eine Bewegung aus dem Augenwinkel ließ mich in den Spiegel schauen.
Hinter mir stand eine diabolisch dreinblickende Selene, umringt von den toten Körpern meiner Familie.
Ich schrie auf vor Schreck und Angst und fuhr auf der Ferse herum, doch hinter mir war niemand, weder Selene noch Thomas, Dad oder Anna. Heftig atmend griff ich mir ans Herz, während mein Körper von Adrenalin geflutet wurde. Träumte ich noch? Was war hier los?! Ein paar Augenblicke lang verharrte ich an Ort und Stelle. Ich wusste gar nicht, wohin mit mir. War die Dämonengöttin wirklich hier? War sie gekommen, um es ein für alle Mal zu beenden?
Als beinahe eine ganze Minute verstrichen war, in der ich einfach nur herumstand und mit pochendem Herzen abwartete, entschied ich, dass es wohl doch nur eine Sinnestäuschung gewesen sein musste. Meine Güte, ich erlebte eindeutig zu viel Dämonisches in letzter Zeit. Wenigstens hatte ich meine Familie nicht geweckt. Etwas beruhigt stieg ich in mein Bett und kuschelte mich wieder unter die warme Bettdecke, ehe ich die Augen schloss. Es dauerte mithilfe des Regens auch nicht lange, bis ich wieder einschlief.
Leider wieder nicht für lang.
Ein lautes Splittern in meiner Nähe brachte mich dazu, im Bett hochzufahren und so laut zu schreien, dass es in meiner Kehle schmerzte. Diesmal weckte ich damit alle.
Nicht mal fünf Sekunden später krachte meine Zimmertür auf und Thomas stand, nur in Unterhosen und mit seiner Machete vom letzten Gamescom-Cosplay in der Hand, mit weit aufgerissenen Augen im Türrahmen.
Meine Deckenlampe lag in tausend Teile zersprungen auf dem Holzparkett. Glassplitter hatten sich in alle Himmelsrichtungen verteilt und manche waren sogar bis zu mir aufs Bett gespritzt. Ich schaute ungläubig im Zimmer umher. In meinen Ohren rauschte das Blut und ich schaffte es kaum, meinen von Adrenalin gepeitschten Körper zu beruhigen.
»Bist du okay?«, rief Thomas mit entgeisterten Blicken auf das Chaos. Scheinbar hatte er einen Einbrecher oder so erwartet. Ich hatte Mühe zu verstehen, was passiert war. Wie hatte die Lampe von der Decke fallen können?
Dad tauchte hinter Thomas auf. Auch er schaute fassungslos auf die zerstörte Lampe.
»Was ist passiert?«, stieß er hervor und watete durch die Scherben auf mich zu, die Überreste der Deckenlampe betrachtend.
»Ich weiß es nicht!«, beteuerte ich und schlang die Decke fester um mich. Das war auch nicht gelogen. Ich wusste es wirklich nicht. Da fing auf einmal Anna im Nebenzimmer an zu kreischen, was das Zeug hielt. Bevor Thomas auch in ihr Zimmer hineinplatzen konnte, kam Anna bereits völlig aufgelöst herausgerannt. Heulend klammerte sie sich an Dad und wimmerte: »In meinem Zimmer ist eine tote Katze!«
Dad und Thomas sahen erst sich und dann mich an. Aber ich war genauso ratlos. Thomas schob die Tür zu Annas Zimmer mit seiner Machete auf und dann konnte ich ihn nicht mehr sehen, da er dort hinein verschwand.
»Ich sehe nichts!«, rief er schließlich. Dad drückte Anna kopfschüttelnd an sich und musterte wieder die Lampe auf dem Parkettboden.
»Vielleicht haben die Dübel nicht mehr gehalten«, mutmaßte er achselzuckend, aber damit überzeugte er weder sich noch uns.
Ich musste schlucken. War hier etwas bei uns in der Wohnung?
Thomas ließ die Machete sinken und kratzte sich am Kopf.
»Was eine merkwürdige Nacht«, überlegte er und gähnte. »Gerade vorhin noch bin ich in so einen Schleim getreten und kurz davor war ich überzeugt, dass Erde unter meiner Tür hervorquillt. Und in meinem Schrank hat etwas gesungen. Ich dachte, ich hätte das nur geträumt.«
Entsetzt schaute ich ihn an.
»Was sagst du da?!«
Mein Bruder wiederholte: »Da war irgendein Schleim-«
»Ach, scheiße!« Ich schwang beide Beine aus dem Bett und griff nach meinem Handy, um Nighton anzurufen. Mein Herz sprang mir inzwischen fast aus der Brust.
»Was ist?«, rief Dad dazwischen und presste Anna noch enger an sich, die ihr Kuscheltier fest umklammert hielt und die Augen geschlossen hatte.
Im Flur erklang das Geräusch von mehreren trippelnden Füßen, als wenn eine Horde Ratten oder Ähnliches dort unterwegs wäre. Dad und Thomas drehten beide ihre Köpfe, doch das Geräusch war so schnell weg, wie es gekommen war. Lauschend sahen sie sich an. Thomas machte das Licht im Flur an, aber es war nichts zu sehen. Dann schaute er beunruhigt zu mir. »Was ist hier los?«
»Etwas in der Wohnung«, erklärte ich knapp, wobei ich mir Mühe geben musste, meine Angst nicht durchscheinen zu lassen, und hielt das Handy ans Ohr. Das Freizeichen erklang, aber Nighton ging nicht ran. Ein Stein entstand in meinem Magen. Vielleicht war ihm etwas passiert und er ging deswegen nicht ran! Auf meine Nachricht hatte er auch nicht geantwortet!
Dad wurde bleich und seine Nasenflügel zitterten.
»Etwa - etwa ein Dämon?«, stammelte er.
»Ich weiß es nicht«, antwortete ich beunruhigt und versuchte erneut Nighton anzurufen, ich stand auch auf und öffnete das vom Regen verhangene Fenster, um rauszuschauen. Vielleicht war Sam inzwischen wieder da? Aber hätte er dann nicht eingegriffen? Ach, wenn Melvyn doch nur nicht gegangen wäre!
»Was tust du da?«
Angestrengt beugte ich mich vor, um einen Zipfel meines Freundes zu erblicken, aber er war nicht zu sehen.
»Los, kommt, wir gehen in die Küche. Du auch, Jennifer, marsch, weg vom Fenster«, befahl Dad laut und schob Anna vor sich her. Mein Bruder wartete auf mich, bis ich durch das Scherbenmeer gewatet war. Gerade als wir in die Küche gingen, fing das Licht im Flur an zu flackern. Thomas riss mich am Arm in den Raum und warf die Tür hinter sich zu. Durch die Glasscheiben der Tür konnte man das Licht komplett erlöschen sehen.
Ich wich von der Tür zurück, gegen die kurz darauf etwas Unsichtbares krachte, dass das Glas erbebte. Anna und ich schrien auf. Thomas umklammerte nur fester seine Machete und auch Dad bewaffnete sich mit einem Messer aus dem Messerblock. Ihm standen Schweißperlen auf der Stirn.
»Wenn das ein Dämon ist, müssen wir hier raus!«, rief ich und ließ es zu, dass Anna nun mich umklammerte.
»Ja, und wie?! Wir bleiben hier und warten, bis es verschwindet, wir gehen da nicht raus! Und wen rufst du da die ganze Zeit an?«
»Nighton! Er kann helfen.«
Dad schnappte nach Luft. »Der kann doch so schnell gar nicht hier sein! Ruf die Polizei!«
Nun war ich es, die nach Luft schnappte. »Die können nichts ausrichten, Dad, verdammt, die Menschen wissen doch nichts von Engeln und Dämonen! Vergiss endlich deine blöde Polizei!«
Mein Dad schimpfte weiter, doch ich hörte ihm längst nicht mehr zu. IchDa wurde nämlich von etwas Grässlichem abgelenkt, das sich unter der Tür durchschob. Es waren einer, nein, nicht einer, Dutzende, wenn nicht Hunderte widerwärtige Tausendfüßler, die ihre Leiber durch den schmalen Spalt unter der Tür durchquetschten. Sie fielen übereinander, gaben klackernde Laute von sich und rasten in die Küche hinein. Ich sprang auf den Tisch, so schnell konnte keiner gucken. Ich hasste Tausendfüßler so sehr, die waren dreimal so schlimm wie Spinnen!
»Was ist?!«, rief Dad alarmiert und schaute umher.
Abgehackt presste ich hervor: »Tausendfüßler, da, überall!« Fast schon hysterisch versuchte ich, den Stuhl an seiner Lehne zu ergreifen, um ihn umzustoßen. Die Blicke, die mein Dad und Thomas austauschten, waren eindeutig: Sie sahen nicht dasselbe wie ich. Das ließ mich innehalten.
»Moment«, hauchte ich, auf die Masse aus sich windenden Leibern starrend, die sich auf dem Küchenfußboden tummelte. In meinem Hirn ratterte es. Angst. Ich hatte Angst. Vor was am meisten? Vor Tausendfüßlern, vor dem Tod meiner Familie, vor Selene...
»Thomas, was sind deine größten Ängste?«, fragte ich an meinen Bruder gewandt, denn mir schwante schon, was da vor der Küchentür lauerte. Mein Bruder machte eine verdutzte Miene, antwortete aber, als ich ihn scharf erneut ansprach: »Ich - äh, lebendig begraben zu werden? Sirenen, die mich in den Tod singen? Keine Ahnung, wieso?!«
»Und Anna hat Angst, dass Louie stirbt, ist doch so, oder, Annie?«
Anna nickte mit starrer Miene. Ich konnte ihr ansehen, dass sie kurz davor stand, loszuheulen. Dad sah das und war mit einem Schritt bei ihr. Angespannt wollte er wissen: »Warum fragst du das alles?« Im nächsten Augenblick glitt sein Blick zur Tür. Ich konnte sehen, wie sich seine Augen weiteten. Automatisch drehte ich den Kopf, doch ich konnte nichts sehen. Nur mein Dad war im Stande, seiner größten Angst entgegenzublicken.
Sofort stieg ich vom Tisch runter. Die Tausendfüßler wuselten nicht länger durch die Küche, was mich in meiner Vermutung nur noch bestätigte. Zum Glück hatte ich im Internat aufgepasst, als es um unbeseelte Dämonen ging. Ich packte meinen Dad an den Schultern und zwang ihn, mich anzuschauen. In beschwörendem Ton sagte ich: »Das ist nicht real, Dad, was auch immer du siehst!«
Eine Träne rollte über die Wange meines Vaters. Leise und wehmütig und ohne eine Spur der Angst murmelte er: »Ich wünschte, es wäre real. Ich will sie zurück. Cora.« Er streckte eine Hand in Richtung der geschlossenen Tür. Seine Worte jagten mir eine Gänsehaut über den Rücken, aber ich zwang mich, bei der Sache zu bleiben.
»Dort draußen im Flur ist ein Agrameos, ein Dämon der Angst. Er nimmt die Formen dessen an, vor dem wir uns am meisten fürchten. Solange er uns nicht sieht, kann er uns nichts tun. Wir müssen etwas vor das Glas stellen. Los, Tommy, hilf mir mit dem Tisch!«
Das ließ mein Bruder sich nicht zweimal sagen. Gemeinsam stellten wir den Tisch hochkant vor die Küchentür. Wir wollten ihn gerade vollständig an die Tür heranrücken, da bekam ich die wahre Gestalt des Dämons zu Gesicht, der in diesem Moment vor der Tür erschien. Mir stellten sich die Haare zu Berge, als ich in das alptraumhafte Gesicht des Monstrums blickte. Es ging mir gerade mal bis zur Hüfte, doch seine Größe war seinem furchterregenden Aussehen nicht abträglich. Der Agrameos hatte eine abgemagerte Erscheinung, mit kränklich blasser Haut, strähnigem Haar und einem unmenschlichen Gesicht. In dem saßen zwei schwärzlich unterlaufene, riesige Augen, deren stecknadelgroße Pupillen mich anvisierten. Seine dünnen Lippen spannten sich über seinen Mund, als er mich angrinste.
Ich atmete tief ein und schob den Tisch mit einem Ruck an die Tür heran. Nicht in Panik ausbrechen, nur nicht den Kopf verlieren!
Eine ganze Zeit lang kamen keine Geräusche mehr. Irgendwann setzten wir uns alle an das andere Ende der Küche und warteten stumm ab. Ich wusste nicht, worauf. Auf jeden Fall versuchte ich immer wieder, Nighton oder Sam zu erreichen, aber es blieb erfolglos. Um überhaupt irgendwas zu tun, ersann ich lauter Pläne, um zu entkommen. Doch, um ehrlich zu sein, wollte ich die Küche nicht verlassen, da der Agrameos wahrscheinlich hinter mir her war und sich bestimmt auf mich stürzen würde. Was auch immer er von mir wollte. Und ich hielt mich nicht für stark genug, ihn zu töten. Dazu bräuchte ich erstens Silber und zweitens müsste ich sein Herz treffen. Und ich wusste, dass ein Agrameos bei direktem Kontakt mit seinem Opfer bewirken konnte, dass sich deren Halluzinationen manifestierten. Und ich hatte wirklich nicht das Bedürfnis, vor einer Kopie von Selene davonrennen zu müssen.
Aus Minuten wurden Stunden. Keiner von uns traute sich, die Küche zu verlassen. Bald machte ich mir ernsthaft Sorgen um Nighton und Sam. Was mochte ihnen nur zugestoßen sein? Was hatte Melvyn nur gemeint, als er sagte, dass es an mir lag?
Gegen halb sieben fing Anna an zu quengeln, dass sie Hunger habe, woraufhin Dad seufzend zustimmte und meinte: »Vielleicht ist er ja weg. Sind sie eigentlich tagscheu, diese Dämonen?«
Ich zog die Nase kraus. »Nennen wir es lieber sonnenlichtscheu. Aber das scheint neuerdings nicht für jeden von denen zu gelten, also weiß ich es nicht«, gab ich zu. In dem Moment zog Anna meine Aufmerksamkeit auf sich. Sie stand nah bei der Tür und hatte eine Hand auf die Unterseite des Tisches gelegt.
»Weg da, Anna!«, bellte Dad sofort, der meinem Blick gefolgt war. Anna zuckte zusammen, ehe sie sich mit gefurchter Stirn zu uns umdrehte. Mit seltsam entrückter Miene erklärte sie, als sei es das Normalste der Welt: »Er will gar nicht hier sein. Er wird gezwungen. Er hat Angst.«
Mit zwei Schritten war Thomas bei ihr und zog sie von der Tür weg. Dabei fuhr er sie an: »Hör auf, so einen Blödsinn zu reden und bleib weg von der Tür, hast du nicht gehört?«
Ein Teil von mir wollte Anna zu ihren kyptischen Aussagen befragen, doch ich wusste, dass das Zeit hatte. Mein Vater wies Anna an, das Müsli aus dem Vorratsschrank zu holen und rieb sich nervös die Arme.
»Was tun wir, wenn er hier reinkommt?« Er schien zu versuchen, das Problem ganz nüchtern zu betrachten, als handelte es sich um eine Schädlingsbekämpfung.
Doch ich zögerte. Ich wusste nicht, ob ich meinem Dad die Antwort zumuten konnte. Seit er scheinbar unsere tote Mum gesehen hatte, worüber bisher weder Thomas noch ich ein Wort verloren hatten, stand er irgendwie neben sich. Dennoch musste ich etwas sagen. Also erklärte ich möglichst unblutig, wie ich die Dinge oft gelöst hatte und sah aus dem Augenwinkel mit an, wie plötzlich Nebel unter der Küchentür durchwallte. Die formlose, weiße Substanz brachte uns alle dazu, zu verstummen. Mir rutschte das Herz in die Hose.
»Er ist hier irgendwo«, wisperte ich und schaute einer Eingebung folgend hoch an die Decke. Und dort, in der Dunkelheit des Lüftungsschlitzes über den Schränken, sah ich die riesigen Augen des Dämons leuchten.
Da materialisierte sich ein mir wohl bekanntes Wesen neben mir an der Wand. Wie in Zeitlupe wandte ich den Kopf. Es hatte keine Beine, nur einen fischartigen Körper, zwei dünne Arme mit klauenbesetzten Fingerchen und einen runden Kopf ohne Augen, dafür mit einem riesigen Maul voller scharfer Zähne. Das war ein Wyrm. Jenes Monstrum, auf das ich damals im Wohnzimmer von Nels Eltern getroffen war. Der erste Dämon, an den ich mich erinnern konnte.
Im Hintergrund konnte ich es klappern hören. Die Metallabdeckung des Lüftungsschlitzes war heruntergefallen und auf den Fliesen gelandet.
»WO IST ES?!«, brüllte Thomas und schwang seine Machete so wild, dass er Kerben in den Küchentheken hinterließ und beinahe mich getroffen hatte. Damit löste er mich aus meiner Starre, sodass ich herumfuhr und das Abbild des Dämons an der Wand Abbild sein ließ. Adrenalin durchzuckte mich. Ich musste aufpassen und durfte mich nicht berühren lassen.
»VORSICHT!«, schrie nun auch mein Dad, aber ich hatte mich bereits auf einen Stuhl gerettet und kauerte dort, bereit für jeden Angriff. Der kam auch direkt. Der Agrameos tauchte auf und sprang mich an. Ich fiel vom Stuhl zu Boden. Für einen kurzen Moment schaffte ich es, den Dämon auf Abstand zu halten, doch er war zu wendig. Er erwischte mich an Handgelenk und hielt es eisern fest. Sofort schoss eine eisige Kälte durch meine Hand hindurch. Ich wehrte mich mit Händen und Füßen gegen den Griff des Monsters, doch da war es schon zu spät. Er hatte mich markiert.
In der nahezu selben Sekunde fiel etwas von der Decke hinab und landete auf mir. Es war glitschig. Der Wyrm! Er hatte sich manifestiert! Nein! Kaum dass ich das realisiert hatte, biss mich der Wyrm durch mein Pyjamaoberteil in den Oberbauch. Es tat unheimlich weh.
Plötzlich war Thomas über mir und riss seine Machete hoch. Innerhalb einer Sekunde wurde mir klar, dass er mich damit schwer verletzen konnte. Der fleischgewordene Dämon schien das ebenso zu merken, denn er von mir ab, rollte von mir herunter und verschwand ins Nichts.
Keuchend kam ich auf die Beine und hielt mir meinen schmerzenden Bauch. Etwas Blut befleckte meine Hand und lief an meinem Shirt hinab. Mist. Mist!
»Ach du Scheiße!«, stöhnte Thomas und sah zu Anna, die laut weinend in Dads Armen lag, der vor Schreck noch bleicher geworden war.
»Wir - wir müssen ins Krankenhaus«, stammelte er beim Anblick meiner Wunde.
Aber ich schüttelte den Kopf. Den Schmerz an meinem Bauch ignorierend beäugte ich die Wände der Küche.
»Sie sind beide noch hier. Wir müssen aufpassen. Meine Ängste werden jetzt real«, wisperte ich und schluckte die Angst runter, die mich zu übermannen drohte. Mein Blick zuckte zu meinem Handgelenk, um das ein dunkler Ring in Form eines Handabdrucks lag. Wie wurde ich den nur los? Ich wusste es nicht mehr! Hatte ich es überhaupt je gewusst? Und wo war ich hier eigentlich? Was passierte gerade?
Mir wurde unfassbar schwindelig und ich glaubte, keine Luft mehr zu bekommen, was mich auf die Knie gehen ließ. Weiße Lichter gesellten sich hinzu, die über mich hinwegschossen. Eine Erinnerung blitzte in meinem Kopf auf. Ich in Nightons Auto, das Gefühl, auf einem Drogentrip zu sein. Es war wie letztes Mal. Nur schneller.
Weit entfernt hörte ich wieder dieses trippelnde Geräusch, wie es lauter und leiser wurde, doch diesmal mischte sich noch ein weiteres, sehr viel lauteres Krachen dazu, das weiter entfernt war.
Selene? War sie es? Würde sie mich nun holen?