Ich wurde gegen halb elf von nagendem Hunger geweckt. Weiterschlafen war keine Option mehr, also stand ich auf und entschied, vor dem Frühstück eine Dusche zu nehmen. Als ich im Bad zufällig einen Blick in den Spiegel warf, bekam ich einen Schreck, der sich gewaschen hatte: Meine Augen waren total verquollen, und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich mich im Spiegelbild für einen Frosch beim Laichen halten. Verdammte Flennerei, das hatte man davon, seinen Tränendrüsen das Feld zu überlassen. Doch das war noch nicht alles. Während der Dusche entdeckte ich auf meinem Arm eine lange Schnittwunde, die mir gestern Abend gar nicht aufgefallen war. Sie war nicht tief und schon verkrustet, aber immer noch gerötet und ein klein wenig druckempfindlich. Die musste von der Explosion herrühren, über die ich noch gar nicht mit Nighton gesprochen hatte. Wurde Zeit, das nachzuholen! Immerhin hatte ich kurz darauf diese seltsamen Taschenlampenlichter gesehen und wusste nicht, wie ich die einordnen sollte.
Nachdem ich geduscht, mich angezogen und einen eher behelfsmäßigen Verband um meinen Arm gewickelt hatte, machte ich mich auf den Weg, um Nighton zu finden. Tatsächlich musste ich gar nicht lange suchen - er stand direkt vor der Zimmertür und fummelte an irgendetwas oberhalb des Türrahmens herum. Fast wäre ich ihn ihn hineingelaufen. Erschrocken prallte ich zurück.
»Oh Gott!«, rief ich aus und versuchte vornüber gebeugt, mein galoppierendes Herz zu beruhigen.
Nighton schaute zwischen seinen erhobenen Armen auf mich hinab.
»Habe ich dich geweckt?«, stellte er als Gegenfrage und zog eine entschuldigende Miene.
Mich an den Türrahmen lehnend und laut die Luft entweichen lassend schnaufte ich: »Nein. Aber was machst du da?« Die Stirn runzelnd streckte ich den Kopf aus der Tür und sah nach oben an die Wand über der Tür. Dort befand sich nun ein silbern glänzendes, rundes Ding, etwa so groß wie ein Pingpongball. Es schien von selbst an der Wand zu haften und gab kurz ein sirrendes Geräusch von sich, ehe es sich einige Zentimeter von seinem bisher nicht sichtbaren Sockel erhob und ein bläuliches Licht von sich gab.
Zweifelnd forschte ich nach: »Das ist doch nicht etwa eine Kamera?«
Nighton gluckste und ließ die Arme sinken, das Ding nicht aus den Augen lassend.
»Nein, nein«, beruhigte er mich. »Das ist der neuste Hit von Gabriel. Ein kleiner Detektor, der feindlich gesonnene Entitäten aufspürt, auch wenn sie nicht zu sehen sind. Eine deckt ein komplettes Stockwerk ab.«
»Feindlich gesonnene Entitäten? Geht Gabriel jetzt unter die Geisterjäger?«, witzelte ich. »Als nächstes dreht er dir noch einen Protonenstrahler an. Und eine Geisterfalle.«
Darüber grinste Nighton und erwiderte: »Ich glaube, du hast zu viel Ghostbusters geguckt.«
»Sagt der, der gerade einen Pingpongball über meiner Tür installiert, der 'feindlich gesonnene Entitäten' entdeckt.«
»Ja, damit sind Dämonen gemeint, keine Geister.«
»Ich weiß.« Augenrollend verschränkte ich die Arme und erinnerte mich dann daran, weswegen ich Nighton gesucht hatte.
»Hör mal-«, begann ich zögernd, »-wegen gestern. Dein Auto? Ich hatte ganz vergessen, dass es - na ja - explodiert ist. Weißt du, wieso das passiert ist?«
Nightons Grinsen schwand und machte einem ernsten Gesichtsausdruck Platz. Ziemlich missmutig antwortete er: »Keine Ahnung. Ich habe das Wrack genaustens untersucht, bevor es sein Grab in einem See gefunden hat. Gefunden habe ich aber nichts, was mich nicht wundert, es war schon alt. Erinner mich also besser nicht dran, ich habe die Karre geliebt.«
»Tut mir leid«, beeilte ich mich zu sagen, fügte aber nachdenklich hinzu: »Es ist nur so, dass ich gestern kurz nach dem Knall etwas ... gesehen habe.«
Aufmerksam legte Nighton den Kopf schief. Ich spürte, dass ich sein Interesse geweckt hatte. Er tat einen Schritt von mir zurück und stemmte erwartungsvoll die Hände in die Seiten.
»Ich glaube, da waren Lichter. Taschenlampenlichter. Sie haben sich nach der Explosion bewegt, als wenn außer uns noch jemand da gewesen wäre. Ich wäre mir nicht so sicher, dass nicht doch jemand an deinem Auto herumgepfuscht hat.«
Jetzt furchte Nighton die Stirn und wiederholte: »Taschenlampen? Bist du sicher? Ich habe niemanden außer dir wahrnehmen können. Hm.«
Ratlos hob ich die Schultern an.
»Ich sage nur, was ich gesehen habe.«
»Wenn du dich nicht irrst, wird die Sache immer merkwürdiger«, meinte Nighton und lenkte seinen Blick auf den Detektor. Ich nickte, ehe mir noch ein weiteres Detail einfiel. Eines, das Dorzar mir genannt hatte. Kurz befürchtete ich, jetzt mit Selenes Scherge um die Ecke zu biegen, könnte unschöne Erinnerungen bei Nighton hervorrufen, doch als ich zu reden begann, blieb er zunächst entspannt.
»Da war noch etwas. Dorzar sagte, er und Riakeen stecken nicht hinter den Dämonenattacken. Demzufolge wird Selene ja auch nichts damit zutun haben. Und ich bin ehrlich, ich glaube ihm. Er wirkte richtig erstaunt über meine Unterstellung.«
Nighton schwieg kurz. Dann sagte er: »Davon bin ich ohnehin nicht ausgegangen. Hat er noch was gesagt? Das meiste habe ich leider nicht mitbekommen.« Am Ende seiner Worte schlich sich doch noch ein unterschwellig vorwurfsvoller Unterton ein, den ich auszublenden versuchte. Ich dachte nach. Gestern war so viel passiert, dass mein Gehirn fleißig selektiert hatte.
Die Augen zusammenkneifend ging ich das Gespräch mit dem Dämon durch. Und dann fiel mir tatsächlich etwas ein - etwas, das gar nicht so unwichtig war.
»Er redete davon, dass Selene mich noch braucht.«
»Natürlich tut sie das.« Nighton seufzte und rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht. Diese Reaktion verwirrte mich zuerst nur, bis ich ein altes Misstrauen in mir aufsteigen spürte. Sofort hakte ich nach: »Verheimlichst du mir was?«
Erstaunt nahm Nighton die Hände vom Gesicht und blinzelte mich an.
»Was? Nein. Das hast du falsch verstanden. Es wundert mich nur nicht«, erklärte er sich, ehe er umhersah, die Stimme senkte und mich eindringlich bat: »Nicht hier, bitte. Du weißt schon.« Er machte mit seinem erhobenem Zeigefinger eine kreisende Bewegung, was mir wohl verdeutlichen sollte, dass wir potenzielle Zuhörer hatten.
Hm. Na gut. Aber darauf würde ich ihn später noch ansprechen. Nighton entging mein Gesichtsausdruck natürlich nicht. Er zog eine leicht verzweifelte Miene und versprach: »Du musst dir keine Gedanken über sowas machen, ich schwöre es dir.«
Nach ein paar Momenten entspannte ich mich. Sekeeras Worte waren mir eingefallen. Sie hatte gesagt, dass sie nichts Böses in Nightons Kopf gesehen hatte. Vielleicht interpretierte ich einfach zu viel in seine unbedacht dahingesagten Worte. Also rang ich mir ein Lächeln ab und erwiderte: »Na gut.« Nighton schaute erleichtert drein.
Plötzlich meldete sich mein Magen mit aller Macht. Das erinnerte mich an mein ursprüngliches Vorhaben. Frühstück.
»Klingt gefährlich«, lachte Nighton und ging mir aus dem Weg, sodass ich vorbeikonnte. Ich zog eine Grimasse, lief an ihm vorbei und in die Küche, mit dem Plan, mir ein Müsli mit Früchten zuzubereiten.
Penny saß mit Evelyn am Esstisch und reinigte gemeinsam mit Evelyn eine riesige Messersammlung. Als ich am Türbogen des Esszimmers vorbeilief, warf sie mir einen sehr langen, schwer zu deutenden Blick zu. Irritiert runzelte ich die Stirn. Meine Verwirrung wuchs, als mir auch Melvyn einen ähnlichen Blick schickte, der vor der Kommode im Flur stand. Er besah sich einen Stadtplan und schaute auf, als ich mich näherte. Ihn zu sehen wunderte mich, hatte ich doch angenommen, dass er sich immer noch vor Nighton versteckte. Aber offenbar war dem nicht so, oder sie hatten sich ausgesprochen. Wie auch immer, es war mir egal. Der war bei mir sowieso unten durch.
Auch Sam, der mir mit nach wie vor bandagiertem Oberkörper und einem Glas Saft aus der Küche entgegenkam, sah mich mit merkwürdigem Gesichtsausdruck an. Ich erwiderte seinen Blick stirnrunzelnd und blieb stehen, während er in Richtung Wohnzimmer lief.
Was war denn los? Warum schauten mich alle so an?
Auf einmal fiel mir ein durchaus triftiger Grund ein, der mir ein heißes Einströmen von Blut in meine Ohren bescherte. Anscheinend hatten alle hier im Haus bei Nightons und meiner intensiven Auseinandersetzung gestern Abend zugehört und dadurch mitbekommen, was passiert war.
Ups. Wie unangenehm!
Den Kopf einziehend lief ich in die Küche. Dort traf ich auf Nivia, die mir als Einzige entgegenlächelte. Der Dreadlock-tragende Engel trug eine ausgesprochen hässliche Jeans-Latzhose und war gerade dabei, Geschirr zu spülen.
Ich erwiderte ihr Lächeln so halb, dann machte ich mich daran, die Zutaten für mein Müsli zusammenzusuchen. Da tauchte Nighton in der Küche auf. Er kassierte dieselben Blicke wie ich, zumindest von Penny und diesmal auch von Evelyn, die ich beide von der Küche aus auf ihren Stühlen sehen konnte.
Nighton allerdings ignorierte das Starren völlig. Zielstrebig lief er auf den Schrank mit den Gläsern zu, nahm sich eines und kam zu mir ans Waschbecken, wo er sich ein Glas Wasser abzapfte. Er stellte den Hahn auf recht langsam, sodass er ziemlich lang da neben mir verharrte, was er nutzte, um auf mich hinabzusehen.
Das entging mir natürlich nicht, ich war ja nicht blöd. Also manchmal schon, aber nicht im Hinblick auf sowas. Nur was sollte das jetzt?
Der Moment von gestern, als er sich so dicht hinter mich gestellt hatte, rutschte mir vor das innere Auge. Die Hitze aus meinen Ohren, die eigentlich schon wieder am Abflauen gewesen war, griff plötzlich auf mein Gesicht über. Ich wurde knallrot. Damit bildeten der Handtuch-Turban auf meinem Kopf und mein Gesicht ein nettes Farbenspiel von Violett zu Dunkelrot. Herrlich. Das hatte ich jetzt noch gebraucht.
»Hast du was?«, knurrte ich Nighton an, während ich einen Apfel in den Naturjoghurt schnippelte. Der beugte sich ein wenig vor. Aus dem Augenwinkel sah ich ihn grinsen.
»Nein. Und du? Spontaner Anfall von deinen ominösen Wechseljahren?«, stichelte er. Oh je, das hatte ich vor langer Zeit mal als dümmste Ausrede auf diesem Planeten genutzt und Nighton hatte sich das anscheinend gemerkt. Na toll.
Natürlich ließ ich mich sofort provozieren. Dementsprechend giftig fiel meine Antwort aus.
»Der einzig drohende spontane Anfall, der sich hier gleich ereignen könnte, entlädt sich in Form von Backfeigen in dein Gesicht!«
Nighton starrte mich aus verengten Augen an. Sein Mund stand leicht offen, als müsste er erst darüber nachdenken, was ich gesagt hatte. Schließlich wiederholte er irritiert: »Backfeigen? Ich kenne nur Backpfeifen.«
»Na, ihr zwei Früchtchen?«, mischte sich da eine feixende Evelyn ein, die in diesem Moment gegenüber von Nighton und mir auf einem der Hocker Platz nahm und uns musterte. Fast synchron schauten wir ihr entgegen. Mild lächelnd behauptete sie daraufhin: »Wie war euer Versöhnungss-«
Nivia, die gerade die Kühlschrankoberfläche abwischte, räusperte sich überlaut, womit sie Evelyn unterbrach. Die wandte sich zu ihr um und beschwerte sich: »Was unterbrichst du mich?«
Nivia lächelte Evelyn fröhlich an. Im Esszimmer konnte ich sehen, wie Penny hochschaute. Sie rief Evelyn zu: »Weil du übergriffig bist! Sowas fragt man nicht!«
Evelyn brauste auf. »Was?! Ach, ihr habt alle keine Ahnung, was war denn daran bitte übergriffig? Es ist so, nach einem Streit in die Kiste zu steigen ist einfach das Beste!«
Nighton korrigierte aufseufzend, sich auf der Theke abstützend: »Nein, das Beste ist, dass es dich nichts angeht, was Jennifer und ich wann und wo miteinander tun, Evelyn.«
Ich ließ die Luft entweichen. Dass ich sie angehalten hatte, war mir gar nicht bewusst gewesen. Zum Glück hatte mich keiner um meine Meinung in dieser Sache gefragt - das war ein ziemlich pikantes Thema für mich, über das ich nämlich schon oft nachgedacht, wenn nicht sogar davon geträumt hatte. Hey, ich war auch nur ein Mädchen mit Wünschen - und ganz ehrlich, bei diesem Körper - hui.
Diese Gedanken sorgten dafür, dass ich schlucken und mich an die Theke pressen musste, damit mir niemand etwas anmerken würde. Verdammt. Über sowas sollte ich nicht nachdenken. Schon gar nicht vor anderen.
Evelyn rollte mit den Augen und murmelte mürrisch: »Ihr seid alle so langweilig.«
Nivia stemmte die Hände in die Seiten und lachte, ehe sie entgegnete: »Klar sind wir die Anstrengenden. Ihr Dämonen immer und euer übermäßiger Sexualtrieb, also wirklich, Evelyn, nicht bei jedem dreht sich alles nur ums Eine. Guck dir die beiden doch an, zwischen ihnen ist nichts passiert, also lass es gut sein.«
Ich wollte es nicht. Wirklich nicht. Doch aus irgendeinem schrecklichen Grund verselbstständigte sich meine Zunge und mir rutschte ein flüsterleises, aber für übernatürliche Ohren immer noch gut hörbares »Noch nicht« heraus.
Sofort hafteten mehrere Augenpaare auf mir. Ich erstarrte beim Rühren meines Müslis und machte große Augen.
Oh Gott, hatte ich das etwa gerade wirklich laut gesagt?
»Öhm - bitte?«, hakte Nighton perplex nach. Seiner Stimme haftete noch etwas anderes an, das ich aber nicht deuten konnte.
»Was?«, fragte ich überfordert und wie aus der Pistole geschossen zurück und rührte nur noch heftiger in meinem Müsli. Ich sollte schleunigst das Weite suchen. Mein Kopf glühte inzwischen schlimmer als eine voll aufgedrehte Heizung im Winter.
Ich schnappte mir also die Schüssel und verschwand Hals über Kopf aus der Küche, während ich mehrere Blicke auf meinem Rücken brennen spürte. Wenigstens interessierte sich Melvyn nicht für meine missliche Lage, der immer noch vorn bei der Haustür stand.
Da gab es vor mir im Flur einen Knall, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Scheppern. Das erinnerte mich so sehr an gestern Abend, dass ich in Panik geriet und aufschrie. Selbst mein Frühstück schleuderte ich von mir, das Melvyn aber zum Glück reflexartig auffing und damit rettete.
Kaum eine Sekunde später erschien Nighton hinter mir im Flur, in dem ich meine eigene Hand nicht mehr vor Augen sehen konnte. Dichter Rauch waberte durch die Luft, in den er einfach hineinlief.
»Was war das?!«, rief ich hustend.
»Ach, nur die Post aus Oberstadt«, erklärte Nivia aus der Küche, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt. Offenbar hatte sich außer mir sonst keiner erschreckt, und wundern tat sich auch niemand.
Auf einmal jedoch sprang der Rauchmelder an. Sein schrilles Piepsen erfüllte den Flur, sodass ich mir die Hände auf die Ohren legte und blind losstolperte, um einen Stuhl zu holen. Ich musste diesen Lärm stoppen!
Doch kaum, dass ich diesen Gedanken gefasst hatte, wurde der Krach aus der Hölle abgewürgt. Wahrscheinlich hatte Nighton das Gerät von der Decke entfernt. Sehen konnte ich ja nichts. Hustend wedelte ich mit beiden Händen, um den Rauch zu vertreiben. Da nichts half, tastete ich mich zur Haustür vor, die ich weit aufstieß, damit der Qualm abziehen konnte. Als die Tapete des Flurs wieder erkennbar war, fiel mir ein eigenartiges Ding auf dem Boden auf, neben dem Nighton gerade kniete.
Es glich einem Dreifuß, jenen, die man im Chemieunterricht in der Schule benutzt. In seiner mittigen Fassung steckte eine schimmernde Kugel, die noch ein wenig Rauch absonderte. Nighton erhob sich mit dem Teil in der Hand und warf mir in derselben Bewegung den Rauchmelder zu, gefolgt von zwei Batterien, die er rausgedrückt haben musste. Ich fing beides auf und legte es auf die Kommode neben die Schüssel mit meinem Müsli, die Melvyn dort abgestellt haben musste, während ich durch den Rauch nichts hatte sehen können. Allerdings interessierte mich mein Frühstück gerade herzlich wenig, auch wenn mein knurrender Magen anderer Ansicht war und das auch lautstark kundtat.
»Post?«, fragte ich skeptisch und näherte mich Nighton.
»Für wen?«, rief Sam aus dem Wohnzimmer.
»Moment.« Nighton drehte den Dreifuß um. Dann runzelte er plötzlich die Stirn und hielt ihn mir entgegen.
»Ist für dich.« Er klang mindestens genauso verdattert, wie ich mich fühlte.
Post für mich? Aus Oberstadt? Wieso sollte gerade ich Post aus Oberstadt bekommen? Etwas unsicher nahm ich das kleine Ding entgegen. Es war erstaunlich schwer. Was sollte ich damit jetzt tun? Ich drehte es mehrmals herum, ehe ich zu Nighton aufsah, der geduldig wartete. Als er zu begreifen schien, dass ich keinen Plan hatte, wie man den Dreifuß bediente, nahm er ihn mir ab und drehte ihn so, dass ich die Unterseite der Kugel sehen konnte.
Er erklärte: »Du musst deinen Finger an die Unterseite der Kugel legen. Sie liest deine Blutsignatur, damit niemand außer dir die Nachricht erhält.« Mit diesen Worten reichte er mir das seltsame Gerät erneut. Kurz zögerte ich, dann legte ich meinen Zeigefinger an den untersten Punkt der Kugel.
Wie um seine Worte zu unterstreichen, piekte mich etwas, und ein Kribbeln fuhr mir durch die Hand. Beinahe hätte ich den Dreifuß fallen gelassen. Die Kugel begann zu leuchten und sich aus der Fassung zu lösen. Sie schwebte in der Luft, und mit einem Mal waren abgehackte Laute zu hören, die mit tiefer, murmelnder Stimme einhergingen. Ich verstand kein Wort.
Noch verwirrter als zuvor suchte ich wieder Nightons Blick, der gar nicht den Eindruck machte, als würde er auf dem Schlauch stehen. Im Gegenteil. Er runzelte die Stirn und brummte: »Hm. Sieht so aus, als müssen wir heute noch nach Oberstadt.«
Ich hob hilflos die Schultern an. Das Gebrabbel der Kugel war inzwischen verstummt.
»Dann macht doch, ich halte euch schon nicht auf.«
Nighton schüttelte den Kopf, mir das Gestell des Dreifußes wieder abnehmend.
»Ich sagte, wir gehen nach Oberstadt. Damit meine ich dich und mich«, erklärte er, ehe er nachdenklich hinzufügte: »Entschuldige, ich hatte vergessen, dass du kein alt-yphemisch verstehst. Das war eine Nachricht von Azmellôn. Er ruft dich nach Oberstadt. Aber einer muss dich ja hinbringen, also werde ich dich begleiten.«
»Wer ist Azmellôn?«
Nighton ging auf die Kommode zu, von der er mein Essen nahm. Damit kehrte er zu mir zurück. Er wirkte ein wenig besorgt, als er es mir entgegenhielt.
»Das Orakel der Engel. Er muss etwas gesehen haben, was dich betrifft.« Unwillkürlich befiel mich ein ungutes Gefühl. Das klang irgendwie nicht besonders toll. Dieser Typ hatte noch nie nach mir schicken lassen, auch damals als Yindarin nicht, und nun zitierte er mich, einen Menschen, nach Oberstadt?
Aber Nighton war ebenso ratlos wie ich und deutete, anstatt mit mir Rätselraten zu spielen, auf die Schüssel und forderte mich zum Essen auf. Das ließ ich mir nicht nochmal sagen. Im Rekordtempo futterte ich mein aufgeweichtes Müsli auf. Ich hatte es nämlich ziemlich eilig damit, nach Oberstadt zu kommen.