Zwei der Soldaten - einer davon war der grimmig dreinblickende Kommandant – waren mit Tharostyn, Michael, Nighton und mir in den Container des Bauleiters mitgekommen. Ich hatte mich eigentlich heimlich zu Sam und Evelyn verdrücken wollen, doch Nighton wollte unbedingt, dass ich mitkam, was einerseits gut, aber andererseits auch schlecht war. Ich wollte zwar irgendwie schon dabei sein, hören, was ausgetüftelt wurde, aber zugleich hieß das, dass ich die ganze Zeit neben Nighton stehen musste. Und das fand ich gerade furchtbar schwer, also nach dem, was Uriel mir an den Kopf geworfen hatte. Die Nachricht war für mich so belastend, dass meine Hände ganz schwitzig waren und ich unruhig von einer Stelle auf die andere trat. Natürlich entging das Nighton nicht, aber er schien es auf die aktuelle Situation mit dem Grottenmahr zu schieben, was mir zuspielte. Zumindest fragte er nicht nach.
Die Enge des Containers ließ die Anwesenden ein bisschen wie Sardinen in einer Dose wirken, und ich fand, dass der Ort für ein so seltsames Treffen einfach viel zu klein war. Ich selbst hielt mich bewusst zum Teil hinter Nighton; sein Rücken bot mir den Schutz eines Vorhangs und den Umstand, dass er mich nicht so leicht ansehen konnte. Das machte es mir ein bisschen leichter, die umherschwirrenden Gedanken in meinem Kopf wegzuschieben und mich gleichzeitig ein wenig sicherer zu fühlen.
Die anderen hielten draußen weiterhin Stellung. Uriel hatte sich wieder zu ihnen gesellt, wie ich sehen konnte. Penny und Elisae schwebten irgendwo weit oben und kreisten in der Luft wie Raubvögel, die darauf achteten, dass der Grottenmahr bloß das Gebiet nicht verlassen würde. Sam und Evelyn hingegen waren beim Rest unserer Gruppe. Durch das eine von zwei Fenstern tauschte ich ab und zu einen Blick mit ihnen. Sie sahen ungeduldig aus, genau wie Melvyn und Gil, die nur darauf zu warten schienen, endlich losstürmen zu können. Dabei entgingen mir die verstohlenen Blicke nicht, die Evelyn ab und zu von allen dreien bekam. Auch ich hatte mir fest vorgenommen, sie nachher noch auszuquetschen. Wie hatte sie so ein Talent nur verstecken können?
Ich seufzte. Dabei verspürte ich dieselbe Ungeduld, die auch die meisten außerhalb des Containers zu plagen schien. Warum mussten wir den Plan der Engel erst zerreden, bevor es losging?
Die Soldaten draußen standen dicht beisammen wie ein kleiner, argwöhnischer Trupp, die Augen geweitet vor Anspannung und Unsicherheit. Sie tuschelten miteinander, und die meisten, das konnte ich sehen, hielten ihre Waffen im Anschlag, gerade so, als würde ein kurzes Blinzeln schon ausreichen, um sie zu veranlassen, blind auf die Engel und Dämonen zu feuern. Die Erzengel wiederum standen ihnen wie ruhige Statuen gegenüber, aber allein ihr bloßer Anblick brachte die Männer sichtlich durcheinander. Vor allem Uriel, deren wilde Erscheinung die Menschen anscheinend zugleich in Ehrfurcht und Unbehagen versetzte. Die Blicke, die der massige Erzengel erhielt, waren so voller Misstrauen, dass ich nicht anders konnte, als hin und wieder in mich hinein zu grinsen.
Wenigstens schienen sich diese Menschen wie vernünftige Wesen verhalten zu können, anders als Leute wie Kellahan oder Ajax. Die beiden Uniformierten brachten uns eine Art vorsichtigen Respekt entgegen. Es war keine warme Höflichkeit, aber immerhin frei von dem aggressiven Unterton, der unten in der Grube noch geherrscht hatte. Sie hatten sich sogar die Mühe gemacht, auf einem Whiteboard mit einem Edding eine Art primitiven Schlachtplan zu skizzieren. Ich konnte noch immer nicht verstehen, warum der Kommandant sein HQ nicht verständigt hatte. Das ergab keinen Sinn für mich, immerhin waren mir alle Mitarbeitenden von TI immer wie eine eingeschworene Einheit vorgekommen. Wieso fielen diese also aus dem Raster? Hatten sie eigene Ziele?
Tharostyn erklärte derweil mit Geduld und einer leichten Selbstgefälligkeit seine Strategie, während Nighton - dem der alte Engel mit Nachdruck nahegelegt hatte, sich gefälligst zurückzuhalten – mit saurer Miene schwieg. Ich merkte jedoch, dass sein Geduldsfaden dünner und dünner wurde, und es war nur eine Frage der Zeit, bis er eingreifen würde.
Ich ertappte mich schon dabei, wie ich stirnrunzelnd das wirre Gekritzel am Whiteboard anstarrte. Ich verstand nur Bahnhof. Während der alte Engel redete und redete, verspürte ich die Versuchung, laut zu anzumerken, dass Tharostyns Masterplan zu unverständlich war. Das würden die aufgeregten Menschen da draußen niemals verstehen. Und ganz ehrlich – der Wurm konnte längst über alle Berge sein, und die Engel und Menschen standen hier herum und verschwendeten die Zeit mit diesem strategischen Blabla.
Endlich, als ich schon fast mit den Augen rollte, stieß Nighton vor mir einen genervten Laut aus und räusperte sich. Er trat einen Schritt vor. Alle Köpfe drehten sich zu ihm, und Tharostyn runzelte die Stirn, einen warnenden Ausdruck in den Augen, doch Nighton ließ sich nicht beirren.
»Wenn wir das so machen, Meister, verlieren wir doch nur unendlich viel Zeit. Es ist einfach sinnlos, alle Engel und Dämonen an Positionen um das Gebiet herum aufzustellen, ohne zu wissen, wie tief sich das Biest gräbt. Ich habe eine bessere Idee.«
Die Art, wie er Tharostyn herausfordernd anblickte, ließ keinen Zweifel daran, dass Nighton überzeugt war, der strategisch Überlegene zu sein. Der alte Engel schnaubte trocken, antwortete aber gelassen: »Nun denn, Yindarin, erleuchte uns.«
Die zwei Soldaten atmeten tief ein und hielten ihre Waffen fest, als ob sie bei Nightons Worten irgendeine unsichtbare Bedrohung abwehren wollte. Ihnen war bestimmt unwohl, eingeklemmt in diesem kleinen Container zwischen den Engeln und einem temperamentvollen Yindarin.
»Wir platzieren einen Köder vor einem der Trockenmörtel-Silos, die hier herumstehen. Habt ihr Sprengstoff dabei?« Nighton richtete seine Frage an den kleineren der beiden Soldaten mit dem Schnauzbart – innerlich nannte ich ihn Kommandant II.
»Ja, haben wir. Unten in der Grube bei unseren Sachen.« Der Soldat wirkte etwas irritiert, versuchte aber sachlich zu bleiben. »Und wozu? Was haben Sie vor?«
Kommandant I – der mir dem verhärmten Gesicht – beobachtete das Gespräch zwischen Nighton und seinem Nebenmann skeptisch, die Augen eng zusammengekniffen, als wollte er Nighton studieren.
»Grottenmahre richten sich nach dem stärksten Lärm an der Oberfläche«, erklärte Nighton sachlich. »Wir ziehen alle Kräfte aus verschiedenen Richtungen dorthin, konzentrieren den Lärm auf den Köder, den ihr Menschen sprengt. Dann könnt ihr euch in euren Helikoptern verstecken. In der Luft kriegt euch der Mahr nicht. Sobald der Wurm durchbricht, aktiviert ihr die Sprengsätze und lasst das Silo auf ihn krachen. Dann kann er sich nicht zurückziehen, und wir machen den Rest. Grottenmahre sind zäh und sehr gefährlich, und wir sollten kein Risiko eingehen.«
Ein stilles, seltsames Lächeln zuckte in Kommandant I’s Mundwinkeln, als ob ihm dieser Ablauf nicht passte. Kurz kam es mir so vor, als würde er protestieren, was er dann auch tat.
»Interessanter Plan, Hybrid, keine Frage«, begann er. »Ihr erwartet also, dass wir Menschen am Rand zuschauen und euch … Extraterristen die Jagd überlassen? Das wäre kaum TI’s Stil. Wir sind nicht hier, um nur die Zuschauer zu spielen. Wir haben schließlich Erfahrung und die Jungs wurden nicht umsonst ausgebildet. Nein – wenn dieses Geschöpf angelockt wird, sind wir dabei. Ich habe Euresgleichen im Feld gesehen – ihr seid nicht schlecht. Aber wir sind der Aufklärungstrupp von TI und besser, als ihr denkt.«
Nighton musterte den Soldaten von Kopf bis Fuß. Ein dunkles Glitzern erfasste seine Augen, als er leise und fast böse fragte: »Was ist denn der Stil von Turano Industries? Junge Menschenfrauen schnappen und foltern, um an Informationen zu kommen?«
Kommandant I presste die Kiefer aufeinander, und es lag ein Schatten in seinem Blick. Sein Blick huschte blitzschnell zu mir, aber ich hatte denselben Gesichtsausdruck aufgesetzt wir Nighton und zudem die Arme verschränkt. Ich war ziemlich gespannt auf seine Rechtfertigung. Schließlich erwiderte der Mann mit wohlgewählten Worten: »TI operiert in allen Dimensionen mit Präzision und Effizienz. Jeder Einsatz folgt klaren Anweisungen, und die Führung setzt auf … taktische Maßnahmen, um ihre Ziele zu erreichen. Persönliche Interpretationen einzelner Mitarbeiter gehören allerdings nicht zu unserem Protokoll. Wenn bestimmte Methoden angewandt wurden, dann sicher aus eigener Motivation.«
Das klang aalglatt und nach einer Ausrede. Dasselbe schien auch Nighton zu denken, denn seine Augenbraue wanderte sehr weit nach oben. Der Soldat fuhr fort. »Hören Sie, wir alle sind Soldaten des Aufklärungstrupps, das Fußvolk von Turano. Es ist unser Auftrag, Bedrohungen durch Kreaturen wie diese abzuwenden, und das wird auch in Zukunft so bleiben. Was im Hauptlabor geschehen ist … nicht jeder von uns würde sich für solche Methoden entscheiden. Wir jedenfalls haben damit nichts zu tun. Unser einziges Interesse gilt der Sicherung oder Eliminierung des Extraterristen.«
Ein kurzer, prüfender Blick wanderte zu mir, als wollte er noch etwas sagen. Doch dann bremste sich Kommandant I. Offenbar war auch im klar, dass er sich auf dünnem Eis bewegte.
»Nighton, das hatten wir besprochen. Darum soll es heute nicht gehen«, erinnerte Tharostyn Nighton streng. Nightons Stirnrunzeln verriet Unmut, aber er schien keine Lust auf Diskussionen zu haben und knurrte nur leise. Zu meiner Überraschung machte Michael einen Schritt nach vorn und drückte kurz Nightons Schulter, als wollte er ihm seine Zustimmung signalisieren. Das löste bei Kommandant II sichtlich eine gewisse Unruhe aus; seine Hand wanderte vorsichtig zu seiner Waffe, bevor er merkte, dass der Erzengel ihn längst im Blick hatte und belustigt die Augenbraue hob.
»Du brauchst mich nicht fürchten, Menschenmann«, versprach Michael mit golden aufleuchtenden Augen. »Ich spende unserem Yindarin nur etwas Kraft. Die Sicherheit dieses Menschenmädchens hier ist ein sensibles Thema für ihn. Apropos. Wir sind abgeschweift.« Er zeigte auf das Whiteboard. »Welchen Köder wollt ihr verwenden? Frischfleisch?«
Nighton schien kurz zu überlegen, da fiel mir etwas ein, das vermutlich nur für mich so simpel klang. »Ihr habt doch bestimmt mehr von diesem Yagransin dabei«, mutmaßte ich und schielte zu den Kommandanten. »Warum nehmen wir das nicht als Köder? Der Wurm ist ja offensichtlich voll drauf abgefahren.«
Kommandant I musterte mich, bevor er fragend den Kopf schieflegte. »Andauernd höre ich dieses Wort. Was soll das sein, Yagransin?«
Nighton antwortete an meiner Stelle: »Ein seltener, berauschender Stoff, der eigentlich nichts bei euch Menschen verloren hat. Ihr habt damit auf den Grottenmahr gefeuert.« Seine Augen verengten sich, und ein frostiger Ausdruck legte sich auf sein Gesicht.
Kommandant I’s Augen weiteten sich, als er verstand. »Ah, ihr meint wohl … Viriscens-666.«
Viriscens-666? Was war denn das für ein Name?
Ich runzelte die Stirn und verschränkte die Arme. »Wahrscheinlich. Wir nennen es Yagransin. Aber wieso 666?«
Ein Anflug von Peinlichkeit huschte über die Gesichter beider Kommandanten, die einen raschen Blick austauschten. Kommandant I räusperte sich leicht und antwortete verhalten: »Das war ein Einfall unserer Wissenschaftler. Sie dachten, es wäre passend … 666, ihr wisst schon, eine kleine Hommage an den biblischen Satan und seine Legionen.«
Nighton verdrehte nur die Augen. Auch Michael und Tharostyn schienen wenig beeindruckt – der eine stieß ein ungläubiges Schnaufen aus, der andere blies sich vor lauter Empörung richtig auf. Ich musste mir auf die Lippe beißen, um mein Grinsen zu verbergen. Wie kreativ – da hatte TI sich ja echt was einfallen lassen!
»Das ist Blasphemie! Ihr Menschen frönt damit Luzifer!«, donnerte Michael mit einer Stimme so kalt und kantig wie Stahl. Seine Tätowierungen an seinem Hals begangen schon aufzuleuchten.
»Was will ein Extraterrist schon über Blasphemie wissen? Allein eure Existenz ist schon ein Affront gegen Gott, wenn Sie mich fragen.« Kommandant II hatte die Worte mit trotzigem Stolz herausgestoßen, als ihm schlagartig bewusst wurde, dass er sich in einem Raum voller Wesen befand, die er definitiv nicht reizen sollte. Auch ich fand, dass das ein ganz schön starkes Stück war. Wie unverschämt!
Die Temperatur fiel postwendend ab. Ein kaltes Vibrieren ging von Michael aus, dessen Gesichtszüge vor Zorn schimmerten. Nighton seufzte auf und schickte mir einen Jetzt-geht-das-los-Blick zu, während der Erzengel mit einem scharfen Knall sein Schwert auf den Boden sausen ließ. Der Container erbebte unter dem Stoß, und die beiden Menschen traten instinktiv einen Schritt zurück.
»Ihr habt nicht den blassesten Schimmer, was Gotteslästerung wirklich bedeutet!«, donnerte Michael. Er hob sein Schwert an, bis die Spitze nur Zentimeter von der Brust von Kommandant II entfernt verweilte. »Schon allein eure Jagd auf die heiligen Wesen des Himmels, auf jene, die vom Großen Einen selbst gesegnet wurden, ist ein Vergehen so grässlich, dass selbst die tiefsten Abgründe der Hölle nicht ausreichen, um den Fluch zu fassen, der euch erwartet!« Er hielt schnaubend inne, bevor er weitersprach. »Und glaubt mir, ich spreche aus Erfahrung. Ich war Zeuge, als Luzifer, einst der höchste der Engel, vom Thron des Himmels gestoßen wurde. Ich sah, wie der Fall in die Dunkelheit begann und das Fegfeuer sein Heim wurde.«
Er ließ sein Schwert sinken und näherte sich den Soldaten, seine Präsenz glich einem Druck, der den Raum zu ersticken ließ. Ich spürte, wie Nighton einschreiten wollte, doch er seufzte nur auf, als wüsste er, dass es keinen Zweck hatte. Die Luft wurde noch ein wenig kälter, und ein Hauch von glühender, unheilvoller Macht umhüllte den Erzengel. Mit gesenkter Stimme sagte Michael: »Und ich war ebenfalls dort, als er die brennenden Tore der Hölle durchquerte. Was ihr als menschliche Spezies als Kampf um Macht seht, ist nichts im Vergleich zu den Konsequenzen, die euch erwarten. Redet also nicht von Dingen, von denen ihr nicht einmal in euren tiefsten Alpträumen zu träumen wagt, Mensch!«
Damit wandte er sich ab, nach wie vor dreinsehend, als wäre er bereit, irgendetwas anzuzünden. Er lief auf die Tür zu. Dort hielt er noch einmal inne, bevor er sich Tharostyn zuwandte. »Meister Tharostyn, ich werde mich zu meinen Geschwistern gesellen. Der Plan, den der Yindarin vorgeschlagen hat, ist gut. Wir sind oben in der Luft und helfen den Seraph, den Wurm im Blick zu behalten. Wenn ich noch länger in der Anwesenheit dieser Herren verweile, wird mein Schwert noch seiner Pflicht folgen. Und das wollen wir ja heute nicht.«
Er nickte Nighton zu, der wortlos zurücknickte. Mir schickte er ein kleines Lächeln, dann zwängte er sich durch die enge Tür des Containers, die er hinter sich zuzog. Sobald er draußen war, atmeten die beiden Kommandanten durch.
»Verzeihen Sie uns. Wir wollten niemanden beleidigen«, versicherte Kommandant I und schickte seinem Kameraden einen scharfen Blick, der daraufhin einen Moment betreten vor sich hin starrte. Doch er fing sich rasch wieder und schlug vor: »Wir könnten auch die Jungs von der anderen Einheit aus dem Stadtzentrum anfunken und um Verstärkung bitten.«
Nighton lehnte sofort ab, ohne eine Sekunde zu zögern. »Nein. Wir sind genug.« Sein Ton war endgültig, und eine kalte Härte schwang in seinen Worten mit. »Das Risiko ist zu hoch, dass Kellahan oder dieser Ajax hier auftauchen. Wenn einer der beiden von der Sache Wind bekommt, kann ich für nichts mehr garantieren.«
Sein Blick glitt zu mir, und für einen kurzen Moment war es, als ob sich eine warme Woge durch das eisige, kampfbereite Schimmern in seinen Augen schob. »Dein Vorschlag mit dem Yagransin ist gut, Jen. So machen wir es.« Das Nicken, das er mir gab, war voller Entschlossenheit, und ich konnte ein stolzes Lächeln nicht zurückhalten. Klar war mein Vorschlag gut, und es freute mich, dass er angenommen wurde. Mein Lächeln schwand allerdings schnell wieder, als mich eine böse Stimme in meinem Kopf an mein Geheimnis erinnerte. Sofort schluckte ich und sah woanders hin. Doch da kam zum Glück Bewegung in Tharostyn. »Wunderbar«, sagte er. »Ich muss zugeben, dein Plan ist tatsächlich besser, Yindarin. Vor allem in Kombination mit Miss Ascots Einfall. Ich gehe selbst raus und erläutere ihn den anderen. Lasst euch nicht zu viel Zeit.« Er humpelte hinaus, um seinen Worten Taten folgen zu lassen, und die Tür schloss sich mit einem leisen Klicken. Der Container fühlte sich plötzlich enger an, obwohl wir nur noch zu viert hier drin standen.
Plötzlich räusperte sich Kommandant I und richtete sich auf. »Welche Sicherheit habe ich, dass mir keiner von euch in den Rücken fällt und meine Männer niedermetzelt?«, fragte er ernst und auch ein wenig misstrauisch.
Nighton hob das Kinn und fixierte den Soldaten. »Welche Sicherheit habe ICH denn, dass mich keiner von euch mit Yagransin vollpumpt und in eines eurer Gefängnisse verschleppt?« Seine Worte hatten ein messerscharfes Zischen, und ich spürte, wie die Luft im Raum schwerer wurde. Die Energie von Sekeera breitete sich aus, und ein graugrünes Aufblitzen in Nightons Augen verlieh ihm einen bedrohlichen Ausdruck.
Die Kommandanten tauschten wieder einen Blick aus, und Kommandant I trat mit verschränkten Armen einen Schritt vor. »Wie ich schon sagte: Wir gehören dem Aufklärungstrupp an, nicht den Wissenschaftlern und schon gar nicht den Jägern. Wir haben nicht vor, Sie einzufangen oder irgendwohin zu verschleppen. Wir wollen nur eins: diesen Extraterrist zur Strecke bringen.« Er erwiderte Nightons Blick unerschrocken und mit einem Hauch von Ehrlichkeit, bevor er hinzufügte: »Sie haben mein Wort, Hybrid. Keiner wird sich an Ihnen vergreifen – aber ich erwarte dasselbe von Ihnen und Ihren Leuten. Wir jagen das Ding, töten es und gehen dann unserer Wege.«
Ein wenig verwirrt sah ich zwischen den beiden Kommandanten hin und her. Ich glaubte ihnen zwar, doch ich verstand nicht, wieso sie ihre Chance, Nighton zu schnappen, nicht wahrnehmen wollten. Waren nicht alle von TI gleich?
Nighton schwieg, und die Spannung in der Luft war fast greifbar. Schließlich nickte er, langsam, doch bestimmt. »Gut, ich bin einverstanden.«
Ein winziger Ausdruck von Erleichterung huschte über das Gesicht von Kommandant I, und Kommandant II schlug ihm auf die Schulter. »Wunderbar. Dann können wir loslegen. Auf zur Jagd!« Er warf den Edding auf den Tisch. Nighton ließ mir den Vortritt an die eisige Luft, und mit einem Gefühl angespannter Vorfreude gingen Nighton und ich vor den beiden Männern hinaus in die eiskalte Luft.
Draußen hatten sich bereits alle versammelt, jede Gruppe in sich gekehrt und die andere wachsam beäugend, wie rivalisierende Stämme, die in einem fremden Land aufeinandertrafen. Ich erkannte Tharostyn und Melvyn, die abseits standen und leise miteinander sprachen, während Penny und Elisae nach wie vor wie Wächter auf ihrem Kran thronend den Überblick behielten. Die fünf Erzengel schwebten hoch oben, ihre Silhouetten als dunkle Flecken gegen den Nachthimmel, kreisend und wachsam.
Kommandant II trat vor und begann die Nummern seiner Männer aufzurufen. Offenbar redeten sich die Mitarbeiter von TI sogar intern nur mit Nummern an. Ziemlich unpersönlich, fand ich. Ich beobachtete, wie vier Männer und zwei Frauen sich stramm vor ihm aufstellten, ihre Gesichter voller Entschlossenheit, und er erklärte ihnen den Plan mit kurzen, knappen Worten. Anschließend wies er die Sechs an, die Sprengladungen zu holen, während die restlichen Soldaten an Ort und Stelle die Stellung halten sollten.
Ich beobachtete die Bewegung der Soldaten, doch mein Blick wanderte immer wieder zu Nighton hoch, der sich in diesem Moment mir zuwandte. In seinen Augen lag Sorge. »Hör zu«, begann er, und seine Stimme nahm einen weichen, aber eindringlichen Ton an. »Ich weiß, ich habe dir beigebracht, zu schießen und wie du dich verteidigen kannst, aber … ich bin ehrlich, heute wäre es mir lieber, wenn du von einem höheren Punkt aus zuschaust und nicht mittendrin bist.«
Er kam nicht dazu, weiter zu reden, denn ich nickte sofort, fast übertrieben heftig. »Natürlich. Ich will auch gar nicht in das Getümmel da rein. Also wirklich nicht.« Die Worte sprudelten aus mir heraus, schneller und entschlossener, als ich sie selbst erwartet hatte. »Ich meine – das wäre doch Irrsinn, oder? Auf dem Boden bricht gleich bestimmt ein riesiges Chaos aus, und ich soll mittendrin stehen? Nein, danke. Ich bleibe viel lieber in sicherem Abstand und schaue aus der Höhe zu.«
Versuchte ich hier gerade, das Etwas in meinem Unterleib zu beschützen? Nein, oder?
Nighton hob überrascht eine Braue und war einen Moment still, dann jedoch nickte er langsam. »Gut. Sehr vernünftig«, erwiderte er etwas verdutzt, doch und seine Gesichtszüge entspannten sich leicht. Er musterte mich kurz, bevor er mich anlächelte, offenbar erleichtert über meine Zustimmung, doch ich lächelte nicht zurück. Ich war viel mehr damit beschäftigt, mich zu fragen, wieso ich so reagiert hatte. Innerlich ärgerte ich mich darüber. Hoffentlich kam ich ihm nicht merkwürdig oder gar verdächtig vor – das wäre jetzt das Letzte, was ich brauchen konnte. Ich atmete flach ein und zwang mich, einen gleichgültigen Blick aufzusetzen, bevor ich mir im Kopf allerlei Gründe zurechtlegte, die meine Reaktion erklären könnten. Nighton ließ seinen Blick noch einen Moment auf mir ruhen, als wäre er unschlüssig. Aber dann kam es natürlich so, wie es kommen musste: Sein Misstrauen siegte. Er verengte leicht die Augen und sah mich so intensiv an, dass ich das Gefühl bekam, durchleuchtet zu werden. Mein Magen zog sich zusammen, und mir wurde heiß – diese Art von Blick kannte ich nur allzu gut. Er verriet mir, dass Nighton Lunte gerochen hatte. Scheiße. Nur nicht schwach werden, Jennifer!
»Ist alles in Ordnung?«, fragte er leise, fast beiläufig, doch in seiner Stimme lag etwas, das mich alarmierte. Seine Augen ließen nicht von mir ab, und mir blieb beinahe die Luft weg. Ich musste an mich halten, um nicht vor Nervosität woanders hinzusehen oder einfach wegzurennen.
Ich nickte verkrampft. »Aber klar. Alles bestens.«
Nighton ließ seinen Blick jedoch weiterhin unerbittlich auf mir ruhen, so als würde er direkt in mich hineinsehen, bis in die Gedanken, die ich am liebsten in den dunkelsten Winkeln meines Verstands vergraben hätte. Ich wusste, dass ich Nighton sagen musste, was ich erfahren hatte – aber das konnte ich nicht jetzt tun! »Sicher?«, hakte er nach, und seine Stimme hatte diesen schneidenden Unterton, der mir direkt unter die Haut ging. Aus dem Augenwinkel bekam ich mit, dass wir ungeduldige Blicke zugeworfen bekamen, aber ich versuchte, sie auszublenden, schluckte und setzte eine möglichst lässige Miene auf. »Ja-ha, wenn ich es doch sage«, stieß ich etwas zu schnell hervor und zwang mich, ruhiger zu klingen. »Es ist nur … ich mache mir eben Sorgen. Der Wurm, die Menschen … und du. Ich will nicht, dass dir was passiert.« Ich merkte, wie sich die Anspannung in meiner Stimme leicht überschlug. Verdammt, wo war mein schauspielerisches Talent, wenn ich es mal WIRKLICH brauchte?!
Doch zu meiner endlosen Erleichterung hob Nighton eine Braue an und nickte knapp. »Na gut.« Sein Blick ließ mich endlich los, und ich musste mich zusammenreißen, um nicht hörbar auszuatmen. Ich fühlte, wie die Hitze langsam aus meinem Gesicht wich, doch das Zittern in meinen Fingern blieb. Ach, wie ich es hasste, wenn er diese Waffe auspackte! Weshalb nur war ich so machtlos gegen seine Blicke?
Ich trat einen halben Schritt zurück und schlang die Arme um mich, bevor ich leise, fast flehend, sagte: »Versprich mir, dass du auf dich aufpasst.«
Für einen Augenblick wurde sein Blick weich, und die Wärme kehrte in seine Augen zurück. Das Lächeln, das auf seine Lippen trat, war klein, aber beruhigend. »Mir passiert schon nichts. Aber ja, ich verspreche es dir«, sagte er und zog die Mütze auf meinem Kopf zurecht.
Dann zog er mich noch einmal kurz an sich und umarmte mich, bevor er mich sanft von sich schob und auf die Container in der Nähe zeigte. »Bleib da oben, zusammen mit Evelyn. Sie passt auf dich auf. Wartet, bis alles vorbei ist. Ich komme dich holen.«
Ein leises Knurren hinter mir verriet mir, dass Evelyn keineswegs begeistert war. Ich drehte mich kurz um und sah, wie sie wütend mit dem Fuß aufstampfte, doch ein einziger Blick von Nighton reichte, um sie zur Vernunft zu bringen.
Einer Eingebung folgend überwand ich den Abstand zwischen uns und umarmte ihn ein zweites Mal, diesmal deutlich inniger. Ich spürte die Hitze seines Körpers durch meine Jacke, und als er seine Arme leise auflachend um mich legte und mich an sich drückte, existierte für einen Moment nichts anderes als der stille Raum zwischen uns. Er beugte sich ein Stück zu mir runter und küsste mich sanft auf die Mütze, und ein plötzlicher Drang durchfuhr mich, ihm das zu sagen, was in mir tobte. Aber ich biss die Zähne zusammen. Ablenkung war jetzt das Letzte, das er brauchte.
»Jen, die anderen warten«, murmelte er sanft. Widerwillig löste ich mich von ihm. Während er sich abwandte, seufzte ich innerlich, denn obwohl ich verstand, was richtig war, spürte ich den Widerstand gegen die Stille und das Warte in mir aufsteigen. Da hatte ich bloß nur wieder Zeit, in eine meiner Gedankenspiralen abzurutschen … und das konnte ich echt nicht gebrauchen.