Die Atmosphäre, die vorhin noch ein wenig aufgelockert gewesen war, spannte sich plötzlich an – das merkte sogar ich. Michael nickte ernst und erhob sich mit einer unerwarteten Schwere in der Bewegung.
»Die Gerüchte sind wahr«, begann er mit tiefer Stimme. »Aber das sollte besser jemand erzählen, der direkten Kontakt damit hatte.«
Sein Blick wanderte zu mir, und sofort spürte ich, wie mir heiß wurde. Warum schaute er mich an? Ich war doch nur als stille Zuhörerin hier, oder? Panik schoss durch meinen Körper, und ich spürte, wie ich in mir zusammensank.
»Äh...«, brachte ich nur hervor, völlig überrumpelt. Doch anstatt an das Thema zu denken, das jetzt besprochen werden musste, schoss mir das, was nach der Flucht zwischen Nighton und mir im alten Haus passiert war, durch den Kopf. Die Erinnerung brachte mich prompt dazu, feuerrot zu werden.
Zum Glück sprang Nighton ein. In seiner gewohnt souveränen Art übernahm er und begann zu erklären, was sich unter dem Meeresspiegel vor Irlands Steilküste befand. Ich nutzte die Gelegenheit, mich wieder zu sammeln, während er die düsteren Details enthüllte. Die Gesichter der Anwesenden blieben ausdruckslos – steinern, wie Masken. Doch hin und wieder flackerte etwas in ihren Augen auf: Einige rissen sie weit auf, während andere wütend das Gesicht verzogen oder unterdrückte Laute von sich gaben. Es war unübersehbar, dass die Erzählung bei jedem von ihnen etwas auslöste.
Als es jedoch um Kellahan ging, hielt Nighton inne und wandte sich an mich.
Mein Magen zog sich zusammen, aber ich wusste, dass ich es tun musste. Tief durchatmend erhob ich die Stimme, um mein Unbehagen zu vertreiben. Ruhig, aber innerlich brodelnd, begann ich zu erzählen, wer Kellahan war – was er in seinem Labor in Turanos Namen tat, wie er eine geheime Waffe entwickelt hatte und wieso er ein gefürchteter Engel- und Dämonenjäger war. Doch am meisten betonte ich, dass Kellahan in Wirklichkeit nur ein Ziel hatte: Nighton. Ich sprach von den Tests, den Blutentnahmen, den unerträglichen Details, die Kellahan über uns wusste, und den vielen übernatürlichen Wesen, die in den Zellen des geheimen Labors gefangen gehalten worden waren. Auch die Details über die E-VAC oder das AEUD-Serum hielt ich nicht zurück. Während ich redete, fühlte es sich an, als würde die Luft immer schwerer werden, als würde sie mich und die anderen erdrücken.
Als ich endete, kehrte eine bleierne Stille ein. Die Blicke der Anwesenden wurden ausgetauscht, aber keiner sprach ein Wort. Betroffenheit lag im Raum.
»Ich sage es immer wieder, die Menschen gehören ausgerottet!« Rhadas Stimme durchbrach die Stille mit roher Aggression. Ihr Kiefer war fest vorgeschoben, ihre Augen funkelten vor Zorn, während sich Teile ihrer Verwandlung andeuteten. Sie hob den Kopf und ließ ihren Blick herausfordernd durch die Runde wandern.
»Was kaum eine Lösung darstellen würde«, kam Eriks trockene, völlig emotionslose Antwort. Rhadas Blick schoss zu ihm, funkelnd vor Zorn.
»Eine feige Antwort von einem feigen Engel!« zischte sie, ihre Augen blitzten auf. Erik stieg nicht auf die Provokation ein, sondern schnaubte nur auf. An mich gewandt fragte er dann kühl: »Diese Waffe, die in dem Labor gebaut wurde – konntet ihr sie sicherstellen?«
Bevor ich antworten konnte, war es Nighton, der einsprang. »Nicht die Waffe selbst, aber das hier.« Er griff in seine Hosentasche und zog ein Magazin mit den Kugeln hervor, die er aus der E-VAC gesichert hatte. Er reichte es Erik, der die Kugeln mit einem forschenden Blick musterte, bevor er das Magazin in seine Tasche steckte. »Mein Labor hat die nötige Ausrüstung, um die zu überprüfen«, erklärte er sachlich.
Nighton nickte. Calista meldete sich zu Wort. »Wir können nicht einfach abwarten, bis sie uns vernichten. Wir müssen etwas unternehmen, das alles stoppen.« Ihre Stimme klang ruhig, obwohl sich in ihrem Gesicht ein Hauch von Sorge abzeichnete. Michael nickte zustimmend.
»Ja, so sieht es auch die Oberste. Der Rat und ich haben lange darüber nachgedacht und sind zu dem Schluss gekommen, dass wir euch einen Vorschlag machen wollen. Einen, der in dieser Form noch nie dagewesen ist. Es ist... etwas experimentell.«
Ich spürte, wie sich die Spannung im Raum verstärkte, während alle darauf warteten, dass Michael weitersprach. Selbst ich hielt den Atem an, neugierig, was dieser Vorschlag sein könnte.
Michael verschränkte die Arme. »Ihr alle seid nicht zufällig hier. Jeder von euch ist ein Ankerpunkt in der Anderswelt, mit entscheidender Machtposition in euren Menschenberufen. Ihr alle habt Jahrhunderte an Lebenserfahrung gesammelt. Und vielleicht ist es an der Zeit, dass sich Engel und Dämonen – gemeinsam – dieser Bedrohung stellen. Unter der Führung des Yindarin.«
Die Atmosphäre im Raum wechselte schlagartig. Alle Blicke richteten sich auf Nighton. Er erstarrte. Es war offensichtlich, dass auch er zum ersten Mal von diesem Plan hörte. Engel und Dämonen, zusammenarbeiten? Ich konnte förmlich spüren, wie die Gedanken in seinem Kopf rasten. Konnte so etwas überhaupt funktionieren, bei all den jahrhundertelangen Konflikten und den tiefen Differenzen?
Michael fuhr fort: »Wir wissen, dass das riskant ist. Aber es gibt uns die Möglichkeit, einen festen Stützpunkt in dieser Dimension aufzubauen. Von dort aus können wir weltweit agieren.«
Andrasz schnaubte und grinste. »Und was geschieht, wenn die Oberste der Dämonen davon erfährt?«
Die Spannung im Raum stieg weiter an. Es war, als würde jede Sekunde ein Funke alles entzünden können.
Nighton dachte kurz nach, bevor er antwortete. Er klang erstaunlich entspannt dafür, dass Michael eben so vor allen diesen Vorschlag rausgehauen hatte, ohne es vorher mit ihm zu besprechen. »Was soll sie schon machen? Außerdem – sie hält sich seit Monaten bedeckt. Es ist unwahrscheinlich, dass sie sich gerade für so etwas interessiert. Ihr Interesse liegt momentan auf ganz anderen Dingen.«
»Genau das ist der Punkt. Sollte uns das nicht viel mehr beunruhigen? Wenn sie sich so lange zurückhält, plant sie sicher etwas«, warf Eloria ein und zog die Nase kraus, als ob allein der Gedanke an Selene sie ängstigte.
»Aber die Bedrohung durch die Menschen ist hier und jetzt!«, unterbrach Rhada sie mit aggressiver Stimme. »Was immer Selene plant, im Moment ist es nicht so akut wie das, was die verfluchten Menschen treiben! Jeden Tag verschwinden Engel und Dämonen, und die Menschen entwickeln Waffen, die eines Tages vielleicht sogar einen Yindarin töten können!« Mit einem wütenden Schlag auf den Tisch unterstrich sie ihre Worte.
Ich schluckte. Ich wusste genau, was Selene plante.
Eine hitzige Diskussion brach los. Stimmen überlagerten sich, Meinungen prallten aufeinander – bis Michael die Kontrolle übernahm. Seine Stimme war tief und dröhnend, als er sie über den Tumult erhob: »Wir wissen zurzeit nur das Eine: die dunkle Herrin will Asmodeus erwecken.«
Ein Schock ging durch die Versammlung. Stille breitete sich aus, so dicht, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können.
Calista lehnte sich vor, ihre Augen geweitet, ihre Stimme nur ein Flüstern. »Was? Seid ihr sicher? Aber - wenn das stimmt, warum habe ich das nicht in meinen Visionen gesehen?«
»Wohlmöglich war dein drittes Äuglein blockiert«, kommentierte Andrasz spöttisch, doch keiner beachtete ihn. Ich beschloss mich einzuschalten und das Unausgesprochene hinzuzufügen: »Wir sind uns sicher. Er ist übrigens mein leiblicher Vater«, warf ich ein.
»Was?!«, stieß nun auch Nekira hervor, der sich bisher bedeckt gehalten und dem Ganzen nur gelauscht hatte, und starrte mich so entsetzt an, dass ich mir wünschte, ich hätte die Klappe gehalten. »Das darf nicht geschehen! Asmodeus ist einer der gefürchtetsten Dämonenlords. Wenn er wieder wandelt, wäre ganz Oberstadt in Gefahr!«
»Buhu«, kam es von Rhada. Ein sarkastisches Lächeln lag auf ihren Lippen, doch die Antwort kam prompt: Bedrohliches Knurren und wütende Blicke von allen Seiten. Selbst das ließ sie nicht wirklich aus der Fassung bringen. Grinsend senkte sie den Blick auf die Tischplatte, als wäre es nur ein Spiel für sie.
Nicht mal Erik war bereit, den Kommentar einfach so stehen zu lassen. »Darüber kannst du unmöglich lachen, Dämonin!« Seine Stimme klang gefährlich leise, als ob er die Kontrolle mühsam hielt.
»Doch, kann ich, wie du siehst, Engel. So schrecklich ist das für mich nun wirklich nicht. Dann wäre zumindest klar, wer endgültig die Macht an sich reißt.« Rhadas Grinsen wurde breiter, sie genoss es sichtlich, die Anspannung weiter anzuheizen.
»Es reicht!« Nightons Stimme schnitt durch den Raum wie ein Schwert. Rhada sah ihn überrascht an, aber nicht nur sie. Wahrscheinlich wunderten sich alle, dass er plötzlich so autoritär auftrat, nachdem er bisher ruhig und gelassen gewirkt hatte. Tja, wenn die wüssten!
»Keiner wird in Oberstadt einfallen, und Asmodeus wird nicht erweckt.« Seine Worte waren tief und von einem unterschwelligen Brummen begleitet, das mir eine Gänsehaut über den Rücken jagte. Seine Augen blitzten gefährlich auf, und sein Blick landete direkt auf mir. Ein heißes Brennen breitete sich in meinem Magen aus.
»Um ihn zu erwecken, benötigen sie Jennifers Blut. Nur sein Kind kann ihm das Leben zurückgeben.« Nighton verschränkte die Arme, sein Gesicht wurde härter, als er fortfuhr. »Selenes Schergen, Riakeen und Dorzar, haben in den letzten Wochen einiges versucht, um an sie heranzukommen – mitunter erfolgreicher, als es mir lieb ist.« Eine schmerzvolle Grimasse huschte über sein Gesicht, als ob allein der Gedanke an diese Versuche ihn quälte. Ich wusste genau, worauf er anspielte, und senkte rasch den Blick. Das war das Letzte, woran ich erinnert werden wollte.
»Und ich bin sicher, dass sie es weiterhin versuchen werden. Auch wenn ich gern früher von dem Vorschlag des Rates erfahren hätte...« Er warf Michael einen vorwurfsvollen Blick zu, der jedoch keinerlei Reaktion zeigte. »...so können wir mit diesem Bündnis vielleicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Gemeinsam könnten wir uns den Menschen stellen und Jennifer gleichzeitig besser schützen.« Nighton ließ ein missmutiges Lächeln folgen. »Ich muss zugeben, Selene zu vernichten erscheint mir einfacher, als auf dieses Mädchen aufzupassen.«
Sein Lächeln traf mich, und ich erwiderte es mit einem seufzenden Augenrollen. Typisch Nighton.
Einige der Anwesenden tauschten Blicke aus, während die Worte in der Luft hingen. Nekira jedoch sah Nighton skeptisch an. »Und wo genau soll dieses... Bündnis seinen Standort haben? Wir brauchen Platz. Schließlich sind wir, den Erzengel ausgeschlossen, zu acht.«
Nighton hob nur eine Braue und korrigierte sie. »Zu dreizehnt. Es würden noch drei Engel und zwei Dämonen dazustoßen, darunter zwei Jungengel und eine Jungdämonin.«
Erik zog die Stirn kraus. »Was es auch nicht leichter macht, sich aus dem Weg zu gehen.«
Dieser Kommentar war scheinbar an Rhada gerichtet. Die beiden hatten sich schon die ganze Zeit über voller Abneigung angeschaut.
»Ist okay, wenn du Angst vor uns Dämonen hast«, erwiderte Rhada gespielt freundlich, doch die Angriffslust in ihrer Stimme war unüberhörbar. Das war zu viel. Erik sprang auf, die Spannung entlud sich schlagartig in seinem wütenden Blick. Ich hätte nicht gedacht, dass er zu so viel Emotion in der Lage war. Bevor er jedoch explodieren konnte, donnerte ein lauter Schlag durch den Raum. Michaels Schwert traf den Boden mit einem solchen Krachen, dass es alle innehalten ließ.
»Aufhören, deshalb sind wir nicht hier!«, dröhnte Michael. Seine tiefe Stimme ließ abermals den Raum erzittern. Sein Blick fegte wütend durch die Runde, bis wieder Ruhe einkehrte. Als er weitersprach, war sein Tonfall ruhiger, aber die Dringlichkeit in seiner Stimme blieb deutlich. »Es gibt durchaus Standorte weltweit, die genug Platz und Kapazitäten bieten, damit wir nicht ständig aufeinander hocken. Ich werde Meister Tharostyn konsultieren und euch zu gegebener Zeit über einen geeigneten Ort informieren.« Er ließ seinen Blick durch die Runde wandern. »Gibt es jemanden unter euch, der seine nahe Zukunft nicht Seite an Seite mit den hier Anwesenden bestreiten will?«
Keiner regte sich. Das war wohl Antwort genug. Zufrieden zog Michael die Mundwinkel ein wenig nach oben. »Dann lasst uns den Gipfel hiermit vorerst beenden. Das Wichtigste wurde gesagt. Kehrt sicher in eure jeweiligen Heimaten zurück.«
Blicke wurden ausgetauscht, zögernde, fragende. Andrasz war der Erste, der laut aussprach, was ich selbst dachte: »Wie, das war’s schon?« Er runzelte die Stirn, sein verwirrter Blick glitt zu Michael. »Regt sich das Alter langsam, Erzengel?«
Michael verzog das Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen. »Amüsant, Dämon. Nein, ich fühle mich keineswegs alt.« Seine Stimme klang gereizt, fast bissig. »Dieses Treffen galt nur der Klärung, ob überhaupt jemand hier bereit ist, den nächsten Schritt zu gehen und in die Gemeinschaft einzutreten.«
Calista runzelte die Stirn. »Und wie geht’s weiter? Was passiert bis dahin?«
Nighton trat ein paar Schritte nach vorne und verschränkte die Arme. »So wie ich das verstehe, kehrt ihr alle dahin zurück, wo ihr hergekommen seid. Sobald wir eine geeignete Stätte gefunden haben, wird man euch kontaktieren.«
Bevor ich den nächsten Atemzug machen konnte, hörte ich Elorias klare, fast zu neugierige Stimme: »Und was tut der Yindarin währenddessen?« Ihr Ton ließ mich zusammenzucken. Ihr Interesse klang in meinen Ohren zu... aufdringlich.
Nighton blieb ruhig. Er sah mich an, bevor er antwortete. »Das, was ich seit neunzehn Jahren tue. Auf sie aufpassen. Und die Jungblüter trainieren. Auf die Attacken der Zwillinge reagieren. Und die Lage mit den Menschen beobachten.«
»Ich kann helfen«, warf Eloria überraschend ein. Ihr Blick war jetzt auf mich gerichtet, fast schon zu intensiv. »Wenn es euch nichts ausmacht, würde ich euch gern schon jetzt begleiten. Ich bin nirgendwo verwurzelt.« Nighton zuckte mit den Schultern und erwiderte: »Wie du willst. Ich bezweifle, dass es Jason was ausmacht. Und etwas Unterstützung wäre sicher nicht schlecht.«
Widerwillig nickte ich, auch wenn mir der Gedanke, diesen hübschen Engel im Haus zu haben, nicht gerade gefiel. Ich konnte sie nicht einschätzen, und irgendetwas an ihr machte mich nervös. Aber Michael und die anderen schienen ihr zu vertrauen – zumindest genug, um sie hierher einzuladen. Das musste doch ausreichen, oder?
Trotzdem fühlte ich mich etwas überrumpelt. Ich hatte nicht gedacht, dass dieses Gipfeltreffen so schnell vorbei wäre, und dann auch noch damit enden würde, dass Eloria bei uns einzog.
Langsam machte sich Aufbruchstimmung breit. Ich stand auf und sah zu, wie sich alle voneinander verabschiedeten – mal mehr, mal weniger herzlich. Nekira nickte mir als Einziger zu und wirkte dabei fast ehrerbietend. Das war mir unangenehm, aber ich zwang mich zu einem Lächeln. Eloria schlenderte nach draußen, wo sie prompt in ein Gespräch mit Mortimer verwickelt wurden. Worum es ging, bekam ich nicht mit, denn da stand Michael vor mir, seine Miene wohlwollend. Er nickte mir zu, umrundete mich und verschwand dann.
Nachdem alle weg waren, kam Nighton zu mir, die Hände lässig in den Taschen seines dunkelgrünen Kapuzenullovers vergraben. Er neigte den Kopf ein wenig zur Seite und raunte: »Na?«
Ich sah zu ihm hoch und konnte mir ein freches Grinsen nicht verkneifen. »Kann ich Euch etwas bringen, großer Herrscher und Meister?«
Er zog die Augenbrauen hoch, holte tief Luft und stieß sie mit einem theatralischen Augenrollen wieder aus. »Das wirst du mich so schnell nicht vergessen lassen, oder?«
Ich verschränkte die Arme. »Keine Chance.«
In seinen Augen glomm es auf. »Vielleicht kann ich es ja nachher wieder gutmachen.« Sein Blick war so intensiv, dass ich fast schwören könnte, er hätte mich gerade verschlungen. Doch so leicht ließ ich mich nicht beeindrucken.
»Pah«, machte ich abwehrend und hob das Kinn. »Auf diese Art Wiedergutmachung kann ich verzichten. Und zwar recht lange.«
Sein Blick funkelte nur noch stärker, als er mit einem leisen Lachen entgegnete: »Ach ja?« Er trat einen Schritt näher, und bevor ich mich versah, wich ich hastig zurück.
»Ja! Du wirst schon sehen! Ich komme nicht zuerst an!« Mein Tonfall war schärfer, als ich es beabsichtigt hatte, aber Nighton lachte nur laut auf und feixte: »Das will ich sehen. Herausforderung angenommen! Jetzt komm, lass uns packen. Immerhin hast du morgen Schule.«
»Schule?«, ertönte eine erstaunte Stimme, und wir beide drehten uns synchron um. Eloria stand im Türrahmen und lächelte belustigt. »Wenn ich an meine Schulzeit denke... ach, das ist schon so lange her!« Sie zuckte mit den Schultern, dann musterte sie Nighton mit funkelnden Augen. »Gehen wir heute Abend auf die Jagd, Yindarin? Ich würde gern sehen, wie du kämpfst. Es ist ewig her, dass ich Deinesgleichen getroffen habe.«
Ich biss mir auf die Lippe, als Nighton tatsächlich kurz überlegte. Irgendwie störte es mich, dass sie ihn das so einfach fragte – und noch mehr, dass er es ernsthaft in Erwägung zog. Natürlich sagte er zu. Innerlich rollte ich mit den Augen. Was wollte sie überhaupt jagen? Menschen?
»Wann brechen wir zu eurem Domizil auf?«, fragte Eloria im Anschluss.
Nighton schaute auf die Standuhr in der Ecke. »In einer halben Stunde treffen wir uns.« Eloria stimmte zu, nickte mir zu und verschwand ins Foyer.
Zurück in unserem Zimmer packten wir unsere Sachen zusammen, was länger dauerte, als es sollte. Immerhin lag unser gesamtes Hab und Gut im Zimmer verstreut herum. Schließlich schafften wir es doch und machten uns auf den Weg aus der Burg – Eloria im Schlepptau. Draußen erwartete uns Mortimer, der mitten in einem Blumenbeet stand und Hortensien bewässerte. Das war seltsam. Es hatte doch erst gestern geregnet. Aber ehrlich gesagt, hatte ich keine Lust, darüber nachzudenken, also nickte ich dem merkwürdigen Keeper einfach nur zu.
»Bis bald«, sagte er und hielt inne, als unsere Blicke sich trafen. Sein Ton ließ mir einen Schauer über den Rücken laufen. Bis bald? Ich hatte definitiv nicht vor, so bald wiederzukommen.
Als wir uns dem Fallgitter näherten, sahen wir das Mädchen und den Jungen von gestern Morgen. Sie erkannten uns sofort und schlugen rasch eine andere Richtung ein, als hätten sie vor, sich möglichst weit von uns fernzuhalten. Ich musste grinsen. Offensichtlich hatte Nighton Eindruck hinterlassen.
Auf dem Weg zum Teleportstern unterhielt sich Eloria für meinen Geschmack etwas zu angeregt mit Nighton. Ihre Stimme war hell, ihr Lachen klang engelsgleich, und ich konnte nicht anders, als ihren wackelnden Hintern zu beobachten. Wieso wackelte sie so damit? War das absichtliche Anmache? Ich verdrehte innerlich die Augen, während sie von ihrer Heimat erzählte. Guatemala, wie ich erfuhr. Aber ich hörte ihr nur halb zu, zu abgelenkt von dem Flirten, das vor meinen Augen stattfand.
Kaum hatten wir das kleine Wäldchen hinter uns gelassen und standen auf dem Teleportstern, drehte Nighton sich endlich zu mir um. Ach, wow. Hatte er bemerkt, dass ich auch noch da war? Seine Hand griff nach meiner, und bevor ich etwas sagen konnte, zog er mich dicht an sich heran. Augen zu, Konzentration auf den Stern. Die Routine war mir vertraut, und ich schmiegte mich an seine Brust, während das vertraute Gefühl des Rotierens mich umhüllte.
Als das Rotieren stoppte, öffnete ich die Augen und stellte fest, dass Eloria mich aufmerksam musterte. Ich erwiderte ihren Blick mit einem übertrieben freundlichen Lächeln und umfasste Nightons Hand noch fester. Ja, ja, pass bloß auf, wen du hier anflirtest, Bitch!
Wir landeten in einer schummrigen Seitengasse, flankiert von hohen Backsteingebäuden, die im Schatten noch bedrohlicher wirkten. Der Teleportstern, von Graffiti übersät, lag hinter uns, als wir die wenigen Straßen Richtung Kirche liefen. Nighton erklärte knapp, warum wir hier lebten, und obwohl Eloria aufmerksam lauschte, drifteten meine Gedanken ab.
Wie würde es sein, Eloria jetzt um uns zu haben? Würde sie wirklich ins Gefüge passen? Oder würde es bald zu Spannungen kommen? Ich konnte es nicht sagen, aber irgendwas nagte an mir. Die Vorstellung, London zu verlassen, machte mich auch nervös. Was, wenn der Stützpunkt weit weg sein würde? Ich wollte hierbleiben. Aber tief in mir wusste ich, dass das vermutlich nicht passieren würde.
Egal. Das würde sich alles bald zeigen.