Es regnete schon den ganzen Nachmittag über. Der Regen wurde begleitet von Gewitter und Sturm, weswegen ich vorzugsweise drinnen blieb und nicht joggen ging, wie ich es eigentlich geplant hatte.
Abends fragte Penny mich plötzlich, ob ich Lust hätte, mit ihr zu kochen. Sie hatte Rosmarin-Kartoffeln mit in Butter gedünsteten Bohnen und Bratwurstschnecken vorgeschlagen. Das Rezept stammte von Jamie Oliver, ihrem Lieblingskoch. Ich hatte nur zögernd zugestimmt. Wir hatten uns zwar beieinander entschuldigt, aber trotzdem wurde ich das Gefühl nicht los, dass ihre Worte immer noch zwischen uns standen.
Sam war ebenfalls mit von der Partie. Er saß mit bandagiertem Oberkörper und hochgelegten Beinen am Küchentisch und spielte Gameboy. Zu gerne hätte ich mit ihm geredet, doch in Pennys Anwesenheit wollte ich das nicht. Allerdings erwies auch er sich als Meister des Totschweigens, denn wäre nicht klargewesen, was er getan hatte, wäre niemand auf die Idee gekommen, dass etwas vorgefallen sein könnte. Er war so drauf wie immer, zwar wirkte er insgesamt noch etwas lädiert, aber er war bester Dinge. Auch mir gegenüber verhielt er sich wie sonst auch.
Nighton war mit Nivia nach Oberstadt verschwunden und Evelyn befand sich, wie leider gut zu hören war, mit Melvyn in der Kiste.
»Hier in der Nähe gibt es schon wieder übernatürliche Aktivitäten«, plauderte Penny plötzlich aus heiterem Himmel drauf los und setzte das Wasser für die Kartoffeln auf. Das monotone Rumsen von oben wurde lauter. Sie verdrehte die Augen zur Decke, seufzte und schraubte am Lautstärkeknopf des Radios herum. Das entlockte mir ein Grinsen.
»Scheint, als hätte Melvyn wenigstens dahingehend Taktgefühl«, scherzte ich. Penny zog eine Grimasse und meinte: »Er kann froh sein, dass Nighton ihn verpasst hat. Ich glaube, wenn die sich sehen, gibt es eine Schlägerei.« Ich brummte zustimmend und erkundigte mich dann: »Was für Aktivitäten meintest du denn?«
»Es gibt Gerüchte über einen unterirdischen Schwarzmarkt in einer Fabrik. Ich bin gespannt, wann wir da hingehen.«
Ich goss Olivenöl über das Blech mit den Bratwurstschnecken.
»Ein Schwarzmarkt? Für was? Für Dämonen?«
»Da vertickt ein Haufen gieriger Dämonen schwarzhaarige Mädchen«, antwortete Sam anstelle von Penny und schrie kurz danach seinen Gameboy an.
»Oder Gameboy-süchtige Engel!«, konterte ich gespielt verärgert. Da klingelte es an der Haustür. Wir drei tauschten einen Blick aus.
»Erwartet ihr jemanden?«, fragte ich verwundert, erhielt aber nur verständnislose Blicke.
»Das ist doch dein Haus«, bemerkte Sam in sein Spiel vertieft und rückte seine Fischmütze gerade, ehe er laut »AQUAKNARRE! TACKLE!«, brüllte.
Oh Mann. Der brauchte echt eine Freundin.
Ich wischte mir die Hände am Geschirrhandtuch ab und ging in den Eingangsbereich. Vollkommen ahnungslos öffnete ich die Haustür.
Da stand Owen.
Ich war so erstaunt, dass ich ihn nur anstarrte. Owen lächelte mich breit und gewinnend an und zwinkerte mir auf machomäßige Art zu, die ich überhaupt nicht leiden konnte. Er war etwa einen Meter achtzig groß, durchtrainiert, hatte braune, gestylte Haare, einen Dreitagebart und funkelnde blaue Augen. Dazu trug er einen maßgeschneiderten, dunkelgrauen Anzug und schwarze Schuhe, an denen jetzt allerdings Schlamm haftete. Es gab bestimmt Frauen, die ihn anziehend fanden, aber bei mir war es eher das Gegenteil. Soweit ich wusste, modelte Owen nebenbei für Unterwäsche und er hatte mir sogar mal einen Kalender von sich geschenkt, den ich aber in den Müll geworfen hatte. Ich wollte keinen halbnackten Owen an meiner Wand hängen haben. Doch in diesem Moment störte mich eigentlich etwas komplett anderes. Nämlich sein Auftauchen. Woher hatte er gewusst, dass ich in Harenstone war?
Dennoch schaltete ich, drängte meinen Chef rückwärts aus der Tür, schloss die hinter mir und zischte: »Owen! Woher weißt du, dass ich hier bin?«
»Lustige Story«, fing Owen an und schob die Hände in die Hosentaschen. Der Regen war so laut, dass ich mich anstrengen musste, ihn zu verstehen.
»Dein Dad und ich hatten mal wieder ein Online-Briefing, gerade kurz nach deinem und meinem Gespräch. Aus Interesse habe ich ihn gefragt, wann du wieder nach Hause kommst. Du sagtest ja, du seist bei Freunden. Und dein Vater meinte dann, dass du vorübergehend woanders wohnst. Er hat das kleine Kaff da hinten genannt, eher unabsichtlich, wie ich meinen möchte. Und von dort aus hat dieses Haus hier auf dem Hügel einfach meine Aufmerksamkeit erregt, und Zack, da bin ich«, erklärte Owen unbekümmert, als sei es das Normalste, mit so einer Schilderung bei anderen Leuten an die Haustür zu klopfen.
Das erklärte allerdings noch immer nicht, wieso er bei so einem Sauwetter hergefahren kam. Im Gegenteil. Es warf eher noch mehr Fragen auf. Die Arme verschränkend erwiderte ich kühl: »Und was ist es, das nicht bis Morgen warten kann? Es muss ja unendlich wichtig sein, wenn du dafür extra hier rausgefahren kommst.«
Gottverdammt, Dad. Hoffentlich hatte er nicht noch mehr ausgeplaudert.
Owen winkte ab.
»Nein, das mit morgen hat sich erledigt, wir müssen die Inventur verschieben. Das hätte ich dir auch von deinem Vater ausrichten lassen können, ich weiß, aber ich habe noch was für dich. Ich wusste nicht, ob wir uns in den nächsten Wochen nochmal sehen, und ich wollte es dir unbedingt persönlich geben.«
Er griff in die Tasche seines Jacketts und beförderte einen edlen Umschlag hervor, den er mir reichte. Ich zog eine Augenbraue hoch und nahm ihn kritisch dreinblickend entgegen.
»Was ist das?«, fragte ich.
Mit auf den Umschlag gesenktem Blick erklärte er: »Mein Vater wird am ersten Oktober sechzig und gibt eine Riesenparty in seiner Sommervilla. Trish fliegt aber mit ihrer Mutter nach Ibiza und deshalb wollte ich dich fragen, ob du Lust hast, zu kommen. Du leistest immer so tolle Arbeit und Trish fand, ich solle dich fragen.«
Ich runzelte die Stirn. Das war ja ganz nett und so - aber das machte sein Auftauchen nicht weniger gruselig. Ich wusste nicht, woher das Gefühl kam, aber etwas sagte mir, dass da mehr hinter steckte.
Nach wie vor etwas unerfreut erwiderte ich also: »Und das hättest du mir nicht auf die Mailbox sprechen können?«
»Nein. Ich wollte dein Gesicht sehen, ich habe nämlich noch eine Überraschung parat.« Er ruckelte mit den Augenbrauen, als würde er darauf warten, dass ich nachhakte. Da ich das nicht tat, zog er kurz eine enttäuschte Grimasse, bevor er mit seiner Überraschung herausrückte: »Da mein Vater ein bekannter Mann ist, hat er viele Bekanntschaften, und eine davon ist Stephen King. DER Stephen King, und weißt du was? Er ist auch geladen!«
Für eine Sekunde hatte ich meine Gesichtszüge nicht unter Kontrolle. Stephen King? Der war mein absoluter Lieblingsautor! Um den zu treffen, würde ich über Leichen gehen- Owen entgingen meine großen Augen nicht. Er lachte, und ehe ich auch nur ansatzweise den Mund öffnen konnte, sagte er: »Super. Dann ist das ja geklärt. Ich hole dich übernächste Woche Freitag um sechs ab. Aber in London, wenn‘s geht, das hier draußen ist so weit ab vom Schuss.«
»Moment!« Ich wollte nachfragen, wie sicher es war, dass Stephen King dort erscheinen würde, da, es musste ja so kommen, tauchte Nighton auf dem Kiesvorplatz auf. Er war durch den Regen patschnass, was ihm aber nichts auszumachen schien. Und seinem Aussehen war es auch nicht abträglich, ganz im Gegenteil. Ich erwischte mich dabei, wie ich seine Arme anstarrte, die von seinem Oberteil modelliert wurden.
Er kam durch den Regen auf uns zu. Ich konnte sehen, dass er im Gehen kurz stockte, als er Owen bei mir erkannte. Seine Augen verengten sich auf eine merkwürdige Art und Weise, was nicht gerade ein gutes Zeichen war.
Meinem Chef entging nicht, dass ich an ihm vorbeigesehen hatte. Er wandte sich um.
»Oh! Hi Newton!«, rief Owen gut gelaunt.
Verblüfft schaute ich ihn an. Woher wusste Owen, wer Nighton war? Davon abgesehen, dass er ihn Newton genannt hatte - ich hatte ihm nie etwas von Nighton erzählt! Hatte mein Dad etwa auch das vom Stapel gelassen?
Owen lächelte mich an, wünschte mir eine schöne Zeit bis zur Party, winkte mir und verließ dann, sein Jackett über den Kopf ziehend, die überdachte Veranda.
Er lief an Nighon vorbei, der ihn dabei nur seltsam musterte und ihm knapp zunickte. Ich sah ihm zu, wie er über den Vorplatz aus Kies stürmte, ehe ich meinen Blick zu Nighton lenkte, der in diesem Moment die Veranda betrat. Auch er schaute Owen hinterher, einen missmutigen Ausdruck in den Augen. Sobald Owens Silhouette durch den Regenvorhang nicht mehr auszumachen war, forschte Nighton mit argwöhnischem Gesichtsausdruck: »Wer bei allen Höllenkreisen war das denn?«
»Das war Owen.«
»Aha«, machte er und strich sich das nasse Haar nach hinten, das durch den Regen dunkler geworden war.
»Warum war der hier? Woher wusste er überhaupt, wo du bist? Harenstone ist doch ein geheimer Ort! Hast du ihm was gesagt?«
Fast gekränkt beschwerte ich mich: »Was denkst du denn von mir? Als ob ich sowas tun würde! Mein Dad hat sich anscheinend verplappert. Warum so grimmig, Newton?«
Ich musste mich zusammenreißen, am Ende meiner Worte nicht zu grinsen. Nighton verengte wieder die Augen. Ihm entging nicht, dass ich diese Namensverschandelung extrem lustig fand.
Er grummelte. »Ich bin nicht grimmig, nur vorsichtig. Was wollte der Kerl?«
Irgendwie gefiel es mir, dass ihm nicht gefiel, dass Owen hier aufgeschlagen war. Das hatte das gewisse Etwas. Also hob ich das Kinn an, süffisant lächelnd und stellte eine Gegenfrage, den Umschlag verbergend: »Warum denkst du, dass dich das was angeht?«
Nighton legte den Kopf schief. Meine Antwort schien ihm nicht zu schmecken. Dennoch rang er sich ein grimassenartiges Lächeln ab und entgegnete patzig: »Na fein, dann sag es mir nicht. So sehr interessieren tut mich das eh nicht.« Damit wollte er an mir vorbeigehen, doch mein gedehntes »Mh-hm« hielt ihn zurück. Er blieb neben mir stehen, eine Hand auf dem Türgriff. Herausfordernd hob er das Kinn an und funkelte mich an.
»Was?«
Ich zog abschätzig eine Augenbraue hoch.
»Da hat wohl einer Angst vor Konkurrenz«, überlegte ich, schwang das Geschirrhandtuch einige Male wie ein Lasso im Kreis, schaute Nighton vielsagend an und lief als Erste zurück ins Haus. Hinter mir hörte ich ihn nach Luft schnappen. Er folgte mir und donnerte die Haustür zu, ehe er mir hinterherschleuderte: »Konkurrenz? Was? Der da? Wieso? Konkurrenz zu was? Zu mir? Ha! Außerdem habe ich vor überhaupt nichts Angst!«
Ich ließ nur ein weiteres, diesmal deutlich lauteres »Mh-hm« ertönen. Doch anstatt die Sache mit mir auszudiskutieren, knurrte Nighton auf, ballte die Hände zu Fäusten und verschwand nach oben. Ich konnte eine Tür zuknallen hören.
Das trieb mir ein siegessicheres Grinsen aufs Gesicht. Offenbar hatte ich Recht.
Jetzt musste ich mir nur noch überlegen, ob ich übernächste Woche wirklich mit auf diese ominöse Party gehen wollte. Allerdings war Stephen King schon ein ausgesprochen starkes Argument dafür.