Zu meiner Verwunderung kamen wir mitten in einem weitläufigen Baugebiet raus. Der Wind fuhr eisig durch die leeren Straßen und wirbelte einzelne Schneeflocken auf, die wie geisterhafte Tänzer durch die Luft schwebten. Überall ragte Bagger und rostige Container aus dem Boden, dazwischen stapelten sich Paletten und Betonplatten wie stumme Wächter dieses trostlosen Ortes. Kaum hatte Nighton mir von der schräg stehenden Teleportplatte geholfen, die halb auf einer Böschung zwischen ein paar verkümmerten Büschen lag, rutschte ich auch schon aus. Aber er hielt mich.
»Wo sind wir hier?«, fragte ich, nachdem ich mein Gleichgewicht wiedergefunden und mir das Stirnband über die Ohren zog. Ein fröstelndes Gefühl schlich sich in meine Glieder – und das lag nicht nur an der Kälte.
Nighton sah sich mit verschlossenem Gesichtsausdruck um, das Kinn leicht angehoben. Er legte einen Arm um mich und brummte: »In einem alten Wohngebiet im Süden Londons. Die haben es kürzlich abgerissen, hier soll bald eine Mall entstehen.«
Ich runzelte die Stirn. Moment mal! Hatte ich hier nicht vor ein paar Monaten… Sam bei dieser Party meines Kurses getroffen? Unangenehme Erinnerungen drängten sich in meine Gedanken – die Badewanne, der Ghul… ich musste unwillkürlich schlucken und versuchte, diesen Schauder abzuschütteln. Was ein Zufall, dass wir nun an genau derselben Stelle standen.
Nighton und ich beeilten uns, den anderen hinterherzukommen. Mein Blick wanderte über die Szenerie und blieb an einem gähnenden Loch in de Erde hängen, das hell ausgeleuchtet von Baustrahlern wie ein klaffender Riss im Boden lag. Die Grube war enorm – tief und weit – und darin liefen einige Engel herum, von denen ich die meisten noch nie gesehen hatte.
Am Grund der Grube lag der Wurm, gänzlich ohne Gitterstäbe. Er atmete in leisen, heiseren Lauten, die die Erde zum Beben brachten und an den Mauern der Grube widerhallten. Es wirkte, als lauschte der Boden selbst seinem Keuchen. Scheinbar hatte man den Dämon betäubt, anders konnte ich mir diesen teilnahmslosen Zustand nicht erklären. Während ich ihn betrachtete, lief mir ein Schauer über den Rücken. Was ein Monstrum! Ich wusste nicht, was ich mehr fürchtete – den Anblick des Wurms oder die Spannung, die wie ein Beben durch die Luft ging. Ich mochte gar nicht daran denken, was passieren würde, wenn die Menschen ankämen und sich Nighton schnappten.
Am Rande der Grube sah ich Jason mit Raphael und Gil, die gemeinsam einen alten Bagger zur Seite schoben, während Michael die meterhohen Wände abtastete. Gabriel stand abseits, konzentriert sein Schwert schärfend, und auf einem hohen Container ganz in der Nähe ließ Uriel wachsam ihren Blick schweifen. Etwas weiter oben entdeckte ich eine Bewegung: Penny und Elisa balancierten hoch oben auf dem Arm eines Krans, beide mit verschränkten Armen. Penny winkte mir, und ich winkte zurück. Die Engel schienen wirklich nichts dem Zufall überlassen zu wollen.
Melvyn, Nivia, Sam und Evelyn sprangen bereits in die Grube hinunter und halfen den Engeln, während Nighton und ich auf Tharostyn zugingen, der das Ganze auf seinen Stock gestützt von oben beobachtete und in bestimmten Abständen Anweisungen rief. Zu meiner Überraschung standen Namilé und Ashila hinter ihm, die ich schon lange nicht mehr gesehen hatte. Als die beiden mich erblickten, senkten sie beinahe synchron ihre Köpfe.
Langsam lenkte ich meinen Blick auf den Wurm. Sein gequältes Atmen hallte dumpf in der Stille. Eine Frage kroch unbehaglich in mir hoch – wie genau hatten die Engel vor, mit ihm umzugehen? Ihn im Zaum zu halten? Ich hatte von Grottenmahren bisher immer nur in Büchern gelesen, sie aber nie in Aktion erlebt. Ich wusste bloß, dass sie als schwer zu stoppende Kampfmaschinen galten.
»Keine Angst. Ich passe auf, dass er dir nicht zu nahekommt«, versprach Nighton mir plötzlich leise, als wäre ihm aufgefallen, wie ich den unbeseelten Dämon gemustert hatte. Ich sah zu ihm auf und entgegnete: »Ich habe keine Angst vor dem Mahr. Aber davor, dass das mit den Menschen schiefgeht. Ich will nicht, dass irgendwem etwas passiert.« Ich dachte an Ajax.
»Wenn der hier aufkreuzt, wird er nichts zu lachen haben«, grollte Nighton, doch da räusperte sich schon Tharostyn, der auf uns zugehumpelt kam. »Das ist doch ein guter Ort, nicht wahr?« Der alte Engel hielt vor uns an und stützte sich auf seinen Stock. In seinen Augen lag ein Funkeln, als wäre Tharostyn stolz.
Nighton richtete sich auf. Seine Stirn legte sich in skeptische Falten. »Das werden wir sehen«, murmelte er, sich mit finsterer Miene umsehend. Seine Antwort brachte Tharostyn zu einem kurzen Schmunzeln.
»Werden wir.« Er schaute zur Grube, bevor er alle Anwesenden mit erhobener Stimme herbeirief. Innerhalb weniger Sekunden hatten sich alle Engel und Dämonen um uns versammelt. Michael, der hinter mir stand, drückte mir die Schulter, und Penny, die neben mir gelandet war, hakte sich bei mir ein. Eine prickelnde Spannung lag in der Luft, und ich konnte den erwartungsvollen Ausdruck auf ihren Gesichtern sehen. Tharostyn begann, seinen vermeintlich genialen Plan zu erklären.
»Jeder wird seinen ihm zugewiesenen Posten beziehen und sich dort nicht fortbewegen, bis die Menschen eintreffen. Wir wissen nicht genau, wie viele kommen werden, aber eines ist sicher – sie werden hier erscheinen. Sobald sie eintreffen, werden unsere Jägerinnen…«, sein Blick glitt zu Namilé und Ashila, die ihm zunickten, »…den Wurm beseitigen. Er wird keine Gefahr mehr darstellen, aber die Menschen sollen ihn zu Gesicht bekommen. Danach beginnt Phase zwei.«
Die Anspannung, die von dem alten Engel ausging, lag wie ein schwerer Schatten über der Gruppe. Selbst mein Herz pochte schneller – das Gefühl der kommenden Konfrontation flimmerte in der Luft. Ohne den Blick zu senken, sprach Tharostyn weiter: »Keiner von euch wird einen Menschen angreifen, egal, welche Gräueltaten sie uns gegenüber begangen haben. Niemand wird eine Waffe ziehen oder ihnen sonst wie zu Leibe rücken – die Oberste will heute Abend kein Blutvergießen, weder menschliches noch unseres. Und das Sprechen überlasst ihr mir!«
Sein eindringlicher Blick verharrte auf Nighton, der nur finster dreinschaute und die Arme verschränkte. Seine Haltung strotzte nur so vor Widerstand. Ich spürte die Spannung in ihm, doch ehe er etwas entgegnen konnte, wandte sich Tharostyn mir zu.
»Und sie, Miss Ascot, haben die wohl elementarste Aufgabe.« Er hielt kurz inne, und seine Worte ließen meine Gedanken schlagartig durcheinanderpurzeln und mein Herz versacken. Eine Aufgabe für mich? Eine eigene Rolle? Stolz mischte sich mit einem Anflug von Panik, doch ich hoffte, dass niemand mir meine Unsicherheit ansehen würde.
Im Augenwinkel sah ich, wie Uriel das Gesicht verzog, als würde ihr der Gedanke nicht gefallen, und auch Nightons Reaktion entging mir nicht. Ein Schnauben verließ seine Lippen, als er Tharostyns Worte hörte. Scheinbar hatte auch er nicht mit sowas gerechnet. Doch bevor er eingreifen konnte, sprach der alte Engel weiter, ein erwartungsvolles Funkeln in seinen Augen. »Sie, Miss Ascot, werden unser Lockvogel sein. Keine Sorge, Sie müssen nur einen Notruf über eines dieser flachen Fernsprechgeräte absetzen und dabei überzeugend wirken.«
Die Art, wie er ‚Fernsprechgerät‘ sagte, entlockte mir fast ein Lachen. Tharostyn jedoch blieb ernst, und das Lächeln verschwand aus meinem Gesicht. »Meinen Sie, dass Sie das schaffen?«
Gerade wollte ich ihm bekräftigend antworten, da spürte ich, wie Nighton sich aufplusterte. »Und wie genau stellt Ihr Euch das so vor?«, fragte er grimmig, und seine Augen verengten sich beim Sprechen. Ich sah zu ihm auf überrascht von seinem Einwand.
»Das schaffe ich doch mit Links!«, rief ich und stieß ihn sanft in die Seite, aber ich wurde ignoriert.
Tharostyn begegnete Nightons verärgerter Art mit einem ruhigen Nicken und erklärte dann geduldig: »Miss Ascot wird über die gängige Notrufnummer der Polizei melden, dass sie hier, am Rande der Baustelle, nach ihrem entlaufenen Hund sucht. Dabei, so soll sie berichten, habe sie etwas Unheimliches gehört und schließlich, so glaubt sie, einen riesigen Wurm gesehen, der etwas mit dem kürzlich entdeckten Internat und den Nachrichten in der Menschenwelt zu tun haben könnte.« Er musterte mich eindringlich und fuhr dann mit einem aufmunternden Lächeln fort. »Verleihen Sie der Geschichte ruhig etwas Dramatik, Miss Ascot, um die Aufmerksamkeit der Polizei zu wecken.«
Ich nickte. Ein kurzer Notruf, eine Prise übertriebene Dramatik – das lag mir. Das traute ich mir zu.
Nightons angespanntes Gesicht glättete sich etwas, als er die Details vernahm, aber seine Augen blieben misstrauisch. »Na gut. Solange sie nichts weiter tun muss als sprechen…« Seine Stimme klang ruhiger, doch der warnende Unterton blieb bestehen.
Ich sah zu ihm hoch und schickte ihm ein beruhigendes Lächeln. Dabei hakte ich mich bei ihm ein. Die feinen Anzeichen seines Unbehagens verrieten mir, dass er diesen Plan immer noch mit Vorsicht betrachtete. Aber ich war der Meinung, dass Sorge unnötig war.
»Sobald Sie den Notruf abgesetzt haben, werden Sie sofort zu Uriel gehen und dort in Deckung bleiben, bis keine Gefahr mehr besteht. Sie hat sich bereit erklärt, für ihren Schutz zu sorgen«, fügte Tharostyn noch hinzu, bevor er plötzlich einmal in die Hände klatschte und laut »Wunderbar!« rief. »Wenn jeder seinen Platz eingenommen hat, beginnen wir.« Kaum hatte er das ausgesprochen, begann sich die Gruppe zu verteilen. Evelyn stieß mir leicht gegen die Schulter und grinste mich an, bevor sie Sam folgte, und auch Michael schickte mir einen Blick, der mir wohl Mut machen sollte. Nur Nighton blieb bei mir stehen, doch als Tharostyn sich von Ashila ein Smartphone reichen ließ, das ihn sichtlich zu überfordern schien, ließ ich Nighton los. Ich beobachtete den alten Engel amüsiert, wie er verwirrt auf dem brandneuen Handy tippte, bis Ashila sich räusperte und das Gerät in seinen Händen richtig herumdrehte. Er brummte leise vor sich hin, dann drückte er entschlossen den grünen Button mit dem Telefonsymbol und rief fast triumphierend, als sich das Tastenfeld öffnete: »Aha! Mich besiegst du nicht, teuflische Technik!«
Ich hatte kaum Zeit, mich darüber lustig zu machen, denn da reichte mir der alte Engel schon das Handy. Auf einmal klopfte mir das Handy bis zum Hals. »Denken Sie an das, was ich Ihnen sagte, Miss Ascot. Sie müssen den Wurm mit dem in Verbindung setzen, was in den Menschennachrichten gesendet wurde. Der Polizeifunk wird von TI überwacht, die sollten also schnell reagieren.«
Wieder nickte ich, woraufhin der alte Engel sich zusammen mit Ashila und Namilé ein Stück zurückzog. Vor Aufregung rutschte mir fast das Handy aus den Händen. Doch kaum hatte ich es fester umfasst, drehte Nighton mich zu sich um. Ich konnte die Sorge in seinen Augen erkennen, als er leise sagte: »Mach es genau so, wie Tharostyn gesagt hat. Nachdem du diesen Notruf abgesetzt hast, will ich, dass du sofort zu Uriel gehst und an ihrer Seite bleibst, bis ich dich holen komme. Kein Risiko, keine Abweichungen. Okay?«
»Keine Sorge. Ich schaffe das schon. Und ja, ich verspreche es dir. Keine Alleingänge, keine Unvorsichtigkeiten.«
Nighton lächelte erleichtert, bevor er murmelte: »Gut. Das wollte ich hören. Jetzt ruf an. Bin gespannt, was du draus machst.« Sein Lächeln schlug um ihn ein Grinsen, in dem allerdings auch ein wenig Stolz mitschwang, als fände er es plötzlich doch gut, dass man mich mit dieser Aufgabe betraut hatte. Dann trat er einen Schritt zurück und zeigte auf das Handy. Ich atmete tief durch.
»Gut, dann wollen wir mal!« Mit einem tiefen Atemzug und leicht zitternden Fingern tippte ich die Nummer der Polizei ein und direkt auf das Wählen-Symbol. In mir brodelte eine Mischung aus Anspannung und unterdrücktem Lachen, also drehte ich mich kurz von den anderen weg, wedelte mur mit einer Hand Luft zu und atmete laut aus, um nicht sofort in Gekicher auszubrechen.
Nach einem kurzen Tuten meldete sich eine männliche Stimme: »Dies ist die Notfallnummer, wie können wir Ihnen helfen?«
Ich drehte mich zu den anderen zurück und fing an, mit einer zitternden, panischen Stimme zu wimmern: »Oh Gott, Sie müssen sofort kommen, ich brauche Hilfe!« Ich wimmerte verzweifelt und drückte auch noch ein paar Tränen hervor, die meine Stimme geradezu quälend belegt klingen ließen.
Nighton hob die Brauen und musste merklich ein Grinsen unterdrücken, während Raphael und Gabriel sowie Gil mich anstarrten, als könnten sie kaum glauben, was sie da hörten. Tharostyn hingegen lächelte zufrieden.
»Wo sind Sie, und was ist passiert?«
»Also – ich bin in diesem alten Wohngebiet in South Hampton, wo diese Mall entstehen soll, und – ach, mein kleiner Hund ist einfach weggelaufen, und dann-« ich senkte die Stimme, um Spannung aufzubauen und verschwörerisch zu klingen, »- dann habe ich etwas gesehen!«
»Was haben Sie gesehen, Miss? Sind Sie gerade in akuter Gefahr?«
Wieder ließ ich ein theatralisches Schluchzen hören, während ich hastig Atem holte und dann regelrecht hechelte, als hätte ich gerade einen Marathon hinter mir. »Ich – ich weiß es nicht, es ging so schnell! Zuerst war da nur dieses ganz schreckliche Geräusch, und dann – ja, dann habe ich etwas gesehen, dass wie ein Riesenwurm aussah1 Und – und ich glaube, es hat meinen…«, ich stockte, suchte fieberhaft nach einem Namen, »…Albert verschlungen!«
Ich brach in einen überzeugenden Heulkrampf aus. Im Hintergrund hörte ich Sam und Evelyn schnaubend lachen, während Nighton mich mit leicht offenstehendem Mund beobachtete. Ich musste mich wegdrehen, um nicht vom Lachen meiner Freunde angesteckt zu werden. Tharostyn tauschte derweil einen anerkennenden Blick mit Michael aus, als wäre er stolz darauf, mich für diese Aufgabe auserkoren zu haben.
»Wurden Sie verletzt? Brauchen Sie einen Krankenwagen?«, fragte die Stimme am anderen Ende, hörbar alarmiert. Offenbar zeigten meine schauspielerischen Künste Wirkung.
»Nein, ich – mir geht es gut, aber dieses Wesen, wissen Sie, was, wenn das etwas mit diesen – diesen Dingen im Fernsehen zu tun hat? Es sah aus wie ein schreckliches Monster!«, wimmerte ich weiter. Eine verblüffte Stille herrschte einen Moment am anderen Ender der Leitung. Dann versicherte mir der Mann: »Wir schicken sofort einen Streifenwagen. Bitte bringen Sie sich in Sicherheit und sagen Sie mir Ihren Namen.«
Mit einem kurzen Zögern antwortete ich: »Mein Name ist – Brittany Hayes!« Ich hatte nach dem erstbesten Namen gegriffen, der mir eingefallen war – in dem Fall den von der blöden Brittany, die keine Ahnung hatte, dass ich ihren Namen gerade an einer Notrufnummer erwähnt hatte.
»Gut, Miss Hayes, die Polizei wird in Kürze eintreffen. Bringen Sie sich in Sicherheit und legen Sie nicht auf.«
»Oh nein, da ist er schon wieder, bitte kommen Sie schn…«, ich gab ein paar undefinierbare Laute von mir, bevor ich auflegte. Dann ließ ich das Telefon sinken, richtete mich auf und räusperte mich, während ich die weinerliche Grimasse fallen ließ. Mit den Daumenknöcheln wischte ich mir links und rechts die Tränen unter den Augen weg, darauf bedacht, mein Make-Up nicht zu ruinieren, und sah Tharostyn an, der zufrieden nickte. Hinter mir brach Applaus los. Sam und Evelyn, die sich immer noch vor Lachen schüttelten, klatschten wild, genauso Penny hoch oben auf dem Kran, und selbst die sonst so emotionslosen Jägerinnen tauschten amüsierte Blicke aus. Gil zeigte mir den erhobenen Daumen und Jason grinste sich ebenfalls einen ab. Tharostyn sagte etwas zu Michael, der brummelnd auflachte, und rief dann aus: »Wirklich beeindruckend, Miss Ascot. Ich wusste, Sie würden uns nicht enttäuschen. Jetzt nehmen Sie Ihre Position ein.«
Gabriel hob das Kinn und sah über die Schulter. »Ich kann die Sirenen schon hören«, meinte er.
Stolz lächelnd ging ich zu Nighton, der die Arme verschränkt hatte. Er wirkte etwas sprachlos, sein Blick war so voller Schock und Verwunderung, dass es fast schon unheimlich war. Er blinzelte, dann schüttelte er mit einem schiefen Grinsen den Kopf. »Das… war wirklich… unheimlich gut.« Er verzog leicht das Gesicht und musterte mich, als hätte er einen völlig neuen Menschen vor sich. »Betonung auf Unheimlich. Dass du so gut schauspielern kannst, wusste ich gar nicht.« Er ruckte mit dem Kopf in Richtung des Containers, auf dem Uriel wartete, und setzte sich gemeinsam mit mir in Bewegung. Im Gehen warf ich ihm einen spöttischen Blick zu und rempelte ihn an. »Tja, vielleicht hättest du bei deinem Stalking früher mal besser aufpassen sollen. Meine Talente sind zahlreicher, als du denkst!«
Darüber lachte Nighton, bevor er mir half, auf den Container zu steigen. Mit einem letzten, beeindruckten Blick auf mich ging er zurück zu Tharostyn und den Jägerinnen, die sich bereits zum Sichtschutz hinter ein paar Metallblöcke zurückzogen.
Ich setzte mich neben Uriel, die mich auch noch für meine Leistung lobte.
Und dann hieß es für uns warten. Es war nervenzerreißend. Die ganze Zeit rutschte ich unruhig auf dem kalten Container herum und versuchte, meine Beine ein wenig mehr unter meinen Mantel zu schieben, doch das half kaum gegen die nervöse Unruhe in meiner Magengegend. Die Kälte kroch zudem durch die dünnen Metallwände unter mir hindurch und ließ mich in der Februarkälte ziemlich bibbern. Ob der Plan wohl funktionieren würde? Was, wenn nur die Polizei auftauchen würde? Oder wenn TI uns durchschaute?
In die Stille hinein erkundigte Uriel sich auf einmal: »Wie geht es dir?«
Die Frage kam überraschend und ich blickte auf ihre imposante Gestalt. Sie saß neben mir, hatte sich entspannt zurückgelehnt, und ihre Axt ruhte quer über ihren Beinen, als wäre das eisige Wetter für sie nichts weiter als eine frische Brise. Vielleicht lag es aber auch an ihrer Lederrüstung mit dem Fellbesatz, dass sie die Kälte einfach abschütteln konnte.
Nachdenklich antwortete ich: »Ganz okay, glaube ich. Na ja, bis auf die Sache mit Anna und dass Selene jetzt ein Yindarin ist, aber wenigstens ist Nighton wieder da. Ich bin ungern lange von ihm getrennt.« Ich ließ meinen Blick in seine Richtung schweifen, konnte ihn aber nicht erkennen. Wo er wohl steckte?
Uriel sah mich aufmerksam an, und ihre durchdringenden Augen schienen Löcher in mich zu brennen. »Und sonst? Nichts Neues?«, fragte sie, und dass hatte einen so merkwürdigen Unterton, dass ich sofort ein ungutes Gefühl bekam. Langsam schüttelte ich den Kopf und entgegnete: »Nein, nicht wirklich, wieso?«
Worauf wollte sie hinaus?
Ein eigentümliches »Hm« war alles, was Uriel daraufhin brummte, und für einen Moment wirkte sie so, als würde sie sich auf eine schwierige Frage vorbereiten. Ich schluckte, beschloss dann aber, zuerst zu fragen. »Sag mal, irre ich mich oder kann es sein, dass du etwas weißt, das ich nicht weiß, aber wissen sollte?«
Die Mundwinkel des Erzengels hoben sich zu einem verschmitzten Lächeln. »Du bist stark und aufmerksam. Eine wichtige Gabe.« Sie machte eine vage Handbewegung und sah kurz auf ihre Axt, bevor sie sich wieder an mich wandte. Sie beugte sich zu mir und sagte leise im Flüsterton: »Ich hoffe für dich, dass du diese Eigenschaften an euren Nachwuchs weitergibst. Habt ihr schon einen Namen?«