Bam. Der saß.
Langsam hob ich eine Augenbraue, und meine Kinnlade senkte sich unwillkürlich. Ich konnte sehen, wie Nighton bei meinem Blick nur so schrumpfte.
Was war ich? Seine Assistentin? Wie bitte? WIE BITTE?!
Das würde er bereuen. Warum stand er nicht zu mir? Der hatte sie doch nicht mehr alle! Mein Inneres kochte vor Wut, aber nach außen hin brachte ich meine Gesichtszüge schnell wieder unter Kontrolle. Mit einem süßlichen Lächeln wandte ich mich an die drei Neuankömmlinge, die bei Nightons Lüge nicht mal sonderlich überrascht gewirkt hatten.
»Guten Tag«, begann ich übertrieben freundlich, »ich bin Jennifer. Ich kümmere mich um das Wohl unseres heiligen Yindarin, bin also in alles eingeweiht und bestens informiert. Er war so großzügig, mich an seiner Seite haben zu wollen, und ich unterstütze ihn in allen Belangen. Stimmt doch, großer Herrscher und Meister?«
Mein Sarkasmus tropfte förmlich von jedem Wort, doch die drei Engel schienen es nicht zu bemerken. Nighton hingegen... Bei meinen Worten wurde er kreidebleich, und es war ein Anblick, den ich in diesem Moment genoss. Diese Angst in seinen Augen? Die gönnte ich ihm aus tiefstem Herzen. Das hatte er verdient.
»J-ja«, stammelte er, doch die Unsicherheit in seiner Stimme war unüberhörbar. Ich schenkte ihm ein zuckersüßes Lächeln, das vor allem eins ausdrückte: Du bist geliefert.
»Ich gehe mal dein Gemach aufräumen«, verkündete ich honigsüß und verabschiedete mich mit einem Winken von den dreien.
Sobald ich mich umdrehte, stampfte ich davon, meine Wut brodelte wie Lava unter der Oberfläche. Mit zusammengebissenen Zähnen durchquerte ich das Foyer der Kernburg, stieg die Treppen hinauf und lief den Flur entlang, bis ich unser Schlafzimmer erreichte. Ohne auch nur einen Moment zu zögern, schob ich die Tür auf und knallte sie heftig hinter mir zu.
»Ich glaube es einfach nicht!«, fauchte ich und warf die Decke von mir, als wäre sie das Symbol meiner Demütigung. Meine Wut kochte hoch, während ich mich hektisch anzog. In meinem Kopf ersann ich bereits Pläne, wie ich Nighton das heimzahlen würde. Oh, das würde er nicht so schnell vergessen.
Keine fünf Minuten später betrat Nighton das Zimmer, sein Gesicht schuldig wie das eines ertappten Kindes. Er schloss die Tür hinter sich, offenbar wissend, dass das, was ich ihm an den Kopf werfen würde, besser nicht durch den ganzen Flur schallen sollte. Klug von ihm.
»ASSISTENTIN?!«, schrie ich ihn an und stemmte die Hände in die Hüften.
»Nicht so laut, bitte!«, flehte Nighton verzweifelt, die Hände beschwichtigend erhoben, aber das brachte mich nur noch mehr auf die Palme. Ohne zu zögern, griff ich nach meiner Haarbürste und warf sie nach ihm. Natürlich wich er gekonnt aus, was meine Wut nur noch schürte.
»ASSISTENTIN?! Du bezeichnest mich ernsthaft als deine Assistentin?! Willst du mich verarschen?! Bin ich dir peinlich, oder was?«
Nighton schüttelte panisch den Kopf, hob die Bürste auf und machte einen Schritt auf mich zu. Doch ich war schon in Bewegung, griff nach meinem Kulturbeutel und schleuderte alles nach ihm, was ich daraus zu greifen bekam.
»So war das nicht gemeint-«
»Oh, wie war es denn gemeint, Nighton? Das war nicht gerade schwer zu verstehen!«
»Ich... ich hatte Panik, es tut mir leid!« Er wich meinem nächsten Wurf aus und hob flehend die Hände. »Ich werde es richtigstellen, wirklich! Es ist nur... ich habe keine Erfahrung damit, in einer Beziehung zu sein. Ein Teil von mir hatte Angst, was sie sagen würden, wenn-«
»Wenn was?« Ich senkte meine Stimme zu einem gefährlichen Flüstern, wie ein letzter Warnschuss. Er merkte es, denn er schluckte schwer.
»Wenn sie sehen, dass ich vielleicht nicht so bin, wie sie es erwartet haben. Menschen stehen nicht gerade hoch im Kurs, besonders nicht wegen der aktuellen Ereignisse. Es ist wichtig, wie sie mich sehen!«
Ich spürte, wie sich meine Augen mit Tränen füllten. Das war definitiv nicht das, was ich hören wollte. Ein schwerer, drückender Stein legte sich auf meine Brust. Mit gepresster Stimme fragte ich: »Es ist dir also wichtiger, wie dich irgendwelche Engel und Dämonen sehen, als... als ich? Schämst du dich etwa für mich?«
Nighton schnappte erschrocken nach Luft, seine Augen weiteten sich. »Nein! Auf keinen Fall!« Doch seine Worte reichten mir nicht. Sie klangen leer, hohl.
Für einige Sekunden starrte ich ihn an, während mein Herz in meiner Brust wie ein Vorschlaghammer pochte. Zitternd und mit unterdrückten Tränen presste ich ein leises »Raus!« hervor. Nighton sah mich an, sah den Schmerz in meinen Augen, und ich konnte sehen, wie es ihm wehtat. Doch das war mir gerade so scheißegal.
»Ich brauche dich unbedingt dort unten«, flüsterte er bittend, aber ich schrie nur: »Raus!«
Nighton ließ die Schultern hängen, wandte sich um und verließ das Zimmer. Ohne nachzudenken, schleuderte ich den Kulturbeutel hinter ihm her, der klatschend gegen die geschlossene Tür prallte und zu Boden fiel.
Ich atmete schwer, während der Zorn in mir brodelte. Das konnte er so schnell nicht wiedergutmachen.
Den Großteil des frühen Morgens verbrachte ich in meiner selbstgewählten Einsamkeit. Mein Magen knurrte unaufhörlich, doch mein Stolz war zu sehr angefressen, und der Schmerz saß so tief, dass ich mich weigerte, nachzugeben. Es war, als würde ich mich bewusst in einem Zustand der Selbstgeißelung halten, nur um ihm – und mir selbst – zu beweisen, dass ich auf keinen Fall nachgeben würde.
Nightons Worte spukten unaufhörlich in meinem Kopf herum, immer wieder. Assistentin. Das hatte mich so hart getroffen, tiefer, als ich es jemals erwartet hätte. Ich konnte es nicht fassen. Dass er mich so herabstufte, dass er mich in der Öffentlichkeit wie einen Fremdkörper behandelt hatte, als wäre ich jemand, den er nicht bei sich haben wollte. Was sagte das über ihn aus? Über uns? Hatte er sich schon vor anderen so über mich lustig gemacht? Hinter meinem Rücken vielleicht?
Diese paranoiden Gedanken wühlten mich immer mehr auf, bis ich merkte, dass ich meinen Daumennagel fast blutig gekaut hatte. Erst als der Schmerz in meine Fingerkuppe drang, ließ ich endlich davon ab.
Es war inzwischen Nachmittag, und ich lief wie ein aufgescheuchtes Tier in meinem Zimmer auf und ab, mein Inneres brodelnd vor Wut und Schmerz. Als es gegen zwei Uhr an der Tür klopfte, hielt ich abrupt inne, meine Schritte verhallten auf dem Boden. Wer war das? Nighton wäre einfach reingekommen – also wer stand da draußen?
»Wer ist da?«
Eine tiefe Männerstimme antwortete: »Hier ist Michael, Menschenkind. Darf ich deine Kemenate betreten?«
Mit zwei schnellen Schritten war ich an der Tür und riss sie auf. Tatsächlich, da stand Michael, die mächtige Gestalt des Erzengels, wie immer in seiner strahlenden Rüstung. In dem schlicht weißen Flur mit dem Fischgräten-Holzboden wirkte er ein wenig deplatziert, fast wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt.
Wortlos trat ich zur Seite, um ihm Platz zu machen. Es dauerte einen Moment, bis er sich durch den schmalen Türrahmen gezwängt hatte. Kaum war er im Zimmer, schloss ich die Tür hinter ihm und sah mich kurz um. Das Chaos, das im Zimmer herrschte, fiel mir mit einem Mal unangenehm auf, aber Michael schien es nicht zu kümmern. Er füllte den Raum mit seiner massigen Präsenz fast vollständig aus, und ich musste mich an ihm vorbeidrücken, um zum Bett zu gelangen. Dort setzte ich mich im Schneidersitz hin, verschränkte die Arme und warf ihm einen finsteren Blick zu. Ich wollte nur weg, nach Hause, irgendwohin, wo Nightons Worte nicht mehr in meinem Kopf hallten.
»Hat Nighton dich geschickt?«, brummte ich.
Michael schnaubte entrüstet. »Ich bin der Erzengel Michael, mich schickt man nicht.« Er verschränkte die Arme vor seiner Brust und musterte mich mit seinen durchdringenden Augen. »Ich bin auf eigene Faust hier, weil ich mich frage, warum du diesen sonnigen Morgen hier oben in Einsamkeit verbringst, während das Gipfeltreffen unten im vollen Gange ist. Ich habe deine Anwesenheit vermisst.«
»Oh ja? Frag mal Nighton«, knurrte ich verbittert. »Er wird dir das schon erklären.«
Michael legte den Kopf schief und musterte mich noch einen Moment lang, bevor er sagte: »Erscheint es nur mir so, oder befindet ihr beide euch ständig in einem Auf und Ab?«
Ich verzog das Gesicht und nickte nur stumm. Ja, das traf es wohl ziemlich genau. Auf und ab, rauf und runter – und ich war das Spielzeug in diesem emotionalen Karussell, das Nighton so unbedacht ins Rollen gebracht hatte.
Michael seufzte, dann stellte er sein mächtiges Schwert behutsam an die Wand und drückte sich mit einem ächzenden Geräusch neben mich auf das Bett. Ich musste zur Seite rutschen, um nicht von seiner breiten Gestalt erdrückt zu werden. Das Bett knackte besorgniserregend, aber Michael schien es nicht zu bemerken.
»Vergebung ist eine hohe Kunst, Jennifer Ascot«, begann er in seinem erhabenen Tonfall, doch ich hob nur abwehrend die Hand.
»Spare dir die Floskeln«, sagte ich brüsk. »Ich brauche das jetzt nicht.«
Michael sah mich ernst an, seine goldenen Augen fixierten mich mit einer Intensität, die mich zwang, wegzusehen. Ernst kommentierte er: »Vielleicht brauchst du es mehr, als du denkst.«
Kurz haderte ich mit mir, dann presste ich hervor: »Er hat mich Eloria, Erik und Nekira als seine Assistentin vorgestellt.« Meine Stimme zitterte, und ich spürte, wie mir heiße Tränen in die Augen stiegen. Es überraschte mich selbst, dass ich mich Michael anvertraute. Wir waren keine Freunde, er war immer freundlich und väterlich zu mir gewesen, aber trotzdem... Er war nicht derjenige, zu dem ich normalerweise gehen würde. Doch jetzt, in meiner Wut und Verletztheit, schien ich keine andere Wahl zu haben. Ob er überhaupt mein Gejammer hören wollte, wusste ich nicht. Trotzdem lauschte er ruhig, und als er die Stirn runzelte und eine verständnisvolle Miene aufsetzte, merkte ich, dass es ihn nicht störte.
»Nun«, begann er, mit seiner tiefen, ruhigen Stimme, »ich bin kein Experte in solchen Dingen, aber in Anbetracht des Mangels an jeglicher Art von Beziehungen, die der Yindarin in seinem Leben gepflegt hat, solltest du vielleicht versuchen, Gnade walten zu lassen. Er hat das sicher nicht so gemeint.«
Gnade? »Mir egal!«, rief ich trotzig und wischte mir mit dem Handrücken über die Nase. Michael schnaubte auf, als würde er über ein störrisches Kind sprechen.
»Ein ‚Mir egal‘ ist unter deiner Würde, Kind. Geh zu diesem Treffen und bezieh deine Position. Du bist nach wie vor wichtig, auch wenn du ein Mensch bist. Deine Stimme hat Gewicht, Jennifer Ascot! Lass dich nicht von solchen... Kleinigkeiten aus der Bahn werfen. Steh darüber!«
Ich blinzelte und starrte auf meine angezogenen Knie. Kleinigkeiten? Das fühlte sich nicht klein an.
»Was sollte ich schon zu sagen haben?«, murmelte ich leise, fast mehr zu mir selbst als zu Michael. Der Gedanke, in diesem Raum voller mächtiger Wesen zu stehen, fühlte sich überwältigend an. Ich war doch nur... ich. Ein Mensch.
Michael erhob sich mit einer bedachten, schweren Bewegung. Sein Gesicht war ernst, seine Augen fixierten mich mit einer Intensität, die ich nicht erwartet hatte. »Auch als Mensch wirst du immer der wahre Yindarin sein, Jennifer Ascot. Vergiss das nie. Nutze diesen Umstand. Manchmal sprechen auch Taten, wenn Worte es nicht können.«
Er streckte mir seine Hand entgegen, die in einem glänzenden Plattenhandschuh steckte. Ich zögerte, unsicher, doch dann ergriff ich sie. Er zog mich mühelos auf die Beine, als wäre ich federleicht. Mit einem schnellen Schritt war er bei der Tür, wo er nach seinem Schwert griff, es sich über die Schulter legte und die Tür öffnete. Bevor er hinausging, drehte er sich noch einmal zu mir um, und sein entschlossener Blick sagte mehr als tausend Worte. Er schickte mir ein Nicken, das mehr als Aufforderung gedacht war.
»Komm«, sagte er ruhig, aber bestimmt.
Ich holte ein letztes Mal tief Luft. Also gut. Verdammt, er hatte Recht. Irgendwie wusste Michael immer genau, was er sagen musste.
Als ich den Raum hinter Michael betrat, verstummten die Gespräche abrupt. Sofort spürte ich, wie unzählige Augenpaare auf mich gerichtet waren – neugierig, fragend, und manche sogar feindselig. Es war derselbe Raum, in dem ich gestern noch so viel Zeit mit meinen Freunden verbracht hatte, doch jetzt wirkte er auf einmal kalt und bedrückend. Um den langen Mahagonitisch herum standen zehn Stühle, zwei davon waren noch unbesetzt. Am einen Tischende erkannte ich Nighton, der mich mit großen Augen ansah. Sein Blick durchbohrte mich, aber ich weigerte mich, ihn zu erwidern. Assistentin, hallte es noch immer in meinem Kopf wider.
Ich folgte dem Erzengel, der auf die leeren Stühle zuging. Einer stand am Kopfende, und insgeheim erwartete ich, dass Michael sich dorthin setzen würde. Stattdessen aber blieb er stehen, zog den Stuhl zurück und bedeutete mir mit einer Geste, mich zu setzen. Ich schluckte schwer und fühlte, wie mir die Hitze ins Gesicht stieg. Das war zu viel Aufmerksamkeit.
Steif ließ ich mich auf den Stuhl sinken und vermied es, die vielen Blicke um mich herum zu erwidern. Kaum saß ich, legte Michael mir eine schwere Hand auf die Schulter – eine Geste der Unterstützung, die mir allerdings kaum Trost spendete. Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Dann setzte er sich auf den anderen freien Stuhl weiter rechts am Tisch.
Nighton saß mir gegenüber, und ich konnte spüren, wie sein Blick versuchte, mich zu durchdringen. Doch ich heftete meine Augen stur auf die Tischplatte vor ihm, als könnte ich die Wut, die in mir tobte, dadurch kontrollieren.
»Jetzt sind wir vollzählig«, verkündete Michael mit einer selbstzufriedenen Ruhe, als wäre die Spannung in der Luft ihm völlig entgangen. Nighton blickte kurz zu ihm, dann wieder zu mir. Ich ignorierte ihn und versuchte, die vielen Blicke auf mir auszublenden, aber es gelang mir kaum.
Am anderen Ende des Tisches beugte sich eine Dämonin mit bronzefarbener Haut, schwarzen, klingenförmigen Tätowierungen im Gesicht und einem wilden, schwarzen Zopf vor. Sie trug robuste Lederkleidung, als wäre sie gerade von irgendeinem Kampf zurückgekehrt. Ihre grünen Augen wurden blitzschnell blutrot, als sie mich musterte, und die Feindseligkeit, die von ihr ausging, war fast greifbar.
»Was soll das? In der Einladung stand nichts von Menschen!«, grollte sie hervor und schaute erbost zu Nighton. Der lehnte sich zurück, ein Arm auf dem Tisch, als wäre das alles kein großes Ding. »Das, Rhada, liegt daran, dass die Einladung nicht von mir stammt, sondern von den Erzengeln und der Obersten«, wies er die Schuld von sich und zeigte auf Michael, der einmal nickte.
Diese Rhada ließ nicht locker. »Und das rechtfertigt, einen Menschen an unsere Tafel zu holen? Wir treffen uns hier wegen einer menschengemachten Bedrohung, und ihr ladet einen von denen ein?!«
Ein leises Murmeln ging durch die Reihen. Einige der anderen nickten, ihre Blicke voller Missbilligung waren auf mich gerichtet. Ich spürte, wie die Wut in mir aufkochte. Das mit den Menschen war nicht meine Schuld! Was dachten die sich, mich hier einfach so zu verurteilen?
Doch bevor ich etwas sagen konnte, erhob Michael sich und rief mit donnernder Stimme: »Dieser Mensch gehört zu uns!« Seine Worte hallten durch den Raum und ließen die feindselige Stimmung kurz innehalten. Für einen Moment durchströmte mich Wärme, und ich fühlte mich ein klein wenig sicherer. Doch es war nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Michael richtete seinen Blick auf Nighton und forderte mit Nachdruck: »Yindarin, willst du deine Begleitung nicht vorstellen?«
Ich spürte, wie sich meine Hände zu Fäusten ballten. Jetzt war der Moment. Jetzt konnte Nighton alles richtigstellen, zeigen, dass ich mehr war als eine 'Assistentin'. Ich sah zu ihm hinüber und konnte sehen, wie sich seine Kiefermuskeln anspannten. Aber er sagte nichts.
Nun zuckten die Blicke der Anwesenden irritiert zwischen mir und Nighton hin und her. Er holte tief Luft, und ich spürte, wie der Knoten in meiner Brust sich nur enger zog. Da erhob er sich auch schon und lief um den Tisch herum, bis er schließlich hinter mir stehenblieb. Als ich seine Hände auf meinen Schultern spürte, durchzuckte mich ein Impuls, sie abzuwerfen. Warum jetzt diese plötzliche Nähe? Aber Michaels Worte hallten in meinem Kopf nach: Steh darüber.
Also blieb ich still. Doch das änderte nichts daran, dass ich sauer war.
Mit angerauter Stimme erklärte Nighton: »Das ist Jennifer Megan Ascot, dem inneren Namen nach einst als Sekeera bekannt, bis sie...«, er stockte kurz, »...bis sie ihren Yindarin im Moment meines unmittelbar bevorstehenden Todes an mich weiterreichte und mich somit zum Yindarin machte, um mich zu retten.«
Die Worte hingen schwer in der Luft, und ich konnte spüren, wie sich die Stimmung im Raum veränderte. Das Misstrauen, das mir eben noch entgegengeschlagen war, wich hier und da einer Art Ehrfurcht. Fast hätte ich mir gewünscht, sie hätten mich weiter verachtet – diese plötzliche Anerkennung fühlte sich irgendwie noch unangenehmer an. Lediglich die wilde Dämonin mit den Tattoos schaute mich weiterhin an, als sei ich eine zertramplungswürdige Küchenschabe.
Eine andere, fast kindlich wirkende Dämonin mit silberweißem, hüftlangem Haar, blasser, fast durchscheinender Haut und großen, grauen Augen, gekleidet in ein fließendes Gewand, erhob sich. Auf ihrem Gesicht lag ein melancholischer Ausdruck, und sie wirkte auf eine seltsame Art geheimnisvoll und unnahbar. Sie neigte ihren Kopf leicht in meine Richtung und begann zu sprechen: »Ich sah es lange kommen, bevor es geschah. Hallo, Yindarin-sin. Das war sicher ein schwieriges Opfer.« Sie machte eine ausholende Geste von der Brust ausgehend, wohl eine formale Begrüßung.
»Mein Name ist Mia, dem inneren Dämonennamen nach als Calista bekannt. So nennt man mich auch.« Ihr Blick glitt über die Runde, und als keiner der anderen Anwesenden Anstalten machte, sich ebenfalls vorzustellen, verfinsterte sich ihre Miene. Schwarze Adern traten plötzlich auf ihren Handrücken hervor, und ihre Schädelknochenstruktur flackerte für einen Moment unheimlich durch ihre Haut hindurch.
»Zollt der Yindarin-sin Respekt!«, forderte sie, und die unerwartete Autorität in ihrer Stimme ließ den Raum erzittern. Wer war diese Frau? Wie konnte eine so kindlich erscheinende Dämonin so einen Eindruck hinterlassen?
Neben ihr erhob sich Eloria, die mir ein Lächeln schenkte. »Wir haben uns schon kennengelernt. Es ist mir eine Freude, Jennifer.« Auch sie machte die Geste, die Calista vorgemacht hatte, nur diesmal von ihrer Stirn ausgehend. Ich fühlte mich unwohl und lächelte zögerlich zurück. Das alles war mir viel zu viel.
Nacheinander folgten die anderen. Erst die Engel Nekira und Erik, dann ein französisch-stämmiger Dämon namens Andrasz. Andrasz, dessen Menschenname Léon war, war mittelgroß, schlank, hatte perfekt gestyltes Haar und trug einen ziemlich extravaganten Anzug, in dessen Brusttasche er ein Seidentüchlein gesteckt hatte. Etwas an seinem Blick gefiel mir nicht - er wirkte nicht wie jemand, der mit offenen Karten spielte. Eher wie ein Player, jemand, der eigene Ziele hat. Die meiste Zeit hatte er so ein zynisches Lächeln auf den Lippen, mit dem er mich sehr stark an Dorzar erinnerte. Und das war schon mal ein schlechtes Zeichen.
Nach ihm wäre die tätowierte Dämonin vom Anfang gekommen, doch die verschränkte nur mit vor Wut sprühenden Augen die Arme, sodass Michael sie mir vorstellte. Ihr Name war Rhada, oder auch Sara, und sie kam aus Kapstadt. Warum sie mich so aggressiv musterte, konnte er mir jedoch nicht erklären, geschweige denn ihren Menschenhass. Am liebsten aus der ganzen Truppe war mir noch der Japaner, Nekira - er machte als Einziger den Eindruck, als fände er es wichtig, dass ich dabei war. Dieser Zachariel behandelte mich eher herablassend, während Eloria mich die meiste Zeit beobachtete, als würde sie auf etwas warten. Von Rhada brauchen wir gar nicht reden, Calista begegnete mir mit höflicher Distanz und diesem charmanten Andrasz traute ich nicht.
Nachdem die Vorstellungsrunde rum war, kam es, wie es kommen musste: Erik, der große, kühl wirkende Engel, räusperte sich. »Ich hoffe, meine Frage wird nicht als Störung empfunden, Yindarin«, begann er in einem Tonfall, der keine wirkliche Sorge um den Frieden ausdrückte, sondern eher den Drang, eine Unklarheit zu beseitigen. »Vorhin hast du sie als deine Assistentin vorgestellt.« Seine Augen wanderten voller Unmut zu Nighton. »Warum hast du uns nicht von Anfang an offenbart, wer sie wirklich ist?« Seine Stimme blieb ruhig, fast mechanisch, als ginge es ihm nur um eine logische Lücke in der Erzählung, die er korrigieren wollte.
Ich spürte, wie sich Nightons Hände an meinen Schultern verkrampften. Zum ersten Mal sah ich zu ihm hoch, meine Augen schickten ihm einen klaren mach-was-draus-Blick. Jetzt würde ich sehen, wie er sich da rauswinden wollte.
Nighton holte tief Luft, und als er sprach, hielt er meinem Blick stand. »Es war... ein kurzer Moment der Schwäche«, gestand er und hielt meinen Blick fest, als wäre es eine Entschuldigung an mich und an alle anderen im Raum. »Das Treffen hat mir Sorgen bereitet, weil ich weiß, was von mir erwartet wird. Es ist nicht mein Geburtsrecht, ein Yindarin zu sein, und ich wusste nicht, wie man mich nach all dem, was über mich aus der Vergangenheit bekannt ist, aufnehmen würde.« Ich schwieg, wartete darauf, dass er weiterreden würde. »Ich... wollte nicht, dass man mich wegen ihrer Anwesenheit für schwach hält«, fuhr er fort und seine Stimme brach leicht, »was mich im Nachhinein noch schwächer erscheinen lässt, wenn ich darüber nachdenke. Deswegen habe ich das gesagt. Aber sie ist mehr, viel mehr, vor allem für mich.« Sein Blick bohrte sich tiefer in meine Augen, und ich spürte die Intensität seiner Worte, als wäre er gerade dabei, sich vor der ganzen Welt zu entblößen. »Sie ist mein Licht, meine bessere Hälfte, das Band, das mich am Boden hält. Sie hat mich so viel besser gemacht. Jennifer ist seit kurzem meine, wie die Menschen sagen, Freundin.« Sein Geständnis kam ruhig, aber es fühlte sich an, als würde es den Raum vibrieren lassen. Ich hörte ihn sagen: »Ich habe noch viel zu lernen, sowohl in der Hinsicht als auch als Yindarin. Von daher...« Er atmete tief durch. »...hoffe ich auf Geduld, von euch allen. Tut mir leid, Jen.« Sein letzter Satz ging direkt an mich, und er klang fast flehend.
Stille legte sich wie ein Mantel über den Raum, und ich spürte, wie mich alle Augen erneut musterten, diesmal anders. Doch ich rührte mich nicht. Ich starrte in Nightons Augen und ließ die Worte auf mich wirken. Ein Teil von mir nickte zufrieden. Der andere, wütende Teil saß noch immer schmollend in meinem Inneren, nicht bereit, diese Entschuldigung so einfach anzunehmen. Michael war es, der die Stille schließlich durchbrach.
»Gut gesagt, Yindarin. Die Liebe ist wie ein Meer voller unerwarteter Strömungen. Man weiß nie, in welchen Sturm man steuert.« Seine philosophische Weisheit war irgendwie fehl am Platz, aber sie lockerte die Situation auf.
»Immer ein Freund der Poesie, Michael«, bemerkte Nekira in einem sanften Tonfall, der von einem fast unsichtbaren Lächeln begleitet wurde. Sein Ausdruck blieb ruhig und ausgeglichen, doch in seinen Augen blitzte ein Funken der Belustigung auf.
Michael verneigte sich leicht, doch er ließ es sich nicht nehmen, weiter tiefgründigen Unsinn von sich zu geben. Zum Glück lenkte das die Aufmerksamkeit von mir und Nighton ab.
Perfekt.
Ich nutzte den Moment. Langsam hob ich meine geballte Faust, direkt vor meinem Gesicht, und ließ meinen Mittelfinger in seine Richtung herausschnappen. Die Geste war klar, doch das leichte Grinsen, das ich hinterherschickte, entschärfte die unflätige Geste. Nighton schnalzte gespielt missbilligend mit der Zunge, griff nach meiner Hand und drückte meinen Mittelfinger sanft nach unten, dabei schüttelte er den Kopf. Doch er konnte sein erleichtertes Lächeln nicht verbergen.
Die Wut in mir war nicht ganz verflogen, aber ein Teil von mir war bereit, ihm diesen Fehltritt zu vergeben.
Plötzlich erhob sich Andrasz und räusperte sich vernehmlich. »Das ist ja alles schön und gut. Aber du hast uns gerufen, Michael, und wir alle sind gefolgt. Jetzt sag uns, was du über die Menschen und ihren plötzlichen Entdeckerdrang weißt. Es wird viel gemunkelt. Was ist dran an den Gerüchten?«