Der Saal brach endgültig in Tumult aus.
Panikschreie hallten von den Wänden wider, Engel stoben in alle Richtungen und suchten Schutz hinter Säulen und Wänden, ihre Gestalten zu bedrohlicher Größe und Lichtgestalt verändert. Nighton packte mich und zog mich mit einem Ruck auf die Beine, seine Arme schützend um mich gelegt, während er Asmodeus schockiert anstarrte.
Isara stand da wie versteinert, ihre Augen fixierten fassungslos die lässig dastehende, dunkle Gestalt vor uns. Er trug einen Mantel - tiefschwarz mit einem Hauch von Rot - und ich konnte die verschlungenen Symbole darauf kaum greifen, aber irgendetwas daran ließ mir eine Gänsehaut den Rücken hinunterlaufen. Die breiten Schultern und der hohe Kragen verliehen ihm eine unheimliche Präsenz, als würde er den ganzen Raum beherrschen. Unter dem Mantel blitzten metallische Rüstungsteile auf, als wären sie mehr als nur Zierde, und sogar die Stiefel, die er trug, schienen mit jedem Schritt ein dumpfes Echo von Macht auszusenden.
Er schien die Dramatik seines Auftritts zu genießen und ließ seine schwarzen Augen, die mir wie Abgründe vorkamen, durch den Saal wandern. Unter seinem Blick duckten sich die Wände beinahe, und die Hitze nahm weiter zu. Langsam schlich ein verächtliches Lächeln auf seine Lippen.
»Ah, Oberstadt!«, raunte er, während seine Augen einen fast enttäuschten Ausdruck annahmen. »Ist das alles, was deine Engelschöre zur Begrüßung aufzubringen haben? Der Anstand hat wohl in den letzten Jahren schwer nachgelassen.« Er sog die Luft ein, als kostete er das Misstrauen und die Furcht der Anwesenden.
Ein bebender Ruf erklang von der Seite. »Verschwinde, Ausgeburt der Hölle! Du hast eine Übermacht gegen dich!« Tharostyns Stimme klang nervös, doch der alte Engel hielt dem Blick des Dämons Stand.
Der warf ihm nur einen beiläufigen Blick zu. »Tharostyn, altes Haus! Wie schön, Euch in solch guter Gesellschaft zu finden. Sagt, geht es der Gicht inzwischen besser?« Sein höhnisches Grinsen weckte eine Woge der Empörung, doch niemand wagte, sich ihm zu nähern. Stattdessen glitt Asmodeus' Blick über die Anwesenden. Er verschränkte die Hände hinter dem Rücken. »Einige von euch kennen mich noch nicht«, begann er. Seine Stimme war wie Öl, das sich in alle Richtungen ergoss. »Also gestattet, dass ich mich vorstelle: Man nennt mich Schlangenzunge, Schattenpirscher, Herr über die Legionen der Hölle – oder, für die Freunde, Asmodeus, Luzifers ältester und loyalster Verbündeter.« Ein Blitz krachte bei seinen Worten durch den Saal, warf seine dämonischen Züge in scharfe, gewaltige Schatten. Er wirkte wie eine lebendig gewordene Finsternis, und das Grollen in seiner Kehle ließ die Engel zurückweichen.
In diesem Moment löste Nighton seine Arme von mir, trat vor und begab sich genau unter die brennenden Augen des Dämons.
»Glaub nicht, dass du hier willkommen bist. Kehr um und verschwinde dorthin, wo du herkommst!«, forderte er Asmodeus auf. Seine Stimme war leise, aber voller unbändiger Wut. »Hier hast du nichts zu suchen!«
Asmodeus lachte leise und bitter. Seine tiefschwazen Augen blieben fest auf Nighton gerichtet, und er machte ein paar gemächliche Schritte auf ihn zu. »Kieran! Da bist du. Du hast dich redlich gemacht. Wie ... enttäuschend, dich hier zwischen den Engeln zu sehen. Hätte nicht gedacht, dass du dich so leicht zähmen lassen würdest.« Er musterte Nighton von Kopf bis Fuß. »Du hast mich wirklich überrascht. Nach allem, was wir durchgemacht haben, finde ich dich also hier vor?« Seine Lippen verzogen sich. »Ich dachte, unsere gemeinsame Vergangenheit hätte dich weiser gemacht. So viel Spaß, so viel ... Zerstörung. Und nun stehst du hier und spielst Engel, wie edel! Sag mir, wie fühlt es sich an, sich selbst zu verraten?«
Im Saal herrschte totenstille Spannung. Blicke voller Entsetzen und Misstrauen lagen auf Nighton. Eine kollektive Unsicherheit ergriff die Engel. Es war mehr als deutlich. Jeder spürte es; jeder verstand die unausgesprochene Verbindung, die wie eine dunkle Macht zwischen ihnen schwebte. Asmodeus und Nighton kannten sich – und nicht flüchtig oder beiläufig, sondern so, als wären ihre Wege früher untrennbar verbunden gewesen. Einige Engel wichen sogar vor Nighton zurück und musterten ihn mit Zweifeln in den Augen, als ob sie ihn plötzlich in einem völlig neuen Licht sehen würden. Auch ich hatte nicht gewusst, dass Nighton und Asmodeus sich kannten. Das hatte Nighton zumindest nie erwähnt. Doch ich war zu schwach und zu benommen, um Anteil daran zu nehmen. Ich weiß nicht einmal, wie ich es schaffte, aufrecht stehenzubleiben.
Nighton musste die Augen der anderen auf sich spüren, doch sein Blick blieb fest auf Asmodeus gerichtet. »Unsere Vergangenheit? Die war eine Kette – und ich bin der Einzige, der sie je durchbrochen hat. Ich werde niemals in euren verdorbenen Kreis zurückkehren. Mein Platz ist hier, wo ich nicht nur eine Marionette eurer Spiele bin.«
Ein leises, vielstimmiges Lachen entrang sich Asmodeus' Kehle, durchzogen von Verachtung und grausamer Belustigung. »Mein Junge, du überschätzt dich. Selbst du entkommst deiner wahren Natur nicht. Dein Platz ist längst markiert – an Luzifers Seite, neben den tapfersten Seelen, die sich jemals gegen den Himmel gestellt haben. Glaubst du wirklich, die Engel hier werden dir am Ende den Rücken stärken, wenn es drauf ankommt?«
Nighton trat unbeeindruckt näher und grollte: »Das wirst du nie erfahren. Ich habe meinen Platz gefunden, und weder sie noch du könnt ihn mir je streitig machen. Und jetzt verschwinde, bevor ich dir dabei helfe.«
Doch Asmodeus, von Nightons Worten unbeeindruckt, hob den Kopf und ließ den Blick ein letztes Mal im Raum schweifen. »Du kannst mir nichts vormachen, Kieran. Es wird der Tag kommen, an dem du an unsere Seite zurückkehren wirst. Aber nun... wegen dir bin ich eigentlich nicht gekommen. Mein Hauptinterese gilt meiner Tochter.« Sein Blick blieb an mir hängen, und ein leises, böses Lächeln spielte um seine Lippen. Er tat einen Schritt auf mich zu. Nighton reagierte instinktiv, machte einen großen, entschlossenen Schritt zwischen uns und baute sich schützend vor mir auf. Seine ganze Präsenz war wie ein lebender Wall.
»Du wirst sie nicht noch einmal in deine Hände bekommen«, grollte er mit einer Wut, die in jeder Silbe mitschwang. »Nicht in diesem Leben und nicht, solange ich noch atme.«
Mein Blick hob sich benommen zu Nighton, bevor er zurück zu Asmodeus wanderte, der die Szene mit einem beinahe belustigten Lächeln betrachtete. »Wie … rührend«, kommentierte er. Seine Stimme triefte vor Spott. »Ein Yindarin, der sich und alles, wofür er steht, für ein einfaches, schwaches Menschenleben opfern würde. Selene sprach von deiner Neigung zu sentimentalen Torheiten, doch ich hätte nie geglaubt, dass sie so tief reicht.«
Asmodeus’ Blick wanderte wieder mit unheilvollem Interesse zu mir, und ein hungriges Glimmen trat in seine Augen. »Ich brauche mehr von ihrem Blut. Ich brauche es, um zu überleben! Hättet ihr Engel sie nicht frühzeitig mit urzeitlichem Blut verseucht, würde ich nun nicht hier stehen und das einfordern müssen, was mir zusteht. Denn dummerweise dachte die kleine Quelle, türmen zu müssen. Ich bin übrigens sehr neugierig, wie sie das geschafft hat. Aber ich bin sicher, dass sie mir das bereitwillig sagen wird, nicht wahr, Liebes?« Er blitzte mich an, und ich zuckte instinktiv zurück.
Nighton fletschte die Zähne, und ein tiefes, tierhaftes Knurren entwich ihm, als Asmodeus einen weiteren Schritt in meine Richtung machte. »Wage es«, zischte Nighton mit einer hochaggressiven Stimme, die kaum menschlich klang, »und ich zerfleische dich.«
Asmodeus hielt inne, schüttelte den Kopf mit gespielter Enttäuschung und ließ einen theatralischen Seufzer ertönen. »Nicht nur dumm, sondern auch eine beeindruckende Neigung zur Selbstüberschätzung.« Sein spöttischer Blick wanderte langsam zu den erschrocken und besorgten Gesichtern um ihn herum. »Dann gehe ich wohl vorerst zu Punkt zwei meiner Agenda über.«
Mit einer Stimme, die bis in die hintersten Reihen des Thronsaals hallte, wandte er sich an die Versammelten.
»Anscheinend habt ihr Oberstädter in den letzten Wintern auf Erden die Augen verschlossen, was wenig überrascht. Zu geblendet seid ihr von eurer eigenen Heiligkeit. Die Dämonengöttin Selene sprach vom unaufhaltsamen Vorrücken der Menschen – und sie liegen euch Engeln ebenso nah auf den Fersen wie uns Dämonen. Sie wagen sich bereits an eure Grenzen.« Er verschränkte die Hände hinterm Rücken und sah umher. »Beunruhigt euch das nicht? Wo ist eure Oberste?«
Der Ausdruck in den Gesichtern der Engel änderte sich schlagartig, jegliche Farbe wich aus ihren Zügen, als hätten Asmodeus‘ Worte ihnen die Kraft geraubt. Alle außer Nighton wirkten, als hätten sie den Atem angehalten, gebannt und gelähmt von der Boshaftigkeit, die von ihm ausging.
»Was willst du von ihr?«, wollte Nighton wissen.
Asmodeus hob das Kinn und erwiderte: »Ich ersuche die Oberste, vorzutreten, denn ich habe eine Botschaft zu verkünden.«
Ein gedämpftes Raunen zog durch die Reihen, als Isara tatsächlich zögernd hervortrat und Asmodeus mit einem Blick bedachte, der von Angst und Entschlossenheit zugleich zeugte. »Verschwinde«, verlangte sie mit fester Stimme, auch wenn ein leichtes Zittern in ihr lag. »Du hast hier nichts verloren!« Ihre Worte klangen wie ein unerschütterlicher Befehl – doch die Anspannung ihrer Haltung verriet Unsicherheit.
Asmodeus schritt langsam auf Isara zu, bis er vor ihr stehenblieb. Die Himmelswache hinter Isara machte sich bereit.
»Endlich stellt sich die Oberste persönlich vor. Meine ehrfürchtigsten Grüße. Aber sag, Kind, bist du nicht etwas zu jung für diesen Titel?« Er neigte spöttisch den Kopf. »Noch nicht einmal auferstanden, und dennoch wagst du es, mir Befehle zu erteilen. Weißt du eigentlich, wer ich bin?«
Isara schluckte sichtlich, doch bevor sie etwas erwidern konnte, setzte Nighton sich in Bewegung und stellte sich entschlossen zwischen sie und Asmodeus.
»Was wollt Ihr von uns?«, brachte Isara trotz ihrer offensichtlichen Angst hervor. Ein dunkles Lachen entfuhr Asmodeus, während sich die Temperatur im Raum weiter erhöhte. »Euch etwas verkünden, euch allen! Der Tag der Ankunft naht! Der Höllenprinz steigt empor, um dem Gottesreich die gebührende Vernichtung zu bringen.«
In mir loderte die Angst auf, und ich versuchte mich, halb benommen, zu erheben, doch meine Glieder gehorchten mir kaum.
»Ich präsentiere euch, ihr Engel und Auserwählten, den herrlichen Plan der Herrin Selene und meiner Wenigkeit«, rief Asmodeus, seine Stimme vor hämischer Freude vibrierend, »so, dass ihr ihn versteht, wenn es längst zu spät ist, zu handeln.« Mit einer ausladenden Geste schritt er in die Mitte des Saales. »In Kürze wird das Blut der Hölle auf euch herabregnen, eure heiligen Stätten werden im Höllenfeuer vergehen, und Satan selbst wird hinaufsteigen, um eure Welt mit Leid und Qual zu durchtränken.«
Ein tiefes Knurren unterbrach Asmodeus‘ Rede. Sekeera brach durch und Nighton grollte: »Jetzt reicht es mir wirklich!« Er warf sich mit solcher Gewalt auf Asmodeus, dass die Luft von der Wucht des Aufpralls erbebte. Doch Asmodeus sprang mit einem einzigen Satz hoch zu den Statuen, die den Saal schmückten, und landete spielerisch auf dem Rand einer Feuerschale. Nighton prallte gegen die Wand darunter und hinterließ tiefe Risse, ohne jedoch das Ziel seines Angriffs aus den Augen zu lassen.
Asmodeus ließ seinen Blick genüsslich auf mir ruhen. Ein triumphierendes Funkeln trat in seine Augen, als er auf mich deutete. »Sie gehört mir, und ich werde sie mir holen – ganz gleich, wie viele Hindernisse ihr mir in den Weg stellt. Wappne dich, Yindarin, aber du und alle anderen seid machtlos gegen das, was kommen wird.«
Nighton griff nach einer der Lanzen der Wachen und schleuderte sie in einer Bewegung auf Asmodeus, die einer unbändigen Kraft entsprang. Der Dämon wich lässig zur Seite, und die Waffe bohrte sich zitternd in die Wand. Eine Woge dunkler Schatten strömte aus Asmodeus‘ Gewand, umhüllte ihn und ließ nur noch ein Flüstern seiner Stimme zurück, das wie ein scharfes Echo durch den Raum wehte: »Ich habe euch gewarnt.«
Dann verschlangen die Schatten seine Gestalt, und mit einem letzten glimmenden Funkeln zerfielen sie zu feinem, schwarzem Staub, der lautlos zu Boden sank und sich dort in Nichts auflöste. Der Saal war eine Sekunde lang wie erstarrt, dann brach ein Tumult aus, und überall waren aufgeregte Stimmen zu hören. Engel umringten die fassungslose Isara, die selbst noch in einen Schockzustand zu sein schien. Ich fühlte die Schwere meiner Lider, die bleierne Müdigkeit, die sich über mich legte, und kämpfte vergeblich gegen das tiefe, unwiderstehliche Bedürfnis an, die Augen zu schließen.