Früh am nächsten Morgen, es war ein sonniger Samstag, riss uns die Oberstädter Knall-Post aus dem Schlaf. Ich zuckte erschrocken zusammen, noch halb gefangen in meinem Traum, der viel zu angenehm gewesen war, um ihn jetzt schon zu verlassen.
Der Rat wollte uns in Oberstadt sehen. Nach allem, was in den letzten vierundzwanzig Stunden passiert war, war allein der Gedanke an diese Audienz wie eine Ladung kaltes Wasser, das mir entgegengeschüttet wurde. Ich hätte wirklich alles dafür gegeben, einfach noch einen Moment meine Ruhe zu haben, aber das schien wohl zu viel verlangt zu sein.
Nighton reagierte sofort, warf die Bettdecke zurück und stand auf, um sich anzuziehen. Er wirkte nicht gerade überrascht darüber, dass wir nach Oberstadt mussten. Im Gegenteil, fast als hätte er sogar damit gerechnet. Ich jedoch… ich wollte mich einfach unter der Decke verkriechen und nie wieder herauskommen. Mit einem leisen Stöhnen zog ich mir das Kissen über den Kopf und versuchte die drohende Realität irgendwie abzuwehren, nur für ein paar Sekunden. Mein Körper war wie Blei, meine Augen brannten, und in meinem Kopf drehte sich alles wie in einer Waschmaschine. Es war so unwirklich, als wäre alles nur ein Albtraum, aber ich wusste, dass das nicht stimmte. Jeder dieser schrecklichen Momente aus den letzten beiden Tagen war echt gewesen – Asmodeus, meine Verletzungen, das Gefühl, dass mir der Boden unter den Füßen weggezogen worden war. Musste ich jetzt erst recht den Rest meines Lebens in Angst und Schrecken verbringen? Immer auf der Hut, immer den Atem von Asmodeus und Selene im Nacken?
Da beugte Nighton sich zu mir herunter. Er legte mir eine Hand auf die Schulter. Damit riss er mich aus meinen dunklen Gedanken. »Komm schon, Jen, steh auf. Der Rat wartet auf uns. Lass es uns hinter uns bringen.« Ich spürte den Druck in seiner Stimme, und obwohl ich am liebsten zurückgezuckt wäre, wusste ich, dass er Recht hatte. Sich in den Laken zu verstecken, brachte nichts, so sehr ich es auch wollte.
»Einen Tag«, jammerte ich, als ich mir das Kissen vom Gesicht zog. »Nur einen Tag Ruhe nach gestern, wäre das wirklich zu viel verlangt?« Nighton verzog kaum merklich die Lippen, und ich sah den Anflug eines schmerzlichen Lächelns. »Willst du da wirklich eine Antwort drauf?«
Widerwillig schleppte ich mich aus dem Bett und zog mir meine Kleidung an, bevor ich Nighton aus Harenstone rausfolgte, zurück nach Oberstadt.
Im Kartensaal schlug uns eine Anspannung entgegen, die sich gewaschen hatte. Ein lautes Wirrwarr aus Stimmen lag in der Luft, doch als wir eintraten, wurde es plötzlich still, und alle Augen richteten sich auf uns. Tharostyn, Michael, Gabriel, Raphael, Isara – sogar Jason. Sie alle starrten uns an, und ich hätte schwören können, dass jeder dieser Blicke faustgroße Löcher in mich bohrte. Mein Mund wurde plötzlich trocken, und ich hätte mir gewünscht, meine aufkommende Nervosität irgendwie verbergen zu können. Wieder ereilte mich das Gefühl, überhaupt nicht zu Hause gewesen zu sein oder geschlafen zu haben. Hatte ich Oberstadt zwischendurch überhaupt verlassen? Warum nur fühlte ich mich so?
Die Besprechung begann ohne Verzögerung, und schnell wurde klar, warum das Thema in den Augen der Engel keinen weiteren Aufschub dulden konnte: Es ging um Asmodeus, um seine Pläne, und vor allem mein Schutz. Jeder, außer Raphael, schien sich einig, dass ich auf der Prioritätenliste ganz oben stand. Anscheinend hatten sich einige der hier Anwesenden in den letzten Stunden eingehend Gedanken gemacht, wie man Asmodeus von mir fernhalten könnte. Michael hatte sich sogar einen richtigen Plan überlegt.
Es fühlte sich komisch an, fast wie eine Welle der Unterstützung, die ich so nicht von allen hier gewohnt war. Auch Nighton schien von dem Engagement überrascht, das vor allem Isara zeigte. Zwischen ihm und der kindlichen Obersten herrschte seit unserem Betreten des Saals eine merkwürdige Kälte, die allerdings eher von Nighton ausging. Gestern noch hatte er mir erzählt, wie sehr sich Isara dagegen gesträubt hatte, ihm zu helfen, mich zu befreien. Trotzdem schien die Oberste, von der ich deshalb eigentlich keine Hilfe erwartet hätte, irgendwie bereit zu sein, sich in diesen Schutzplan einzubringen – auch wenn es vielleicht eher sowas wie ein schlechtes Gewissen war als tatsächliches Interesse an meiner Sicherheit.
Michael begann von Schutzbarrieren für Harenstone zu sprechen, die verhindern würden, dass irgendjemand – außer ein paar Auserwählten – uns erreichen könnte. Das klang nach einer Festung. Oder besser gesagt, nach einem Gefängnis. Ein unsichtbarer Bannkreis, durch den ich zwar sicher war, aber auch isoliert. Allein die Vorstellung schürte dieses erdrückende Gefühl in meiner Brust, das immer dann auftauchte, wenn ich mich eingesperrt und machtlos fühlte. Aber wer wäre ich, mich zu beschweren? Es ging hier schließlich darum, dass Asmodeus mich nicht kriegen sollte. Und dafür sollte mir doch jedes Opfer recht sein, oder?
Dann klinkte sich Gabriel ein und redete von einem Alarmsystem, das er entworfen hatte, einer Art unsichtbarem Puls, der in Harenstone installiert werden sollte und bei Gefahr aktiviert würde. Etwas, das uns warnen würde, sollte sich jemand dem Bannkreis nähern. Ich konnte kaum beschreiben, was mir dabei durch den Kopf ging – die Vorstellung, dass ein unsichtbares Dröhnen in meinem Kopf hallte, wenn Gefahr nahte, machte mich fast noch nervöser. Es war, als solle ich nicht nur beschützt, sondern permanent überwacht werden.
Zu guter Letzt trat Jason vor und erklärte, dass er mit Nighton zusammen auf mich aufpassen wollte. Irgendwie war das das Einzige an diesem ganzen Alptraum, das mich am wenigsten störte. Ich mochte den Erzengel und seine gelassene Art. Trotzdem wunderte es mich, dass er da war und mitdiskutierte. Jason hatte sich doch meines Wissens nach so weit von seinen Geschwistern distanziert, dass ich nie damit gerechnet hätte, ihn hier zu sehen, aber er wirkte entschlossen – vielleicht entschlossener als manch anderer im Raum. Er würde bleiben, um zu helfen, koste es, was es wolle.
Nighton warf ab und zu seinen Kommentar in die Diskussion ein, aber er schien den meisten Vorschlägen zuzustimmen. Ich für meinen Teil versuchte, mir keine Regung anmerken zu lassen. Erst am Schluss schaffte ich es, mit matter Stimme zu fragen: »Wie lange soll das denn so gehen?«
Die Antwort kam von Tharostyn. Der alte Engel wirkte ein wenig bedrückt, als er sagte: »Wir suchen intensiv nach einer Lösung, Miss Ascot. Azmellôn und ich werden nicht ruhen, bis wir eine Möglichkeit gefunden haben, Asmodeus zurück in die Hölle zu verbannen.«
Aber niemand wusste, wie lange das dauern würde. Niemand wusste, ob es überhaupt möglich war.
Am Ende dieses Treffens blieb mir nur die bedrückende Erkenntnis, dass mein Leben sich ab jetzt nur noch zwischen Harenstone und der Schule abspielen würde. Ein Haufen Engel, Dämonen und ein Yindarin im Nacken, die verhindern sollten, dass mein Vater, dieser Primal, mich für seine Pläne einsetzte. Pläne, von denen ich nicht den Hauch einer Ahnung hatte. Es war schlimmer als ein Albtraum. Viel schlimmer.
Es waren noch keine vier Wochen vergangen, seit Asmodeus in Oberstadt aufgetaucht war, und doch war der Alltag irgendwie zurückgekehrt. Wir hatten inzwischen Mitte Januar, und das Gefühl, dass ich nur überlebte und nicht lebte, war allgegenwärtig. Selbst Weihnachten und Silvester rauschten an uns vorbei, als würde ich meinem Leben bloß noch durch ein Fenster zuschauen. Penny schmückte das Haus auf eigene Faust, ohne dass ihr irgendwer half, um wenigstens ein bisschen für weihnachtliche Stimmung zu sorgen, wie sie sagte. Da hatte ich gemerkt, dass ich nicht die Einzige war, die sich in Harenstone nicht wirklich wohlfühlte. Zwar übertrieb sie es ein wenig mit den Lamettaschlangen und den Tonnen an Kerzen und Tannenzweigen, die sie überall hinhing, aber irgendwie mochte ich es. Und es lenkte mich davon ab, dass es nun schon das 2. Weihnachten war, das ich nicht im Kreis meiner Familie verbringen konnte. Ich würde mich jetzt zwar nicht als traditionellen Mensch bezeichnen, aber mir fehlte das Beisammensein. Nighton konnte nichts mit Weihnachten anfangen. Das Einzige, was ihm zu Pennys Eskapaden einfiel, war zu brummen, dass der Weihnachtsmann doch eh bloß eine erfundene Figur von der Coca-Cola-Company sei, was ja nicht mal gelogen war. Trotzdem schenkte er mir etwas. Es war ein Buch, ‚Jane Eyre‘ von Charlotte Brontë, das ich zwar schon kannte, aber ich verstand die Geste dahinter, sodass mir einfach bloß wieder Tränen in die Augen schossen.
So schwierig diese Zeit aber auch sein mochte – ich versuchte, mich am Riemen zu reißen. Ich ging pflichtbewusst weiter zur Schule, schrieb gute Noten und spielte für mich selbst die Rolle der vorbildlichen Schülerin. Nachmittags lernte ich, telefonierte so oft es ging mit Anna und Thomas, kümmerte mich um das Haus und unternahm viel mit meinen Freunden und natürlich mit Nighton. Ich klammerte mich an diesen Rhythmus, so stumpf er auch war, und redete mir ein, dass all das Chaos und die Bedrohung der letzten Wochen einfach verblasst waren. Keine Dämonen, keine aufmüpfigen Menschen – nicht einmal TI klopfte an. Vielleicht war Turano Industries wirklich klug genug, sich von Harenstone fernzuhalten, wo sich nun eine winzige, aber durchaus kampfwillige Armee aufhielt. Aber selbst wenn TI es versucht hätte – egal wie man es dreht, es wäre ein kurzes Wiedersehen geworden.
Denn Harenstone war jetzt ein kleines, enges Bollwerk. Michael und Elisae hatten in einem sehr erhaben wirkenden Akt lauter göttlich angehauchte Bannskreise gezogen, sodass Harenstone nun angeblich ein dämonensicherer Ort war. Evelyn, Gil und Melvyn hatten das Grimassen ziehend bestätigt. Jason war jetzt festes Mitglied der Truppe und hing meistens mit Nighton herum, ebenso wie Melvyn, der sich endgültig wieder mit Nighton arrangiert hatte. Von mir hielt er zwar nach wie vor Abstand, aber das störte mich wenig. Nivia war ebenfalls mit von der Partie, und das Haus fühlte sich mehr und mehr an wie ein Versteck, das wir mit einer halben Armee teilten. Anfangs hatte ich mich hier, wie gesagt, überhaupt nicht wohlgefühlt. Nicht nachdem, was mir passiert war. Es war beinahe, als würde Harenstone seine Geister mit mir teilen – vor allem im Keller, wo jede Erinnerung an die Wand, die hier mal gestanden hatte, auf eine unheimliche Art und Weise nachhallte. Erst nachdem wir das alte Gemäuer mit Regalen und Gerümpel vollgestellt hatten, um die nackten Mauern zu verdecken, wurde es besser. Trotzdem mied ich den Keller, so gut ich konnte. Der einzige Grund, dort einmal hinunterzugehen, war gewesen, als ich in einer meiner Jackentaschen das leere Papier fand, das mir Azmellôn vor Wochen mitgegeben hatte – ein Rätselstück, das mich immer noch ratlos machte. Ich hatte es tief im Keller verstaut, zusammen mit dem Gefühl, das es bei mir hinterlassen hatte, und versuchte es zu vergessen.
Nighton und Melvyn hatten tatsächlich Stolperfallen rund um das Haus angebracht, was ich zuerst für übertrieben hielt. Wozu hatten wir denn Gabriels Alarmsystem? Und wenn auch nur ein Dämon es schaffte, sich trotz allem zum Haus vorzukämpfen, dann war es wahrscheinlich eh schon zu spät.
Und obwohl all diese Vorsichtsmaßnahmen meiner Sicherheit dienten und ich das meiste davon wie einen unsichtbaren Gefängniszaun empfand - wenigstens hatte ich Nighton an meiner Seite. Unser Verhältnis intensivierte sich in diesen Wochen noch ein wenig weiter. Zwischen uns war etwas gewachsen, das ich schwer beschreiben konnte, aber ich würde es niemals missen wollen. Wir hielten uns gegenseitig irgendwie in all dem Chaos aufrecht. Er war natürlich trotzdem viel unterwegs, verbrachte zehrende Stunden in Oberstadt, wo er Bücher wälzte und zusammen mit Tharostyn und Azmellôn nach einem Weg suchte, Asmodeus erneut in die Hölle zu verbannen und zugleich Selene loszuwerden. Doch sobald er zurückkam, schien ein kleiner Teil dieser Last auf seinen Schultern abzufallen, als wäre ich für einen Augenblick sein Ort, an dem er zur Ruhe kommen konnte.
Die anderen waren ähnlich beschäftigt. Penny tauchte nur noch selten auf, weil sie bei den Seraph in Oberstadt stationiert war. Sie stand sogar kurz davor, selbst eine Seraph zu werden. Sam verlor sich stundenlang in World of Warcraft, während Evelyn andauernd irgendwelche Serien schaute. Sie war single, und das merkte man ihr an, denn sie war die meiste Zeit über ausgesprochen kratzbürstig.
Melvyn und Nivia verschwanden oft für Patrouillen, und Jason verbrachte die meisten Tage im Schwarzmarkt oder seiner alten Kirche, die er gerade wieder auf Vordermann brachte. In der zweiten Woche nahm er uns einmal mit in seine hochmoderne Penthouse-Wohnung im Light Monopol, und der Anblick hatte mir für eine Weile den Atem geraubt. Die riesigen Fenster ließen den Blick über ganz London schweifen, und ich musste mich zusammenreißen, nicht wie ein kleines Kind nach draußen zu starren. Jason war allerdings nur gekommen, um etwas bei seinem Portier Sean abzuholen, der vor seinen Sicherheitskameras saß und genüsslich Donuts verdrückte. Die Wohnung bekam ich nur zu sehen, weil ich nicht anders konnte, als neugierig zu fragen.
Ich versuchte, diese Augenblicke der Normalität zu genießen, mich an die kleinen Dinge zu klammern, die sich vertraut und greifbar anfühlten. Doch selbst in Harenstone, das inzwischen mehr Schutzbunker als Zuhause war, war es schwer, den Gedanken an Asmodeus und Selene zu verdrängen. Jede Woche, die verstrich, machte es deutlicher: Ich war hier gefangen – und mit jeder Barriere, die sie um das Haus errichteten, wuchs dieses bedrückende Gefühl. Der Gedanke daran nagte so sehr an mir, dass ich oft in Gedankenspiralen versank, die mich selbst erschreckten.
»Du grübelst schon wieder, oder?« Jasons Stimme riss mich abrupt aus meinen Gedanken. Ich fuhr zusammen und blickte auf, überrascht, den Erzengel vor mir stehen zu sehen. Mein Blick wanderte von ihm zu dem Einkaufscontainer, der noch unausgepackt im Flur stand. Evelyn und Nivia hatten mich begleitet – ich konnte nicht einmal mehr einfache Dinge wie Einkäufe ohne Begleitung erledigen.
Ohne dass ich ihn darum bat, hob Jason den schweren Einkaufscontainer hoch und trug ihn in die Küche, wo er ihn auf einer Theke abstellte. Ich bedankte mich und begann, die Sauerkirschen, die gesalzenen Chips und den Honig zu verstauen.
Jep, bevor sich einer wundert - das aß ich seit ein paar Tagen gerne in Kombination. Wer das jetzt abstoßend und unheimlich findet ... glaub mir, du bist nicht allein. Alle anderen im Haus hatten mich schon für verrückt erklärt und selbst ich fragte mich, was ich da eigentlich aß. Und nein, ich war nicht schwanger. Dafür gab es monatliche und äußerst schlagkräftige Beweise. Ging ja auch nicht, wie auch? Nighton und ich waren dank unserer übernatürlichen Gene so fruchtbar wie ein verbrannter Acker... was Vorteile mit sich brachte. Ich erklärte mir den Gefallen an diesen Dingen also einfach so, dass mein Magen ein Eigenleben entwickelt hatte.
Um auf Asmodeus zurückzukommen - die erste Zeit nach seinem Auftauchen hatte ich geglaubt, was in Oberstadt geschehen war, würde die ganze Gruppe irgendwie belasten, dass jeder die Anspannung spüren würde. Doch erstaunlicherweise verhielten sich alle so, als wäre rein gar nichts passiert. Alles ging weiter, als hätten wir es mit einem harmlosen Ereignis zu tun gehabt. Ich wunderte mich, bis Nighton mir eines Abends verriet, dass er niemandem erzählt hatte, was Asmodeus gesagt hatte. Wir alle wären ein Team, behauptete er immer – und dann verschwieg er der Gruppe so etwas Wichtiges. Es war so typisch für ihn. Trotzdem hatte ich ihm versprechen müssen, darüber zu schweigen. Warum er dieses Wissen für uns behalten wollte, war mir schleierhaft, aber… vielleicht versuchte er, mich zu schonen. Auch wenn es mir nicht gerade half, all diese stummen Gedanken allein mit mir herumzutragen.
Der Tag zog sich weiter dahin, und am Nachmittag entschloss ich mich, einen riesigen Topf Kartoffelsuppe zu kochen. Dieser Akt endete damit, dass der Deckel des Salzstreuers abfiel, sodass das gesamte Salz auf einmal in der Suppe landete. Am liebsten hätte ich gegen den Suppentopf getreten. Stattdessen kippte ich den ganzen ungenießbaren Brei in den Abfluss und verzog mich mit einem Eimer Erdbeerjoghurt auf die Couch, wo schon Jason und Evelyn saßen. Anderthalb Liter später fühlte sich mein Magen an, als hätte er ein eigenes Leben – etwas, das Nighton und die anderen im Wohnzimmer ziemlich belustigte. Ihr schadenfrohes Grinsen ignorierte ich einfach. Ich war wütend, und irgendwie tat dieser Joghurt zumindest so, als wäre er auf meiner Seite.
»Bei allen sieben Höllenkreisen«, stöhnte Jason schließlich, als er den leeren Eimer in meinen Händen sah. »Dass du dich nicht übergeben musst, grenzt an ein Wunder.«
Ich verdrehte die Augen. »Ich bin halt frustriert, na und? Erdbeerjoghurt geht immer. Ich bin eben nicht für kulinarische Abenteuer zu haben.«
»Abenteuerlich trifft’s wohl«, murmelte Sam grinsend von der anderen Seite des Raumes. Er war gerade dabei, mit Nighton übernatürliche Bewegungssensoren an den Fenstern zu installieren, die Gabriel vorhin vorbeigebracht hatte. »Wundert mich, dass du nicht spontan rosa angelaufen bist.«
»Oder dass sie den Joghurt nicht einfach auf uns gespuckt hat, wie bei einem Lama«, fügte Evelyn kichernd hinzu, und die anderen lachten.
»Das wär mal 'ne Taktik gegen Dämonen«, zog Sam spöttisch nach. »’Achtung, Jennifer kommt – ihre neue Spezialattacke: Erdbeerjoghurt-Geysir.’«
Ich grummelte nur, legte mich schwerfällig auf den Rücken und ignorierte sie alle, während Jason mir einen gespielt mitleidigen Blick schickte. »Mach dir nichts draus«, sagte er sanft, aber mit unterschwelligem Spott. »Die einen verschlingen eimerweise Joghurt, die anderen wissen halt, was sich gehört.«
»Oh, haltet doch einfach alle den Mund!«, stöhnte ich und legte beide Hände auf meinen Magen. »Habt ihr schon mal probiert, anderthalb Liter Erdbeerjoghurt einfach wegzulassen? Das ist unmöglich. Das Zeug ist so gut!«
Im Hintergrund hörte ich Nighton aufschnauben. Plötzlich tauchte sein Gesicht über der Lehne auf. Kopfschüttelnd und mit einem sarkastischen Grinsen kommentierte er: »Da fällt selbst mir nichts mehr zu ein. Außer, dass das absolut widerlich ist. Wehe dir, dir wird heute Nacht schlecht und du...«
Plötzlich schrillte die Türklingel, und das Geräusch schnitt so unvermittelt durch die Luft, dass ich fast vom Sofa fiel. Ich saß plötzlich kerzengerade, das Herz bis zum Hals klopfend. Das Haus war so stark gesichert, dass niemand – absolut niemand – unbemerkt bis zur Haustür gelangen sollte. Trotzdem hallte das Klingeln, hell und unüberhörbar, durch jeden Raum.
Eine drückende Stille legte sich über uns, wie ein Netz, das die Anspannung nur noch verstärkte. Sam und Evelyn erstarrten, Jason und Melvyn standen halb auf, und ich spürte, wie mir ein kalter Schauer den Rücken hinablief. Alle schauten zu Nighton, der langsam und entschlossen in Richtung Flur ging.
»Bleibt bei ihr«, murmelte er dabei an die anderen gewandt, ohne sich umzudrehen. Als er an der Tür ankam, hielt er für einen Moment inne. Dann runzelte er auf einmal die Stirn, legte eine Hand auf den Griff und riss die Tür mit einem Ruck auf.