Sofort kehrte Stille ein. Selbst die Musik stoppte.
Dorzar zerrte mich wieder auf die Beine, drehte mich schwungvoll zu sich um und presste mir eine Hand auf den Mund. Damit erstickte er jegliche Möglichkeit im Keim, nach Hilfe zu schreien. Er fixierte für einen Moment mein Gesicht. In seinen Augen glitzerte etwas Gefährliches, Gieriges auf, das mir tiefgreifende Angst bereitete. Alles in mir wollte weg von diesem Mann, der mich betrachtete, als wäre ich ein Stück Frischfleisch. Dorzar nahm den Blick von meinem Gesicht und schaute völlig ruhig in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Bedauernd und zugleich so leise, dass nur ich es hören konnte, stellte er fest: »Ich fürchte, wir müssen unsere Reise wohl oder übel auf das nächste Mal verschieben.«
Damit packte er mich ohne Vorwarnung am Nacken, hielt mir ein gekrümmtes Messer an die Kehle und drehte sich mit mir zu der Quelle der Stimme um. Fast zeitgleich bildete sich eine weitere Gasse zu mir und ihm, die den Blick auf die Tür mit dem Exit-Schild freigab. Und nicht nur auf die Tür. Nun konnte ich den Körper zu der Stimme erkennen.
Derjenige, vor dem die anwesenden unbeseelten Dämonen die Köpfe eingezogen hatten, war etwa eins achtzig groß und hatte dunkle, glatte Haut, die ihn fast wie eine lebendige Statue wirken ließ. Er trug ein weites weißes Hemd und eine dazu passende Hose. Im Vergleich zur düsteren Umgebung des Dämonenmarktes wirkte seine Kleidung fast blendend. Seine raspelkurzen schwarzen Haare lagen eng an seiner Kopfhaut, was die Konturen seines Gesichts betonte. Alles an ihm strahlte Macht und Erhabenheit aus. Aber es waren seine Augen, die mich am meisten faszinierten – sie hatten eine goldene Iris, die wie ein Sonnenaufgang leuchtete. Ich wusste genau, in welchen Gesichtern ich schon einmal solch eine Augenfarbe gesehen hatte - in denen der Erzengel. Das da vorne musste einer sein! Nur wo kam er plötzlich her? Und wer war das?
Seine Tattoos flackerten plötzlich durch, als er mich musterte.
Hinter ihm betrat in diesem Augenblick ein noch ahnungsloser Nighton die Halle. Pure Erleichterung flutete mich bei seinem Anblick. Fast hätte ich zu heulen angefangen. Er wirkte etwas verärgert, worüber jedoch, konnte ich nicht sagen. Doch in derselben Sekunde, als er den Kopf hob und realisisierte, wen Dorzar da festhielt, blieb er schlagartig stehen. Seine Kinnlade fiel hinab. Selbst von hier konnte ich sehen, wie sich Angst und Zorn wie Säure in seinen Augen verteilte. Mit mir hatte er offensichtlich nicht gerechnet.
»Du!«, stieß er überrascht und entsetzt zugleich hervor. Wen von uns beiden er nun meinte, konnte ich auch nicht sagen, aber es hätte sowohl mir als auch Dorzar gelten können, der den Griff um meinen Nacken nur noch verstärkte. Er ergriff zuerst das Wort.
»Hallo Yindarin.« Er spie das Wort Yindarin geradezu hervor. »Guck mal, was ich gefunden habe. Gehört das nicht dir?«
Anteile von Nightons Verwandlung vollzogen sich. Er ballte die Hände zu Fäusten und schien arg damit zu kämpfen, die Kontrolle über Sekeera zu behalten.
»Was willst du?«, presste er hervor, woraufhin Dorzar auflachte.
»So vieles, aber nichts, was du mir geben könntest. Nein, nein, alles, was ich brauche, befindet sich in diesem Körper hier-«, er versetzte mir einen leichten Stoß, »-womit du aber nichts zu tun hast. Die dunkle Herrin vermisst dich übrigens schmerzlich, hast du das gewusst?«
Nighton wurde furchtbar wütend, das konnte ich sogar hier spüren. Unruhe geriet in die unbeseelten Kreaturen rings um uns herum, was auch den goldäugigen Engel in Alarmbereitschaft zu versetzen schien.
Streng erinnerte er Dorzar: »Genug deiner offenen Provokationen, Dämon. Du weißt, dass ich kein Blutvergießen in dieser Halle dulde.« Dorzar kicherte nur und entgegnete: »So, wie du keine Menschen duldest, zumindest schreibst du das groß auf die Fahne dieses Schwarzmarktes, Nyxar.«
Nighton tat einen Schritt auf mich und Dorzar zu. Das hatte zur Folge, dass der Engel ihn am Arm festhielt. Die zwei kannten sich scheinbar. Nighton starrte mich angstvoll an und ich schaute hilfesuchend zurück.
»Lass sie los!«, bat er Dorzar mit leicht wackelnder Stimme. Der lachte wieder. Inzwischen tat mein Nacken von seinem Griff extrem weh.
»Ha!«, rief er mit einer Mischung aus Arroganz und Belustigung. »Wo habe ich so ähnliche Worte nur schon mal gehört? Ach ja, damals in der Residenz unserer Herrin, als du so dramatisch hereingestürmt kamst. Sieh dich bloß an. Du magst vielleicht der neue Yindarin sein, aber du wirst dich niemals-«
»Dorzar!«, fiel der dunkelhäutige Mann Dorzar verärgert ins Wort. Etwas an der Umgebung änderte sich. Das Licht wurde heller, reiner, goldener. Ich brauchte einen Moment, um zu verstehen, dass es von ihm ausging. Der vermeintliche Erzengel wuchs deutlich in die Höhe. Er straffte sich und funkelte den Dämon bedrohlich an.
»Das ist deine letzte Warnung. Du kennst die Regeln. Kein Blutvergießen und keine Gewalt in diesen Hallen. Jetzt lass den Mensch los und geh deiner Wege, sonst wirst du es bereuen!«
Ich hörte Dorzar seufzen. Mit einem Mal lockerte sich sein Griff.
»Ihr seid alle so langweilig. Aber gut, ich habe keine Lust, mich mit dir zu messen, Nyxar. Jedenfalls heute nicht. Nun denn, auf, Jennifer, renn zu deinem Yindarin. Lauf ihm in die ausgebreiteten Arme, die vor einiger Zeit noch bereitwillig deinen Tod umarmt haben. Wir sehen uns schon sehr bald wieder.«
Er ließ mich los. Wie von der Wespe gestochen schoss ich auf Nighton zu, der mich sofort packte und hinter sich bugsierte. Ich konnte spüren, wie sich seine Hand wie ein Schraubstock um meinen Arm legte.
Ich war einfach nur erleichtert, dass Dorzar mich nicht länger in seiner Gewalt hatte. Der schickte mir an Nightons Statur vorbei noch einen gruseligen Blick, dann drehte er sich auf der Ferse um und verschwand in der Menge.
Der Engel schaute mich mit gerunzelter Stirn an.
»Wir bringen dich besser hier raus, Mensch«, sagte er zu mir und nickte in Richtung der Tür. Er hob den Blick, gab irgendein unsichtbares Zeichen und das Treiben stellte sich wieder ein. Auch die Musik ging los. Zwar konnte ich die Aggression spüren, die unter den unbeseelten Dämonen herrschte, doch keiner von ihnen schien es zu wagen, mich anzugreifen. Das fand ich sehr interessant. Ich kannte Dämonen nur im Angriffsmodus, stets bereit, sich und ihr Leben aufs Spiel zu setzen, um zu vernichten oder zu fressen. Diese hier schien jemand zu kontrollieren. Etwa der Engel? Und wo war eigentlich der geballte Hass hergekommen? Selten hatte ich so viele Dämonen auf einem Haufen gesehen, die sich voll und ganz ihrem blinden Zorn ergeben hatten. Zumal ich sie weder bedroht noch angegriffen hatte. Was steckte nur dahinter?
Der Engel setzte sich in Bewegung, auf die Exit-Tür zuhaltend. Nighton zog mich mit sich. Wir folgten ihm durch die Tür und in einen Gang hinein, der mit rotem Teppich ausgekleidet war. Er führte uns zu einer schwarzen Tür, die er öffnete und aufhielt. Sogleich betraten wir einen hochmodernen Raum, in dessen Zentrum vier sich gegenüberstehende Sofas standen. In ihrer Mitte befand sich ein Kamin und die hintere Wand des Raums wurde von einer langen Bar eingenommen. Der Engel schloss wortlos die Tür und lief auf die Bar zu, wo er eine braun-rote Flüssigkeit in drei Whiskeygläser einschenkte.
Nighton ergriff mich an den Schultern. Sein Griff war fest und ich konnte seine unterdrückte Anspannung fühlen. Als ich zu ihm hochschaute, war mir mehr als klar, dass er sich gerade massiv zusammenriss.
»Geht es dir gut?«, fragte er eindringlich. Ich schaffte es gerade so, zu nicken. Am liebsten hätte ich mich in der nächsten Ecke eingeigelt. Was hatte ich mir bloß gedacht? Ich hätte draufgehen können...
Der Engel kam mit drei halbvollen Gläsern in der Hand auf uns zu. Er drückte erst mir und dann Nighton eins in die Hand.
»Beruhigt die Nerven«, war die Erklärung dazu. Er selbst ging auf eines der Sofas zu und setzte sich. Den Alkohol stellte er neben sich auf der Lehne ab.
»Setzt euch«, forderte er uns auf.
Nighton ließ mich los. Mit dem gefüllten Glas lief ich wie in Trance auf eines der Sofas zu, um mich darauf niederzulassen. Nighton folgte mir und nahm neben mir Platz. Er wirkte nach wie vor erschüttert.
Der Mann nahm wieder sein Glas in die Hand. Er schwenkte die Flüssigkeit darin umher, während sein Blick voll unverhohlener Neugierde auf mir lag. »Um das klarzustellen, Menschenmädchen - ich habe viel riskiert, indem ich für dich eingeschritten bin. Wenn der Yindarin nicht solch immenses Interesse an deiner Person gezeigt hätte, wer weiß, wohlmöglich hätte ich es dem Diener der dunklen Herrscherin gestattet, dich mitzunehmen. Allerdings sind Nighton und ich sehr alte Freunde.« Sein Blick huschte zu Nighton. »Und ich habe ihn in all der Zeit nicht einmal in Begleitung eines weiblichen Wesens gesehen, das ihm so wichtig zu sein scheint. Wer bist du also, dass du diese Adamanthülle zum Schmelzen gebracht hast?«
Ich öffnete schon den Mund, doch Nighton kam mir zuvor. Mit finsterer Miene und angespanntem Kiefer antwortete er: »Das ist Jennifer.«
Langsam ließ der Engel das Glas sinken und legte den Kopf schief.
»Moment – Jennifer? Die Jennifer? Der gefallene Yindarin, von dem selbst die Unterwelt spricht? Das Mädchen, an das die Kriegsherrin dich gebunden hat?« Das Leuchten in seinen Augen wurde etwas heller. Es war mir fast unangenehm, ihn anzusehen, also senkte ich den Blick auf das Glas in meinen Händen. Man sprach über mich?
Nighton bejahte.
Der Mann musterte mich mit neuem Interesse und murmelte: »Hochinteressant. Entschuldige, Jennifer Ascot. Ich wusste nicht, dass du es bist.« Er neigte den Kopf ein wenig, was in mir zusätzlich auch noch Verwirrung stiftete. Was sollte denn dieser Umschwung? Ich war kein Yindarin mehr!
Der Engel fuhr fort.
»Mein Name ist Azrael, ich bin ein Erzengel, wie du sicher schon gemerkt hast. Allerdings ziehe ich meinen irdischen Namen vor, der Jason lautet. Du darfst mich nennen, wie es dir beliebt. Es ist mir eine Ehre, deine Bekanntschaft zu machen.« Er schenkte mir ein warmes Lächeln, das allerdings schwand, als er Nighton anschaute, der mit seinem Blick Löcher in seine Oberschenkel bohrte. Ernst sagte er zu ihm: »Sie darf nicht wieder herkommen, Nighton. Hier ist es viel zu gefährlich für einen Menschen.«
Nighton verkrampfte sich und schickte mir im selben Zuge einen tödlichen Blick, der mich schrumpfen ließ. Um ihn herum wurde es heißer. Da blühte mir bestimmt noch was.
»Ist mir durchaus bewusst«, knurrte er zurück.
»Gut«, erwiderte Jason. »Sie verjagt meine Kundschaft. Wenn die denkt, Holywing sei kein sicherer Ort für dämonische Waren, dann geht mein Umsatz in den Keller, und das wäre nun wirklich das Letzte, was ich anstrebe, verstehst du?« Er lehnte sich noch etwas weiter zurück und betrachtete mich eingehend. Kurz kehrte Schweigen ein, dann räusperte er sich und setzte wieder ein Lächeln auf.
»Also, wo waren wir stehengeblieben, bevor wir so rüde unterbrochen wurden?«
Nighton rieb sich mit einer Hand über das Gesicht.
»Was? Ich - keine Ahnung.« Er blinzelte. Der Engel half ihm auf die Sprünge und erklärte: »Du hattest dich über meinen Decknamen lustig gemacht.«
Er lachte, ungeachtet meiner und Nightons aktueller Gefriertruhen-Stimmung.
»Und ich wollte dich fragen, ob du denn denkst, dass irgendwer Respekt vor einem Dämonenschwarzmarkt-Besitzer hat, der Jason heißt und auch noch ein Engel ist. Die Antwort lautet nein. Da musste etwas anderes her, etwas, das auch diejenigen, die ich von mir fernzuhalten gedenke, nicht zu mir führt. Und ich meine, mich zu erinnern, dass du hereingeplatzt bist, weil du eine Frage zu einem Produkt hattest. Allerdings sei hier gleich gesagt, dass der Schwarzmarkt ein neutraler Umschlagplatz ist, wo selbst ein Yindarin nichts zu sagen hat. Das war jedenfalls die Einigung mit Nedeya damals.«
Nighton schickte mir einen letzten Blick, dann schien er sich tatsächlich zu fangen, denn als er zu sprechen begann, klang seine Stimme weitaus gefestigter.
»Von der Einigung habe ich gehört, und sie interessiert mich nicht. Mach hier, was du für richtig hältst, aber sorg dafür, dass keine dämonischen Aktivitäten nach Außen dringen. Es gibt mehr und mehr Berichte über Dämonen-Sichtungen hier in der Nähe, und die Menschen werden misstrauisch. Jetzt haben dich die Engel auf dem Radar, und da du ja nicht willst, dass deine Geschwister dich finden, kann ich dir nur zu mehr Vorsicht raten. Pass einfach auf.«
Jason schaute wieder zu mir und brummte: »Hm. Ich werde es beherzigen, danke für die Warnung.« Plötzlich wechselte er das Thema und bemerkte so ganz nebenbei: »Kannst du dir vorstellen, was die Dämonengöttin mit Nathral-Öl vorhaben könnte?«
Erschrockene Stille trat ein.
»Beim besten Willen nicht«, antwortete Nighton nach einigen Augenblicken. Er klang ehrlich besorgt. Sich vorlehnend hakte er nach: »Besitzt du etwa welches? Hast du es ihr verkauft? Was hast du noch gehört?«
Der Erzengel nahm den Blick von mir und strich sich mit einer Hand über den Kopf.
»Nein, natürlich habe ich ihr keines verkauft«, versicherte er. »Und selbst wenn ich Nathral-Öl besäße, würde ich das sicher nicht an Selene verkaufen. Immerhin wird das für die schwierigsten Erweckungsrituale genutzt, und ich will mir gar nicht ausmalen, was die dunkle Herrin damit plant, zu erwecken. Mehr weiß ich aber auch nicht. Ihr Speichellecker Dorzar hat vorhin danach gesucht, das ist alles.«
Nighton nickte. Ich konnte ihm gerade ansehen, wie beunruhigt er war. Da erhob er sich, Jason zunickend.
»Tut mir leid für die Probleme, die du durch uns bekommen hast«, sagte er akzentuiert zu Jason, ohne mich anzuschauen. Ich sah meine Chance, zu Wort zu kommen, nickte und stimmte kleinlaut zu: »Ja, und danke für die Hilfe vorhin, das war-«, ich schluckte, da ich Nightons vernichtenden Blick auf mir spürte, »-sehr knapp.«
Der Erzengel rang sich ein halbes Lächeln ab, während er zwischen Nighton und mir hin und her sah.
»Das war es in der Tat. Ich bin froh, eingeschritten zu sein. Bedenke meine Worte, Jennifer Ascot. Du solltest in Zukunft weniger unvorsichtig sein, wenn du weiterhin in unserer Welt Fuß fassen willst.«
»Hm-hm«, brummte ich, nach wie vor kleinlaut.
Nighton räusperte sich.
»Komm, lass uns gehen.« In seiner Stimme schwang etwas Unheilvolles mit, und ich wusste genau, dass ein Donnerwetter auf mich wartete. Eigentlich sollte es mir egal sein, was er mir zu sagen hatte - nur sah ich mich leider nicht unbedingt im Recht. Mein Sturkopf und mein unverbesserlicher Drang, Grenzen zu überschreiten, hatten mich hier reingeritten.
Dennoch erhob ich mich nur sehr, sehr langsam. Jason stand ebenfalls auf und wünschte uns beiden eine sichere Heimkehr, ehe er zum Schluss noch fast etwas wehmütig zu Nighton sagte, der sich bereits zum Gehen gewandt hatte: »Wir sollten wieder mal einen trinken. Über alte Zeiten reden. Es ist viel zu lang her.«
»Warum nicht«, stimmte Nighton zu, dem Erzengel ein halbes Lächeln schenkend. »Wenn das Gröbste hinter uns liegt und wir rausgefunden haben, wer Jagd auf Jennifer macht, gerne. Bis dahin.«
Er schob mich vorwärts. Normalerweise hätte ich ihm dafür was erzählt, immerhin war ich kein Sackkarren. Doch in diesem Moment ließ ich es einfach mit mir machen, auf Streiten war ich nicht aus, zumal ich wusste, dass ich meine Kräfte für den kommenden Sturm aufbewahren musste.
Wir hatten einen anderen Weg genommen als den, den ich gewählt hatte. Darüber war ich ziemlich froh, denn ich hatte nicht das Bedürfnis, nochmal über den Schwarzmarkt zu gehen. Nighton war so geladen, dass er nicht ein Wort mit mir redete, sondern voranstürmte.
Draußen auf dem Parkplatz jedoch fuhr er so abrupt zu mir herum, dass ich erschrak und fast einen Sprung in die Luft machte. Uns trennten nur noch wenige Meter zum Auto.
Auf mich zeigend knirschte er mit vor Wut sprühenden Augen: »Ich hatte so verdammt viel Geduld mit dir, mehr als in den achtzehn Jahren meiner Wächterschaft zusammen, aber das hier? Bist du jetzt komplett-«
Aus dem Nichts gab es einen ohrenbetäubend lauten Knall. Nightons Auto explodierte. Instinktiv riss er mich mit sich zu Boden. Glühende Hitze breitete sich zu allen Seiten aus und ich rollte mich auf den Bauch, um ihr irgendwie zu entgehen. Eine zweite Explosion hallte durch die Nacht. Etwas traf mich am Arm. Ich schrie vor Schmerz auf, blieb aber am Boden.
Daraufhin hallte ein schrilles Piepen durch meinen Kopf. Durch die flimmernde Luft hielt ich nach Nighton Ausschau, der etwa zwei Meter von mir entfernt auf dem Boden lag und sich nicht rührte. Mit einem lauten Ächzen richtete ich mich auf, ehe ich auf ihn zu kroch.
Durch den Rauch konnte ich flackernde, Taschenlampen-ähnliche Lichter erkennen, die sich jedoch von uns wegbewegten. Also zollte ich ihnen keine Aufmerksamkeit, sondern lenkte meinen Blick auf das Auto.
Ich war gar nicht im Stande, zu verstehen, was da gerade passiert war.
Der Cadillac lag in alle Einzelteile zersprengt auf dem Asphalt und brannte lichterloh. Von oben regnete es kleine Ascheflöckchen und in der Luft lag der beißende Gestank von verbranntem Gummi. Ein brennender Reifen kullerte an mir vorbei, dem ich ausweichen musste. Bei Nighton angekommen stieß ich ihn vorsichtig an. Kleine Brandwunden überzogen seine Haut an der ein oder anderen Stelle, aber er schien nicht schwer verletzt zu sein.
»Nighton! Hörst du mich?«, ächzte ich, ehe ich des Rauches wegen husten musste. Nighton schlug die Augen auf und blinzelte mir entgegen. Plötzlich schien ihm einzufallen, weswegen er auf dem Boden lag. Augenblicklich fuhr er hoch und starrte entgeistert an mir vorbei auf die Überreste des Autos. Ich sah ihm seinen Schmerz über den zerstörten Wagen an. Dann ergriff er mich an der Schulter.
»Geht es dir gut?«, wollte er wissen und musterte mich voller Sorge.
»Ich denke schon«, bejahte ich matt. Erst jetzt fiel mir auf, wie sehr meine Hände zitterten.
Nighton stand auf und half mir auf die Beine. Dann ging er stockend auf das Autowrack zu und blieb mit hängenden Schultern davor stehen. Die Hitze des Feuers schien ihn gar nicht zu kümmern.
»Was, aber - wie? Mein Auto...«, raunte er so leise und traurig, dass ich es fast nicht gehört hätte, wäre ich nicht neben ihn getreten.
Anstatt ihm eine Erklärung zu liefern, setzte ich mich wieder hin und legte den Kopf auf mein Knie. Plötzlich fühlte ich mich furchtbar kraftlos. Ich wollte nur noch Schlafen.