Vor dem besagten Haus stand sie nun. Zuerst musterte sie alles. Zwei Zäune trennten die Häuser rechts und links von seinem. Ein Briefkasten stand am Wegesrand im leicht verwilderten Gras und die Rollos waren nur zur Hälfte geöffnet. Ein griesgrämiger Mann mit Bierbauch, ein bisschen älter, linste zu Gamia, während er sich um sein Blumenbeet kümmerte. "Was möchtest du denn da? Geh lieber, da wohnt ein verrückter Kauz!" rief er ihr zu, aber Gamia reagierte nicht auf seine Worte, grüßte und klingelte dann. Die Klingel läutete laut und komisch, dabei zuckte Gamia zusammen. Die Tür öffnete sich und nach kurzer Zeit trat Fritz in Erscheinung, der sehr freudig grüßte. "Hallööchen! Komm rein!" bat er schnell, bevor ein Spruch vom Nachbarn kam, aber kaum war Gamia drin, hörte er seinen Nachbar rufen: "Fritz Dronner!!"
Beschämt schaute er aus der Tür. "Ja?" Er grinste. "Wer ist denn dieses Mädchen?" erkundigte er sich barsch und stolz antwortete Fritz: "Das ist meine Tochter!" Damit schloss er die Tür und ließ seinen verdatterten Nachbar zurück. "Wie?!"
Gamia stand im Flur und musterte alles. Über die Situation musste sie ein wenig schmunzeln. "Ich bin total glücklich und aufgeregt, dass du mich wirklich besuchen gekommen bist! Äh, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll." Über diese freudige Verlegung kicherte Gamia. "Alles gut. Wie wäre es einfach damit, wenn du mir das Haus zeigst?" schlug sie ruhig vor und Fritz nickte. "Ja! Ja gute Idee!"
Er fing bei der Stube an und Gamia staunte über seine Sammlungen oder den großen Fernseher. Es folgte die weniger eingerichtete Küche, der Garten, welcher nicht sehr gepflegt war, aber Gamia erblickte kleine Grabsteine. Das Schlafzimmer war auch sehr simpel gehalten, mit dem Kleiderschrank und dem großen Bett. Für den Schluss hob sich Fritz etwas ganz Bestimmtes auf. "Hoffentlich erschreckst du dich gleich nicht." murmelte er und zeigte Gamia das letzte Zimmer. Sie hatte zwar kein Temperaturempfinden und äußere Umstände wie ein Feuer wirkten sich nicht auf die Todeswesen aus, aber sie sah die hochgedrehte Heizung und bemerkte, dass der Raum wärmer sein musste, als die vorherigen Zimmer.
Dann erblickte sie die Terraintiere. Eine Schlange, ein Gecko und mehrere Vogelspinnen. Ganz begeistert erzählte Fritz von seinen Haustieren, unteranderem wie sie hießen und wie lange er diese schon hatte. "Eine Zeit lang hatte ich auch einen Wellensittich und eine Ratte, aber diese leben leider nicht mehr. Dir sind sicher die Grabsteine im Garten aufgefallen. Dort habe ich sie begraben." erklärte Fritz und lief mit Gamia zu jedem einzelnen Terrarium. Interessiert hörte Gamia zu, sah sich alles an, als Fritz fragte, ob sie nicht einmal eine seiner Vogelspinnen streicheln wolle. Sie bejahte ein wenig nervös und Fritz ließ vorsichtig eine Vogelspinne auf seine Hand krabbeln. Vorsichtig tastete Gamia über die Vogelspinne auf seiner Hand und ließ sie dann langsam auf ihrer krabbeln. "Cool. Warum magst du die Tiere so gerne?" fragte sie nach und Fritz freute sich über Gamias Interesse. "Ich finde diese Tiere einfach faszinierend. Du musst einmal miterleben, wenn sie sich häuten! Und irgendwie passen sie doch zu mir." antwortete er lächelnd und nahm sanft die Vogelspinne wieder an sich und setzte sie wieder ins Terrarium ab.
Schließlich setzten sich beide auf das Sofa in der Stube und Gamia bewunderte immer noch die DVD und Büchersammlung. "Ich lese auch sehr gerne! Um ehrlich zu sein verschlinge ich Bücher regelrecht." erzählte sie begeistert und Fritz teilte diese Leidenschaft. "Ja, man kann in eine andere Welt abtauchen!"
Fritz war ein wenig nervös, Gamia in dieser Weise nahe zu sein, als nur bei einem Kartenspiel. Gamia freute sich darüber, eine Gemeinsamkeit gefunden zu haben. "Weiß du, ich habe mich immer ein wenig wie ein Außenseiter in der Familie gefühlt, dass ich anders bin als Mutter oder Kilian. Ich hatte immer das Gefühl, etwas würde nicht passen. Ich bin erleichtert, dass ich jetzt weiß, was es war." Aufmerksam hörte er ihren Worten zu. "Inwiefern hast du dich denn immer falsch gefühlt?" Er setzte sich im Schneidersitz auf das Sofa.
"Naja, ich war immer so ruhig und pflichtbewusst, während beide aufgeweckt waren. Du kennst Mutter ja." Am Ende lächelte Gamia und Fritz erzählte: "Ich war genauso, das hast du von mir." Er wurde ein wenig rot und Gamia verstand endlich viel mehr. Ihre ruhige Art, die Begeisterung zum lesen, der spitze Zahn oder das Talent zum Karten spielen. Das waren alles Dinge, die sie von Fritz geerbt hatte.
"Mutter kam manchmal mit Vorschlägen, ob ich nicht mit möchte oder es langweilig wäre, wenn ich nicht feiern gehe, aber ich denke..." "Innerlich wusste sie, warum du so bist." vollendete Fritz den Satz und lachend nickte Gamia.
"Sag mal, wie geht es bei dir und Gina jetzt weiter? Tut mir wirklich leid. Wenn ich kann, helfe ich wo es geht!" bot er schuldbewusst an und senkte den Kopf. Seine Tochter nahm ihm aber jedes Schuldgefühl, das ihn plagte. "Es ist in Ordnung, du hast nichts falsch gemacht und jeder hätte so reagiert." Fritz nickte. "Die Zeit war auch nicht schön und ich musste oft daran denken, besonders an deinem Geburtstag. Gina und ich hatten uns zwei Jahre nach deiner Geburt wiedergesehen und um Geld gewettet. Als sie verlor musste sie mir ein bisschen über dich erzählen und erst da wusste ich, dass ich eine Tochter mit dem Namen Gamia habe." Man erkannte den Stolz in seinen Augen, wenn er aber an die letzten Jahre dachte, mischte sich Traurigkeit in den Glanz seiner Augen.
Seine Tochter seufzte nachdenklich und antwortete dann: "Sie trennen sich und Mutter zieht mit mir aus. Er war ziemlich wütend und hat sich, nachdem du weg warst, laut zur Rechenschaft gezogen und meinte, er wolle ihr gerne eine klatschen." Sauer zuckte Fritz zusammen. "Wenn ihr nicht wisst wohin, könnt ihr gerne zu mir, aber ich finde es unerhört von diesem Kerl, was er mit Gina vorhatte!" Er war sichtlich erzürnt und Gamia beruhigte ihn. "Er hat es nicht getan und wir haben ihm gesagt was Sache ist!" Ebenfalls dankte sie ihm für das Angebot und Fritz gab sich bescheiden. "Das ist selbstverständlich."
Ein kurzer Moment der Stille herrschte. "Und wie geht es dir jetzt so allgemein mit der Situation? Ziemlich viel, oder?" erkundigte Fritz sich besorgt. "Nun ja, es ist schon neu, etwas gewöhnungsbedürftigt, aber ich bin wie gesagt eher erleichtert. Ich fand es auch um, ehrlich zu sein, ein wenig komisch, dass ich dir irgendwie so vertrauen konnte, auch wenn die erste Begegnung mich ein wenig erschreckt hat." Das freute Fritz sehr zu hören und war geschmeichelt. Das bedeutete Fritz wirklich viel.
"Wo wir bei der ersten Begegnung sind. Wie bist du mit Mama zusammen gekommen?" Freudig fragte sie ihren Vater und setzte sich ebenfalls im Schneidersitz hin. "Das ist ein wenig kompliziert zu erzählen und es fällt mir auch nicht ganz leicht." gestand er offen und ehrlich, was Gamia nachvollziehen konnte. "Du musst es auch nicht erzählen." meinte sie, aber Fritz schüttelte den Kopf. "Es ist schon in Ordnung. Ich fasse mich kurz. Damals war ich drogenabhängig und sie hat mir aus dem Mist rausgeholfen. Ich traf sie ebenfalls zufällig und spielte Karten mit ihr. Sie hat gewonnen, sauer bin ich weggegangen, aber sie ist mir gefolgt. Nur habe ich irgendwann Mist gebaut und sie hat mich verlassen. Aber alleine schon aus dem Grund, dass sie mir da rausgeholfen hat und ich jetzt hier bin, so wie ich bin, habe ich ihr zu verdanken. Dafür liebe ich sie wirklich sehr." Ein Rotschimmer legte sich auf seine Wangen, seine Seelenspiegel funkelten und nervös spielte er mit seinen Fingern rum. Es tat Gamia leid, dass ihr Vater einst von dieser Sucht eingenommen wurde. "Warum warst du...?" fragte sie unsicher mit geknickte Kopf und leiser Stimme nach.
"Für jedes Todeswesen geht es irgendwann ins Totenreich, zur Lehre und als mir dies gelehrt wurde, hatte ich es ziemlich schwer. Dazu kamen andere Sachen und ehe ich es mich versah, steckte ich in den Fängen eines Teufels." Gamia fehlten alle Worte bei der Erzählung und sie hatte ein großes Mitgefühl ihrem Vater gegenüber. "Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Es macht mich glücklich, dass du diese Zeit überstanden hast und es besser ist." murmelte sie und dem stimmte Fritz zu, auch wenn nicht alles besser war. "Ja, jetzt habe ich dich und du machst mich glücklich." Er strich über ihre Haare und war entschlossen, Gamia irgendwann mal alles ausführlich zu erzählen.
Es dämmerte ein wenig und Gamia schien keine Anstalten zu machen, heim zu gehen, was Fritz auch verstehen konnte. Deshalb beschloss er ebenfalls daheim zu bleiben, bei seiner Tochter. Ihm war egal, welches Risiko er sich aussetzte und wie Adrian reagieren würde.
Zum Abend sahen sie sich noch einen Film an und Gamia war begeistert von den Medien der Menschheit, die sich über die paar Jahrhunderte faszinierend entwickelt hat. Auch wenn die Menschheit manchmal Rückschläge einstecken musste, besonders von der Natur.
Da es immer später wurde, fragte Fritz seine Tochter irgendwann, ob sie heim geht oder bei ihn übernachten möchte. Aufgrund der Umstände entschied sie sich für zweiteres. Daheim fühlte sie sich nicht wohl. "Ich möchte nicht heim, Vater." bat sie besorgt und Fritz konnte erst gar nicht glauben, wie Gamia ihn eben genannt hat. Sein Herz füllte sich mit Freude und Stolz. "N-natürlich! Ich freue mich! Sicherlich habe ich noch Bettzeug da oder du kannst in meinem Bett schlafen und ich auf dem Sofa! Mich stört das nicht!" schlug er vor und dankend nahm Gamia das Angebot an. "Mich würde es auch nicht stören." sagte sie und beide lachten über ihre Bescheidenheit. Schließlich legte Fritz sich aufs Sofa und ließ Gamia in seinem Bett übernachten. Während er da so lag, ließ er sich die ganze Familienthematik nochmal durch den Kopf gehen und dachte an etwas ganz bestimmtes, bevor er in den Schlaf fiel.
Fritz weckte Gamia am nächsten Morgen und fragte sie, was ihr Plan für den heutigen Tag sei. "Wie immer im Totenreich die Akten durchgehen. Dann mal sehen." meinte sie gelassen und Fritz nickte. "Ich möchte auch ins Zwischenreich, ich muss jemand Wichtiges besuchen gehen. Wie ich es doch hasse, das Totenreich." murmelte er verachtend und Gamia fragte, was er gegen die Totenwelt hatte. "Kommt von damals. Da kam alles eben ein bisschen zusammen, auch mit der Drogengeschichte, dass ich mich hier ansässig gemacht habe. Ich kenne aber die Erzählungen, die sich ein paar Todesgeister erzählen." seufzte er unerfreut und Gamia wusste, welche er meinte. "Ich kann auch gerne mitkommen!" schlug sie vor und Fritz musste schmunzeln. "Das wollte ich dich gerade fragen!" Ohne sich noch viel Zeit zu lassen, brachen sie schon ins Zwischenreich auf.
Im Zwischenreich beäugte Fritz dieses mit verhassten Blick. "Folg mir einfach, dort wo wir hin wollen, ist es nicht weit." wies er an und Gamia lief ihm hinterher. "Zumindest hoffe ich, dass sie noch dort leben." wisperte er und sie liefen die Treppe eines Wohngebäudes hoch. Gamia fragte sich, wem Fritz meinte, bis sie vor einer Tür standen und klingelten. Einen Moment dauerte es, bis diese aufging und Fritz hatte schon die Befürchtung, es sei keiner da.
Eine schwarzhaarige Frau, die Fritz ähnelte, weitete die Augen, in denen sich Tränen ansammelten. Die Freude und Erleichterung standen ihr ins Gesicht geschrieben. "Oh mein..." Ihr rollten Tränen über das Gesicht und sie drückte Fritz ganz stark an sich. "Fritz, mein Junge! Wo warst du nur? Wir haben dich so vermisst, seit 20 Jahren gesucht! Ich bin so erleichtert, dass du wohlauf bist!" schluchzte sie und Fritz umarmte seine Mutter ebenso freudig. Auch ihm lief eine Träne runter. Seine Mutter wischte sie die Tränen aus dem Gesicht und sah mit ihren grünen Augen zu Fritz. Sie drehte sich zur Wohnung um. "Cedric?! Kommst du bitte einmal?!" rief sie überglücklich und ein großer schlanker staatlicher Mann mit schwarz-blauen Mantel trat aus der Wohnung zu ihnen und konnte seinen Augen nicht trauen und musste sich beherrschen. "Mein Sohn! Ich habe solange nach dir gesucht... Was bin ich froh, dass es dir gut geht!" Er zog ihn zu sich für eine Umarmung. Kaum war die erste Freude über das Wiedersehen vorüber, fiel das Augenmerk auf Gamia, die dem Szenario mitfühlend zugesehen hatte und zu Fritzs Eltern blickte. Beide hatten schwarze Haare und grüne Augen. Seine Mutter hatte zerzauste lange Haare und sie schien nicht viel wert auf Kleidung zu legen, wenn man die Löcher in ihrem Jeansrock begutachtete. Währenddessen war Cedric sehr edel gekleidet, mit seinem schwarzem Hemd und der blauen Krawatte. Die Haare gingen knapp bis zu den Schultern und er trug einen Seitenscheitel, während seine Frau einen Pony trug. Ihre Gesichter wurden von einer schwarzen Brille betont.
"Wer ist dieses hübsche junge Mädchen, Fritz?" erkundigte sich Fritzs Mutter lächelnd und hatte einen Verdacht. "Das ist Gamia, sie ist meine Tochter und eure Enkelin." Sie behielt Recht mit ihrer Vermutung und schaute zu Cedric. "Ist das nicht schön, Felicia?" sagte Cedric gelassen und sie stellten sich Gamia vor. "Komm, lass dich drücken." schmunzelte Felicia stolz, umarmte ihre Enkelin, während Cedric Gamia erst die Hand reichte, sich leicht verneigte und sie dann umarmte. Über dieses sehr höfliche Verhalten lächelte Gamia und freute sich über die Umarmung, die sie erwiderte. "Ich bin Oma." schmunzelte Felicia grinsend und krallte sich an Cedrics Arm. Gamia gefiel der Gedanke, dass sie Großeltern hatte und war von beidem sehr begeistert.
Sie betraten alle die Wohnung und setzten sich ins Wohnzimmer, welches direkt der erste Raum war, den man nach betreten der Wohnung erblickte. Das Ehepaar setzte sich ihren Sohn und Enkelin gegenüber. "Wo ist Frederic?" erkundigte Fritz sich und Gamia fragte sich, wer das sei. "Noch in der Totenwelt, Seelen geleiten. Er kommt aber bald heim." antwortete Felicia lächelnd, bevor sie sofort fragte, wie es ihm denn so ergangen sei, warum er solange weg war und wo er war. Es fiel Fritz nicht leicht, aber er wollte seinen Eltern und Gamia diesmal endlich die ganze Geschichte erzählen und senkte den Kopf. Gerade als er anfangen wollte, ging die Tür auf und ein lautes aufgewecktes "Hallooo!" ertönte.
Die männliche Gestalt mit schwarzem langen Haar, welches zu seinem Pferdeschwanz gebunden war, lief zu Felicia und Cedric, aber stockte perplex, als diese Fritz sah. "Oh mein... Das ist jetzt nicht wahr?! Frissie, du bist es wirklich! Ich glaube das jetzt nicht!" Freudig und unter leichten Tränen drückte er Fritz an sich und gab ihn mehrere Wangenküsse. "Frederic!" lachte Fritz und umarmte Frederic ebenfalls. "Wo warst du, großer Bruder? Da kommt man normal vom Seelengeleit heim und dann sitzt der verschollene Bruder dort!" Seine Freude kaum zu bändigen wissend, schaute er schließlich Gamia an. "Das ist deine Nichte Gamia." erklärte Fritz breit grinsend. "Hallo! Ich bin der Frederic, nenn mich ruhig Freddy Ricci! Ich bin der kleine Bruder von deinem Papa!" stellte er sich ausgelassen vor und nahm ihre Hand. Er wollte sie drücken. "Darf ich?" erkundigte sich Frederic zuerst und lächelnd bejahte Gamia, bis sie dann sehr fest gedrückt und auf die Wange geküsst wurde. Frederic setzte sich zur Familie. Fritz fing wieder dort an, wo er anfangen wollte.
"Es gab einen Grund, warum ich solange nicht hier war..."