Von Yannis Schicksal war Alma komplett aufgelöst und das Paar lag sich eine Weile einfach nur weinend in den Armen. Alma war sprachlos und hoffte, dass sie Yannis trotzdem ein Gefühl von Nähe und Trost geben konnte. Ihre Kleidung wurde von den Tränen ganz nass und sie überreichte Yannis ein zweites Tuch, mit welchem sie die Tränen wegwischte. "D-danke, dass du da bist..." schniefte Yannis mit leiser Stimme und vergrub ihr Gesicht in Almas Oberkörper, welche Yannis fest umarmte. "Es ist schlimm, was dir zugestoßen ist..." hauchte Alma und versuchte die richtigen Worte zu finden. "Daniel wartet sicher im Himmel auf dich und passt auf dich auf." sagte sie sanft und ergriff Yannis Hand. "Ich bereue meinen Suizid! Wenn ich mir vorstelle, wie meine Eltern meinen leblosen Körper fanden.... Wenn ich an Mutters Reaktion denke... Was habe ich meiner Familie damit nur angetan?! Ich habe alles schlimmer gemacht! Ich möchte wieder zu ihnen!" Yannis hatte große Gewissensbisse und fühlte sich schuldig. "Du kannst zu ihnen. Wir können sie besuchen gehen, wenn es dir Trost spendet." schlug Alma, mit einem Lächeln, vor und sah ihrer Freundin dabei tief in die Augen. "Ja? Das würde ich sehr gerne." schniefte Yannis und lächelte ein wenig. Vorsichtig standen sie auf und wischten die letzten Tränen weg, bevor sie durch ein Flügelportal in Yannis Haus gingen.
Das Licht war leicht gedämmt und die Familie saß zusammen. Der Tod von Babette hatte sie zusammen kommen lassen und Yannis sah zum ersten Mal ihre Familie nach drei Jahren wieder. Ihr kleiner Bruder war volljährig und ihre Schwester, mit der sie sich einst ein Zimmer teilte, war mit ihren 15 Jahren mitten in der Pubertät. Yannis sah sich um und erblickte einen kleinen Altar mit Bildern von sich, liebevoll geschmückt mit Kerzen, Engeln und einem Kreuz. Bei diesem Anblick wurden Yannis Augen glasig, als sie das Bild von sich als Baby sah. "Ich erinnere mich daran, wie meine Eltern mir damals erzählt haben, dass sie bis zu meiner Geburt nicht mal wussten, was ich werde." erzählte Yannis diese kleine Anekdote schmunzelnd und Alma schaute über die Fotografien. Darunter waren Bilder von Yannis Schulzeit, der Lehre und anderen Bildern, die schöne Momente auffingen. Yannis blickte zu ihren Eltern, die etwas kräftiger waren und zu ihrem großen Bruder, der mit seiner Frau dort war und den beiden Söhnen. "Er ist Vater geworden..." schmunzelte Yannis grinsend und sah zu dem Älteren, der erst mühsam lief, auf dem Teppich fiel und seinem Bruder das Plüschtier wegreißen wollte, als Yannis Bruder ermahnte. "Jan, ärgere deinen kleinen Bruder Nis nicht!" Seine Frau hob den Älteren hoch und setzte ihn auf ihren Schoß ab. Yannis stockte und kniete sich zu den Tragebettchen des knapp 1-Jährigen. Eine Träne rollte ihre Wange hinunter, aber diese war aus Freude. "E-er hat seine Kinder in Gedanken an mich diese Namen gegeben." schniefte sie und war ganz begeistert von den Kleinen. "Yannis hätte sicherlich ihre Freude mit den Kindern gehabt... Sie wollte auch immer so gerne Kinder haben..." erinnerte sich ihre Mutter Serafina, senkte den Kopf und griff nach der Hand ihres Mannes Funkus. Mit funkelnden Augen tippte Yannis dem schlafenden Baby auf die Nase. "Es hätte sie aber sicher auch mit Oma sehr mitgenommen." ergänzte Yannis große Schwester und senkte geknickt den Kopf. Auf dem Tisch stand ein Bild von der früheren Babette neben einer Kerze. "Wenigstens geht es Mutter jetzt im Himmel besser und Yannis ist sicher auch dort und trinkt Kaffee mit ihr, wie früher." lächelte Serafina ermutigend und als Yannis diese Worte hörte, kamen ihr fast die Tränen. "Oh Mama..." seufzte sie getroffen und setzte sich an den Tisch. Dabei hielt sie Almas Hand fest. Sie saß noch eine Weile dort und hörte ihrer Familie einfach nur zu, bis ihre Mutter die Kerze auf dem Altar anzündete. Yannis stand auf, während sie weiterhin Almas Hand hielt. "Lass uns gehen. Es war sehr schön, wieder hier zu sein." sagte Yannis leise und gedankenverloren, bevor sie ihren Rückweg antraten.
Bei Yannis daheim entledigte sie sich von ihren Klamotten und zog sich einen Pyjama an. "Ich danke dir sehr, dass du mich begleitet hast und mich die ganze Zeit im Arm gehalten hast." Alma machte es glücklich, dass sie ihrer Freundin Trost spenden konnte. Gemeinsam legten sie sich ins Bett und Yannis fühlte sich sehr wohl an Almas Seite. Schließlich schlief sie sanft lächelnd ein.
Während Yannis am nächsten Morgen daheim bleib, um sich ein Konzept für eine Sense zu überlegen, ging Alma normal zu den Sensenschmieden. Es klopfte an der Tür und Alma öffnete diese. "Hallo Papa." grüßte sie erfreut, als sie auch Cedric erblickte und ihn lächelnd begrüßte. Henrik überreichte ihr ein paar Sensenaufträge. "Die wurden fälschlicherweise in der Gilde abgegeben." erklärte er und strich über ihr Haar. Ihr fiel die Sense auf, die Cedric in der Hand hielt. Anscheinend bemerkte Henrik ihren Blick. "Wir zwei gehen gemeinsam Seelen geleiten." sagte Henrik schmunzelnd und Alma verstand. "Wir sehen uns dann sicher später noch einmal. Ich muss auch weitermachen." verabschiedete Alma sich lächelnd und schloss die Tür.
Henrik nahm seine Sense und öffnete ein Flügelportal. "Ich finde es toll, endlich wieder mit dir zusammen Seelen zu geleiten. Das erinnert mich an unsere Prüfung, wie wir unsere erste Seele geleitet haben!" schwelgte Henrik freudig und lachte. Sein Bruder nickte lächelnd. "Stimmt." Zufrieden sah Cedric zu Henrik und wie immer hegte Henrik eine besondere Begeisterung. "Ich weiß noch, wie unser Prüfer immer besondere Leistungen von uns erwartet hat, aufgrund unserer Eltern." sagte Cedric zu seinem Bruder und nahm die erste von zwei Akten zur Hand. Die Zweite überreichte er Henrik. "Du hast Recht. Was haben die nur immer von uns erwartet, nur weil Vater und Mutter die Gildenführer und wir die ersten Todesengel waren? Das hat selbst mich erzürnt." erwiderte Henrik, während er einen Blick in die Akte warf.
Nach der Prüfung hatte der Tod die Zwillinge gefragt, ob sie ihre Lehre in der Gilde beginnen wollten. Cedric lehnte einst ab, während Henrik zusagte. Bei dem ersten Seelengeleit waren die Zwillinge schon vier Jahre zerstritten gewesen und ihre Wege trennten sich nach der Lehre, als jeder seinen Weg ging und bei Florenz auszog. Sie sahen sich von da an nur noch in der Gilde.
Die Brüder teleportierten sich in ein Zimmer. Es war ein Kinderzimmer und an der Tür hing ein Schild mit den Namen der Schwestern:
Lina und Mina
Cedric und Henrik standen rechts und links von dem Bett der siamesischen Zwillinge, welche sich eine Nase und einen Mund teilten, da ihre Köpfe zum Teil miteinander verwachsen waren. Sie hatten je einen Arm und ihr Brustkorb war miteinander verwachsen, während ihre Unterkörper getrennt waren. Die Zwillinge waren erst wenige Tage alt, doch nicht über lebensfähig. Cedric setzte die Sense an Minas und Henrik seine Sense an Linas Herzen an. Zwei kleine Engel erschienen am Bett der Mädchen und geleiteten zusammen mit den Todesengeln die Seelen der Mädchen. Da beide noch Babys waren, sprachen Cedric und Henrik nur ihre Namen, Geburtstag und den heutigen Todestag aus. Die Seelen kehrten zurück in den Himmel. Die kleinen Engel kehrten in den Himmel zurück und standen bei zwei kleinen braunhaarigen Mädchen, die lächelnd aufeinander zuliefen, sich an die Hände und sanft ins Gesicht fassten. Sie glichen sich sehr und umarmten sich, bevor sie im Himmel miteinander spielten. Dabei folgten die kleinen Engel ihnen und spielten mit den Zwillingsschwestern zusammen.
Cedric und Henrik musterten die Körper der verstorbenen Mädchen und waren im stillen Gedanken. Sie sprachen es nicht aus, aber dachten beide dasselbe. Diese Mädchen waren auch Zwillinge, welche jedoch ein kurzes Leben gehabt hatten, da ihre Körper sich einst nicht so trennten, wie sie sollten und sie dadurch keine hohe Lebenserwartung gehabt hatten. Dies musste nicht immer so sein, doch an diesem Leben zeigte sich der Fehler von Mutter Natur.
Mutter Natur stand in einem Raum im Himmel und hatte ihre menschliche Form abgelegt. Ein grünes Licht sprach mit einer hellen Erscheinung. "Geehrter Himmelsfürst, es tut mir so leid, dass ich einigen deiner Seelen keinen heilen vollständigen Körper geben kann! Bitte verzeih mir! Ich bin untröstlich darüber, deine Erschaffungen nicht richtig zu würdigen." sprach Mutter Natur verzweifelt, als die sanfte Stimme des Himmelsfürst ertönte.
"Es ist in Ordnung, Mutter Natur. Ich bin dir unfassbar dankbar, dass du den Seelen einen Körper und die Möglichkeit gibt's, auf der Erde zu existieren. Fehler passieren und selbst meine Werke zeugen nicht von Perfektion." Mutter Natur erhörte die tröstenden Worte des Himmels und dankte ihm aufrichtig für seine Nachsicht. Würdevoll verabschiedete sich Mutter Natur vom Himmelsfürst und kehrte zurück zu ihrem Ort, als sie durch ein Licht trat. Besorgt blickte der Himmelsfürst ihr hinterher, als dieser leichte Grautöne in ihrem sonst so grünen Licht wahrzunehmen schien.
Während Alma normal zu den Sensenschmieden ging, blieb Yannis daheim und überlegte sich ein Konzept für ihre erste eigene Sense. Anfangs fiel ihr dies nicht leicht, sie war im Gedanken auch noch am gestrigen Abend und seufzte, als sie einen Geistesblitz hatte und an Almas Wand mit den ganzen Notizen für Sensen und irgendwelche Bauprojekte dachte. Kurzerhand entschied sie sich dazu, eine Sense mit Metallstab zu schmieden, welche ein fein geschwungenes schmales Sensenblatt haben sollte. Sie schrieb sich alles auf, was von Relevanz war und sprintete dann los, um sich bei den Sensenschmieden schon einmal alles herauszusuchen.
Yannis hatte für ihre Prüfung einen eigenen Abteil bereit gestellt bekommen. "Sie haben schon ein Konzept entwickelt, Krempenlauer?" hakte ihr Lehrmeister nach, welcher an ihr vorbeilief und inne hielt. Eifrig nickte Yannis. "Heute sammle ich erstmal alles zusammen und überdenke noch ein paar Dinge." erzählte Yannis freudig und winkte Alma, als diese strahlend an ihr vorbei kam, aber auch schnell wieder zu Sibylle eilte. Yannis war aufgeregt, denn zum ersten Mal schmiedete sie eine Sense komplett alleine. Doch freute sie sich auch, bald ein vollwertiger Sensenschmied zu sein.
Später räumte Yannis auf und verließ ihre Arbeitsstätte, bevor sie am morgigen Tag weiter an ihrer Sense arbeiten würde. Die ganze Zeit hatte sie ein Gefühl von Stolz in sich.
Alma war immer noch bei den Scythe Makern am arbeiten, seit mehreren Stunden. Ihre Lehrmeisterin hatte viel zu tun. Sibylle war auch schon relativ gereizt von dem Stress und Alma wusste, dass ihre Lehrmeisterin dann schnell ausarten konnte. Diese Erfahrung hatte Alma oft gemacht, wie zu Anfang ihrer Lehre, als Sibylle sie auch mal von der Arbeit entlassen hatte. Deshalb tat Alma alles, damit Sibylle in Ruhe ihre Sensen schmieden konnte und Alma nicht mies anging. Alma hörte aufs Wort, brachte ihr alle Materialien und tat das, was ihr aufgetragen würde. Zwischendurch sollte sie Stab und Sensenblatt miteinander verschweißen oder eine Deko aus Metall anfertigen. Dies gelang ihr auch und Sibylle war zufrieden. Vor allem konnte sie es für die bestellten Sensen benutzen. Nach weiteren zwei Stunden hatte Sibylle eine weitere Sense fertig und lief mit Alma zum Tod, um die vielen Sensen zu segnen, bevor sie diese schließlich einsortierten und alles wegräumten. "Sie haben heute gut mitgearbeitet, Frau Corenzola." lobte Sibylle ruhig und Alma stockte. Dies bedeutete ihr sehr viel, denn Sibylle lobte die Leute nicht wirklich. "Danke." Alma grinste und Sibylle verstand nicht, was Alma daran jetzt erfreute, doch so kannte Alma ihre Lehrmeisterin. Die Beiden waren unter sich. "Wissen Sie, ich hatte schon schlechtere Lehrlinge, aber Sie sind ein sehr löblicher Lehrling. Sie haben Talent, das sehe ich. Zudem arbeiten Sie gewissenhaft. Ich möchte schon fast sagen, ich bin stolz auf Sie, Sie alt Lehrling zu haben. Lassen Sie sich das aber nicht zu Kopf steigen oder bilden sich was darauf ein, so besonders ist das nicht und Sie sind trotzdem noch weit davon entfernt, an mein Talent heranzukommen."
Der letzte Satz war typisch Sibylle, doch Alma nahm sich das nicht zu Herzen, sie war sich dessen bewusst. Das erste Lob erfreute sie allerdings sehr und sie faltete die Hände zusammen, lächelte und ihre Augen funkelten auf. Relativ kühl sah Sibylle dem entgegen, als würde sie sich fragen, was Alma denn für einen Sprung in der Schüssel hat. Auf einer Art war sie das von Alma aber schon gewohnt. "Danke, Frau Klinke. Wissen Sie, ich bewundere Ihr Handwerk sehr und bin froh, bei Ihnen zu lernen!" dankte Alma erneut und absolute Freude überwältigte sie. Es war das erste Mal, dass Sibylle sie auf diese Art gelobt hatte. Sibylle verdrehte nur die Augen und drehte sich um. "Das macht die jahrzehntelange Erfahrung." wimmelte sie das Kompliment ab und entledigte sich von ihrer Schürze, bevor sie ihren Zopf löste und Alma Sibylles langen grauen Haare sah, die bis knapp über die Schulter reichten. "Sie dürfen gehen. Ich werde Sie morgen nicht so lange hierbehalten, dafür, dass Sie heute schon viel geleistet haben. Auf Wiedersehen!" Kühl drehte Sibylle Alma den Rücken zu, bis auch Alma schließlich heimkehrte und dort von der Erschöpfung überrannt wurde. Müde fiel sie ins Bett und schlief ein.