Johannes lehnte sich an den Grabstein und Tränen flossen sein Gesicht hinunter. Er vergrub sein Gesicht tief in seine Arme.
"Johannes? Mein Lieber, warum weinst du?" Jorinas Geist erschien vor ihm und setzte sich neben ihn. Er spürte ihre Hand auf seiner Schulter und ihre wohltuende Wärme.
"Erinnerst du dich an die Frau, der ich hier begegnet bin?" Jorina nickte. Daraufhin erzählte er von ihrer Bindung zueinander und den Worten, die sie ihn an den Kopf warf.
"Sie wollte damit sagen, dass du mich abgetrieben hättest, wenn du es gewusst hättest und ich Schuld an deinem Tod wäre. Sie hat über dich gesprochen als wärst du eine Wahnsinnige." schniefte Johannes und sah zu seiner Mutter.
"Verrückt bin ich, das akzeptiere ich noch, aber der Rest? Wieso spricht sie so über Tote, die sie nicht kennt?"
"Dass du dabei nicht wütend wirst." fragte sich Johannes, bis seine Mutter entgegnete: "Oh doch, das bin ich, sehr sogar. Aber mir tut es gerade mehr weh, dich in diesem Zustand zu sehen." Sie zog Johannes zu sich.
"W-wenn du es damals gewusst hättest, hättest du es dir noch einmal überle-" Jorina legte die Finger auf Johannes Lippen.
"Das hatten wir doch schonmal. Ich wollte immer eine Mutter werden und ich wusste, dass mein Kind nicht ganz normal sein würde. Ob es jetzt einfach durchgeknallt oder zur Hälfte der Tod ist, ist doch egal."
"Oder beides." Jorina schmunzelte. "Und ich sagte doch einst, ich bin gerne für dich gestorben, so komisch das klingen mag." Aufmunternd lächelte sie und Johannes wischte sich das feuchte Nass weg. "Lieber komisch als normal."
"So ist es!" bestätigte Jorina und Johannes stand auf. Seine Mutter tat es ihm gleich. "Komm her." Eine lange mütterliche Umarmung folgte.
"Danke." Johannes versuchte zu lächeln.
"Grüß Jeremy von mir. Du wirst ihm sicher auch davon erzählen." bat Jorina und bestätigend nickte Johannes.
"Natürlich. Er wusste immerhin auch davon." Mutter und Sohn verabschiedeten sich voneinander und kehrten in ihre Welten zurück.
Heather saß Sarah gegenüber auf dem Sofa. Sie war nachdem Anruf persönlich vorbeigefahren. "Du solltest nicht jeden dir unbekannten Menschen in dein Bett einladen." mahnte Heather.
"Laut seiner Aussage war er ja kein Mensch." äffte Sarah und zog an ihrer Zigarette. Eigentlich rauchte sie nicht in der Wohnung sondern nur im Garten. Die Geschehnisse des abends brachten sie dazu, diese Regel zu brechen.
"Ich hatte einen Geisteskranken zwischen den Beinen, bah." Heather rollte mit den Augen. "Krieg dich wieder ein. Die ganze Sache zwischen euch war auf Dauer doch zum scheitern verurteilt." Heather stützte sich an ihr Handgelenk.
"Stell dir aber mal vor, der hat recht und du wärst schwanger mit etwas, das halb Leben und Tod ist. Wie soll das überhaupt funktionieren? Leben und Tod zusammen passt einfach nicht." Sie lehnte sich weit zurück.
"Ich weiß ja nicht. Für mich sind das ein und dieselbe Münze. Ich bin auch ehrlich, ich würde so ein Kind bekommen. Ist doch egal was es ist. Es ist gewollt vom Himmelsfü-" Heather stockte. In einigen Situationen kam ihr alter Glaube in ihr hoch.
"Ich würde auch ein Kind lieben, dass beeinträchtigt zur Welt kommt. Immerhin ist es mein eigen Fleisch und Blut. Und wusstest du, dass es Menschen gibt, die Geister sehen können?"
"Alles Quacksalber! Schön, dass du das könntest, aber ich würde es abtreiben oder zur Adoption freigeben. Ich kann mich nicht um einen Pflegefall kümmern." Heathers Blick verschränkte sich.
"Du kannst dich nicht mal um dich selber kümmern." dachte Heather genervt und trotz ihrer Sympathie mit Sarah, vertrat sie ihre Meinung nicht.
Heather verließ Sarah, als sie merkte, dass die Diskussion mit ihrer Vorgesetzten ihr die Kraft raubte. Sarah dankte und verabschiedete sich bis zum nächsten Tag. Auf ihrem Heimweg fuhr sie an Musukos Studio vorbei und fragte sich, warum dort noch Licht brannte.
"Der wird doch nicht schon wieder?" Sie parkte und klopfte an der Tür. Im Studio lief Dark Electro Musik im Hintergrund und das Klopfen ließ Musuko hochschrecken. Er war neben seinem Tablet eingeschlafen und starrte durch den Raum.
"Fuck, die Stromrechnung." Er blinzelte und sah zur Tür. Er stand auf und erkannte Heather vor dieser. Kurzerhand öffnete er ihr.
"Hi Heath. Danke, dass du mich wieder geweckt hast." Er gähnte laut und trottete ins Studio. "Der Tag war anstrengend. Erst hatte ich besuch von meinem Lehrmeister, ach er hat mir unser Symbol der Freundschaft gestochen." Er zog sein Hosenbein ein Stück hoch und Heather staunte.
"Wie war es mit ihm?" erkundigte Heather sich. "Entspannter als gedacht. Er ist ruhiger geworden, war aber enttäuscht, als sich keine Gelegenheit bot, mir zuzusehen bei meinem Handwerk." Heather nickte. "Und danach habe ich an Auftragsarbeiten gezeichnet. Dabei bin ich erneut eingepennt. Gut, dass du zufällig vorbeikamst." dankte er.
"Ohne mich hättest du eine sehr hohe Stromrechnung." scherzte Heather und Musuko bestätigte diese Aussage.
"Äh, warum bist du überhaupt um 22:30 unterwegs?" hakte er nach.
"Ich war bei einer Kollegin. Ach, eine Frage! Sie hat erzählt, sie hätte Zoff mit ihren ONS gehabt, der sagte, er sei ein Halbbluttodesengel. Glaubst du an sowas?" Musuko gähnte leise.
"Klar, aber bei sowas ist Mom Spezialist. Sie erkennt Todeswesen." meinte er und Heather erinnerte sich an eine Erzählung aus früher. "Stimmt, das erwähntest du. Ich finde das unglaublich faszinierend."
"Yep, unglaublich ist Mom tatsächlich. Sie wäre ein klasse Gehilfe des Todes." Über diese Worte schmunzelte Heather. "Ist sie das nicht schon?" Musuko wirkte als hätte er einen Geistesblitz. "Stimmt! Na dann, ich schließ ab und geh zu Mikel hoch. Der schläft bestimmt schon." Er nahm sein Tablet und verabschiedete Heather vor dem Laden.
Musuko lief die Treppen zur Wohnung hinauf und entgegen aller Erwartungen war Mikel hellwach. Mit seinem Tablet vor sich und im Schneidersitz auf dem Bett sitzend, scrollte er durch verschiedene Internetseiten. Dabei hatte er ein Lächeln im Gesicht. "Sorry, dass ich erst so spät wieder da bin. Ich bin, mal wieder, im Studio eingeschlafen.", Er stieg zu Mikel aufs Bett. "Heather hat mich geweckt." Mikel sah von seinem Tablet auf.
"Wenn das erneut geschieht sollte ich vielleicht mal nach dir gucken, wenn es zu spät wird." Seine Finger umfassten eine Kette, an der ein Edelstein befestigt ist.
"Wäre ratsam. Mich wundert es mehr, dass du noch wach bist." entgegnete Musuko und setzte sich hinter Mikel, um ihn über die Schulter zu schauen.
"Ich sehe mich nach Ideen für unsere Hochzeit um. Schwarz ist klar, aber wollen wir irgendwo eine Location buchen oder im kleinen Kreis feiern? Ich habe mein Urlaub für diesen Zeitraum schon eingereicht. Wer kommt denn alles?" Mikel hätte weitere Fragen gestellt, wenn Musuko ihn nicht gestoppt hätte.
"Lass uns in ruhe darüber reden. Jetzt bin ich zu müde, um dafür einen klaren Gedanken fassen zu können. Musuko gähnte und Mikel legte das Tablet zur Seite.
"Ok, aber wenn wir in einer Location sitzen wollen, müssen wir rechtzeitig buchen und-" Musuko zog ihn nach hinten auf das Bett. "Keine Location, ok? Wir werden nicht viele sein. Lass uns schlafen." murmelte Musuko und Mikel machte es sich in seinen Armen gemütlich. "Ok, aber du weiß, ich muss alles organisiert haben." Bevor Mikel weiterreden konnte, drückte Musuko seine Lippen auf die von Mikel.
"Wir sprechen morgen darüber, ja?" Mikel sagte kein Wort mehr und nickte nur. Er legte seine Kette ab und zog die Decke über sich und seinen Liebsten. "Ich freu mich nur so sehr." hauchte Mikel und schloss die Augen. "Wir werden zusammen alt."
"Dann bist du ein alter Hexer und ich ein Gothic Opa mit Tattoos." scherzte Musuko und strich über Mikels Oberarm. "Ich glaube daran. Du kannst nicht leugnen, dass die Stimmung letztens besser wurde, nachdem ich das Räucherstäbchen angezündet habe." Musuko schmunzelte. "Stimmt. Weiß du, ich glaube Heather würde das auch gefallen." Er gähnte laut und schlief kurz darauf ein. Mikel blieb noch einen Moment wach. Die Gedanken kreisten um die Hochzeit und vor Euphorie konnte er nicht einschlafen.
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Heather und Sarah fanden sich mit der Zeit in ihren neuen Aufgaben zurecht. Sarah fühlte sich immer mehr wie eine richtige Chefin und Heather war überrascht, wie sie sich durchsetzen konnte. Gelegentlich stutzte Heather auch Sarah zurecht, wenn sie über Themen wie Johannes anfing zu sprechen.
"Für einen One-Night-Stand hängst du dich ziemlich dran auf!" Sarah verschluckte sich beinahe an ihren Kaffee.
"Ich möchte nicht schlecht über Menschen reden, die ich nicht kenne."
"Er war ja kein Mensch wie er sa-"
"Sarah!" Heather funkelte ihre Chefin zornig an. "Ok, ok!" Sarah trank ihren Kaffee aus und kehrte in ihr Büro zurück. Heather beantwortete auf ihrem PC wichtige E-Mails und linste auf ihr Tattoo.
"Wenn Damian mich sehen könnte, wie ich mich gemacht habe." seufzte sie und schickte die Nachricht ab. Der Geist von Damian stand neben ihr. "Er wäre sicher stolz auf mich." Ein wärmendes Gefühl umfing Heather.
"Und wie ich das auf dich bin." Seine Hand strich über Heathers Schulter. Er ließ von ihr ab und begab sich zurück in den Garten Eden.
Ein Anruf ereilte Heather, den sie entgegen nahm. "15 Stücke Kuchen zu Samstag? Klar, welche denn? Ok, ist notiert. Auf den Namen Lenner? Alles klar. Schöne Woche, schüß." Heather tippte die Bestellung ein.
Niklas legte das Handy zur Seite. "So, jetzt kann sich dein Onkel nicht mehr über den fehlenden Kuchen beschweren." scherzte Niklas und sah zu Gamia, die auf dem Sofa lag und sich in ein buch vertiefte. Sie setzte ein Lesezeichen und schlug es dann zu. "Ich sag ihn das lieber nochmal, bevor er Samstag mit Kuchen aufkreuzt." Gamia stand vom Sofa auf, legte das Buch auf den Abstelltisch daneben und kam auf Niklas zu. "Ich bin gleich im Totenreich. Dort werde ich ihn vorwarnen." Sie schmunzelte und gab Niklas einen Kuss.
"Und ich bin drüben bei Jakob. Er braucht etwas Aufmerksamkeit. Er ist doch sonst alleine."
Das Paar verabschiedete sich voneinander. Niklas lief das kleine Stück zu Jakob rüber, der bereits auf ihn wartete. Sie setzten sich in seinen Garten an einen Tisch und Stuhl, der bereits in die Jahre gekommen war. Jakob war bereits an die 60, die wenigen Haare ergraut und mit mehr Falten im Gesicht. Für sein alter sah er verlebt aus. Dies wusste er selbst.
"Wie konntest du dich für 62 so jung halten, Niklas?" Unzufriedenheit schwang in seiner Frage mit. "Naja, jeder Körper ist anders. Meinen Vater sah man das Alter auch nicht an. Vermutlich genetisch bedingt, haha." Unmöglich konnte er Jakob die Wahrheit sagen.
"Ja und du hast deinen Kummer sicher nicht in Alkohol ertränkt. Was hab ich getrunken, als Alicia und die Kinder fort waren." Er starrte in den Himmel hoch. "Hast du noch Kontakt zu deinen Kindern?" Jakob senkte den Blick. "Sporadisch. Meine EX hat den Kontakt so gut es ging gering gehalten. Ich habe sie nicht oft gesehen. Letztens erst durfte ich erfahren, dass meine Tochter geheiratet hat. Damals hat sie so gelitten, als meine Ex ging. Ja und mein Sohn meidet bis heute den Kontakt zu mir." Mit den Fingern tippte er auf den dreckigen Metalltisch, der mal weiß war. "Und das wegen eines Ausrutschers mit Rin. Diese Frau ist ein Teufel. Hoffentlich hat sie ihre Strafe bekommen." Niklas verschluckte sich fast und hielt sich mit den Gedanken zurück, dass Rin wirklich aus der Hölle entstammte.
"Genug Selbstmitleid. Ihr hattet sicher auch zu kämpfen, weil ihr keine Kinder haben konntet."
"Äh ja. Man macht sich das Leben anders schön. Wer sagt, dass Glück und Leben von einer Familie abhängig sein müssen? Ebenso wenig wie heiraten." Er lächelte.
"Sieh mich an. Ich hatte das alles, verlor es und es kann mich auch nicht mehr glücklich machen. Aber du und Gamia, ihr hättet schon euren 25.ten, 30.ten Hochzeitstag haben können." Jakob vertiefte sich immer weiter in dieses Thema.
"Ja, aber so wichtig ist es auch nicht. Wir sing glücklich damit so wie es ist." Niklas wurde das Gespräch unangenehm. "Möchtest wohl nicht ihren Vater als Schwiegervater haben, oder?" scherzte Jakob und irritiert sah Niklas ihn an. "Darum geht's nicht. Wie kommst du drauf?" Jakob beugte sich zu Niklas rüber.
"Ich fand ihn immer komisch. Sollte er nicht bereits tot sein?" Im Gegensatz zu Jakob fand Niklas das nicht lustig.
"Fritz ist eine ganz nette Person." nahm Niklas ihn in Schutz.
"Ok, verstanden. Du, ich habe noch zu tun. Lass uns ein anderes Mal weiterquatschen." Jakob wollte ihn schnellstens loswerden und stand auf. Niklas verabschiedete sich von Jakob und kehrte auf seinen Hof zurück. In jungen Jahren mochte Niklas ihn. Mittlerweile war Jakob für ihn ein unangenehmer Zeitgenosse geworden der durch das Leben gezeichnet war und dies seine Mitmenschen merken ließ.