Im Zwischenreich hatte es sich einigermaßen beruhigt, auch wenn immer etwas im Zwischenreich los war. Ihr fielen die vielen Gruppen von Lehrmeistern und Todeswesen auf, die gerade dabei waren, die Totenwelt zu erkunden. Unter den Seelengeleitern fiel ein Junge mit langem weißen Haar und blauen Mantel direkt auf. Gewissenhaft folgte er dem erfahrenen Todesgeist und hielt vor einer Abteilung, in der handwerklich viel getan wurde. Es waren laute Klänge zu vernehmen und der Lehrmeister klopfte an die große Tür. "Ich komme sofort!!!" brüllte eine strenge barsche Frauenstimme, bevor eine großgewachsene ältere Frau in Schmiedekleidung vor den Anwesenden stand. Die langen grauen Haare waren zu einem Dutt zusammen gebunden und die kalten blauen Augen waren durchstechend. "Mein Name ist Sibylle Klinke und ich leite die Abteilung der Scythe Maker. Wir schmieden die Sensen der Seelengeleiter und verrichten eine handwerklich anstrengende Arbeit. Nicht jeder ist dafür gemacht und viele brechen die Fortbildung nach einiger Zeit ab. Es Bedarf viel Geduld und Können dieses Handwerk zu erlernen." Damit beendete Sibylle die Vorstellung und verabschiedete sich. Ihre direkte unbarmherzige Art hinterließ einen eher negativen Eindruck und entflammte nicht sehr viel Begeisterung.
Die Gruppe lief weiter und gelangte in einem medizinischen Gebäudekomplex. Ein Mann mit zusammengebundenen schwarzen Haar und kühlen Gesichtsausdruck nahm die Gruppe in Empfang und stellte sich vor. "Dr. Paul Commer, ich bin für den Bereich der Heiler zuständig." Er führte sie durch die Flure und verwies auf verschiedene Bereiche wie den Krankentrakt. "Wir behandeln Verletzungen von Seelengeleitern, die sie bei den Praktikerarbeiten davon getragen haben. Um Heiler zu werden, muss man eine Fortbildung nach der Lehre abschließen, welche einige Zeit in Anspruch nimmt." Er hatte eine strenge, aber höfliche und ruhige Art an sich, welche den Todeswesen positiver aufstieß, als von Sibylle.
Der Junge entfernte sich von den Lehrlingen, nachdem sie entlassen wurden und Josef nahm ihn in Empfang. Gemeinsam traten sie durch ein Flügelportal, welches über ihnen, statt wie bei den üblichen Todesportalen, ein Totenkopf aufwies. Kurz darauf befanden sie sich im Raum des Sensenmannes. "Guten Tag, Justin. Wie hat dir der erste Lehrtag gefallen?" erkundigte Gevatter Tod sich gelassen. Justin grinste. "Das Meiste wusste ich schon von deinen Erklärungen!" Damit setzte er sich an den rechten Platz beim Tod und schaute ihm über die Schulter. Der Tod gab ihm eine Akte und Silberfeder. Ihm wurde erklärt, dass sich das Aktenbild des Menschen immer änderte und nur bestimmte Daten relevant waren. "Alle Seelengeleiter verfügen über die Fähigkeit des jüngsten Gerichts, welche Ihnen erlaubt, alle Sünden und Tugenden eines Menschen einzusehen. So wird entschieden, in welche Welt die Seelen geleitet werden. Es ist nicht möglich, dass Seelen in ein anderes Reich geleitet werden, was Ihnen nicht zusteht." Aufmerksam lauschte Justin den Worten vom Tod und schrieb die ersten Daten auf. "Verändern sich die Todesdaten, werden diese mit einer Blutfeder korrigiert. Im Gegensatz zu Todeswesen sehen Sensenmänner oder Engel unvorhergesehene Todesfälle eher voraus, während es bei Todeswesen knapp ist. Genauso ist es uns möglich, noch bei Geistern ihre Todesdaten einsehen zu können."
Während der Tod Justin mehr über das Dasein berichtete, schrieb er die letzten Formalitäten auf und überreichte die Akte dem Tod, welcher Justin lobte. "Diese Aufgabe wirst du in deiner Lehre noch intensiv kennenlernen." berichtete Gevatter Tod und packte die Akte auf einen Stapel.
"Ich habe dir erzählt, wie das Totenreich und die Aufgaben funktionieren, aber du musst dir über die Regeln im Klaren sein." Damit holte er ein ansehnlich verziertes Buch hervor und packte es auf den Tisch. "Von dem Regelbuch gibt es nur drei Exemplare. Eines ist in meinem Besitz, das Zweite beim obersten Gildenmitglied und das Dritte beim Henker." Er schlug die erste Seite auf und Justin las sich die Regeln durch, hinter dieser direkt die Strafe bei Verstoß niedergeschrieben war.
1. Todeswesen müssen den Tod, die Toten und Seelen mit Respekt behandeln.
Strafe: Entzug der Sense. Es darf nur Theorektiker Arbeit verrichtet werden. Im Ernstfall darf eine Hinrichtung vollzogen werden.
2. Kein Mensch darf vor seinem eigentlichen Tod getötet werden.
Strafe: Henker
3. Todeswesen dürfen sich nicht, aus welchem Grund auch immer, gegenseitig töten.
Strafe: Henker
4. Todeswesen dürfen sich nicht, aus welchem Grund auch immer, gegenseitig verletzten. Ausnahme ist hier die Notwehr, welche jedoch keine Tötung nach sich zieht.
Strafe: Entzug der Sense. Nur Theorektiker Arbeit darf verrichtet werden.
5. Todesgeister dürfen sich nicht der Arbeit entledigen.
Strafe: Werden ausfindig gemacht, sind immer in Begleitung und dürfen nur Theorektiker Arbeit verrichten. Ein Verbot zur Menschenwelt wird ausgesprochen.
6. Todesgeister dürfen nicht zu lange bei lebenden Verwandten verweilen.
Strafe: Verbot zur Menschenwelt und nur Theorektiker Arbeit darf verrichtet werden.
7. Es darf nicht geschehen, dass Seelen zu spät oder gar nicht geleitet werden.
Strafe: Verbot zur Menschenwelt. Es darf nur noch zu zweit gearbeitet und Theoretiker Arbeit verrichtet werden.
8. Es darf nicht geschehen, dass Seelen, die nicht geleitet werden, in die Hölle gezogen werden.
Strafe: Verbot zur Menschenwelt und Entzug der Sense. Es darf nur noch zu zweit und Theorektiker Arbeit verrichtet werden. Zudem verlängert sich bei Todesgeistern die Strafe.
9. Die Identität des Henkers darf nicht preisgegeben werden. Die Identität kennt nur die Gilde und der Tod selbst.
Strafe: Henker
10. Menschen können nicht ins Totenreich gebracht werden.
Strafe bei Versuch: Verbot zur Menschenwelt. Nur Theoretiker Arbeit darf verrichtet werden.
11. Seelen können nicht ins jeweils falsche Reich geleitet werden. Die Fähigkeit des jüngsten Gerichts und Engel würden dies zu verhindern wissen.
Strafe bei Versuch: Es darf nur noch Theoretiker Arbeit verrichtet werden. Entzug der Sense.
12. Teufel dürfen nicht ins Totenreich gebracht werden.
Strafe: Henker
Aufmerksam hatte Justin sich die Regeln durchgelesen und schloss das Buch. "Verstehe." sagte er gelassen und lächelte ruhig. Es klopfte an der Tür und der Tod gewährte Einlass.
Henrik kam mit einigen Akten hinein und grüßte. "Guten Tag, Gevatter Tod." Lächelnd übergab er die Akten Josef, welcher sofort in einen anderen Raum verschwand, in welchen abgeschlossene Todesakten archiviert wurden. Henrik schien überrascht zu sein, jemanden beim Tod zu sehen und sofort klärte der Sensenmann die Situation auf. "Das ist Justin, mein Gehilfe. Ich lerne ihn gerade an." Daraufhin nickte Henrik und verbeugte sich. "Mein Name ist Henrik Dronner."
Bevor Henrik sich verabschiedete nahm er die Akten mit, die nur noch an die Praktiker verteilt werden mussten. "Henrik ist der Oberste in der Gilde." erklärte der Tod, nachdem die Tür sich schloss. Justin hörte den Erklärungen über die Gilde zu, bevor er eine Frage stellte, die ihm schon länger auf der Zunge brannte. "Wozu brauchst du einen Gehilfen?"
Der Sensenmann schien etwas überlegen zu müssen, um die richtigen Worte zu finden, damit er Justins Frage beantworten konnte. "Der Tod ist überall und taucht in verschiedenen Formen auf. Wie du weiß, kann ich diesen Raum eigentlich nicht verlassen, es gibt jedoch eine Ausnahmesituation. Wenn mehrere Todesfälle an einem Ort geschehen, wie bei einem Unfall, dann verlasse ich diesen Raum. Bei Situationen wie diesen wirst du mir zur Seite stehen und meinen Platz einnehmen. Genau wie die Gilde und Josef wirst du ein Über-/ und Vermittler sein."
Sein Gehilfe schien diese ruhige sachliche Erklärung zu verstehen, hatte trotzdem noch einige offene Fragen. "Warum genau kann Josef dir nicht auch dabei helfen?"
Kurz schaute Justin zu Josef, der mit unverändert kühler Miene beim Tod stand. "Josef ist kein Sensenmann wie wir. Du beherrschst als Sensenmann Dinge, die dich von einem Todeswesen unterscheiden. Unteranderem, dass du jede Aura, Seele und Verbindung spüren kannst, wie Teufel von Dämonen unterscheiden weiß. Deine körperliche Stärke und Unverletzbarkeit überragt die normaler Todeswesen und du bist im Stande, das Werkzeug des Todes zu führen. Zudem siehst du unvorhergesehene Tode früher als Seelengeleiter. Josef ist ein Überbringer, weder Todesgeist noch Todesengel. Er ist eine von mir geschaffene Totengestalt, um eine Verbindung zum Totenreich herzustellen. Zwar hat er die Aura eines Todeswesen, doch er ist nur eine Personifikation des Todes."
Gevatter Tod linste zu Josef, der mit geraden Rücken und Arme hinter diesen verschränkt, neben ihm stand. Josef nickte zustimmend und war sich seiner Aufgabe sehr bewusst. Diese führte er gewissenhaft aus und war dem Sensenmann sehr untergeben. "Hast du mich dann auch genauso wie Josef erschaffen?" hakte Justin interessiert nach und dem Tod fiel es nicht ganz leicht, auf diese Frage zu antworten, aber er wollte ehrlich mit Justin sein und erzählte ihm die Tatsache seiner Existenz so, wie es war.
"Ich habe dem Himmelsfürst um eine Seele gebeten, die mir zur Seite steht und der Himmelsfürst erlaubte mir dies. Deine Seele wurde jedoch nicht speziell für mich geschaffen, sondern war die eines Menschen." Justin versuchte dies zu verstehen, dass er einst menschlich war, bevor er ein Sensenmann wurde. Der Tod fuhr in seiner sachlichen Erzählung fort. "Bevor ich dir weiter erkläre, was es mit dir auf sich hat, möchte ich dir von den kleinen Engeln erzählen. Diese überbringen nämlich die Seelen Ungeborener, beschützen diese und geleiten Seelen von Kindern, die nie das Licht der Welt erblicken durften, wieder in den Himmel. Dort entscheidet der Himmelsfürst über die Seele. Die, die geliebt wurden leben als Seele im Himmel, beschützen und warten auf die Hinterbliebenen. Die, welche ungeliebt waren oder zum Beispiel abgetrieben wurden, werden zu kleinen Engeln." Das Schicksal und die Existenz der kleinen Engel war eine traurige. Sie waren immer mit Freuden bei ihrer Arbeit dabei und beschützen die Ungeborenen, dabei sind sie selber Seelen von Kindern, die nie leben durften und ungeliebt waren. Langsam verstand Justin, worauf der Tod hinaus wollte. "Genauso wie die kleinen Engel hast du als Mensch nie die Welt kennengelernt und solltest nicht auf deine Eltern treffen. Eigentlich hättest du ein kleiner Engel werden sollen, aber auf meinen Wunsch hin gab mir der Himmelsfürst deine Seele." Der Tod sprach sehr behutsam mit Justin, welcher das erstmal realisieren musste. Er schien es einigermaßen gefasst aufzunehmen.
"Wie ist es passiert?" hinterfragte Justin tapfer und war der Wahrheit gegenüber sehr gefasst. Der Tod ging Justins Frage nach und antwortete ihm in einem ruhigen Tonfall: "Deine Mutter war Alkoholikerin. Sie fuhr am 31.12.1671 mit dem Auto gegen einen Baum. Zwar überlebte sie, aber verlor dich dabei. Sie war im 6. Monat und es stand außer Frage, dass du ein schwer geistlich und körperlich behindertes Kind geworden wärst."
Gevatter Tod blickte zu seinem Gehilfen, der schluckte und die Worte kurz verdauen musste, bevor er nicht mehr schockiert sondern leicht lächelnd aufblickte. "Unter diesen Umständen hätte ich nicht leben wollen und ich bin glücklich, jetzt hier zu sein, wo ich bin. Ohne den Tod hätte ich dieses Leben führen müssen, was mir erspart bliebe. Für mich ist es eine Erlösung gewesen." Justin war wirklich sehr froh über den Tod und dem Sensenmann persönlich schien dies zu beruhigen. "Dieser Ort fühlt sich für viele düster und traurig an, aber er kann sich auch schön und befreiend anfühlen. Jede Seele empfindet dies anders und Todesengel, die hier geboren worden sind, sehen es als ihr Zuhause, wie die Menschen die Erde."
Fritz war ein Todesengel, welcher die Erde dem Totenreich vorzog, es sei denn er besuchte seine Eltern im Zwischenreich. Er wollte seine Eltern und Bruder einweihen und von der Verlobung berichten. Händchen haltend traten sie ein und Cedric schien schon einen Verdacht zu haben, was sei und mit funkelnden Augen hörte Frederic zu, als Fritz sagte, es gäbe etwas zu erzählen. Nach einer kurzen Zeit rückte er dann mit der Sprache raus und zeigte Ginas Hand mit dem Totenkopfring. "Wir werden heiraten."