Rin war spätabends um die Uhrzeit noch wach und auf dem Schafsfeld, bis ihr Vater sei rief und suchend auf das Feld lief, wo er sie sitzend im Gras fand und als Norbert näher trat erkannte er, dass sie ein totes, halb zerfleischtes Schaf streichelte, dessen offene Bauchdecke die Innereien entblößte. "R-rin, was tust du da? Geh von dem Schaf weg!" entfuhr es Norbert schockiert. "Ich mag sie, wenn sie so sind. Sonst kann ich sie kaum streicheln." erklärte sie kühl und strich vom Fell rüber zu den Eingeweiden, bis Rin von ihrem Vater hochgehoben wurde. "Ich hole ein Tuch und gebe es morgen der Abdeckerei."
Rin schüttelte den Kopf. "Nein, ich kann es doch essen. Ich habe Hunger. Du musst es auch nicht zubereiten, ich esse es so." Sie war komplett kalt bei ihrer Aussage. Norbert schluckte und gab nach. "Du hast aber noch nicht einmal den Vogel von neulich aufgegessen." erwiderte er, als Rin entgegnete: "Ich warte, bis die Maden kommen, dann schmeckt es besser." Sie blickte ihren Vater direkt an und er seufzte nur. "Das Schaf hast du aber nicht angefressen, oder?" hinterfragte Norbert und bekam ein Kopfschütteln. "Es lag schon so dort."
Beide traten zurück ins Haus. In der Zeit zischelte eine Schlange zwischen den Gräsern, nagte mit den Zähnen an den Organen des Schafes, bevor sich diese in dem Leichnam wälzte, jedoch wieder verschwand, als Norbert mit einem Tuch kam und das tote Schaf zu Rin ins Zimmer trug. Dort nahm Rin es in den Arm und streichelte es weiter. "Sie lassen sich wirklich leichter streicheln." murmelte sie, als ihr ein Geruch in die Nase stieg und sie instinktiv zur Schafsweide starrte.
In der Früh fing Gamia mit den Akten im Totenreich an und dachte an das Gespräch am Abend. Sie erinnerte sich daran, demnächst wieder etwas mit Niklas zu unternehmen, als sie ihren Raum verließ. Vom weiten erblickte sie ihre Oma und spurtete zu ihr. "Na, hast du deinen Eltern schon von unserem Erlebnis erzählt?" fragte Felicia nach, aber Gamia schüttelte den Kopf. "Ich wollte gerade Dienstschluss machen." sagte Gamia und Felicia grinste. "Du gehst sicher zu Niklas, oder?" Bei dieser Aussage gab Gamia ihrer Oma Recht. "Bleib aber immer du selbst." riet Felicia ihrer Enkelin ruhig. "Selbstverständlich, ich kann und werde mich nicht verstellen!" meinte Gamia entschlossen und selbstbewusst. Schnell strich Felicia noch über Gamias Haare, bevor beide durch Flügelportale zu unterschiedlichen Orten traten.
Daheim hörte Gamia geschnatter im Garten und als sie zu ihrem Vater sah, erblickte sie ihn im Stall, mit ein paar Stockenten. Perplex für die ersten Sekunden lachte sie dann aber auf und gesellte sich dazu. Fritz freute sich und streichelte den fröhlich schnatternden Enten über das Gefieder. Einige zwickten ihn mit ihren Schnabel oder liefen umher.
Gina musste lachen, als sie ihre Familie so erblickte und setzte sich ebenfalls hin. "Du bist wirklich ein verrücktes Kerlchen, Fritzie. Dir würde ich noch eine Spinnenfarm zutrauen." schmunzelte Gina grinsend und strich einer Ente über den Kopf. "Wollte ich, aber das ist nicht so leicht." erwiderte er belustigt. Gamia verabschiedete sich dann und ihre Eltern saßen alleine bei den Enten. "Sie mag Niklas gerne." erwähnte Gina mit einem bedeutenden Unterton. "Ja, ist doch gut, wenn sie hier Freunde findet." erwiderte Fritz ruhig und hatte ihre Anspielung durchaus verstanden, wollte sie aber nicht richtig wahrhaben.
Bei Niklas zog Gamia sich erstmal Arbeitsklamotten an und setzte sich dann zu ihm auf dem Trecker. Beide wollten die Weide entlang mähen. Währenddessen unterhielten sie sich. "Und du übernimmst den Hof irgendwann?" fragte sie laut, damit Niklas sie verstand. "Ja! Mein Vater hat diesen schon von seinem Vater geerbt! Er hätte es auch verstanden, wenn ich was anderes wollen würde und hat mich mal gefragt, ob ich das wirklich möchte, aber das ist einfach mein Leben!"
Nach einiger Zeit waren sie fertig und fuhren den Trecker weg. "Im Totenreich ist es so, dass du eine Lehre machst und am Ende geleitet man eine Seele in die andere Ebene. Damit gilt die Lehre als abgeschlossen." erklärte Gamia Niklas und er schien nicht begeistert davon zu hören. "Sowas muss ich aber nicht machen, oder?" Darauf wusste Gamia keine genaue Antwort, da er ein Halbblut war. "Das würde ich auch nicht machen wollen. Es ist zwar ein Teil von mir, aber nicht mein Leben!" rief er und irgendwie hatte Gamia das Gefühl, dass Niklas eine kleine Abneigung gegenüber seinem Dasein hegte. "Es reicht mir, dass ich in diesem Zwischenreich geboren wurde." fügte er hinzu und beide verschwanden langsam ins Haus, als es dunkler wurde und Niklas zeigte Gamia anschließend sein Zimmer.
"Wir können ja noch etwas entspanntes machen." Damit setzte er sich an den PC und ganz überrascht schaute sie diesen an. "Ist das auch so ein Fernseher?" fragte sie nach und war ganz fasziniert davon. Niklas verstand erst nicht, was los war und musste schmunzeln. "Nein, kennst du sowas nicht? Das ist ein Computer, damit kannst du ins Internet." Planlos beäugte Gamia ihn und das Gerät nur. "Sowas haben wir nicht, auch nicht im Totenreich. Wir haben Federn, aber keine Technologie." meinte sie. "Komm her, ich zeig dir das." Das Grinsen konnte Niklas sich nicht verkneifen und er zeigte und erklärte ihr die verschiedensten Dinge. Sie war sehr begeistert und versuchte die Technik dahinter zu verstehen. Beide waren sich nahe und Gamia kniete sich hin. So gut es ging versuchte Niklas sich nichts anmerken zu lassen, aber es machte ihn doch nervös, bevor er vorschlug, sich etwas anzuschauen und beide sich dafür auf das Bett setzten.
Frank grüßte Gamia, als er Niklas nach Essen fragte. "Wir Todeswesen haben kein Bedürfnis nach Essen oder Trinken, wir brauchen es nicht. Schlaf dient uns auch nur als Regeneration. Wir haben auch kein Temperaturempfinden." berichtete Gamia ruhig, als Niklas ihr gestand, dass er nicht oft und viel Hunger hatte. Ihre Erklärung erinnerte ihn an eine Anekdote aus der Vergangenheit. "Jetzt weiß ich, warum ich kaum was gemerkt habe, egal in welcher Kleidung bei welchem Wetter ich rausgegangen bin oder einmal zu spät gemerkt habe, dass das Feuer nach einiger Zeit anfängt wehzutun." Über diese Dinge lachte er und war doch froh, ein Stück mehr über sich zu erfahren.
Als Gamia das Zimmer inspizierte, fiel ihr ein Bild im Regal ins Auge. Kurz darauf stand sie vom Bett auf und schaute es sich an. Auf dem Bild waren seine Eltern abgelichtet und er als kleiner ca 10 Jahre alter Junge. "Oh, das ist kurz vor Mutters Tod entstanden." Betrüb seufzte er, während Gamia seine Mutter musterte, die ihm relativ ähnlich sah, als ihr hinter dem Bild Bücher auffielen. Sie las die Titel und realisierte, dass sich alle Bücher um den Tod drehten und holte eines mit dem Titel "Psychopompos- Seelengeleiter Nahtoderfahrungen" hervor.
"Ähm, das kam als ich nur noch mit Papa alleine war. Da habe ich mich sehr um das Thema Tod beschäftigt. Das Buch fand ich hilfreich und hatte gehofft, dadurch mehr zu erfahren, wo ich dann doch keinen mehr hatte, der mir was erklären konnte." In der Zeit, wo er das gesagt hatte, hatte Gamia etwas in den Buch gelesen. "Interessant, was Menschen über uns schreiben, aber das ist gut geschrieben. Tut mir leid, dass ich einfach so die Sachen genommen habe." Beschämt entschuldigte sie sich und stellte das Buch wieder zurück, davor das Foto. "Geht schon in Ordnung, lass uns den Film weiterschauen."
Niklas lehnte sich an die Wand und Gamia saß auf dem Bettrand. Interessiert schauten sie dem Film zu und Niklas stupste Gamia mit dem Fuß an, die lachend zu ihm sah. Beide ärgerten sich nach einiger Zeit gegenseitig und konzentrierten sich gar nicht mehr auf dem Film. Schließlich beugte sich Niklas über sie, schaute sie an und beide grinsten mit roten Wangen. Der Herzschlag von Gamia wurde schneller, als Niklas ihrem Gesicht näher kam und sie anschließend küsste. Beide schlossen ihre Augen bei diesen intensiven langen Kuss.
Als Niklas den Kuss löste, folgte ein weiterer von Gamias Seite aus. Danach sahen sie sich an und hatten ein total euphorisches Gefühl in der Magengegend. "Hoffentlich war ich nicht zu stürmisch." murmelte Niklas unsicher, aber Gamia lächelte ihn nur glücklich an. "Nein, alles gut." schmunzelte sie und küsste ihn auf die Wange, während sie ihn umarmte. Beide waren richtig glücklich in dem Moment und vergaßen total den Film dabei.
Am selben Abend begab Gamia sich wieder heim, konnte anfangs aber kaum schlafen. Niklas erging es dabei ähnlich, stand aber rechtzeitig mit seinem Vater auf, der gemütlich seinen Kaffee trank und seinen Sohn aus dem Halbschlaf riss, als er erwähnte, dass bei Norbert ein Schaf umgekommen sei. "Doch nicht etwa Wölfe, oder?" entfuhr es Niklas schockiert. "Ich hoffe nicht, die können wir hier nicht gebrauchen." erwiderte Frank nicht begeistert und wollte genauso wenig wie die anderen Dorfbewohner, dass ein Wolf umherging und ihre Tiere tötete.
Gamia stand später auf und lief ins Badezimmer, wo sie ihre Mutter erblickte, die sich gerade ihre graue Lederjacke anzog. "Guten Morgen, mein kleiner Nerd. Wie war es denn bei Niklas?" Gina drehte sich zu ihrer Tochter um und konnte ihren Gesichtsausdruck lesen. "Ahhh, sag bloß du rote grinsende Tomate...!" Mit gerötetem Gesicht senkte Gamia den Kopf. "Ihr seid zusammen, richtig?"
Gamia gestand es schließlich und ihre Mutter wünschte beiden viel Glück, bevor Gina zu Fritz in den Entenstall ging und ihm die Botschaft überbrachte. "Wie?!" entfuhr es Fritz überrascht und die Ente in seinem Arm quakte. "Ich freue mich für sie, aber sie ist doch mein Mädchen." schmollte er und Gina hatte irgendwie schon mit dieser Reaktion gerechnet.
"Sie ist 21, irgendwann finden eben auch die Kinder jemanden, den sie lieben. Jetzt sei aber nicht komisch..." Lachend strich sie über seine Haare. "Nein, nein! Ich habe nichts dagegen, aber ich möchte sie nicht wirklich loslassen, immerhin habe ich sie erst vor einiger Zeit richtig kennengelernt. Du weiß selber, wie glücklich ich war, ihren Geburtstag miterlebt zu haben und sogar geweint habe." Sanft lächelnd setzte sich Gina zu Fritz. "Ach, Fritzie.", seufzte sie und ergriff seine Hand. "Natürlich verstehe ich dich, aber irgendwann muss man das tun. Sie ist doch trotzdem immer noch deine Tochter." Fritz verstand seine Partnerin und stimmte ihr mit gesenkten Kopf zu. Etwas nachdenkliches lag in seinen Augen.