Auf Arbeit kam ihr Sarah mit einer Wednesday Loading Tasse entgegen. Sarah sah ebenfalls müde aus.
"Heather-Weather, du siehst ja auch nicht gut aus. Ich habe noch bis spät abends alle Abrechnungen durchgezogen, damit ich das weg hab." murmelte sie und gähnte lautstark. Heather hörte zu und nickte. "Ich war gestern im Krankenhaus. Eine komische Frau, die ich nicht kannte hat mir Vorwürfe gemacht. Dazu wollte mein Auto nicht mehr anspringen."
"Ach deshalb bist du mit Rad da." murmelte Sarah und beantwortete erste E-Mails. Auf Nachfrage ging Heather näher auf das Gespräch mit der Frau ein.
"Hm, ganz unrecht hatte sie nicht. Klar, als Betroffene sieht man das anders, aber wenn ich an meinen Onkel denke. Er starb Fürst sei Dank sofort beim Unfall und litt nicht lange, aber wir hätten nicht gewollt, dass er weiter leiden muss. Er hatte schwere Verletzungen am Gehirn und wäre sein restliches Leben nur eine geistlose Hülle gewesen, hätte er überlebt. Ich könnte mich nicht um jemanden sorgen, der auf mich angewiesen ist. So bitter dies nun klingen möge." Heather senkte den Kopf und tippte auf ihren PC rum.
"A-aber es gibt immer die Chance, das ein Wunder geschieht und-" Sarah hob eine Augenbraue und Heather verstummte. "Manchmal holt einen die bittere Realität ein und macht Glaube, wie auch Hoffnung zunichte."
Heather hatte das Verlangen, zu weinen, aber sie unterdrückte ihre Tränen und fühlte einen Kloß in ihren Hals. Innerlich betete sie um ein Wunder für Damians Genesung. Gedankenverloren bearbeitete sie die Bestellungen und starrte auf das Datum für morgen. 4.3.1712
Damian lag im Krankenbett, Gina saß neben ihm. Ihre Robe hatte sie über ihren Körper angezogen und mit der Sense in der Hand stand sie auf. Ihr Blick war auf Damians Körper gerichtet.
"Damian Willers, geboren am 9.6.1667. Ihre Lebenszeit endet nun am 4.3.1712 aufgrund schwerer Verletzungen nach einem Unfall." Damian hörte Ginas Stimme und wurde sich seines Todes bewusst. Er realisierte kaum, wie Gina Tugenden und Sünden aufzählte, bis er Heathers Namen vernahm. "Sie haben sich immer um ihre kleine Schwester gesorgt."
Sally klopfte an Damians Zimmertür und öffnete diese. "Dein Vater ist am Telefon und fragt wegen Wochenende." erläuterte sie und der 16-jährige Damian nahm das Telefon entgegen. "Hey... Dad." grüßte er mau und Xavers Stimme ertönte am anderen Ende. "Damian, mein Sohn. Sag mal, ich konnte mir dieses Wochenende entbehren. Möchtest du nicht zu mir kommen und wir machen uns ein richtiges Vater-Sohn-Wochenende?" fragte er munter und bevor Damian antworten konnte, kam Heather mit einem großen, blauen Fischplüschtier ins Zimmer. "Und was ist mit Heather?" hakte Damian gezielt nach und hörte erst nichts von seinem Vater.
"Ich habe gefragt, ob du das Wochenende bei mir verbringen möchtest, nicht Heather." kam Xavers Antwort und Damian umfasste das Telefon fester.
"Nein. Mutter besucht mit Heather am Wochenende den Zoo und ich gehe mit. Ich habe also keine Zeit für ein Vater-Sohn-Wochenende." betonte Damian und kniete sich zu seiner Schwester. "Heather ist übrigens gerade bei mir im Zimmer. Vielleicht möchtest du deine Tochter auch mal sprechen." Ohne Xaver Chance auf Widerworte zu lassen überreichte er Heather das Telefon. "Hallo Papa!" erklang Heathers glockenhelle Stimme und Xaver schluckte nervös. "H-hi Heather.. Liebes... wie geht's dir? Ach... das ist ja ganz toll.. ja... ja.. Ähm, magst du mir deine Mama nochmal geben? Danke... tschüss." Heather hatte ihm ein Ohr abgekaut über den baldigen Zoobesuch. Damian hörte nur lachend zu, wie seine Schwester in den Hörer plapperte.
"Heather, ich habe auch schon einige Körbe einstecken dürfen. Als sich mit 17 meine Freundin aus der Berufsschule getrennt hat, wollte ich auch nie wieder jemanden lieben. Und erinnerst du dich an die, die ich mit 22 hatte? Die nachher einen anderen geknallt hat? Verkriech dich bitte nicht in deinem Zimmer, sonst muss ich die Schokolade alleine essen." Damian stand vor Heathers Zimmertür und die 20-jährige Heather kam in Pyjama zur Tür geschlürft. Die Augen gerötet und mit einem alten Kuscheltier im Arm, auf dem Habu Zoo stand. Die Gelegenheit nutzte Damian, um sie hochzuheben und aufs Sofa zu tragen. Auf dem Couchtisch standen etliche Snacks und er bewarf Heather mit einer Fleecedecke. "Bin gleich wieder da." Kurz darauf kam er in Jogginghose und Hoodie gekleidet, wie auch mit zwei Früchtetees zurück. "Und jetzt machen wir uns das gemütlich und vergessen diesen Typen mal." Er setzte sich zu ihr auf die Couch und zog eine Decke heran. "Er hätte das nicht für mich getan." murmelte Heather.
"Schwester, dann ist doch gut, dass du ihn los bist. Er hat nicht zu dir gepasst und wäre dir niemals gerecht geworden." Heather schaute mit traurigen Blick zu Damian und lag auf der Seite. "Er hat einfach Schluss gemacht. Und das nachdem..." Sie errötete und versteckte sich unter der Decke. "Jaa, Schwester? Nachdem was?" Sie zog die Decke ein Stück runter. "Wir Snusnu hatten." murmelte sie beschämt und versteckte sich wieder unter der Decke. "Ach so einer ist das! Tut mir leid, aber das war auch das einzige, wofür du bei ihn gut warst und was er wollte. Sowas muss du nicht hinterhertrauern. Der hat dich nur manipuliert." meinte Damian munter und Heather guckte unter der Decke hervor.
"Es war nicht mal schön. Er hat ihn eingeführt, es tat weh und er war fertig, bevor ich es überhaupt realisiert habe." Sie sah zur Seite und Damian nippte an seinen Tee. "Das erste Mal ist oft Katastrophe. Als ich es mit meiner Berufsschulfreundin hatte, wussten wir beide nicht, was wir jetzt tun sollen. Viel Erfahrung konnte ich dann auch nicht mehr sammeln." Er stellte den Tee ab und lehnte sich zurück. "Denkst du unsere Eltern hatten auch schlechten Snusnu weshalb es mich erst 11 Jahre nach dir gab?" Sie funkelte Damian an und er lachte laut los. "Oh man, Heather!" Jetzt musste Heather auch lachen. "Komm, lass das Thema wechseln und einen Film gucken. Worauf hättest du Lust?" Und beide sahen kurz darauf einen Film über eine Frau, die in einer toxischen Beziehung zu einem Firmenbesitzer ist und dann einem Familiengeheimnis auf die Spur kommt.
Damian ereilte ein Anruf seiner Schwester auf Arbeit und er nahm ab. "Heather, was ist los?" fragte er und hörte die aufgebrachte Stimme seiner Schwester. "Meine olle Karre will manchmal nicht starten. Ich brauch endlich eine Neue." Damian verstand. "Klar. Dann lass uns dieses Wochenende zum Autohaus. Dort finden wir sicher was."
"Ich geleite sie in den Garten Eden." ertönte Ginas Stimme und von der Brücke kehrte Damian in Mutter Naturs Himmel ein. Damian schlug die Augen auf und sah das hell eingerichtete Wohnzimmer. "Heather." hauchte er und die Patientenanzeige zeigte nur noch den Tod von Damian Willers an.
Donnerstag, 4.3.1712, 11:32
Heather befand sich auf der Arbeit. Ihre Kollegin schlürfte an ihrer Thursday Loading Tasse und bis auf das Tippen auf der Tastatur war das das einzige Geräusch, bis Heathers Handy klingelte. Sie nahm ab und ließ das Mobiltelefon sinken. "Nein...." hauchte sie, legte auf und stürmte tränenüberströmt ins Badezimmer. Sarah schaltete sofort und rannte ihr hinterher. Eine weitere Kollegin linste aus der Tür. "Heather! Was ist passiert?" rief Sarah und klopfte an der Tür. "Lass mich!!" schrie Heather und Sarah weitete die Augen. "Shit... Könnte es?" flüsterte sie und gab nicht auf, bis Heather die Tür öffnete. Sie stieß ihre Kollegin zur Seite und stürmte aus dem Büro. "Hey, warte!" schrie Sarah und sprintete hinterher. Sie packte Heather, die gerade zur Tür raus war. "Ich will heim! Zu Damian! Ins Krankenhaus, er, er!" japste sie und Sarah erkannte, wie nahe Heather einer Panikattacke war. "Er hat es nicht geschafft, richtig?" Ihre Stimme war ruhig und Heather holte Luft. "Ja!" Sie fiel Sarah um die Arme und triefte ihr Oberteil nass, was Sarah herzlichst egal war. "Heather? Ich möchte, dass du oder wir jetzt zum Bestatter fahren. Außerdem wirst du dir solange frei nehmen, wie du brauchst. Egal ob es Tage, Wochen oder Monate sind." verlangte Sarah mit ruhiger Stimme und hielt Heather weiterhin fest umschlossen.
"Kannst du mich fahren?" schniefte Heather und Sarah nickte. "Na klar." Sie gab ihrer Kollegin Bescheid, die weniger mitfühlend meinte: "Überstunden, yeah." Sarah gab ihr einen tödlichen blick, holte den Autoschlüssel und stieg mit Heather in ihren Kleinwagen.
"Sorry Mom, dass ich mich jetzt erst melde. Gestern war fiel los." vernahm Shadia Musukos stimme am Hörer. "Alles gut. Du sag mal, hat Heather dir schon weiteres erzählt, wie es um ihren Bruder steht?" hakte sie nach, aber Musuko verneinte. "Oh man, na gut, ich darf meiner Berufung nachgehen. Hab dich lieb, mein Sohn."
"Ich dich auch, Mom." Beide legten auf. Shadias Haare ergrauten langsam und ihr Gesicht hatte ein paar Falten dazubekommen. Sie lief hinüber ins Kühlhaus, wo sie auf zwei ihrer jüngeren Kollegen traf. Darunter eine Auszubildende.
"Neue Warenanlieferung." sagte sie lächelnd und Shadia verengte ihren Blick. "Ich habe mich doch wohl verhört. Das sind keine Waren, es sind Menschen, Verstorbene! Ich will das nie wieder von ihnen hören, verstanden? Wir zollen dem Tod und den Toten Respekt." Die Auszubildende wurde ganz klein und still. Sie nickte nur.
Shadia begab sich ins Kühlhaus, nachdem sie sich umgezogen hatte und sah auf das Protokoll. Beim lesen der Papiere fiel ihr das Klemmbrett hinunter, als sie Damians Namen las.
Sie hob das Brett hoch und verließ das Kühlhaus. Die Auszubildende und ihr Kollege starrten sie perplex an. "Frau Fukkatsu ist alles in Ordnung? sie kann doch sonst nichts in Aufruhr versetzen?" erkundigte er sich, da Shadia nie Anstalten machte, wenn es um Verstorbene ging. Egal, in welcher Verfassung diese waren.
"Ja, nein, moment." Shadia griff nach dem Mobiltelefon und wählte Musukos Kontakt aus. Dieser ging schneller ran als die gedacht hätte. "Ja? Mom?"
"Musuko, ruf Heather an, bitte. Ihr Bruder, er hat es nicht überlebt."
"Sag bloß, er liegt vor dir?"
"Ja."
Musuko verabschiedete sich und klingelte bei Heather durch. Er hörte bereits an ihrer Stimme, wie miserabel es ihr ging.
"Ich habe es von meiner Mom erfahren." "Wir sind gerade auf dem Weg dahin." hauchte Heather und Musuko wusste kurz nicht, was er sagen soll. "Du, pass auf, ich hole dich später ab und dann verbringst du die Tage bei mir. Ich will dich nicht alleine lassen." Heather lächelte über all die Fürsorge ihrer Mitmenschen. "Danke." Sie legte auf.
Die Frauen hielten am Parkplatz des Gemeindehauses und Sarah fragte Heather, ob sie mitkommen soll. Heather lehnte ab. "Ich kenne die Bestatterin. Ich werde alleine mit ihr sprechen." Heather stieg aus dem Auto aus. "Danke fürs fahren."
"Moment! Ich kann warten, bis du wiederkommst, das ist kein Thema." bot Sarah an, aber Heather lehnte den Vorschlag ab. "Fahr zurück zur Firma." Sarah murrte. "Ruf mich an, wenn du abgeholt werden möchtest." Dem Kompromiss stimmte Heather zu. Heather lief zum Fukkatsu-Bestattungsinstitut hinüber und Shadia erwartete sie bereits in einem formellen Anzug. Die Versorgung der Verstorbenen, bis auf Damian, hatte sie ihren Kollegen überlassen, um in Ruhe mit Heather sprechen zu können.
"Willkommen, Heather. Bitte folge mir in mein Büro." Shadia bevorzugte es, Angehörigen nicht mit einer Begrüßung wie Guten Tag entgegen zu treten. Eine Kollegin sah Heather hinterher, die ins Büro lief.
Heather wurde im Bestattungsinstitut immer mehr bewusst, dass sie wegen ihrem Bruder hier war. Mit hängenden Kopf fing sie an zu schluchzen. Shadia zog Heather zu einer Umarmung heran. "Es hat mir selbst das Herz gebrochen, als ich davon erfuhr. Er war ein toller Mensch." Sie reichte Heather nach der Umarmung ein Taschentuch und füllte ihr ein Glas Wasser ein. Beide setzten sich gegenüber und Heather bemerkte, wie gefasst Shadia auftrat. "Wir nehmen uns für die Besprechung so viel Zeit, wie wir benötigen."
Zweieinhalb Stunden später schrieb Heather Sarah, dass sie abgeholt werden möchte und Sarah hatte sich sofort auf den Weg begeben. Heather schaute irritiert, als sie ihr Fahrrad im Auto erblickte. "Nicht wundern, ich fahre dich direkt samt Rad zu deiner Wohnung." Heather nickte nur und dankte Sarah, als diese ihr Rad aus dem Auto hievte. "Keine Ursache. Und denk dran, ich möchte dich nicht auf Arbeit sehen." Sarah und Heather kamen zu einer Umarmung zusammen. "Ich weiß nicht, was ich sagen soll, außer dass ich für dich da bin."
"Danke." hauchte Heather lediglich und fuhr ihr Rad in den Schuppen. Dabei winkte sie Sarah, die die Geste erwiderte und daraufhin in ihr Auto stieg.
Heather lief ins Erdgeschoss des Wohnhauses. Über ihr lebte nur eine junge Person Anfang 20- Sie hatten kaum Kontakt zueinander, aber sie kamen miteinander aus.
Kaum hatte Heather die Tür betreten, fiel sie auf die knie und brach zusammen. Die Nachricht und das Gespräch mit Shadia hatten ihr viel abverlangt. Sie weinte und hatte bereits Kopfschmerzen davon bekommen. "Ich habe so viel gebetet, aber trotzdem ist er zu unrecht gestorben. Er hatte den Tod nicht verdient. Nicht wegen diesen beschissenen Geisterfahrer! Hätte er sich doch erhängen sollen!! Damian und ich hätten an diesem Tag einfach ein Auto kaufen sollen." Dabei fiel ihr der Termin mit dem Autohändler ein. "Scheiße! Den muss ich auch noch absagen!" Sie zog sich an dem kleinen Schrank im Flur hoch, der kurzzeitig nachgab. Eine kleine Engelsfigur fiel dabei hinunter und zerbrach. Heather sammelte diese monoton auf und warf sie in den Restmüll.