Tiffany brauchte eine Auszeit für sich und verblieb die folgenden zwei Tage daheim, aber die Sorge um Viktorius zog sie wieder zu ihm. Er war schließlich ihr Freund, sie musste ihm helfen, dachte sie. Schließlich hatte ihr Vater seine Frau auch nicht im Stich gelassen, als sie krank war. Es war ungefähr die gleiche Situation und Tiffany fühlte sich wie ihr 12-jähriges Ich. Tief im Inneren sah sie es als ihre Aufgabe an, sich selbst zu vernachlässigen und sich um einen geliebten, kranken Menschen zu kümmern.
Für Viktorius war es eine Erleichterung, seine Freundin zu sehen und er umarmte sie freudig. "Ich dachte schon, dass du nichts mehr mit mir zu tun haben möchtest." Diese Angst, sie würde nicht mehr wiederkommen hatte ihn die Tage beschäftigt. Die Freude in seinem Gesicht gab ihr ein gutes Gefühl. "Ich brauchte nur Zeit für mich. Ich verlasse dich nicht ohne weiteres." Das erleichterte Viktorius umso mehr und er verfing Tiffany in einem Kuss.
Gemeinsam machten sie es sich in seinem Bett gemütlich und Viktorius lag mit dem Kopf auf Tiffanys Unterkörper, während sie durch seine Haare strich und diese mit ihren Finger aufwickelte und dann wieder los ließ. Auch Viktorius griff nach ihrem glatten Haar. "Es ist so fein." schmunzelte er und Tiffany nickte, während sie vor sich hin vegetierte. Viktorius nahm den Arm runter und kam dabei an ihre zierliche Oberweite. Peinlich berührt versuchte sie sich nichts anmerken zu lassen, dachte dann aber daran, dass sie schon miteinander geschlafen haben. Viktorius richtete sich auf, um ihr einen Kuss zu geben und griff dabei nach ihren Händen. Sie ließ sich auf seine Küsse ein und ohne selber darüber nachzudenken, öffnete sie ihr Kleid für einen leichteren Spielraum.
"Ich finde dich hübsch." flüsterte er, als er über ihren nackten Arm strich und ihr dabei in die Augen sah. Sie räkelte sich im Bett für eine gemütliche Position und musterte dabei Viktorius, wie er sich seiner Kleidung entledigte. Sie war noch ängstlich, aber die Erfahrung an das letzte Mal gaben ihr Mut.
In dem Moment, wo sie entblößt vor ihm lag, fühlte sie sich glücklich und dachte nicht an all die Dinge, die passiert waren, wie schlecht sie sich fühlte. Sie wollte einfach nur neben Viktorius liegen und schlafen, über nichts nachdenken. Viktorius empfand ebenso und schloss mit einem Lächeln die Augen.
Es war einer der wenigen guten Momente in Viktorius Leben. Die Freude darüber hielt nicht lange an. Selbst wenn Tiffany bei ihm war, konnte er sich nicht ganz darauf einlassen. Es fiel ihm schwer, sich auf die Treffen zu konzentrieren und es gab Tage, an denen das Paar nur im Bett lag und es Viktorius leid tat, dass er ihr nicht mehr bieten konnte und wenn es nur ein Ausflug in die nahegelegene Kleinstadt war. Tiffany schien dafür Verständnis zu haben, aber Viktorius dachte, er würde sie nur langweilen. Deshalb freundete er sich langsam wieder mit dem Alleinsein an, wenn sie nicht da war. Denn so würde er sie nicht mit seiner schlechten Laune nerven.
Mittlerweile war es Anfang März und es ließ sich erahnen, dass der Frühling nah war. Bei dem Gedanken, Mutter Natur käme wieder zu Kräften, lächelte Berta und nahm sich eine Decke, die sie immer zur Waldmeditation mitnahm, wenn es noch etwas kälter war. Zur Winterzeit meditierte sie daheim und lief an verschneiten Tagen durch den Wald. Mit einem Lächeln machte es sich Berta im Wald gemütlich und begab sich in einem meditativen Zustand, um mit Mutter Natur in Kontakt zu treten. Sie war erfreut, Mutter Natur zu sehen, wie sie erblühte. In Bertas Gedanken schwebte eine große Frage umher und dies bemerkte Mutter Natur nach ihrem kleinen Austausch.
"Was beschäftigt dich?" fragte sie sanft und Berta seufzte. "Tiffanys Partner... Er hat vor wenigen Wochen gefragt, ob es nicht möglich sei, selbst über seinen Todeszeitpunkt zu entscheiden. Darum frage ich dich, Mutter Natur, ist es möglich?"
Ihre Frage klang wie ein flehen und Mutter Natur hielt inne. Bertas Anliegen war ernst. Sie konnte ihr keine direkte Antwort geben, aber für Berta waren Mutter Naturs Worte eindeutig.
"Ihr habt einen freien Willen mitbekommen."
Berta senkte den Kopf und wisperte: "Also doch.. es ist möglich." Von Mutter Natur gab es weder eine Antwort oder ein bestätigendes Kopfnicken. Sie blieb stumm, allerdings hatte auch Mutter Natur ein Anliegen.
"Bitte passe auf Tiffany Dronner auf." Berta nickte. "selbstverständlich." Bis zum Schluss würde sie Tiffany unterstützen. Sie verstand die dringende Bitte wohl daher, dass Tiffany mit Viktorius zusammen war und Mutter Natur nicht wollte, dass seine Frage in die Tat umgesetzt und Tiffany mit reingezogen werden würde. Berta genoss die Zeit bei Mutter Natur.
Tiffany wachte auf und öffnete als erstes das Fenster. Sie wollte den Morgen riechen, doch stattdessen kroch ihr der Geruch von Pferdeäpfeln in die Nase. Angewidert schloss sie das Fenster wieder und zog sich ein beiges Kleid an, nahm einen Flechtkorb mit Träger und wollte einkaufen. Sie hatte kaum mehr was da und lief zum Markt. Seit geraumer Zeit grüßten ihr die Standbesitzer weniger, was vermutlich an ihrer Beziehung mit Viktorius lag. Der Bauer grüßte sie ausgelassen wie er jeden grüßte und ihr Weg führte sie durch die üblichen Stände, zum Schluss der Metzger. Der Lehrling grüßte sie und eigentlich wollte sie zum Mittag ein stück Fleisch, aber heute wurde ihr beim Anblick der Fleischteile flau im Magen. Die Blässe war in ihrem Gesicht sichtbar.
"Entschuldigung, mir ist nicht wo-", Sie schlug die Hand vor dem Mund und der Auszubildende reagierte schnell, indem er ihr einen Eimer brachte, in welchem sie sich erbrach. Jedoch machte sie den Fehler, in den Eimer zu blicken und sah außer ihr Erbrochenes nicht verwertbare Fleischteile und erbrach sich vor ekel erneut. Tränen stiegen ihr in die Augen und sie war bis aufs Mark beschämt. Der Azubi gab ihr noch ein Tuch und Tiffany entschuldigte sich, während sie sich den Mund abwischte und aus dem Laden verschwand. Daheim spülte sie ihren Mund aus, um diesen ekligen Geschmack aus dem Mund zu bekommen, setzte einen Tee auf und sortierte die Einkäufe weg. "Ich möchte nicht krank werden." sagte sie sich selber und wollte nicht, dass Viktorius sie wieder eine Weile nicht sehen durfte. Sie beschloss, heute daheim zu bleiben und kochte sich eine kleine Portion. Sie hatte Sorge, dass sie eine Magenverstimmung hatte und wollte kein Risiko eingehen. Der Tee half ihr und sie putzte das Haus. Es erleichterte sie, dass die Magenverstimmung eine Alltagsfliege war und sie morgen Viktorius besuchen konnte.
Bei Viktorius wurde Tiffany herzlichst begrüßt, aber sie hatte das Gefühl, dass er nicht richtig da war. "Ich habe es geschafft zu kochen, für dich. Wenigstens etwas, was ich geschafft habe." murmelte er und mit einem nachdenklichen Gefühl setzte Tiffany sich. In letzter Zeit nutzte Viktorius jede Gelegenheit, um sich niederzumachen.
"Ich bin stolz auf dich, danke." lobte sie ihn, aber bei Viktorius zeigte es kaum mehr eine Wirkung. Er selbst füllte sich nur wenige Kartoffeln auf. "Möchtest du nur das essen?" fragte sie ihn und er nickte. "Hab keinen Hunger." Tiffany beließ es dabei und griff zur Gabel. Ihr Magen knurrte und sie hatte Hunger. Großzügig bediente sie sich an dem Gericht und genoss jeden Bissen. Es hatte ihr bei Viktorius immer geschmeckt, aber heute mundete es ihr besonders. Er wollte ihr noch seine Kartoffeln überlassen, aber Tiffany bestand darauf, dass er etwas zu sich nahm.
"Ich mag nicht, mir geht es nicht gut... Ich weiß auch nicht, ob ich es schaffe, die Küche zu putzen." gestand er sich ein und Tiffany griff ihm dabei unter die Arme. "Ich kann das machen." Dankbar sah er sie an und stellte seinen Teller zum Geschirr. Tiffany wollte sich schnell ans Werk machen, doch als sie das dreckige Geschirr sah, kam ekel in ihr hoch. Sie wusste nicht warum, aber in letzter Zeit war sie empfindlicher unangenehmen Gerüchen gegenüber geworden. Tiffany hielt ihr Wort unter Mühen und versuchte nicht zu spucken. Nach getaner Arbeit gesellte sie sich zu Viktorius.
"Tut mir leid, dass ich dir nicht mehr bieten kann, als für dich zu kochen und du auch noch die Küche putzen musst." seufzte er niedergeschlagen. "Ist schon in Ordnung." murmelte Tiffany und faltete die Hände vor den Oberkörper zusammen. "Ist es nicht." entgegnete Viktorius mit einem niedergeschlagenen Tonfall und Tiffany richtete sich auf. "Ist es wirklich." versicherte sie und Viktorius setzte sich auf. "Du hast jemand besseres verdient." schniefte er und legte sich mit dem Kopf auf ihre Oberschenkel. "Ich habe aber nicht vor, jemand besseres kennenzulernen. Es ist okay, nicht okay zu sein." Sie strich über seine Haare. "Du gibts mir Dinge, die andere mir nicht geben können. Unsere Gespräche. Ich könnte mich in diesem Dorf kaum mit jemand anderen über das unterhalten, worüber wir sprechen. Ich fühle mich von dir verstanden und darum liebe ich dich auch." Ein aufmunterndes Lächeln fand sich auf Tiffanys Lippen wieder und Viktorius sah zu ihr. "Ich habe dich nicht verdient." hauchte er, bevor beide ihre Hände miteinander verflochteten und sie sich zu einem Kuss zu ihm runterbeugte.
Anstatt Viktorius zu besuchen, begab sich Tiffany am Folgetag zu Berta. Wie immer freute Berta sich über den regelmäßigen Kontakt zu Tiffany. So wusste sie auch, wie es ihr ging. Beide Frauen waren alleine und setzten sich an den hölzernen Tisch. "Möchtest du etwas trinken?" fragte Berta und setzte heißes Wasser auf. "Einen Tee gegen Magenprobleme bitte. In letzter Zeit ist mir ein wenig schlecht." bat Tiffany und Berta sah zu ihr. "Aber ansonsten geht es dir gut, oder?" hakte sie nach und Tiffany nickte, woraufhin Berta nur eine Augenbraue hob und den Tee aufgoss.
"Wie geht es Viktorius?" fragte Berta und setzte sich. Tiffany stützte den Kopf mit ihren Handballen an. "Nicht gut. Die Beziehung ist aktuell nicht leicht. Er fühlt sich schlecht, dass er mir nichts bieten kann." Tiffany strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
"Eine Beziehung ist auch nicht das, was ihn retten wird. Er hatte durch dich durchaus positive Momente, aber es ist nicht die Lösung seiner Probleme." erwähnte Berta und Tiffany gestand sich ungerne ein, dass Berta Recht hatte. ie konnte nicht mehr für ihn tun. "Ich wünschte nur, ich könnte mehr für ihn tun. Ich wüsste gerne, wie er das Leben sehen würde, wenn er nicht diese Laster hätte." seufzte Tiffany und nippte an dem Tee.
"Warum überraschst du ihn nicht mit etwas?" fragte Berta lächelnd und brachte Tiffany auf eine Idee. "Er hat bis jetzt ein paar Mal die Kleinstadt in der Nähe erwähnt. Dort kennen sie uns nicht. Ein Tagesausflug könnte ihm vielleicht helfen. Aktuell verschließt er sich wieder und liegt viel im Bett, auch wenn ich bei ihm bin." erzählte Tiffany und war von der Idee angetan.
Tiffany besuchte Viktorius am nächsten Tag mit dem Hintergrundgedanken, ihn in die nahegelegene Stadt auszuführen. Sie hoffte, dass ihm einigermaßen danach war, aus dem Haus und unterwegs zu gehen. Beim betreten seines Hauses empfing er sie mit einem Lächeln und bevor sie sich setzen konnten, hielt sie ihn auf. "Ich habe mir was überlegt. Wollen wir die nahegelegene Stadt besuchen?" fragte sie ihn und Viktorius weitete die Augen. "J-ja... können wir machen." murmelte er überrascht, packte ein bisschen Geld ein und zog sich Schuhe und Mantel an, verließen das Haus und suchten einen Kutschenfahrer, den sie entlohnten, welcher sie schließlich zur Stadt fuhr. Tiffany bezahlte den Kutschenfahrer und Viktorius dankte leise. Der Kutschenfahrer hielt am Stadteingang und das Paar dankte ihm. Der Herr nickte nur und zündete sich eine Zigarette an. Beim betreten der Stadt ergriff Tiffany die Hand von Viktorius und es war das erste Mal, dass sie öffentlich zeigten, dass sie zusammen waren, ohne verpönt zu werden. Der Ort war eindeutig größer als ihr kleines Dorf und sie musterten die Kirche die in der Nähe des Marktplatzes stand. In der Stadt erblickte Tiffany eine Praxis, die den Namen Commer trug. Sie erinnerte sich, dass er sich in der Stadt niederlassen wollte.
Zufälligerweise trat Doktor Commer aus dem Haus neben der Praxis. An seiner Seite eine braunhaarige Frau, die einen kleinen Jungen auf dem Arm hielt. Sie alle waren in hochwertigen Kleidern bekleidet und der Arzt sah Tiffany, aber würdigte sie keines Blickes, als er Viktorius an ihrer Seite sah und lief erhobenen Hauptes an ihnen vorbei.
"Er hat damals gesagt, ich müsste nur genug essen." flüsterte Viktorius Tiffany zu und sie kicherte. "Was hältst du davon, wenn wir ein bisschen was kaufen? Hier werden wir wenigstens nicht beleidigt, wenn wir nur Fleisch kaufen wollen." schlug Tiffany vor und Viktorius mochte die Idee.
Auf dem Markt sahen sie die verschiedensten Stände, auch welche, die es bei ihnen nicht gab. In aller ruhe sahen sie sich um. Sie wurden fündig und Tiffany erwarb bei einer netten Verkäuferin einen Flechtkorb zu ihrem Einkauf dazu und dankte herzlich.
Tiffany kehrte zu Viktorius zurück und lächelte. Plötzlich stockte sie jedoch und holte tief Luft. Verwundert sah Viktorius zu ihr. "Alles gut?" fragte er besorgt. Tiffany hielt inne. "Bitte nicht." dachte sie innerlich, atmete aus und lächelte dann, als die Übelkeit verschwand. "Ja." sagte sie lächelnd und Viktorius war froh, das zu hören.
Ihr Ausflug endete und sie fuhren zu seinem Haus zurück. Erneut bezahlte Tiffany den Fahrer und überreichte Viktorius einen Teil der Lebensmittel. Den Korb und was sie für sich gekauft hatte, behielt sie. Er dankte ihr und wusste nicht, was er sagen sollte. Innerlich fühlte er sich schlecht. Beschämt lächelnd dankte er für den Tag und gab ihr einen Abschiedskuss.
Nachdem sie gegangen war, sortierte er die Lebensmittel ein. "Ich hätte sie einladen sollen, nicht sie mich. Was bin ich für ein Partner, dass ich ihr nicht einmal das bieten konnte? Sie wollte mir nur was Gutes tun, aber ich fühle mich trotzdem miserabel. Wenn es mir nur besser gehen würde." Er bekam Schuldgefühle gegenüber Tiffany, auch wenn er ihr dankbar gegenüber war, aber wirklich glücklich fühlte er sich nicht. Er wusste nicht mehr, wann er das letzte Mal richtig glücklich gewesen war. Natürlich freute ihn die Beziehung, aber richtig fröhlich für längere Zeit war er lange nicht mehr. Es schwebte immer das Gefühl seiner Krankheit mit.
Tiffany freute sich, dass sie Viktorius diesen Tag schenken konnte. Natürlich war es nicht an ihr vorbeigegangen, dass er sich nicht richtig freuen konnte, aber sie wusste, dass er es im tiefsten Inneren tat. Sie selbst fand dieses Erlebnis schön, weg von all den Dorfbewohnern und deren bösen Zungen. Mit einem guten Gewissen schlief sie ein.