Henrik war alleine in der Gilde. Seit Johannes Erlösung erfuhr er regelmäßig Unterstützung von Gina und Justin. Im Gegensatz zu früheren Zeiten war ihre Hilfe mit der Zeit, es ist das Jahr 1776, von weniger Belangen geworden. Die Todesgeister wurden weniger. Das merkte nicht nur die Gilde, auch die Sensenschmieden, die immer weniger zu tun bekamen. Die Heiler hatten weniger verletzte Todeswesen, um denen sie sich kümmern durften. Weniger Todesgeister worden eingearbeitet. In einer Schicht bekam Henrik keinen Besuch in der Gilde, viele Akten waren nicht zu schreiben gewesen und er trank gelangweilt eine Weinflasche alleine aus. An diesem Tage war es bei ihm nicht anders. Sein einziger Besuch war der Tod persönlich gewesen und er verweilte zu einem kleinen Plausch.
„Wie wird es mit dem Totenreich weitergehen? So wie es aktuell aussieht, ist das Ende nicht mehr fern, kann das?“ Fragte Henrik mit einem gestochen scharfen Ton. Der Sensenmann sah es nicht als notwendig an, in einer Situation wie dieser, nicht alle Informationen preiszugeben.
„Du hast Recht. Die Welt geht zugrunde. Es gibt immer weniger Menschen auf der Erde, die globalen Zustände nehmen zu, Krisen brechen aus.“
„Die apokalyptischen Reiter haben die Welt vollständig in ihrer Gewalt.“ Ergänzte Henrik und der Tod nickte.
„Bis auf einen.“ Henrik blickte zu dem Tod, der nichts dagegen erwiderte. Es gab nichts zu erwidern. Henrik hatte Recht.
Der Tod setzte einen Fuß auf die nächste Treppe, um sein Weitergehen anzukündigen.
„Henrik, ich danke dir für all deine Dienste, die du für das Totenreich erbracht hast.“ Der Tod verneigte sich leicht und Henrik stand auf, um sich ebenfalls zu verneigen. „Es war mir eine Ehre.“
Gevatter Tod betrat seinen Raum, blickte zu Gina und Justin. Ausgelassen unterhielten sie sich, bis der Tod hineinkam. Dieser wandte sich direkt an Gina.
„Gina, bitte komm her.“ Sie tat wie geheißen und stand vor ihm.
„Einst erschuf ich dich als meine Gehilfin. Heute möchte ich, dass du fortan über das Totenreich herrschst.“ Gina weitete die Augen bei diesen Worten.
„Wie? Jetzt sofort? Ich weiß gar nicht, ob ich dazu bereit bin. Außerdem möchte ich das nicht einfach machen, ohne vorher mit meiner Familie darüber gesprochen zu haben.“ Warf sie ein und der Tod verstand sie.
„Natürlich. Dir steht es auch frei, abzulehnen.“ Gina überlegte einen Moment.
„Nein, ich werde es machen. Doch gib mir einen Moment Zeit.“ Sie lief an dem Tod vorbei. Der Sensenmann erahnte, wohin sie gehen wollte und ließ sie ziehen.
Gina bat ihre Familie, mitzukommen, zum Raum des Todes. Fritz und Gamia folgten ihr.
„Der Tod hat euch etwas mitzuteilen.“ Mit einer Handbewegung zeigte sie auf den Sensenmann. Dieser richtete sich an Gamia und Fritz.
„Wie ihr wisst, wird die Welt, wie ihr sie kanntet, nicht mehr lange existieren. Ich bin der letzte apokalyptische Reiter. Mit mir endet das Leben auf Erden. Ich kann das Totenreich nicht unbewacht lassen. Darum habe ich Gina dazu auserwählt, der neue Tod über das Zwischenreich zu werden.“ Beide verstanden. Fritz war der Erste, der Fragen stellte.
„Ich kann sie aber noch regelmäßig sehen oder verbleibt sie in diesem Raum?“ Der Tod nahm ihn direkt seine Sorge. „Sie wird und kann alles, was sie zuvor schon getan hat. Sie wird nur der neue Leiter der Totenwelt sein.“ Eine Antwort, die Fritz genügte und beruhigte.
„Wenn alles geklärt ist, würde ich gerne meinen Weg gen Garten Eden antreten.“ Warf der Tod ein, aber Gamia hatte eine letzte Frage.
„Woher kommen die apokalyptischen Reiter?“
Der Tod horchte auf. Er blickte zu Gamia und dann zu allen drei der Familie.
„Die apokalyptischen Reiter entstanden einst, nachdem der Höllenfürst entstand. Sie waren ein Nebenprodukt dessen, Krankheit, Krieg und Hunger. Einen nach den Anderen fing ich sie ein und versiegelte sie mit Mutter Natur, wissend sie erst wieder in Zeiten wie diesen hervorzuholen.“
„Und wie kommt es, dass du der letzte Reiter bist?“ Hackte Gamia nach.
„Weil alles Letztenendes mit dem Tod endet.“
Der Tod dankte Josef für seine Dienste und bat, Gina genauso behilflich zu sein, sollte es vonnöten sein. Josef nickte und verbeugte sich. „Ich werde Ihre Bitte mit vollster Zufriedenheit erfüllen.“
Ein letzter Blick in den Raum des Todes folgte. Gina saß auf den Platz, der einst ihm gehörte. Für ihn ein ungewohnter, aber beruhigender Gedanke. Für Gina gewöhnungsbedürftig, nicht mehr nur auf den Sitz daneben zu sitzen. Sie drehte sich zu Josef um und mit offener Handfläche bot sie ihm den Platz an, der einst ihrer war.
„Bitte setze dich. Ich mag es nicht, dich nur an der Wand stehen zu sehen wie eine Rüstung.“ Josef tat wie ihm geheißen und er vervollständigte das Bild, als er sich niedersetzte. Einst hatte der Tod nicht mehr daran geglaubt, Gina das Totenreich zu überlassen. Jetzt wusste er, dass es bei ihr in guten Händen war. Mit einer Verbeugung verabschiedete er sich und betrat die Tür Richtung Garten Eden.
Kapitel 242
Mutter Natur, völlig unbekleidet, erwartete ihn bereits auf der Lichtung, an welcher sie bereits die anderen apokalyptischen Reiter beschworen hatten. Bei seinem Erscheinen streifte er seine Robe ab. Gevatter Tod und Mutter Natur standen sich ohne ein Gewand gegenüber. Mutter Natur sah dem Tod in die Augenhöhlen.
„Ich danke dir vielmals, vom ganzen Herzen, für deine Dienste, meine Geschöpfe all die Jahrhunderte ins nächste Leben geleitet zu haben.“ Sie kam ihm näher, ihre Hand auf seinen Wangenknochen gelegt.
„Wo ist der weiße Tod?“ Fragte er und Mutter Natur lächelte. „Kümmert sich um all meine wunderbaren Tiergeschöpfe auf Erden. Nicht nur die Menschen werden vergehen. Einige, nicht wenige Tiere, werden ihnen folgen.“ Ihre Arme legten sich um ihn, ihre Finger strichen über sein Rückgrat hinunter zu seinem Hüftknochen. Mit beiden Händen hielt sie seine Hüfte gut fest, ihre Oberweite berührte seine Rippenknochen. Ihre zarten Lippen kamen seinem Schädel näher. Ihre Wangen berührten sich und dort, wo Ohren sein sollten, flüsterte Mutter Natur: „Komm.“
Das letzte Siegel wurde gebrochen.
Die apokalyptischen Reiter erschienen im Garten Eden.
Krankheit
Krieg
Hunger
Tod
Mutter Natur blickte auf sie. Eine gewaltige Aura umfing sie. Der Tod trat mit seiner Sense hervor, seine Erscheinung sagte Mutter Natur, er war bereit.
„Ich schuf diese Geschöpfe für euch. Möget ihr mit ihnen auf der Erde galoppieren, sie befreien.“
Zum Vorschein kamen vier Pferde, die zu je einem der Reiter trappte. Das Pferd der Krankheit war übersät von Eiterbeulen, Verbände um die Beine, es hatte eingefallene Augen, nicht mehr alle Zähne und eine glanzlose Mähne.
Das Pferd des Krieges war verwundet, voller blutiger Einstiche und Kratzer. Es blutete aus den Wunden, ein Auge fehlte.
Das Pferd des Hungers war dürr, hatte eine fahle Mähne, Haut und Knochen stachen hervor.
Das Pferd des Todes war vollends ein Skelett.
Die vier Reiter schwangen sich auf ihre Pferde und der Tod öffnete mit seiner Sense ein Portal, welches direkt zur Menschenwelt führte. Sie galoppierten los.
Es war der 31.12.1776.
Es war Silvester auf der Erde. Im Gegensatz wie Jahre zuvor hatte sich über die Jahre, aufgrund der Katastrophen, ein Böllerverbot durchgesetzt. Es gab wenige, die illegal welche bauten oder sich welche besorgten. Diese hatten meistens einen Besuch in der Notaufnahme zur Folge.
Der gesamte 31.12 war trostlos. Es wurde nicht richtig hell. Eine komische Atmosphäre lag in der Luft und ließ dies sowohl Mensch als auch Tier spüren.
Ein Portal tat sich am Himmel auf. Es waren die vier apokalyptischen Reiter. Ungesehen von den Menschen, die lediglich einen hellen Lichtblitz wahrnahmen. Sie verteilten sich, brachten mehr Unglück über die Erde.
Der Tod verblieb alleine, sah auf die Welt hinunter.
Die Uhr schlug Mitternacht. Die Kirchenglocken läuteten ein letztes Mal. Gevatter Tod erhob seine Sense.
„Die Erde, wie sie einst existierte und bevölkert wurde soll fortan nicht mehr sein!“
Ein lauter Knall folgte. Er brachte den Tod über die Menschheit. Der weiße Tod hatte sich eine Waldfläche ausgesucht, sich hingekniet und geleitete all die Tiere, die ebenfalls an diesem schicksalsreichen Tag starben, in den Garten Eden.
Die Menschen spürten kaum, dass sie starben. Ihre Seelen worden geleitet.
Der Himmels -/ und Höllenfürst spürten, was mit der Erde geschah.
„Sie hat es tatsächlich getan. Sie hat die Menschheit zerstört.“ Krächzte die Hölle und erfreute sich über all die Neuankömmlinge in der Hölle. Der Himmel schmunzelte.
„Zu mir sagte sie einst, ich sei das Böse. Im Gegensatz zu ihr habe ich die Erde nicht ohne Wimpernzucken ausgelöscht. Macht sie das nicht vielmehr zu einem Monster? Sie denkt, sie ist perfekt. Ihre Kreation ist es bei weitem nicht. Das ist nur ein erbärmlicher Versuch, das, was sie falsch gemacht hat, zu vertuschen.“ Er lachte hämisch. „Ich war ein viel besserer Herrscher der Menschheit.“
Mutter Natur nahm die Seelen, die zu ihr kamen in Empfang. Seien es die Seelen der Erde oder die letzten Todesgeister des Zwischenreiches, die erlöst worden.
Es war der 1.1.1777. Die Menschheit war vollständig ausgelöscht worden. Die Erde gehörte nun wieder den Tieren und Mutter Natur. Zum ersten Mal seit Jahrhunderten konnte sie wieder atmen.
Nach ihrem Tun wurden die apokalyptischen Reiter, bis auf den Tod, versiegelt. Mutter Natur dankte dem Tod der Tiere für sein Tun. In der Lichtung saßen alle drei zusammen. Mutter Natur blickte beide mit tränenden Augen an.
„Ich danke euch. Ich bin frei. Endlich kann ich mich richtig erholen.“ Der Tod der Tiere stand ihr bei, nahm sie in den Arm und spendete Trost. Den Sensenmann machte es glücklich, Mutter Natur wieder strahlen zu sehen.
„Ich würde gerne in das Zwischenreich gehen. Nachsehen, was dort geschehen ist.“ Sprach er an und erlangte die Aufmerksamkeit von Mutter Natur.
„Selbstverständlich. Bitte lade sie doch zu uns. Sie müssen nicht in Einsamkeit im Totenreich verweilen. Sie sind im Garten Eden willkommen.“ Gevatter Tod nickte und betrat das Portal zum Zwischenreich.
Er gelangte in den Raum des Todes und wurde bereits erwartet. Alle Todesengel waren dort versammelt. Gina saß auf seinem Platz und erhob sich bei seiner Erscheinung.
„Das Zwischenreich, alle Todesgeister worden erlöst. Geblieben sind wir, die nun alle hier versammelt sind, die Todesengel. Jetzt, wo der Mensch fort ist, gibt es nichts mehr für uns zu tun.“ Erklärte sie und stand ihm gegenüber, die Kapuze ihrer Robe zurückgezogen. Der Tod verstand.
„Ich danke dir.“ Dann wandte er sich an die Menge.
„Ihr müsst nicht hier verbleiben. Folget mir in den Garten Eden. Dort seid ihr herzlich willkommen.“ Die Seelengeleiter horchten auf. Dies würde bedeuten, ihre Geliebten fortan dauerhaft sehen zu können. Henrik und Alma sahen sich voller Freuden an und dachten beide an Smeralda. „Ich werde den edelsten Wein mitnehmen.“ Flüsterte er ihr zu, seine Aufmerksamkeit wandte sich kurz darauf aber wieder dem Sensenmann zu.
„Ich danke euch für alles. Ohne euch wäre das Totenreich nicht, was es gewesen ist. Ich kann meinen Stolz über eure Taten nicht genügend lobpreisen.“ Vor allen ging der Tod auf die Knie, wie ein tapferer Krieger, der zum Ritter geschlagen wurde. Erst war es Henrik, der ebenso auf die Knie ging. Henriks Beispiel folgten alle weiteren Todesengel, bis alle, dem Tode ebenbürtig, auf die Knie gingen. Diese Geste rührte den Tod zu stolz. Er stand auf und sagte mit ausgelassener Stimme: „Und nun folget mir in den Garten Eden!“
Die Erde erholte sich und holte sich zurück, was einst ihr gehörte. Die Tiere vermehrten sich, die Gemäuer der Menschheit worden von dem Grün der Natur übermannt. Jahrhunderte vergingen und es ließ nur noch wenig vermuten, dass hier einst der Mensch lebte.
Der Tod besuchte Mutter Natur in ihrer gemeinsamen Lichtung. Sie wirkte konzentriert und leise kam er auf sie zu, bevor er ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Seine Anwesenheit hatte sie bereits lange zuvor gespürt.
Für einen Moment hielt sie inne mit dem, was sie tat.
„Was tust du dort? Es sieht aus, als würdest du etwas erschaffen.“ Fragte er und bekam ein Nicken zur Antwort. Mutter Natur ging einen Schritt zur Seite, damit er genauestens beobachten konnte, was sie schuf. Es sah aus, wie eine Meeresassel, nur viel größer.
„Möchtet ihr die Erde mit neuen Geschöpfen beheimaten?“ Erkundigte er sich und Mutter Natur nickte. „Die Erde soll und wird nicht ewig ruhen. Sobald wir uns vollständig erholt haben, werde ich bereit sein, neues Leben auf die Welt zu bringen.“ Während sie dies erklärte, lächelte sie mit rosigen Wangen.
„Es ist nicht das einzige Geschöpf, was ich schuf.“ Erwähnte sie und zeigte dem Tod kurz darauf das Modell einer Kreatur mit großen Maul, kleinen Armen, reptilienartigen Aussehen. „Das Modell ist klein. Auf der Erde soll diese Kreatur in noch viel größerer Gestalt wandeln.“ Der Tod war fasziniert.
„Gedenkst du, auch wieder Menschen zu schaffen?“ Für einen Moment hielt Mutter Natur inne.
„Sie sind mein Ebenbild. Trotz allem, was geschah, sind sie meine stolzeste Schöpfung. Ich kann ihnen diesen Platz auf Erden nicht für immer vorenthalten. In der Form, wie ich sie zuvor schuf, sollen sie aber nicht auf die Erde. Sie sollen sich entwickeln. Es wird rein zufällig geschehen, ob der Mensch, so wie es ihn vorher gab, auch auf der neuen Erde wandeln wird oder in veränderter Form.“ Sie präsentierte dem Tod eine Schöpfung, die menschliche Züge aufwies, einem Primaten aber mehr ähnelte.
„Die Menschen haben sich viel zu schnell entwickelt. Dieser Fehler soll nicht erneut geschehen. Ich möchte dem Zeit geben, jahrtausenden, Millionen Jahre von Zeit.“ Sie ergriff die Knochenhände des Sensenmannes, welcher den Blick von ihren neuen Schöpfungen abwandte und seine Aufmerksamkeit ganz ihr zuteilwerden ließ.
„Egal, was dir vorschwebt, ich werde da sein und dich unterstützen. Zu jeder Zeit. Ich werde ihre Seelen einsammeln, wenn ihr letztes Stündlein geschlagen hat und sie dorthin geleiten, wohin immer es dir beliebt.“ Er strich durch ihr Haar mit seinen knochigen Fingern und verlor sich in ihren strahlenden grünen Augen. Der Tod würde für das Leben da sein, so wie das Leben für den Tod da sein würde. Beides würde für immer eins sein.
Das Ende