Alma verabschiedete sich von ihrem Vater in der Gilde und lief zu ihrer Wohnung. Ihre Gedanken waren noch beim heutigen Erlebnis und sie schlief schlecht ein. Sie hoffte, dass die Arbeit sie ablenken würde, als sie am nächsten Morgen aufwachte. Kurzerhand zog sie sich um und begab sich, mit mittelmäßiger Laune, zu den Sensenschmiedern.
Beim betreten des Raumes lächelte Alma zwar und grüßte alle, die ihr über den Weg liefen, sie wollte allerdings für sich sein und wandte sich still ihrer Arbeit zu. Sie war dabei eine Klinge zu schmieden und versuchte sich darauf zu konzentrieren, aber ihre Gedanken schweiften öfters ab, bis sie beim schleifen abrutschte und sich das Sensenblatt in ihre linke Hand schnitt.
Sie hielt sich ihre linke Hand und blickte auf das Blut, welches vereinzelt auf den Boden tropfte. Kurzerhand blickte sie sich um, versuchte ein wenig zu lächeln, dass alles in Ordnung sei und lief dann, so schnell wie möglich, zu den Heilern.
Alma wartete auf den Fluren und versuchte den Flur möglichst nicht mit Blut vollzutropfen und erregte kaum aufsehen, bis Jayna die Schmiedemeisterin bemerkte und auf sie zu kam.
"Hallo, ich sehe schon. Kommen Sie." bat Jayna und führte Alma in den Behandlungsraum. Dort versorgte Jayna die Wunde und währenddessen fragte sie Alma: "Wie ist das passiert?" Daraufhin seufzte Alma nur erschöpft. "Ich hatte zu viele andere Gedanken im Kopf und bin dann abgerutscht beim Sensenblatt schärfen. Eigentlich wollte ich mich mit der Arbeit ablenken." Verständlich nickte Jayna und verband Almas Hand.
"Die nächsten Tage darf ich Sie leider nicht zu den Scythe Makern lassen, aber ich biete ebenfalls Vertrauenssprechstunden an. Wenn Sie mögen, können wir einen Termin ausmachen." erklärte Jayna und bot ihrer Patientin dies an. "Danke, aber ich komme klar." lehnte Alma freundlich ab und Jayna nickte. "Sollten Sie es sich anders überlegen, steht meine Tür jederzeit offen. Und wegen Ihrer Hand würde ich Sie bitten, in drei Tagen noch einmal wiederzukommen. Bis dahin schonen Sie Ihre linke Hand bitte." erklärte Jayna ruhig und Alma nickte nur, während sie ihre Hand musterte. Innerlich war sie davon überhaupt nicht begeistert, aber äußerte sich nicht weiter dazu, dankte Jayna und verließ daraufhin die Heilerabteilung.
Es klopfte kurze Zeit später an Jaynas Tür und sie bat die Person hinein. Dabei handelte es sich um ihren Kollegen Paul. "Hätten Sie kurz Zeit?" fragte er höflich und Jayna nickte, während sie den Platz säuberte und sich dann ihren Kollegen widmete. Paul hatte ihre Tätigkeit beobachtet und ein charmantes Lächeln schlich sich auf seine Lippen, als er sein Lob kund tat.
"Sie sind eine gute Ärztin. Wissen Sie, ich denke Sie wären irgendwann eine gute Leiterin der Heileranstalt. Ich war selbst eine Zeit lang Leiter, ich kann Ihnen gerne mehr dazu erzählen, wenn Sie möchten. Am besten treffen wir uns dafür in Ruhe bei mir dahei-"
Jayna unterbrach seine Schmeicheleien. "Danke, aber ich habe kein Interesse. Weder daran, Leiterin zu werden, noch daran, mit Ihnen zu verkehren. Ich bin lesbisch und Sie sind geschmacklos."
Sie wusste genau, worauf Paul hinaus wollte und Paul versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, dass er bei Jayna nicht weit kam. "Ich weiß, dass es Ihnen nur um das Eine geht, ich bekomme mit, wie Sie Frauen um den Finger wickeln. Machen Sie das immer so, wie Sie es bei mir versucht haben? Wenn ja, frage ich mich wirklich, wie das immer funktioniert hat. Sie sollten sich mal überlegen, ob bei Ihnen keine Satyriasis vorliegt und jetzt gehen Sie bitte und beglücken Ihre rechte Hand, als irgendeine Frau, die danach, wie ein benutztes Kondom, weggeworfen wird." Pauls Blick verzog sich und Wut keimte in ihn auf, als Jayna ihn mit diesen Worten niedermachte. Mit einem verhassten Blick verschwand Paul aus ihrem Praxiszimmer und wünschte halbherzig einen schönen Tag. Jayna beobachtete sein Verhalten und dachte sich ihren Teil, während sie sich ihrer Arbeit zuwidmete. Ihre Aufmerksamkeit widmete sie einem jungen Patienten in einer Sprechstunde zu. Durch ihr eigenes Schicksal hatte sie es sich zur Aufgabe gemacht, anderen zu helfen und bot darum Sprechstunden an. In der Totenwelt gab es unter den Heilern Psychologen, da die neuen Umstände zu Anfang und die Aufgabe, die verrichtet werden soll, oft eine große, psychische Belastung ist, besonders für Todesgeister, die einst Menschen waren und im Leben Laster mit sich trugen.
Nach der Sprechstunde bekam Jayna erneut Besuch, diesmal von Dr. Bromerus, welcher ebenfalls Sprechstunden gab und bei welchem Jayna zu früheren Zeiten selber war. Mittlerweile waren beide gute Kollegen. Sie nahmen sich den ruhigen Moment für ein kurzes Gespräch. Dabei berichtete sie Elliot von Pauls Versuch, sie ins Bett zu bekommen. Elliot seufzte. "Er ist ein Arsch. Es geht ihn um Sex bei Frauen und menschlich ist er ein Monster, arrogant, narzisstisch. Als meine Frau starb, fand er es nur bedauerlich, dass ich nicht zur Arbeit kommen konnte. Zum Glück wurde ihm seine Stellung entzogen und dass er versucht hat, dich zum Beischlaf zu verführen, liegt doch nur daran, dass er bald erlöst wird und jetzt noch versucht, so viele Frauen wie möglich zu ficken, entschuldige." erzählte Elliot frei heraus, wie er es sonst nicht tat, aber was er mit Jayna besprach, blieb unter den Beiden und daher griff Elliot zu dieser, für ihn ungewöhnlichen, Wortart. Jayna nickte und stimmte Elliot in seiner Aussage zu, fragte aber nach: "Erlösung?"
Ihr Kollege nickte. "Er hat es mir... gestern mitgeteilt. Wurde endlich Zeit, so viele Jahrhunderte, wie er hier schon verbracht hat. Wenn du mich fragst, glaube ich, dass er in die Hölle kommt." Elliot wollte es nicht laut aussprechen, aber er hoffte es für Paul. Vorsichtig schaute er noch einmal, dass ihnen auch wirklich keiner zuhörte.
Sie verabschiedeten sich voneinander und Jayna verließ die Abteilung, um in ihren Feierabend zu gehen. In ihrem Hinterkopf hatte sie immer den Satz, dass Paul erlöst wird uns sie wusste, wem sie diese Information zu teil werden lassen musste.
Jayna zog sich in der Wohnung um, löste den Zopf und fuhr mit der Hand durch ihre Haare, um ihnen einen wilderen Lock zu geben. Sie tauschte das Hemd durch ein schulterfreies Oberteil mit Totenkopfprint und zerschnittenen Saum. Die Jeans wurde zu einem knielangen, schwarzen Rock, der mit Nieten verziert war. Passend dazu eine kaputte Netzstrumpfhose und Boots. Ihr Hals zierte eine Kreuzkette und auch die Hände waren bis zum Ellbogen mit schwarzen Handschuhen bedeckt, die nur die Finger offenbarten. In kurzer Zeit wurde aus der brav gekleideten Heilerin eine Gothic Lady. Kurzerhand machte Jayna sich auf dem Weg zu Felicias Wohnung, in der Hoffnung, sie dort anzutreffen. Sie klopfte dort an und kurze Zeit später wurde ihr bereits die Tür geöffnet. Jayna grüßte Felicia und sah, dass Cedric ebenfalls im Wohnzimmer saß und erspähte auch ein Todeswesen, dass seine schwarzen, langen Haare offen trug. Jayna grüßte auch Cedric erfreut und näherte sich der Wohnzimmercouch, als sie bemerkte, wer dort saß. Ihr Blick fiel auf Alma, die sie mit offenen Haaren und nicht in Schmiederkleidung erblickte. Sie erkannte Alma außerdem wegen der verletzten, linken Hand wieder. Auch Alma hatte das Gefühl, ihr Gegenüber zu kennen und musterte sie. "Ich kenne Sie doch... Sind Sie nicht?" fragte Alma rätselnd nach und Jayna nickte schmunzelnd. "Doktorin Makricia, ich habe Sie heute behandelt." Alma hatte von Jayna das brave Aussehen als Ärztin im Kopf und an ihre Begegnung vor über 20 Jahren erinnerte sie sich kaum. Beide verspürten ein kleines, ungewöhnliches unangenehmes Gefühl, was Cedric zu bemerken schien und einwarf: "Alma ist unsere Nichte. Sie hat vorhin von ihrer Verletzung erzählt." Nickend sah Jayna zu Cedric und Alma war dankbar, dass Cedric vom Geschehen ablenkte.
Alma verabschiedete sich auch kurz darauf und lief aus der Wohnung, während Jayna sich auf das Sofa begab. "Was führt dich her?" erkundigte sich Felicia und rückte näher an Cedric heran. "Ich muss dir etwas erzählen, was ich von meinem Kollegen heute erfahren habe. Dr. Paul Commer wird erlöst." Sie achtete bewusst darauf, nicht Vater zu sagen und Jayna war mit eine der Wenigsten, die Felicias Geschichte kannten. Auf Felicias Lippen breitete sich ein großes Grinsen aus. "Endlich! Ich hoffe, er landet in der Hölle, dieses Arschloch!" wünschte sie und wurde gehässig. Cedric dachte sich seinen Teil, konnte er ihren Hass sehr gut nachvollziehen, bekam vor ihren boshaften Art aber immer etwas Respekt.
Jayna enthielt ihr auch das Gespräch zwischen ihm und ihr nicht vor. Lauthals lachte Felicia, als sie von Jaynas Aussagen hörte und lobte sie dafür: "Er ändert sich nie, egal was passiert, dieser Ich-bezogene Wichser. Die Abfuhr von dir ist wirklich lustig und was du ihm gesagt hast, bringt es auf dem Punkt." Felicia lächelte weiterhin freudig über die gute Nachricht, die Jayna ihr brachte.
Jayna verblieb nicht lange bei dem Ehepaar und verbrachte den Abend gemeinsam.
Felicia saß auf dem Bettrand und trug ihr schwarzes Nachtkleid. Cedric hatte ebenfalls nur noch seine Boxershorts an und umgarnte seine Frau von hinten. Er umarmte sie, fuhr mit der Nase durch ihre Haare und gab ihr einen lieblichen Kuss auf die Wange. Geschmeichelt schaute Felicia zur Seite und blickte ihm entgegen, während er mit beiden Händen ihre Arme umfasste und gab ihr dann einen Kuss.
"Ich liebe dich." hauchte er dabei und beide schlossen ihre Augen. Felicia spürte, wie Cedrics Finger ihre Arme hinunterglitten und genoss dieses Gefühl. Er hielt sie mit seiner Umarmung ganz fest und Felicia lächelte glücklich. Ihre Lippen legten sich auf seine Wange und mit einer Hand umfasste sie sein Gesicht, bevor sie sich langsam nach hinten ins Bett gleiten ließ.
Am nächsten Morgen wachte Alma auf und lief normal zur Arbeit, allerdings ohne Arbeitskleidung. Sie betrat den Raum und ein paar ihrer Kollegen bemerkten ihre Verletzung, bis Alma sich vor ihnen stellte und erzählte, dass sie die nächsten Tage nicht kommen kann, sie als Leiterin aber Ansprechpartnerin bleiben würde. Damit verabschiedete sie sich vorerst und begab sich wieder heim. Ihrem Vater wollte sie, aus Sorge, nichts von der Verletzung erzählen, darum lief sie nicht zur Gilde rüber. Sie hatte gestern bereits ihrem Onkel erzählt, dass sie Henrik nichts davon erzählt hatte. Alleine verblieb Alma in ihrer Wohnung und fragte sich, was sie tun konnte, doch ihr blieb nicht viel Auswahl. Sie musterte das Möbelstück welches sie mit ihrer Mutter gebaut hatte und dachte an sie. Dabei vertiefte sie sich immer mehr in diese Gedanken und der stillen Umgebung. Alma erinnerte sich daran, dass sie noch weitere Tage Zuhause verbringen würde und fand die wenigen jetzigen Stunden schon unerträglich. Schließlich fasste sie seufzend den Entschluss, dass es für sie doch gut wäre, einmal auf das Angebot von Jayna einzugehen.
Kurzerhand begab sich Alma auf dem weg zum Heilertrak. Innerlich rechnete sie damit, dass Jayna keine Zeit und ihr nur einen Termin anbieten würde, doch das wäre für Alma schon viel wert. Beim betreten der Heilerabteilung suchte sie explizit nach Dr. Makricia. Sie verband diesen Namen mit Redemptor Noster, doch verurteilte sie Jayna nicht dafür. Alma vermutete, dass Jayna deshalb wohl oft verurteilt wurde, aber genau wusste sie dies nicht. Mit einem klopfen signalisierte sie ihren Besuch und zu ihrem Glück wurde Alma direkt hineingebeten. Jayna erkannte ihre Patientin und dachte nicht an den vorherigen Abend zurück. "Guten Tag." grüßte Jayna und vermutete erst, dass etwas mit der Schnittverletzung sei, bis Alma von ihrem Anliegen berichtete. "Sie hatten eine Sprechstunde angeboten und diese würde ich gerne in Anspruch nehmen wollen." bat Alma und Jayna nickte.
"Natürlich." Jayna bat Alma Platz auf den gegenüberliegenden Stuhl zu nehmen, holte nebenbei Stift und Papier und schaute ihre Patientin aufmerksam an. "Worüber möchten Sie sprechen?" Alma war überrascht, dass Jayna spontan Zeit für sie hatte, aber auch erleichtert. Vertraulich erzählte Alma von ihren Sorgen.
"Meine Mutter wurde vor kurzem erlöst und mein Vater und ich sind noch dabei, es zu verarbeiten. Das ist auch der Grund für meine Verletzung. Ich war einfach unkonzentriert, da ich an sie denken musste. Vermutlich hätte ich mir eine Auszeit nehmen sollen, anstatt sofort arbeiten zu gehen." gestand sie sich ein und Jayna konnte Alma gut nachempfinden.
Dabei fühlte sie sich in die Zeit zurückversetzt, als sie ihre Mutter an den Krebs verlor. "Eine Auszeit nach Ereignissen wie diesen sind immer wichtig. Dabei ist es egal, wie lange diese andauert. Nutzen Sie die Zeit, in der Sie nicht arbeiten können, als Zeit für sich selbst." riet Jayna und sprach ruhig mit ihrer Patientin, was Alma ein wohlwollendes Gefühl gibt.
"Ich weiß, dass sie nicht komplett fort ist und ich sie jederzeit sehen kann, wenn ich in den Himmel gehe, das ist ein tröstender Gedanke." berichtete Alma mit hängenden Kopf und Jayna verstand ihre Patientin. "Die Person fehlt einen direkt in der Nähe." sagte Jayna mit aufmunternden Blick und Alma fühlte sich von der Heilerin verstanden, wie auch gut aufgenommen.
Alma vertraute Jayna ihre Sorgen an und als das Gespräch zum Ende kam, fragte die Heilerin, ob Alma einen weiteren Termin vereinbaren wollen würde. Darüber dachte Alma gut nach. "Mir tat das Gespräch gut. Ich würde konkret nichts neues ausmachen, aber mich melden, wenn ich wieder einen Rat brauche. Ich danke Ihnen." Damit stand Alma von ihrem Sitz auf und Jayna freute sich, dass sie einer Patientin helfen konnte. Beide verabschiedeten sich und Jayna blickte noch kurz zur Tür, bis sie sich aus der Träumerei riss, sich zu ihrem Schreibtisch begab und sich ihrer Arbeit zuwidmete.